L 28 AS 1953/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 107 AS 26831/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 1953/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In den Ländern Berlin und Brandenburg ist seit dem 01. November 2007 eine Rechtsmittelbelehrung in Urteilen der Sozialgerichte, bei denen die Berufung statthaft ist, unrichtig, wenn sie keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer elektronischen Berufungseinlegung enthält.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beantragte bei dem Beklagten zu 2. formlos Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II), einen ausgefüllten Antrag reichte er nicht ein.

Bei dem Beklagten zu 8. existiert eine Leistungsakte des Klägers.

Am 10. Oktober 2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben, die er gegen die "Arbeitsgemeinschaft des Landes Berlin und der Bundesagentur für Arbeit, für alle Dienststellen im Land Berlin" gerichtet hat. Mit der Klage hat er die Feststellung verschiedener Verpflichtungen der Beklagten begehrt.

Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei blind.

Mit Schreiben vom 02. November 2007 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass das Gericht erwägt, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen.

Ergänzend ist dem Kläger aufgegeben worden, die vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in dem Beschluss im Verfahren L 1 SF 48/07 genannten Unterlagen zum Nachweis/ zur Ermöglichung weiterer Ermittlungen binnen eines Monats nach Zugang des Schreibens einzureichen.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 02. November 2007 im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 107 AS 26831/07 ER) mit identischen Anträgen ausgeführt, die Anträge zu 1.) und 2.) seien bereits unzulässig. Im Hinblick auf diese Anträge sei kein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1. sowie 3. bis 12. erkennbar. Der Kläger habe allein beim Beklagten zu 2., in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich er sich aufhalte, Leistungen nach dem SGB II beantragt. Im Hinblick auf den Beklagten zu 2. sei ein Feststellungsbedürfnis nicht dargetan.

Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Der Kläger habe trotz gerichtlicher Aufforderung keine Unterlagen eingereicht, so dass medizinische Ermittlungen zu der von ihm behaupteten Blindheit nicht möglich seien. Auch in einer Vielzahl anderer Verfahren, die der Kläger beim SG und dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geführt habe, sei der Kläger diversen Aufforderungen, seine vorgetragene Krankheit zu belegen oder an deren Nachweis mitzuwirken, nicht nachgekommen.

Die Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides hat keinen Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Berufungseinlegung enthalten.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 19. Januar 2008 zugestellt worden.

Am 10. April 2008 hat der Kläger beim SG zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt, dass "er gegen alle Entscheidungen in den Verfahren, die dort in der Registratur und auch in dem beigefügten Anhang Rechtsmittel einlege bzw. mündliche Verhandlung beantrage", da er mit einem Gerichtsbescheid nicht einverstanden sei. Bei einer Fristversäumung beantrage er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe bisher keine Kenntnis von den angegriffenen Entscheidungen. Er könne als "Ohnäugiger" nicht lesen.

In dem Anhang ist unter anderem das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens aufgeführt.

Ergänzend trägt der Kläger vor, er habe bei dem Beklagten zu 10. einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 aufzuheben, und schriftsätzlich

1.) festzustellen, dass die Bediensteten verpflichtet sind, mündliche Erklärungen des Klägers, die an die Behörde gerichtet sind, zu protokollieren und eine Durchschrift nebst Eingangsbestätigung dem Kläger auszuhändigen. Dies gilt auch bei der Verwendung und Ausfüllung von Formularen. 2.) Die unter 1.) aufgeführten Handlungen dürfen nicht von der Vorlage von Dokumenten abhängig gemacht werden, wie z. B. Ausweisen. Sie dürfen auch nicht abhängig gemacht werden von der Vorlage von Bescheinigungen von Ärzten über Art, Grad und Umfang der Beeinträchtigung des Klägers (Grad der Behinderung). 3.) Die Beklagte ist insbesondere verpflichtet, Widersprüche gegen von ihr erlassene Bescheide zu protokollieren und darf nicht dazu auf Dritte verweisen, die Dienstleistungen für behinderte Menschen erbringen sollen, damit die Beklagte selbst untätig bleiben kann. 4.) Die Beklagte ist verpflichtet, ihm alle Mitteilungen, insbesondere Bescheide, akustisch zugänglich zu machen, indem diese Schriftstücke Wort für Wort auf Tonträger übertragen werden und dieser Tonträger nebst Abspielgerät zeitgleich mit der förmlichen Zustellung oder formlosen Zusendung oder Übergabe an die von ihm genannte Adresse zur Verfügung gestellt werden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, die Berufung sei außerhalb der Monatsfrist erhoben und damit unzulässig.

Die Beklagten zu 1., 3. bis 5., 07., 9. bis 12. tragen ergänzend vor, dass der Kläger sich bei ihnen nicht im Leistungsbezug befinde.

Der Beklagte zu 7. trägt ergänzend vor, der Kläger sei ohne festen Wohnsitz, seine letzte Anschrift sei in der W gewesen. Mithin sei der Beklagte zu 8. passiv legitimiert.

Der Beklagte zu 10. trägt ergänzend vor, eine Leistungsakte sei bei ihm nicht angelegt. Es gäbe lediglich Gesprächsvermerke über die Besuche des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung in Abwesenheit des Klägers und eines Teils der Beklagten ergehen, da die Beteiligten mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (vgl. §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger am 10. April 2008 gegen den Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2008 Berufung eingelegt hat. Seine Erklärung, er lege Rechtsmittel ein bzw. beantrage eine mündliche Verhandlung, kann für das vorliegende Verfahren nur dahingehend ausgelegt werden, dass er das statthafte Rechtsmittel einlegen wollte. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung kam hier nicht in Betracht, da dieser gemäß § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG nur gestellt werden kann, wenn die Berufung nicht gegeben ist, was hier nicht der Fall ist.

Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Beklagten fristgerecht eingelegt worden.

Der Kläger hat zwar nicht die 1-Monats-Frist (§ 151 Abs. 1 SGG) gewahrt. Ihm stand jedoch die Frist von einem Jahr zur Verfügung, da die Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2008 unrichtig war (§ 66 Abs. 2 SGG). Eine Rechtsmittelbelehrung ist auch dann unrichtig, wenn sie unvollständig ist (BSGE 7, 16, 18). Die Rechtsmittelbelehrung ist unvollständig, weil sie keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer elektronischen Berufungseinlegung enthält. Sie verweist lediglich auf die schriftliche oder mündliche zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Berufungseinlegung. Seit dem 01. November 2007 besteht aufgrund der 1. Verordnung zur Änderung der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 11. Oktober 2007 (GVBL für Berlin S. 539) und der 2. Verordnung zur Änderung der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 01. Oktober 2007 (GVBL II für das Land Brandenburg S. 425) die Möglichkeit der elektronischen Rechtsmitteleinlegung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.

Auf diese Möglichkeit hätte in der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids vom 15. Januar 2008 hingewiesen werden müssen. § 66 Abs. 1 SGG nennt zwar nicht ausdrücklich die Form der Einlegung des Rechtsmittels, sondern fordert, dass der Beteiligte "über den Rechtsbehelf" belehrt wird. Dies bedeutet aber sprachlich mehr als die Bezeichnung des Rechtbehelfs und erfordert, dass die Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels unterrichtet werden (BSGE 1, 194, 195). Zu den wesentlichen Einzelheiten, über die die Beteiligten hätten belehrt werden müssen, gehört auch die für den Rechtsbehelf vorgeschriebene Form (ständige Rechtsprechung des BSG, erstmals BSGE 7, 16, 18).

Die Rechtsmittelbelehrung ist auch nicht deshalb vollständig, weil durch den Hinweis auf die schriftliche Berufungseinlegung die elektronische Berufungseinlegung als Unterfall der schriftlichen erfasst ist. Die elektronische Berufungseinlegung kann nicht als Unterfall der schriftlichen angesehen werden. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 66 Abs. 1 SGG. Darin ist von schriftlicher oder elektronischer Belehrung die Rede. Dies deutet darauf hin, dass die elektronische Rechtsbehelfseinlegung eine eigenständige Form neben der schriftlichen ist.

Die 1-Jahres-Frist hat der Kläger mit der am 10. April 2008 eingelegten Berufung gewahrt, da ihm der Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2008 am 19. Januar 2008 zugestellt worden ist.

Die Berufung ist aber unbegründet, da die Feststellungsklage unzulässig ist.

Eine Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die bloße Möglichkeit eines Feststellungsinteresses genügt nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 55 Rdnr. 15).

An einem Feststellungsinteresse hinsichtlich der Beklagten zu 1., 3. bis 7., 9., 11. und 12. fehlt es schon deshalb, weil der Kläger zu diesen in keinerlei Beziehung getreten ist. Erforderlich für ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses ist zumindest, dass ein Meinungsstreit zwischen den Beteiligten besteht (vgl. u. a. Castendiek in Lüdtke, SGG, 3. Aufl., § 55 Rdnr. 56 mwN).

Hinsichtlich der Beklagten zu 2., 8. und 10. ist dies zwar anders, weil der Kläger sich an diese gewandt hat. Dennoch ist das Feststellungsinteresse zu verneinen. Ein berechtigtes Interesse an den von ihm begehrten Feststellungen könnte nur dann bejaht werden, wenn der Kläger blind wäre. Dies behauptet er zwar, es gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies zutrifft. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger dies in einer Vielzahl von ihm geführter Verfahren nie belegt und auch nicht an einem Nachweis mitgewirkt. Insofern kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Möglichkeit eines Feststellungsinteresses besteht. Dies genügt aber, wie oben ausgeführt worden ist, nicht.

Sofern ein Feststellungsinteresse bezüglich der Beklagten zu 2., 8. und 10. zu bejahen wäre, wäre die Klage unbegründet, da sie nur begründet sein kann, wenn der Kläger blind ist, was er nicht nachgewiesen hat und was auch nicht aufklärbar ist, da der Kläger seiner Pflicht zur Mitwirkung nicht nachkommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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