Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 49 SO 2824/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 238/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Dezember 2010 werden zurückgewiesen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie den Antrag zurückgewiesen, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtschutzes nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 1. Januar 2011 einen höheren Regelsatz nach dem SGB XII vorläufig zu gewähren. Der Senat weist die Beschwerden aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
a) Auch aus dem umfassenden Vortrag des Antragstellers mit Verweis auf zahlreiche Gutachten und Stellungnahmen von diversen Vereinigungen, Sozialverbänden, Verbänden und Vereinen, aus denen sich Berechnungsmodelle für einen Regelsatz ergeben, ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ebenfalls sind die Beweisanträge des Antragstellers hinsichtlich der Beiziehung weiterer Gutachten und Anhörung von Sachverständigen hierzu nicht in der Lage. Eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) liegt nur dann vor, wenn ohne eine einstweilige Entscheidung erhebliche und durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen. Nachteile in diesem Sinne durch eine Entscheidung erst im späteren Hauptsacheverfahren sind jedoch nicht glaubhaft gemacht worden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Denn der Antragsteller erhält aufgrund des Bescheides vom 14. Dezember 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21. Dezember 2010 für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2011 Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des 12. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Berücksichtigung des bisher gültigen vollen Regelsatzes in Höhe von 359,- EUR.
Ein Regelsatz in dieser Höhe, der dem Regelsatz nach dem SGB II entspricht, stellt sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (Az: 1 BvL 1/09 u.a. – zitiert nach: Juris) nicht als evident unzureichend dar. Wörtlich hat das Gericht ausgeführt (BVerfG a.a.O. Rn 211, 217):
" Da nicht festgestellt werden kann, dass die gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident unzureichend sind, ist der Gesetzgeber nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Er muss vielmehr ein Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen entsprechend den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben durchführen und dessen Ergebnis im Gesetz als Leistungsanspruch verankern. [ ] Von einer Rückwirkung der Neuregelung kann der Gesetzgeber absehen, weil im Hinblick auf die beanstandeten Vorschriften eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist, sondern diesen allein ein nicht realitätsgerechtes Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums zugrunde liegt. "
Darüber hinaus hat das BVerfG bereits in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2005 – Az.: 1 BvR 569/05 – veröffentlicht in: Juris) zu dem seinerzeit gültigen Regelsatz nach dem SGB XII anerkannt, dass die Gerichte im einstweiligen Rechtschutz "Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen" können. In dem vom BVerfG in Bezug genommenen Beschluss des SG Düsseldorf vom 16. Februar 2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER – veröffentlicht in: Juris, war entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz ein Anspruch nur in Höhe von 80 % der Regelleistung bejaht worden. Kann das Zusprechen von Regelleistungen im einstweiligen Rechtschutzverfahren jedoch verfassungsgemäß auf 80% begrenzt werden, verstößt auch die Ablehnung von Leistungen jenseits von 80% der Regelleistung im einstweiligen Rechtschutzverfahren nicht gegen die Verfassung. Vorliegend erhält der Antragsteller jedoch bereits über 80 % der Regelleistung, nämlich den vollen, derzeit noch im Gesetz geregelten Regelsatz, so dass ein Anordnungsgrund für eine vorläufige Regelung zur Beseitigung einer drohenden schweren und unzumutbaren Rechtsverletzung nicht erkennbar ist.
b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes auch nicht deshalb verzichtet werden, weil ein Anordnungsanspruch offensichtlich vorliege. Zwar sind die an einen Anordnungsgrund zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je höher die Erfolgsaussichten in der Hauptsache liegen. Denn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen, gemessen an dem mit dem Antrag verfolgten Rechtschutzziel (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 95; NVwZ 2005, 927), in einer Wechselbeziehung zueinander, sodass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund je nach dem zu erwartendem Maß des Erfolges in der Hauptsache vermindern können. Ein offensichtlicher Erfolg der Hauptsache liegt jedoch nicht auf der Hand. Wie bereits ausgeführt, ist der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG zum Regelsatz im SGB II gerade nicht verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Es geht bei der Neuberechnung des Regelsatzes ab 1. Januar 2011 im Wesentlichen um das Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen. Demnach können die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren allenfalls als offen angesehen werden, so dass der Prüfung eines Anordnungsgrundes erhebliche Bedeutung zukommt.
c) Nach alledem liegt für die beantragte einstweilige Anordnung jedenfalls kein Anordnungsgrund vor, so dass die Beschwerde bereits aus diesem Grunde keinen Erfolg haben konnte.
Insoweit ist auch die Entscheidung des Sozialgerichts, dem Antragsteller mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung für das sozialgerichtliche Verfahren keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§ 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO), nicht zu beanstanden.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war ebenfalls mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht zu bewilligen.
Die beantragte Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG kam im einstweiligen Rechtschutzverfahren vor dem Hintergrund des fehlenden Anordnungsgrundes ebenfalls nicht in Betracht. Die erhobene "verfassungsrechtliche Verzögerungsrüge gegen den Gesetzgeber" ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, da das Sozialgericht nicht hierüber entschieden hat. Soweit sich der Antragsteller mit einer Anhörungsrüge nach § 178a SGG gegen die Entscheidung des Sozialgerichts wendet, ist hierfür das Landessozialgericht nicht zuständig.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und aus § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Gründe:
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie den Antrag zurückgewiesen, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtschutzes nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 1. Januar 2011 einen höheren Regelsatz nach dem SGB XII vorläufig zu gewähren. Der Senat weist die Beschwerden aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
a) Auch aus dem umfassenden Vortrag des Antragstellers mit Verweis auf zahlreiche Gutachten und Stellungnahmen von diversen Vereinigungen, Sozialverbänden, Verbänden und Vereinen, aus denen sich Berechnungsmodelle für einen Regelsatz ergeben, ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ebenfalls sind die Beweisanträge des Antragstellers hinsichtlich der Beiziehung weiterer Gutachten und Anhörung von Sachverständigen hierzu nicht in der Lage. Eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) liegt nur dann vor, wenn ohne eine einstweilige Entscheidung erhebliche und durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen. Nachteile in diesem Sinne durch eine Entscheidung erst im späteren Hauptsacheverfahren sind jedoch nicht glaubhaft gemacht worden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Denn der Antragsteller erhält aufgrund des Bescheides vom 14. Dezember 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21. Dezember 2010 für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2011 Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des 12. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Berücksichtigung des bisher gültigen vollen Regelsatzes in Höhe von 359,- EUR.
Ein Regelsatz in dieser Höhe, der dem Regelsatz nach dem SGB II entspricht, stellt sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (Az: 1 BvL 1/09 u.a. – zitiert nach: Juris) nicht als evident unzureichend dar. Wörtlich hat das Gericht ausgeführt (BVerfG a.a.O. Rn 211, 217):
" Da nicht festgestellt werden kann, dass die gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident unzureichend sind, ist der Gesetzgeber nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Er muss vielmehr ein Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen entsprechend den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben durchführen und dessen Ergebnis im Gesetz als Leistungsanspruch verankern. [ ] Von einer Rückwirkung der Neuregelung kann der Gesetzgeber absehen, weil im Hinblick auf die beanstandeten Vorschriften eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist, sondern diesen allein ein nicht realitätsgerechtes Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums zugrunde liegt. "
Darüber hinaus hat das BVerfG bereits in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2005 – Az.: 1 BvR 569/05 – veröffentlicht in: Juris) zu dem seinerzeit gültigen Regelsatz nach dem SGB XII anerkannt, dass die Gerichte im einstweiligen Rechtschutz "Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen" können. In dem vom BVerfG in Bezug genommenen Beschluss des SG Düsseldorf vom 16. Februar 2005 – Az.: S 35 SO 28/05 ER – veröffentlicht in: Juris, war entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz ein Anspruch nur in Höhe von 80 % der Regelleistung bejaht worden. Kann das Zusprechen von Regelleistungen im einstweiligen Rechtschutzverfahren jedoch verfassungsgemäß auf 80% begrenzt werden, verstößt auch die Ablehnung von Leistungen jenseits von 80% der Regelleistung im einstweiligen Rechtschutzverfahren nicht gegen die Verfassung. Vorliegend erhält der Antragsteller jedoch bereits über 80 % der Regelleistung, nämlich den vollen, derzeit noch im Gesetz geregelten Regelsatz, so dass ein Anordnungsgrund für eine vorläufige Regelung zur Beseitigung einer drohenden schweren und unzumutbaren Rechtsverletzung nicht erkennbar ist.
b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes auch nicht deshalb verzichtet werden, weil ein Anordnungsanspruch offensichtlich vorliege. Zwar sind die an einen Anordnungsgrund zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je höher die Erfolgsaussichten in der Hauptsache liegen. Denn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen, gemessen an dem mit dem Antrag verfolgten Rechtschutzziel (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 95; NVwZ 2005, 927), in einer Wechselbeziehung zueinander, sodass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund je nach dem zu erwartendem Maß des Erfolges in der Hauptsache vermindern können. Ein offensichtlicher Erfolg der Hauptsache liegt jedoch nicht auf der Hand. Wie bereits ausgeführt, ist der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG zum Regelsatz im SGB II gerade nicht verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Es geht bei der Neuberechnung des Regelsatzes ab 1. Januar 2011 im Wesentlichen um das Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen. Demnach können die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren allenfalls als offen angesehen werden, so dass der Prüfung eines Anordnungsgrundes erhebliche Bedeutung zukommt.
c) Nach alledem liegt für die beantragte einstweilige Anordnung jedenfalls kein Anordnungsgrund vor, so dass die Beschwerde bereits aus diesem Grunde keinen Erfolg haben konnte.
Insoweit ist auch die Entscheidung des Sozialgerichts, dem Antragsteller mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung für das sozialgerichtliche Verfahren keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§ 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO), nicht zu beanstanden.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war ebenfalls mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht zu bewilligen.
Die beantragte Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG kam im einstweiligen Rechtschutzverfahren vor dem Hintergrund des fehlenden Anordnungsgrundes ebenfalls nicht in Betracht. Die erhobene "verfassungsrechtliche Verzögerungsrüge gegen den Gesetzgeber" ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, da das Sozialgericht nicht hierüber entschieden hat. Soweit sich der Antragsteller mit einer Anhörungsrüge nach § 178a SGG gegen die Entscheidung des Sozialgerichts wendet, ist hierfür das Landessozialgericht nicht zuständig.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und aus § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
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