L 21 R 614/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 RA 6940/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 614/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtstreit nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte einen Vormerkungsbescheid aufhob.

Der 1948 in M geborene Kläger war in der Zeit vom 26. September 1967 bis 3. September 1975 als Fernsehfilmdirektor, Redaktionsleiter, Regisseur, stellvertretender Direktor eines Ki-nos, Oberinspektor Kunstforschung und Ober-Abnahmebeamter in der damaligen S tätig.

Am 8. November 1975 siedelte er mit seiner 1941 geborenen Ehefrau LL in die Bundesrepublik Deutschland aus. Der Oberstadtdirektor der Stadt B stellte als Vertriebenenbehörde dem Kläger - und seiner Ehefrau jeweils - am 24. Januar 1977 einen Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge "A" aus.

Nach Vorlage des Vertriebenenausweises merkte die Beklagte im Rahmen eines Kontenklä-rungsverfahrens mit Bescheid vom 3. August 1978 Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz vom 26. September 1967 bis 25. Oktober 1972 und vom 24. April 1973 bis 3. September 1975 sowie eine Ersatzzeit wegen Vertreibung/Flucht vom 8. - 30. November 1975 vor.

Nachdem Zweifel an der Echtheit eingereichter Unterlagen aufkamen, entzog der Oberstadtdirektor der Stadt B den Vertriebenenausweis. Das anschließende Verwaltungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln endete am 17. Januar 1989 mit einem Vergleich, wonach die Behörde in Bezug auf beide Eheleute die gleichzeitig ausgesprochene Rücknahme der Einbürgerung aufhob und der Kläger - ebenso wie seine Ehefrau - seinerseits den Widerspruch gegen die Einziehung des Vertriebenenausweises zurücknahm. Über die bestandskräftige Entziehung des Vertriebenenausweises unterrichtete der Oberstadtdirektor der Stadt B den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) mit Schreiben vom 21. September 1989 (Eingang Bekl.: 29. September 1989).

Ausweislich eines Vermerkes vom 24. November 1989 schlug der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten die teilweise Rücknahme des Vormerkungsbescheides vom 3. August 1978 "nach § 45 SGB X" sowie die vorherige Anhörung des Klägers vor. Nachdem die Beklagte zahlreiche Anhörungs- und Adressermittlungsversuche unternommen hatte, hörte sie den Kläger unter seiner ermittelten damaligen Anschrift in der Sch mit Einschreiben und Rückschein vom 1. August 1990 an und stellte dort am 25. Oktober 1990 - ebenfalls mit Einschreiben und Rückschein - den Rücknahmebescheid vom 17. Oktober 1990 zu, mit dem sie den Bescheid vom 3. August 1978 hinsichtlich der Vormerkung der Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz vom 26. September 1967 bis 25. Oktober 1972 und vom 24. April 1973 bis 3. September sowie der Ersatzzeit November 1975 "nach § 45 SGB X" zurücknahm. Der Empfang des Ein-schreibens wurde auf dem Rückschein am 25. Oktober 1990 mit einer nicht lesbaren Unterschrift bestätigt.

Im Verfahren der Ehefrau des Klägers, LL nahm die Beklagte auf die Mitteilung des Oberstadtdirektors der Stadt B vom 21. September 1989 hin auch ihr gegenüber die Vormerkung der nach dem Fremdrentengesetz anerkannten Zeiten sowie einer Ersatzzeit für den 8. November 1975 mit Bescheid vom 5. Juli 1990 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1992 zurück. Das Sozialgericht Berlin wies die Klage mit Urteil vom 19. Mai 1993 ab, da die Beklagte befugt gewesen sei, den Vormerkungsbescheid nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Im Berufungsverfahren hob die Beklagte den Rücknahmebescheid in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 1994 auf, nachdem das Landessozialgericht Berlin auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. März 1993 - Az: 9/9a RV 38/93 - SozR 3 - 1300 § 45 SGB X Nr. 16 hingewiesen hatte, wonach eine Bescheidrücknahme nach § 45 Abs. 3 S. 2 SGB X iVm § 580 ZPO nur innerhalb von 5 Jahren zulässig sein dürfte.

Unter Hinweis auf das Verfahren seiner Ehefrau meldete sich der Kläger am 1. Oktober 1991 bei der Beklagten und beantragte Akteneinsicht. Die von der Beklagten übersandte vollständige Verwaltungsakte ging dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. Januar 1992 zur Akteneinsicht zu. Anschließend schlug der Klägerbevollmächtigte vor, die Sache bis zum Abschluss des Verfahrens der Ehefrau "zunächst nicht weiter zu betreiben".

Im Februar 2002 wies der Kläger die Beklagte auf den Ausgang des Verfahrens seiner Ehefrau hin und beantragte eine entsprechende Regelung für ihn. Die Beklagte wertete dies als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004 ab, da hinsichtlich des Bescheides vom 17. Oktober 1990 das Recht richtig angewandt und von keinem falschen
Sachverhalt ausgegangen worden sei. Aufgrund des bestandskräftigen Entzuges des Bundesvertriebenenausweises seien die Zeiten nach dem Fremdrentengesetz sowie die Ersatzzeit nicht anzuerkennen, da hierfür zwingend die Anerkennung als Vertriebener im Sinne des § 1 FRG erforderlich sei. Da ein Wiederaufnahmegrund entsprechend § 580 ZPO vorliege, sei die Rücknahme - soweit es um die Fristenregelung des § 45 Abs. 3 SGB X gehe - an keine Frist gebunden. Dies ergebe sich ausdrücklich aus dem Gesetz, so dass der Rechtsprechung des Bundessozial-gerichts vom 24. März 1993 - Az.: 9/9a RV 38/91 - nicht gefolgt werden könne. Hiergegen hat der Kläger am 16. Dezember 2004 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, zur Begründung zunächst auf das Parallelverfahren LL, Az: S 17 An 602/92 bzw. Landessozialgericht Berlin, Az: L 2 An 176/93, hingewiesen und ergänzend ausgeführt, die Beklagte sei verpflichtet, den offensichtlich rechtswidrigen Bescheid vom 17. Oktober 1990 aufzuheben. Entsprechend der Auffassung des Landessozialgerichts Berlin in der Sache seiner Ehefrau sei eine Rücknahme des streitbefangenen Bescheides nur innerhalb von 5 Jahren zulässig. Auch die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei abgelaufen, denn spätestens mit Schreiben der Stadt B vom 21. September 1989 sei der Rentenversicherungsträger über den Sachverhalt informiert worden und erst am 17. Oktober 1990 sei der angefochtene Bescheid außerhalb der Jahresfrist ergangen. Der angefochtene Bescheid vom 17. Oktober 1990 sei ihm bis heute noch nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Schließlich sei der angefochtene Bescheid auch aus sachlichen Gründen nicht gerechtfertigt, was sich insbesondere aus dem umfangreichen Vortrag im Paral-lelverfahren seiner Ehefrau ergebe. Im Rahmen der Prozessbeendigung des verwaltungsge-richtlichen Verfahrens sei keineswegs festgestellt worden, dass ihm der Vertriebenenstatus nicht zugestanden habe, ansonsten wäre die Stadt B wohl kaum bereit gewesen, die Einbürgerung als Deutscher zu belassen. Vor der Rücknahme des Vormerkungsbescheides hätte die Beklagte selbständig prüfen müssen, ob die Eigenschaft als Vertriebener anzuerkennen sei oder nicht. Die Beklagte habe sich nur daran orientiert, dass der Widerspruch gegen die
Einziehungsverfügung des Vertriebenenausweises A der Stadt B zurückgenommen worden sei, ohne die besonderen Umstände der Rücknahme dieses Widerspruchs zu berücksichtigen. Aufgrund der besonderen Umstände, die zur Beendigung des Verwaltungsstreitverfahrens geführt hätten, habe er ein besonders schutzwürdiges Vertrauen am Bestand des Vormerkungsbescheides erworben. Es lägen auch keine Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO vor, da dort nur von Urteilen, nicht aber von Verwaltungsakten die Rede sei. Die Beklagte habe im angefochtenen Bescheid auch kein Ermessen ausgeübt, hierzu sei sie jedoch aufgrund der besonderen Umstände gehalten gewesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. der Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1990 wird aufgehoben, hilfsweise, 2. die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung der Bescheide vom 26. Januar 2004 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004 den Bescheid vom 17. Oktober 1990 aufzuheben.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei im Rücknahmeverfahren nicht ver-säumt, denn diese Frist gelte nur für eine rückwirkende Aufhebung. Ungeachtet dessen habe die Frist erst mit der positiven Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters am 24. November 1989 zu laufen begonnen und sei daher bei Zustellung des Bescheides am 25. Oktober 1990 noch nicht abgelaufen gewesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 29. Mai 2006 die Beklagte "unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004 verurteilt, den Bescheid vom 17. Oktober 1990 aufzuheben". Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht habe den Bescheid vom 17. Oktober 1990 nicht direkt aufheben können, da er bestandskräftig geworden sei, denn er sei nachweislich dem Kläger zugegangen und nicht angefochten worden. Der Kläger habe jedoch einen Anspruch auf Rücknahme des Rücknahmebescheids gegen die Beklagte, denn dieser sei rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 17. Oktober 1990 ergebe sich unabhängig von der Frage der Fristgebundenheit der Rücknahme aus dem Ausfall jeglicher Ermessensausübung. Die Ermessensausübung stelle keine bloße Formalie dar, sondern sei Teil der materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen an einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X, so dass dieser Ermessensausfall die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides hindere.

Gegen das ihr am 19. Juni 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Juli 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, entgegen der früher vertretenen Auffassung bemesse sich die Korrektur des Bescheides vom 3. August 1978 nicht nach § 45 SGB X, sondern nach § 48 SGB X, denn § 48 SGB X sei dann anwendbar, wenn eine nachträgliche Entwicklung mit Rückwirkung dazu führe, dass sich die getroffene Regelung als rechtswidrig erweise. Der Anwendung von § 48 SGB X stehe nicht entgegen, dass der Rücknahmebescheid vom 17. Oktober 1990 auf § 45 SGB X gestützt worden sei, denn es liege lediglich ein Austausch der Begründung vor. Da keine Anhaltspunkte für einen atypischen Fall vorgelegen hätten, sei auch im Rahmen einer Bescheidaufhebung nach § 48 SGB X kein Ermessen auszuüben, so dass sich der Bescheid vom 17. Oktober 1990 als rechtmäßig erweise. Doch selbst wenn § 45 SGB X anzuwenden sei, hätte vorliegend kein Ermessen ausgeübt werden zu brauchen, da die unterlassene Abwägung nur dann gerügt werden könne, wenn vorher bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen worden seien. Dies sei jedoch beim Kläger nicht der Fall, da er auf die Anhörung zur beabsichtigten Bescheidkorrektur nicht reagiert habe. Zwar seien gemäß § 48 Abs. 4 SGB X dieselben Widerrufsfristen wie auch bei der Anwendung des § 45 SGB X zu beachten, bei § 45 SGB X sei hinsichtlich der Fristen auf den Erlass des zurückzunehmen Bescheides abzustellen, während für § 48 SGB X die Änderung in den Verhältnissen maßgeblich sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er macht geltend, es könne nicht gerechtfertigt sein, wenn die Beklagte nunmehr die Rücknahme des streitbefangenen Verwaltungsaktes auf eine andere Vorschrift stütze, nachdem über fast zwei Jahrzehnte die Rücknahme des Verwaltungsaktes auf § 45 SGB X gestützt worden sei. Aber auch in § 48 Abs. 4 SGB X seien exakt dieselben Widerrufsfristen zu beachten wie bei der Anwendung des § 45 SGB X, so dass nach wie vor die Grundsätze der bereits
genannten Entscheidung des Bundessozialgerichts, die auch im Parallelverfahren entscheidend gewesen sei, zu beachten wären. Auch die Einjahresfrist, die vorliegend ebenfalls nicht eingehalten worden sei, sei zu beachten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird auf die Gerichtsakte, auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die beigezogene Gerichtsakte des Landessozialgerichts Berlin (Az: L 2 An 176/93) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 17. Oktober 1990 verpflichtet.

Gegenstand des Rechtstreits ist allein der Bescheid vom 26. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004. Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 17. Oktober 1990 ist zulässig.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 17. Oktober 1990. Der dies aussprechende Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 44 Abs. 2 SGB X in Betracht. Danach ist im Übrigen - d.h. im Umkehrschluss zu § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X bei Bescheiden, aufgrund derer keine Leistungen erbracht oder Beiträge erhoben werden - ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die Voraussetzung von § 44 Abs. 2 SGB X liegen jedoch nicht vor, denn der Bescheid vom 17. Oktober 1990 ist rechtmäßig. Die Beklagte ist bei der Aufhebung des Vormerkungsbescheides vom 3. August 1978 weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, noch hat sie das Recht fehlerhaft angewendet.

1. Der Bescheid vom 17. Oktober 1990 ist dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Wirksamkeit der Zustellung des Bescheides in der Schweiz richtet sich nach § 65 Abs. 1 SGB X (in der Fassung des Art. II § 17 Nr. 6 des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl. I S 1450 mit der Wirkung ab 1. Juli 1983) in Verbindung mit §§ 4, 14 VwZG (in der bis zum 31. De-zember 1991 gültigen Fassung).

Nach § 14 VwZG a.F. wird die Zustellung ins Ausland grundsätzlich, soweit keine anderweitige Regelung vorliegt, mittels Ersuchens der Behörde auf diplomatischem Weg erledigt. Gegenüber § 14 VwZG a.F. vorrangig sind jedoch die Regelungen in zwischenstaatlichen
Abkommen. Auch in Sozialversicherungsabkommen mit anderen Staaten kann für den Bereich der sozialen Sicherheit eine gegenüber § 14 VwZG a.F. vereinfachte Zustellung durch die Post vorgesehen sein (BSG vom 19. Juni 1975 - Az: 8 RU 25/73 - Juris; BSG vom 09. März 1977 - Az: 2 RU 7/75 - Juris; KassKomm-rasney - SGB X, 13. EL 1995 - § 65 Rn 23; ausführlich hierzu: Frank, SGb 1988, 142). Im Jahre 1990 galt für Zustellungen eines deutschen
Rentenversicherungsträgers in die Schweiz das "Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der schweizerischen Eidgenossenschaft über soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964" (BGBl II 1965, S. 1294). Nach Art. 34 des Abkommens können Bescheide eines Trägers der einen Vertragspartei einer Person, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei aufhält, unmittelbar durch Einschreibebrief zugestellt werden.

Nach § 4 Abs. 1 VwZG a.F. gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Vollzogen ist die Bekanntgabe mit Zugang des Verwaltungsaktes in den Machtbereich des Empfängers. Für die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes ist § 130 BGB analog anzuwenden und darauf abzustellen, wann bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist (von Wulfen-Engelmann - SGB X, 2010 - § 37 Rn 4 unter Hinweis auf BVerwGE 10, 293 und BVerwG Buchholz 316 § 41 VwVfG Nr 2).

a) Dabei kann der Senat offen lassen, ob dem Kläger bereits am 25. Oktober 1990 der Rücknahmebescheid vom 17. Oktober 1990 zugegangen ist. Ein Schriftstück ist dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann. Diese Voraussetzungen sind regelmäßig erfüllt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt worden ist (BFH vom 09. Dezember 1999 - Az: III R 37/97 - Juris, m.w.Nw.).

Vorliegend wurde der Bescheid ausweislich des (Einschreiben-) Rückscheins auf Bl. 59 der Verwaltungsakte am 25. Oktober 1990 mit eingeschriebenem Brief unter seiner damaligen Anschrift "CLCHL / G´" dem Kläger oder "einer anderen nach den Vorschriften des Bestimmungslandes hierzu befugten Person" ausgehändigt. Bei der genannten Anschrift handelt es sich auch eindeutig um die damalige Adresse des Klägers. Dies wurde von seinem
Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 9. Oktober 1991 bestätigt. Auch der Ehefrau des Klägers ist am 5. Juli 1990 unter dieser Anschrift ein Bescheid - unstreitig erfolgreich - zugestellt worden.

Ob vor diesem Hintergrund ein einfaches Bestreiten des Nichtzuganges ausreicht oder der Kläger vielmehr mit einem solchen Bescheid hätte rechnen und Vorsorge tragen müssen, dass der Empfang des Bescheides möglich ist, braucht der Senat nicht abschließend zu klären.

b) Selbst wenn am 25. Oktober 1990 ein Zustellungsmangel vorgelegen hätte, wäre dieser ge-mäß § 9 Abs. 1 VwZG a.F. geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Diese Heilung erfolgte vorliegend dadurch, dass der
Bescheid vom 17. Oktober 1990 als Aktenbestandteil dem Empfangsberechtigten durch Übersendung der Verwaltungsvorgänge an den von ihm bestellten Bevollmächtigten am 17. Januar 1992 zur Kenntnis gebracht wurde (vgl. zur Heilung eines Zustellungsmangels durch die Akteneinsicht des Prozessbevollmächtigten auch: VGH Baden-Württemberg vom 07. Dezember 1990 - Az: 10 S 2466/90 - Juris; OVG Magdeburg vom 22. Juni 2009 - Az: 2 M 86/09 - Juris, Rn 22).

2. Der Rückforderungsbescheid vom 17. Oktober 1990 ist auch materiell rechtmäßig.

a) Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 17. Oktober 1990 zur Korrektur des Vormerkungsbescheides vom 3. August 1978 ist § 48 Abs. 1 SGB X.

aa) § 45 SGB X, den die Beklagte im Ausgangsbescheid sowie im Widerspruchsbescheid nannte, scheidet dagegen als Ermächtigungsgrundlage aus. Denn der Bescheid vom 3. August 1978 war nicht von Anfang an rechtswidrig. Er ist erst mit Bestandskraft der Entziehung des Vertriebenenausweis A am 17. Januar 1989 rechtswidrig geworden.

Der Bescheid war im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Denn der Kläger war zu diesem Zeitpunkt Inhaber des Heimatvertriebenenausweises A im Sinne von §§ 1 Abs. 1, 2 und 15 Abs. 2 Nr. 1 BVFG in der Fassung bis 31. Dezember 1991 (a.F.). Unerheblich für die Frage der Rechtmäßigkeit des Vormerkungsbescheides vom 3. August 1978 ist dabei, ob der Kläger tat-sächlich die Voraussetzungen von §§ 1 und 2 BVFG erfüllte, denn nach § 15 Abs. 5 S. 1 BVFG a.F. ist die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind, somit auch für die Beklagte, "verbindlich". Der Ausweis entfaltet Bindungswirkung hinsichtlich der in ihm als Voraussetzung der Vertriebeneneigenschaft getroffenen Feststellungen (vgl. BVerwG vom 16. Oktober 1969 – Az: I C 20.66 – Juris zu § 15 Abs. 5 BVFG a.F.).

Mit der Ausstellung des Vertriebenenausweises erfüllte der Kläger die Voraussetzung für die Anerkennung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz im Sinne von § 15 FRG i.V.m. § 1 a) FRG in der Fassung bis 31. Dezember 1992 (a.F.). Nach dieser Vorschrift findet das FRG u.a. Anwendung auf Vertriebene im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes, "die als solche im Geltungsbereich dieses Gesetzes anerkannt sind". Es kommt daher nicht (nur) darauf an, ob ein Versicherter tatsächlich Vertriebener im Sinne von § 1 BVFG ist, entscheidend ist vielmehr, ob er als solcher anerkannt ist. Diese Anerkennung erfolgt allein durch die Ausstellung eines Vertriebenenausweises im Sinne von § 15 BVFG.

Gleiches gilt für die Ersatzzeit im November 1975. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI sind Ersatzzeiten "Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr vertrieben, umgesiedelt oder ausgesiedelt worden sind , wenn sie zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes gehören". Auch der Nachweis der Vertriebeneneigenschaft wird durch den Vertriebenenaus-weis erbracht (KassKomm-Niesel – SGB VI, 2010 – § 250 Rn 105).

bb) Der streitbefangene Bescheid kann auf § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X gestützt und umgedeutet werden. Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenen Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Unabhängig davon, ob § 43 SGB X auch im Gerichtsverfahren unmittelbar Anwendung finden kann, ist das Gericht jedenfalls gehalten, entsprechend § 43 SGB X zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt unter Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage gehalten werden kann (vgl. BSG vom 09. September 1998 - Az.: B 13 RJ 41/97 R - veröffentlicht in: Juris).

Diese Voraussetzungen einer Umdeutung nach § 43 SGB X sind vorliegend erfüllt: Die §§ 45, 48 SGB X sind auf dasselbe Ziel, nämlich die (ggf. teilweise) Beseitigung eines Verwaltungsaktes, gerichtet. Der vorliegende Bescheid vom 17. August 1990 erfüllt auch alle
Voraussetzungen, die für den Erlass eines Bescheides vorliegen müssten, in den nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X umgedeutet werden soll.

b) Vorliegend sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X im engeren Sinne erfüllt. Der Bescheid vom 3. August 1978 war - wie bereits ausgeführt - zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Bei dem Vormerkungsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. hierzu: BayLSG vom 03. Mai 2007 - Az: L 16 R 593/05 - Juris), der durch eine wesentliche Änderung rechtswidrig geworden ist. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Das ist dann der Fall, wenn die bisherige Regelung (§ 31 SGB X) aufgrund einer nach ihrer Bekanntgabe eingetretenen Ände-rung der Sach- oder Rechtslage jetzt nicht mehr mit demselben Regelungsinhalt erlassen werden dürfte (BSG SozR 3 – 2600 § 89 Nr. 2).

Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ist vorliegend mit der bestandskräftigen Entziehung des Vertriebenenausweises A durch den Oberstadtdirektor der Stadt am 17. Januar 1989 eingetreten. Denn ab diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte den Vormerkungsbescheid vom 3. August 1978 nicht mehr erlassen dürfen. Der Bescheid ist daher ab 17. Januar 1989 rechtswidrig geworden. Aus der Formulierung in § 15 Abs. 5 S. 1 BVFG a.F., wonach "die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen verbindlich" ist, folgt auch, dass diese Bindungswirkung nicht nur – wie bereits ausgeführt – für eine positive Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises, sondern auch für die Ablehnung der Ausstellung des Ausweises und damit auch für die bestandskräftige Entziehungsentscheidung gilt.

Die Beklagte hat den Bescheid vom 3. August 1978 auch nur für die Zukunft aufheben wollen. Denn sie begründete die Ablehnung der FRG-Zeiten sowie der Ersatzzeit damit, dass die hier-für erforderliche Anerkennung als Vertriebener im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes "nicht mehr" vorliege und die Eigenschaft als Vertriebener oder Flüchtling "nicht mehr" bestehe. Danach ging die Beklagte offensichtlich davon aus, dass diese Eigenschaft einmal bestanden habe und nur für die Zukunft nicht mehr vorliege. Ohnehin entfaltete der Vormerkungsbescheid im Zeitpunkt der Aufhebung am 17. Oktober 1990 nur Wirkungen für die Zukunft.

c) Die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft wegen einer Änderung zu Ungunsten des Versicherten nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfordert nicht das Vorliegen besonderer Vertrauensschutztatbestände, eine Ermessensausübung oder die Beachtung von Fristen (vgl. hierzu BayLSG vom 03. Mai 2007 - Az: L 16 R 593/05 - Juris Rn 33): Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X für die Zukunft ist eine gebundene Entscheidung; ein Ermessensspielraum - auch in atypischen Fällen - steht der Beklagten nicht zu.

Insbesondere verstößt die Beklagte nicht gegen die zeitlichen Einschränkungen der Aufhebungsmöglichkeiten durch § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 3 und 4 SGB X, § 45 Abs. 3 S. 3 bis 5 und Abs. 4 S. 2 SGB X, selbst wenn man von einem Zugang des Bescheides erst im Januar 1992 ausgeht.

Die 10-Jahres-Frist gem. § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 SGB X findet auf die vorliegende Aufhebung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 S 1 SGB X keine Anwendung. Nach Ablauf der Frist, die grundsätzlich mit dem Eintritt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse beginnt, ist eine Aufhebung des Verwaltungsakts nur für die Vergangenheit nicht mehr möglich; die grundsätzliche Aufhebbarkeit für die Zukunft bleibt dagegen auch nach Ablauf der Frist bestehen (BSG vom 11. Dezember 1992 - Az: 9a RV 20/90 - Juris; LSG Brandenburg vom 23. Oktober 2003 - Az: L 2 RJ 110/02 - Juris; Heße in: BeckOK - SGB X, 2010 - § 48 Rn 54; Schütze in: von Wulffen - SGB X, 7. Auflage 2010 - § 48 Rn 35, deutlicher noch Wiesner in der 4. Auflage 2001 - § 48 Rn 28). Dafür spricht, dass § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X nicht auf § 45 Abs. 3 SGB X insgesamt mit seinen nach dem Ausmaß des Vertrauensschutzes abgestuften Fristen verweist, sondern nur auf § 45 Abs. 3 S. 3 ff SGB X und die darin genannte Frist. Auf § 45 Abs. 3 S. 2 SGB X verweist § 48 Abs. 4 SGB X ohnehin nicht, so dass offen bleiben kann, ob vorliegend Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 580 ZPO vorliegen, was zwischen den Beteiligten streitig war. Auf die im Verfahren der Ehefrau diskutierte Frage der Anwendbarkeit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. März 1993 - Az: 9/9a RV 38/93 - SozR 3 - 1300 § 45 SGB X Nr. 16 kommt es nach allem nicht an.

Auch die 1-Jahres-Frist gem. § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X findet auf die vorliegende Aufhebung für die Zukunft nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X keine Anwendung, was sich bereits aus dem Wortlaut von § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ergibt. Denn danach muss die Behörde den Bescheid innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurücknehmen, welche "die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen". Das bedeutet, dass nur eine rückwirkende Korrektur zu Lasten des Betroffenen ab Änderung der Verhältnisse innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Behörde von den die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen zu erfolgen hat (Heße in: BeckOK - SGB X, 2010 - § 48 Rn 56; Schütze in: von Wulffen - SGB X, 7. Auflage 2010 - § 48 Rn 35, deutlicher wiederum Wiesner in der 4. Auflage 2001 - § 48 Rn 28). 3. Nach allem erweist sich sowohl der Aufhebungsbescheid vom 17. Oktober 1990 als auch die mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 26. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2004 ausgesprochene Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 17. Oktober 1990 als rechtmäßig, so dass die Berufung der Beklagten im vollen Umfang Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch vor dem Hintergrund des Verfahrens der Ehefrau kommt dem Rechtstreit des Klägers keine grundsätzliche Bedeutung zu, da das Verfahren der Ehefrau bereits abgeschlossen ist. Der Senat weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts oder eines Landessozialgerichts ab.
Rechtskraft
Aus
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