L 1 KR 63/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 109/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 63/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich als ehemalige Inhaberin eines Unternehmens der Hauskrankenpflege gegen die fristlose Kündigung des Versorgungsvertrages zwischen den Beteiligten durch die Beklagte.

Die Klägerin versorgte als Inhaberin der "Hauskrankenpflege S" seit 1991 Versicherte der Beklagten. Ein Vertrag über die einheitliche Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege gemäß §§ 132, 132 a Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) sowie die Erbringung von Leistungen nach den §§ 189, 199 Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde von der Klägerin einerseits und der Beklagten sowie anderen Krankenkassen andererseits am 18. Mai 2000 für die Zeit ab 1. April 2000 bis 31. Dezember 2001 geschlossen (nachfolgend nur noch "Versorgungsvertrag"). Wegen des genauen Vertragsinhaltes wird auf Blatt 12 ff. des Verwaltungsvorganges verwiesen (Original des Vertrages).

Mit Schreiben vom 26. Februar 2001 (Zustellung 28. Februar 2001) kündigte die Beklagte – auch für die anderen vertragsschließenden Krankenkassen – diesen Vertrag mit sofortiger Wirkung. Nach Überprüfung der Abrechnung der erbrachten Leistungen für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2000 sei festgestellt worden, dass ärztlich verordnete Behandlungspflege in mindestens 423 Einsätzen von nichtexaminiertem Personal ausgeführt worden sei. Dies habe ein Abgleich der vorliegenden Namenskürzelliste der Mitarbeiter des Pflegedienstes ergeben. Ferner seien Leistungen unter Nichtbeachtung der vereinbarten Vergütungspauschalen abgerechnet worden. Teilweise seien für Leistungen der Häuslichen Krankenpflege Leistungsnachweise der Pflegeversicherung verwendet worden. Es liege eine grobe Pflichtverletzung nach § 36 Abs. 1 Ziffer 2 des Vertrages vor, die zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung des Vertrages führe.

Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 28. Februar 2001 und bat um einen kurzfristigen Termin. Daraufhin fand am 8. März 2001 in der Direktion der Beklagten ein Anhörungstermin statt, bei welchem neben der Klägerin für sie ihr Sohn als Geschäftsführer des Unternehmens sowie ein Vertreter des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. auftrat. Ausweislich des Protokolls – gefertigt von der anwesenden Vertreterin des BKK-Landesverbandes Ost – erklärte die Klägerin, dass ihr die ihr vorgeworfenen Sachverhalte bis zum Erhalt des Kündigungsschreibens nicht bekannt gewesen seien. Die entsprechenden Dienste seien von Vertretern geplant worden. Ihre Mitarbeiter hätten ursprünglich ordnungsgemäß geplante Einsätze eigenmächtig getauscht. Sie habe zweien Mitarbeiterinnen wegen eigenmächtigen Handelns gekündigt. Sie führte weiter aus, die Vernachlässigung ihrer Kontrollpflichten im ambulanten Pflegedienst sei eingetreten, weil in dem ebenfalls in ihrer Trägerschaft befindlichen stationären Pflegeheim innerhalb relativ kurzer Zeit zwei bis drei Mitarbeiterinnen ausgefallen seien. Daher habe sie selbst in der stationären Einrichtung die Rolle der Pflegedienstleiterin übernehmen müssen und durch eigenen Einsatz die Pflege sicherstellen müssen. Daher habe sie ihren Aufgaben als Pflegedienstleiterin im ambulanten Pflegedienst nicht nachkommen können. Diese Arbeit habe die stellvertretende Pflegedienstleiterin übernommen. Im stationären Bereich habe sie jetzt zum 1. März 2001 eine neue Pflegedienstleiterin und zwei Krankenschwestern eingestellt. Ihr Beistand vom Berufsverband erklärte laut Protokoll, die Klägerin und er seien heute mit dem Wissen angetreten, dass Vertragsverstöße eindeutig vorlägen. Sie hätten darlegen wollen, dass die Klägerin aber weder grob fahrlässig oder gar bewusst gehandelt habe. Wegen des genauen Inhalts des Protokolls wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen (Vorblatt 1).

Mit Schreiben vom 12. März 2001 kündigte die Beklagte – auch im Namen der beteiligten Krankenkassen – den Vertrag erneut fristlos: Im Ergebnis der Anhörung vom 8. März 2001 werde die Kündigung aufrechterhalten. Dem Antrag auf Abschluss eines neuen Vertrages werde nicht stattgegeben. Eine neue vertragliche Vereinbarung werde in absehbarer Zeit nicht geschlossen werden.

Am 26. März 2001 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt/Oder erhoben. Im Erörterungstermin am 17. Mai 2002 hat die Klägerin erklärt, dass auf den Listen die Kürzel von Mitarbeiterinnen eingetragen seien, die keine Fachkräfte seien. Sie gehe davon aus, dass der Einsatz dieser Personen im Pflegedienst erfolgt sei in dem von der Beklagten vorgetragenen Zeitraum. Sie habe es nicht bemerkt, dass diese Personen zum Einsatz gelangt seien. Sie habe zu dieser Zeit zwei Einrichtungen betrieben. Ihre Anweisungen seien an Krankenschwestern ergangen. Diese hätten die Einsätze jedoch nicht selbst durchgeführt, sondern hätten diese an die Nichtpflegefachkräfte weitergeleitet. Da sie –die Klägerin- die Abrechnung nicht selbst vorgenommen habe, sei dies von ihr nicht bemerkt worden, sondern bei der Kontrolle der AOK aufgefallen.

Mit Beschluss vom 21. Mai 2002 ist der Rechtsstreit an das Sozialgericht Potsdam verwiesen worden. Die Klägerin hat vorgebracht, sie habe ihren ambulanten Pflegedienst vom 1. Januar 1991 bis zur fristlosen Kündigung unbeanstandet geleitet. Ihr Pflegedienst sei der größte im Landkreis gewesen. Seit der Eröffnung der Seniorenresidenz "Haus S" am 1. April 1999 seien Mitarbeiter eingestellt worden, die gegen ihre Einrichtung gearbeitet hätten. Sie führe Rechtstreitigkeiten mit diesem Personal. Diese hätten ihr Unternehmen kaputt machen wollen. Ehemalige Mitarbeiterinnen hätten einen Konkurrenzpflegedienst gegründet und zehn Patienten abgeworben. Eine ehemalige Mitarbeiterin sei zur Beklagten gewechselt und benütze diese als Werkzeug, um ihr Unternehmen zu zerstören. Bis Ende des Jahres 2000 habe sie genügend Fachkräfte gehabt, bis zur Neugründung des Konkurrenzunternehmens, der Hauskrankenpflege "P". Obwohl auch beim Konkurrenzunternehmen vertragswidrig gehandelt worden sei, sei diesem nicht gekündigt worden. Sie fordere Gleichbehandlung. Ferner seien die Kontrollen der Beklagten mit äußerster Akribie und mit zu hoch angesetzten Maßstäben durchgeführt worden. Die Kündigung sei rechtswidrig, insbesondere unverhältnismäßig.

Im Verhandlungstermin am 18. Oktober 2007 hat die Klägerin beantragt festzustellen, dass die Kündigung des Vertrages zur Häuslichen Krankenpflege zum 13. März 2001 rechtswidrig gewesen sei. Das SG hat die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Die Kündigung des Vertrages über die Häusliche Krankenpflege sei rechtmäßig gewesen. Die Beklagte sei dazu im Auftrag der beteiligten Krankenkassen berechtigt gewesen, wie sich aus dem Vertrag ergebe. Die entsprechenden Vollmachten seien vorgelegt worden.

Da der Kündigung vom 13. März 2001 bereits die erste Kündigung vom 26. Februar vorangegangen sei, könne sich die Klägerin nicht auf eine fehlende Anhörung berufen. Die Kündigung sei auch zu Recht erfolgt. Die Klägerin habe gegen ihre vertraglichen Pflichten im Sinne der §§ 12, 13, 19 und 22 des Versorgungsvertrages verstoßen. Sie habe selbst mehrfach zugestanden, dass Leistungen durch nicht dafür qualifiziertes Personal erbracht worden seien. Die Vertragsverstöße seien auch über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten aufgetreten. Die Gründe für die mangelnde Überwachung der Mitarbeiterinnen seien irrelevant. Da die Qualität der ambulanten Pflege gewährleistet sein müsse, könne sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass bei anderen Pflegediensten nicht ebenso penibel kontrolliert worden sei. Die Klägerin habe im Übrigen die Vertragsverstöße zugestanden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin meine, durch eine ehemalige Mitarbeiterin geschädigt worden zu sein.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 4. Februar 2008. Die erste fristlose Kündigung sei wegen der fehlenden vorangegangenen Anhörung unwirksam. Zum Zeitpunkt der zweiten Kündigung hätten die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nach § 36 des Versorgungsvertrages nicht mehr vorgelegen. Im März 2001 habe die Klägerin nämlich das erforderliche Fachpersonal durch arbeitsvertragliche Regelungen vom 8. März, 21. März, 4. April und 26. April 2001 rekrutiert gehabt. Das eingestellte Personal habe zum großen Teil bereits im März 2001 auf freiwilliger oder Honorarbasis gearbeitet. Auch habe die Klägerin die Vertragsverstöße nicht zugestanden. Zugestanden worden sei vielmehr lediglich, dass Kürzel von Nichtfachkräften auf einer Liste eingetragen worden seien. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass sie – die Klägerin – ihre Mitarbeiter mehrfach darauf hingewiesen habe, dass Behandlungspflege durch examiniertes Personal auszuführen sei und dass sie aufgrund der Vorkommnisse zwei Mitarbeiterinnen gekündigt habe. Eine hundertprozentige Überwachung der Mitarbeiter vor Ort könne nicht erfolgen. Die materiellen Pflegeleistungen des Unternehmens hätten stets ein hohes Niveau aufgewiesen, was durch die Überprüfungen des MDK auch belegt sei. Unvollständige oder fehlerhafte Abrechnungen begründeten hingegen kein Recht zur fristlosen Kündigung.

Es sei nicht richtig, dass es, wie es in der Kündigung heiße, 423 Fälle gegeben habe, in denen von nichtexaminiertem Personal Pflegeleistungen erbracht worden seien, für die nach dem hier einschlägigen Vertrag examiniertes Personal hätte eingesetzt werden müssen. Es werde dazu weiter vorgetragen und Beweis angeboten werden (Protokoll Erörterungstermin vom 29. September 2008). Im Jahre 2000 seien von ihrem Pflegedienst mindestens 5000 Behandlungen und Anwendungen durchgeführt worden. Damit bestehe der Vorwurf der Behandlung durch nicht ausreichend examiniertes Personal lediglich in einem Prozentsatz von unter 5 %. Dies rechtfertige keine fristlose Kündigung des Vertrages. Auch sei es in der Praxis der Beklagten Gang und Gebe gewesen – und betreffe auch die angeblichen 423 Anwendungen –, dass sie die ärztlichen Verordnungen nicht in den vorgeschriebenen sieben Tagen bestätigt habe, sondern dass dies erst in einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten geschehen sei. Genau die 423 Fälle, die für die Kündigung herangezogen worden seien, seien zum Zeitpunkt der Verabreichung lediglich auf privater Basis erfolgt, weil die Verordnung nicht rechtzeitig bestätigt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Kündigung des Vertrages zur häuslichen Krankenpflege vom 13. März 2001 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es sei bereits zweifelhaft, ob der Wirksamkeit der ersten fristlosen Kündigung die fehlende Anhörung entgegenstehe. Eine solche sei nur erforderlich, wenn der Verdacht eines Vertragsverstoßes bestehe (§ 35 Abs. 2 des Versorgungsvertrages). In § 36 des Versorgungsvertrages hätten die Vertragspartner ersichtlich ein besonderes Kündigungsrecht ohne vorherige Anhörung vereinbaren wollen. Die Einstellung neuen Personals im März und April 2001 sei nicht geeignet, den Kündigungsgrund aufzuheben. Insbesondere sei die Kündigung nicht auf § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Versorgungsvertrages (Nichterfüllung der fachlichen oder personellen Voraussetzungen) gestützt, sondern auf § 36 Abs. 1 Nr. 2 (Leistungserbringung durch dafür fachlich nicht qualifizierte Mitarbeiter). Die Beklagte trete auch dem wiederholten Vortrag der Geschäftsschädigung entgegen. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandelt und entschieden werden. Sie wurde im Verhandlungstermin durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten. Ihr Terminverlegungsantrag vom 10. September 2010 ist per Fax bei Gericht erst nach der Terminsstunde eingegangen.

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen.

Das Vorbringen im Berufungsverfahren gibt zu einer anderen rechtlichen Einschätzung keinen Anlass:

Ob der Kündigung nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 des Versorgungsvertrages eine Anhörung vorgeschaltet sein muss, kann hier dahingestellt bleiben. Das SG hat zu Recht dem ersten Kündigungsschreiben vom Februar 2001 die Funktion einer Anhörung zugemessen. Die der zweiten Kündigung zugrunde liegende Begründung war wenige Tage später noch nicht überholt und das Kündigungsrecht nicht wegen Zeitablaufs verwirkt.

Der Senat hegt ferner mit dem SG keine Zweifel daran, dass die der Klägerin vorgeworfenen Verstöße gegen § 36 Abs. 1 Nr. 2 des Versorgungsvertrages, also die Durchführung der Behandlungspflege durch nicht fachlich qualifiziertes Personal, tatsächlich vorgefallen sind. Der Senat hält die Ausführungen des SG, aus den wiederholten Eingeständnissen der Verstöße selbst (und nicht etwa lediglich unrichtiger Dokumentation) das entsprechende Vorbringen der Beklagten als erwiesen anzusehen, für zutreffend.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Kündigungsrecht im März 2001 verwirkt gewesen sein könnte, selbst wenn eine ehemalige Mitarbeiterin der Klägerin nach ihrem Wechsel zur Beklagten tatsächlich ihre frühere Arbeitgeberin hatte schädigen wollen. Selbst diese Schädigungsabsicht ließe nämlich die Vertragsverstöße (Durchführung der Behandlung durch nicht qualifiziertes Personal) unberührt, die zur fristlosen Kündigung geführt haben. Im Übrigen sind diese Vorwürfe der Klägerin zu unsubstantiiert bzw. betreffen Zeiträume nach dem 13. März 2001.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, in den 423 Fällen "privat behandelt" zu haben, weil die Beklagte nicht zeitnah die Verordnungen genehmigt habe. Es handelt sich, wie sich auch aus der Rückzahlung der entsprechenden Honorargelder durch die Klägerin an die Beklagte zeigt, um Fälle, die jedenfalls letztlich als Behandlungsfälle aufgrund des Versorgungsvertrages von der Klägerin abgerechnet worden waren. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier – infolge der Klageerhebung bereits im Jahr 2001 – noch anzuwendenden Fassung (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.01.2002 – B 6 KR 12/01 R – SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 Seite 115 ff). Es liegt kein Fall nach § 193 Abs. 4 SGG alte Fassung in Verbindung mit § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 4 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vor.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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