L 1 KR 408/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 KR 142/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 408/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 3) in seiner Beschäf-tigung für die Beigeladene zu 4) vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2004 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterlegen hat. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen, diese tragen die Beigeladenen jeweils selbst. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 5.000.- Euro festgesetzt

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beigeladene zu 3) in dem Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2004 versicherungspflichtig bei der Beigeladenen zu 4) beschäftigt gewesen ist.

Der Beigeladene zu 3) war seit dem 1. Oktober 1987 der Sozialversicherung als Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 4) gemeldet, seit dem 1. Januar 1997 ist er bei der Beklagten versichert. Die Beigeladene zu 4) betrieb bis zum 31. Dezember 2004 eine chemische Reinigung, mit der (Allein-)Inhaberin war der Beigeladene zu 3) seit 1987 verheiratet. Zum 1. Januar 2005 melde-te er sich arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld, zum 1. April 2005 meldete er die Aufnahme eines Gewerbes als Textilreiniger an.

Der Beigeladene zu 3) wandte sich mit Schreiben vom 24. August 2005 an die Beklagte und beantragte die Überprüfung seiner Versicherungspflicht. Er legte (u.a.) einen Feststellungsbo-gen mit Angaben zu seinem Beschäftigungsverhältnis, eine Bestätigung der Beigeladenen zu 4) zu seinem Status als mitarbeitendes Familienmitglied sowie die Bestätigung einer Bank vor, wonach er für das Geschäftskonto der Beigeladenen zu 4) verfügungsberechtigt gewesen sei und vom 18. November 1988 bis zum 23. Juli 2003 als Mitverpflichteter für einen Kontokor-rentkredit gehaftet habe.

Durch Bescheid vom 19. Dezember 2005 stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 3) während seiner Tätigkeit im Betrieb der Beigeladenen zu 4) ab dem 1. Januar 1997 beitrags- und versicherungsfrei sei. Nach der Bestätigung der Ehefrau habe er den Betrieb geführt und sei hinsichtlich der Gestaltung seiner Arbeit und der Arbeitszeit frei gewesen. Durch eine Bürgschaft habe er auch ein unternehmerisches Risiko getragen, zudem sei seine Vergütung an den Erfolg der Firma gekoppelt gewesen.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2005 beantragte der Beigeladene zu 3) bei der Klägerin die Rückerstattung gezahlter Beiträge unter Vorlage des Bescheides der Beklagten vom 19. De-zember 2005. Auf Vertrauens- und Bestandsschutz verzichtete er.

Nach Kenntnisnahme des Bescheides der Beklagten vom 19. Dezember 2005 forderte die Bei-geladene zu 2) von dem Beigeladenen zu 3) durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. März 2006 für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2005 geleistetes Arbeitslo-sengeld wegen Nichterfüllung der Anwartschaftszeit zurück.

Mit der am 18. Oktober 2006 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Be-scheides der Beklagten vom 19. Dezember 2005. Gegen die KKH, bei der der Beigeladene zu 3) in dem Zeitraum vom 1. Oktober 1987 bis zum 31. Dezember 1996 versichert war und die trotz gegenteiligen Votums der von ihr angerufenen Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg gleichfalls entschieden hatte, dass der Beigeladene zu 3) in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 4) versicherungsfrei gewesen sei (Bescheid vom 27. Juni 2006), hat die Klägerin ebenfalls Klage erhoben (Sozialgericht Berlin, S 72 KR 2859/07); dieses Verfahren ruht mit Rücksicht auf das vorliegende Verfahren.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vor dem Sozialgericht vorgetragen, dass das Un-ternehmen von der Beigeladenen zu 4) geführt worden sei. Die Bezüge des Beigeladenen zu 3) hätten eindeutig Entgeltfunktion gehabt. Auch in der vorgelegten Bestätigung der Beigelade-nen zu 4) sei nur von seiner "Mitbestimmung" die Rede gewesen, nicht von einer selbständigen Leitung des Betriebs. Die Verneinung des Bestehens eines schriftlichen Arbeitsvertrages im Feststellungsbogen sei zweifelhaft, weil das Finanzamt anderenfalls die gewährten Bezüge nicht als Betriebsausgabe anerkannt haben würde. Ein echtes unternehmerisches Risiko habe der Beigeladene zu 3) nicht getragen. In einem Einzelunternehmen sei die Geschäftsführung Sache des Einzelunternehmers, allein die Gewährung von Darlehen oder die Übernahme von Bürgschaften reiche nicht aus, um die Stellung als Mitunternehmer zu begründen. Das hätte vielmehr durch die Gründung einer Personengesellschaft dokumentiert werden müssen.

Die Beklagte hat dagegen auf die Notwendigkeit der Vornahme einer Gesamtabwägung ver-wiesen.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben ausgeführt, dass die Antwort auf dem Fragebogen, wo-nach an Stelle des Beigeladenen zu 3) niemand anderes eingestellt worden wäre, so zu verste-hen sei, dass der Betrieb von Anfang an nur im gemeinsamen Zusammenwirken der Eheleute geführt werden konnte. Sie haben auf ein Unternehmerrisiko des Beigeladenen zu 3) verwie-sen, dass sich aus der Mitunterzeichnung des Mietvertrages und einer Mithaftung für einge-räumte Kredite ergebe. Der Beigeladene zu 3) sei für den technischen Bereich alleinzuständig gewesen. Die Beigeladene zu 2) sehe die Tätigkeit ebenfalls als nicht versicherungspflichtig an. Entsprechendes sei auch schon im Rahmen einer Betriebsprüfung von einem Prüfer der Rentenversicherung angedeutet worden.

Vor dem Sozialgericht hat der Beigeladene zu 3), persönlich gehört, angegeben, dass er die chemische Reinigung mit seiner Frau 1987 von den Schwiegereltern übernommen habe. Vor-her habe er eine einmonatige Ausbildung gemacht und die Arbeit bei seinem Schwiegervater im Betrieb gelernt. Er sei im Geschäft von 6.00 bis 18.00 Uhr tätig gewesen, bis es im Dezem-ber 2004 geschlossen worden sei. Im April/Mai 2005 habe er dann sein eigenes Geschäft eröff-net. Als Gehalt habe er 1.500,- DM, später 1.000,- Euro netto erhalten. Krank sei er nie gewe-sen. Urlaub habe er sehr selten gemacht, in den letzten zweiundzwanzig Jahren dreimal. Wenn das Geschäft gut lief, habe er mehr bekommen, im gegenteiligen Falle dafür weniger. Er habe den Mietvertrag und auch einen Kredit für eine Reinigungsmaschine in Höhe von 250.000,- DM mitunterschrieben. Diese Maschine habe ausschließlich er bedienen dürfen, weil das eine besondere Genehmigung erforderte. Er habe sich eigentlich als Angestellter seiner Frau gese-hen, bzw. sich über seinen Status als Beschäftigter oder Selbständiger keine Gedanken ge-macht.

Die Beigeladene zu 4), persönlich gehört, hat angegeben, dass sie ohne abgeschlossene Ausbil-dung zu arbeiten angefangen und sich dann mit ihren Eltern selbständig gemacht habe. Den Betrieb habe sie von diesen noch vor ihrer Heirat übernommen. Sie sei vorwiegend in der Buchhaltung und der Annahme und Ausgabe der Kleidung tätig geworden. Mit den zu erstat-tenden Beiträgen sollten Schulden des Betriebs getilgt werden. Jedenfalls seit 1998 habe der Beigeladene zu 3) die Entscheidungen über Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern selb-ständig getroffen.

Durch Gerichtsbescheid vom 29. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei zulässig, aber unbegründet. Der Beigeladene zu 3) sei in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2004 selbständig gewesen und habe entsprechend nicht der Rentenversiche-rungspflicht unterlegen. Im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung überwögen die Merkmale für eine selbständige Tätigkeit. Der Tatsache, dass der Beigeladene zu 3) allein über die für den Betrieb der Reinigungsmaschine notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüg-te, komme erhebliche Bedeutung zu. Trotz des formalen Beschäftigungsverhältnisses würden die tatsächlichen Verhältnisse einer gemeinsamen Selbständigkeit entsprechen. Der Beigelade-ne zu 3) habe mehr gearbeitet als ein Arbeitnehmer, auf Urlaub fast gänzlich verzichtet und wesentliche Entscheidungen wie die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern selbständig vorgenommen.

Gegen den ihr am 5. September 2008 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 6. Ok-tober 2008 (Montag) eingegangene Berufung der Klägerin. Nach der Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts sei es gleichheitswidrig, bei ihren Ehegatten beschäftigte Arbeitnehmer von der Rentenversicherung auszuschließen, allerdings seien an den Nachweis eines Arbeits-verhältnisses strenge Anforderungen zu stellen. Der Begriff des entgeltlichen Beschäftigungs-verhältnisses sei im Steuer- und Sozialrecht derselbe, durch die steuerliche Behandlung der Bezüge des Beigeladenen zu 3) als Betriebsausgaben anstelle von Entnahmen hätten die Betei-ligten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie selbst von einem Beschäftigungsverhältnis ausgingen. Nunmehr – wegen der Möglichkeit einer Beitragserstattung – erscheine ihnen aber offenbar eine selbständige Tätigkeit attraktiver zu sein. Wenn aber der äußere Eindruck eines Beschäftigungsverhältnisses entstanden sei, könne dieser nicht mehr durch interessengerichtete Angaben der Beteiligten ausgeräumt werden. Auf die Rechtsprechung des Bayerischen LSG werde verwiesen (Hinweis auf Urt. v. 18. Oktober 2007 – L 4 KR 79/06 -). Aus der Bedienung der Reinigungsmaschine allein durch den Beigeladenen zu 3) könne keine Selbständigkeit ab-geleitet werden. Es handele sich um eine einfache Tätigkeit, für die nur eine kurze Einarbei-tungszeit erforderlich gewesen sei. Außerdem habe der kaufmännische Bereich vollständig der Ehefrau oblegen, so dass die Stellung des Beigeladenen zu 3) bestenfalls mit der eines techni-schen Leiters vergleichbar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2008 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene zu 3) der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2004 unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nur wenige Merkmale sprächen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im streitigen Zeitraum. Zwar sei nach gängiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend in ein be-stehendes Vertragsverhältnis einzugreifen. Dennoch habe der Beigeladene zu 3) Entscheidun-gen zur Führung der Firma maßgeblich beeinflussen können und sei ein typischer Arbeitgeber – Arbeitnehmer – Interessengegensatz nicht vorhanden gewesen.

Die Beigeladenen zu 1), 2), 3) und 4) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1), 2) 3) und 4) schließen sich der Beklagten an. Die Beigeladenen zu 3) und 4) tragen vor, dass die Prüfung von Versicherungspflicht unabhängig davon zu erfolgen habe, ob die Beteiligten selbst den Begriff eines Beschäftigungsverhältnisses verwandt hätten. Dem Urteil des Sozialgerichts sei nichts hinzuzufügen. Vorliegend würde die Mehrheit der Kriterien für ein versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis sprechen.

Der Senat hat die den Beigeladenen zu 3) betreffenden Akten der Beigeladenen zu 2) und die der Beigeladenen zu 4) von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg erteilten Beitragsprüfungsbescheide vom 17. Oktober 2001 und 19. Dezember 1997 beigezogen.

Die Beteiligten haben sich sämtlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ein-verstanden erklärt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Klägerin, Beklagten und der Beigeladenen zu 2) verwiesen, die vorgele-gen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – konnte der Senat ohne mündliche Ver-handlung entscheiden. Die zulässige Berufung hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungs- bzw. Bei-tragspflicht in der Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI -). Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch - SGB IV –. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeit-geber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegen-über ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Ar-beitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu de-nen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zu-ordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).

Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Be-ziehung geht zwar der nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die ei-nem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).

Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mit¬unternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Um-stände des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R -). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Fa-milienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens ab-hängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Aus-übung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere anzunehmen, wenn je-mand - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandt-schaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86 -; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R - ).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist – entgegen dem Sozialgericht - von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV auszugehen. Alleinige Inhaberin des Betriebes war die Ehefrau des Beigeladenen zu 3). Diese hat vor dem Sozialge-richt angegeben, dass sie den Betrieb von ihren Eltern übernommen hatte. Dafür, dass der Be-trieb von ihren Eltern auch auf den Beigeladenen zu 3), mit dem sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebte, übergehen sollte, ist nichts ersichtlich. Der Beigeladene zu 3) behauptet selbst nicht, Mitinhaber gewesen zu sein. Auch für den Abschluss eines Gesell-schaftsvertrags zwischen den Eheleuten gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil, das ge-lebte Rechtsverhältnis belegt, dass die Beteiligten während des gesamten Zeitraums von 1987 bis 2004 davon ausgingen, dass der Beigeladene zu 3) in dem Betrieb abhängig beschäftigt war. Entsprechend wurde er zur Sozialversicherung angemeldet und wurden die an ihn gezahl-ten Löhne als Betriebsausgaben steuerlich als Betriebsausgaben geltend gemacht. Anhaltspunk-te dafür, dass die Ehegatten sich dabei in einem Rechtsirrtum befanden, gibt es nicht. Die an-lässlich von Betriebsprüfungen der Rentenversicherung erteilten Bescheide belegen nämlich, dass in dem Betrieb der Beigeladenen zu 4) fortlaufend auch andere Arbeitnehmer beschäftigt wurden, so dass der Beigeladenen zu 4) sozialversicherungsrechtliche und steuerliche Fragen nicht fremd gewesen sein können. Für den Vortrag der Beigeladenen zu 3) und 4), dass anläss-lich einer Betriebsprüfung von der Rentenversicherung das Vorliegen einer abhängigen Be-schäftigung in Frage gestellt worden sei, gibt es in den - soweit noch vorhanden - beigezogenen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg keinerlei Anhaltspunkt.

Dass die Beigeladenen zu 3) und 4) ihre vorherige übereinstimmende Bewertung der Beschäf-tigungsverhältnisse nun im Nachhinein deswegen in Frage stellen, weil sie sich finanzielle Vorteile davon versprechen, entwertet die Aussagekraft des vorherigen über lange Jahre geleb-ten Rechtsverhältnisses nicht. Ein weiterer Hinweis dafür, dass sich die Eheleute durchaus Ge-danken über die rechtliche Ausgestaltung ihrer Beziehungen gemacht haben, so dass die tat-sächliche Handhabung der Rechtsverhältnisse Rückschlüsse auf ihren Inhalt erlaubt, ergibt sich zudem daraus, dass der Beigeladene zu 3), persönlich gehört von dem Sozialgericht, das ab April 2005 neu bestehende Reinigungsunternehmen als "seinen" Betrieb bezeichnet, mit dem er sich nunmehr (erstmals?) selbständig gemacht habe und in dem seine Frau (auf 400,- Euro–Basis) angestellt sei. Der Umstand, dass die Beigeladene zu 2) gezahltes Arbeitslosengeld we-gen Fehlens einer vorherigen abhängigen Beschäftigung zurückfordert, hat demgegenüber we-nig Gewicht. Denn die Beigeladene zu 2) hat damit lediglich rechtliche Schlussfolgerungen aus dem Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 gezogen, den der Beigeladene zu 3) selbst durch zielgerichtete Angaben erwirkt hat. Die Beigeladene zu 2) hat keine eigene sorg-fältige Prüfung des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 3) bei der Beigeladenen zu 4) vorgenommen.

Das sich aus der Betriebsinhaberschaft der Ehefrau ergebende Weisungsrecht gegenüber dem Beigeladenen zu 3) wird nicht dadurch hinfällig, dass es nie praktiziert worden sein mag, wor-auf zumindest die von der Beigeladenen zu 4) bestätigte "Mitbestimmung" des Beigeladenen zu 3) bei der Betriebsführung hindeutet. Entscheidend ist nämlich nicht die tatsächliche regel-mäßige Ausübung des Weisungsrechtes, sondern dessen rechtlicher Bestand. Das aus der Betriebsinhaberschaft stammende Weisungsrecht ist nie formell aufgehoben worden, entspre-chend hätte es in einem Konfliktfall ausgeübt werden können. Dass ein solcher Konfliktfall möglicherweise nie eintrat, ist für die rechtliche Bewertung unerheblich.

Diese aus dem gelebten Rechtsverhältnis und der alleinigen Betriebsinhaberschaft der Ehefrau stammenden Umstände, die auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten, werden im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung nicht durch andere Gegebenheiten in den Hintergrund gedrängt. Für eine abhängige Beschäftigung spricht zunächst weiter, dass der Beigeladene zu 3) monatliche Entgeltzahlungen erhalten hat, die – jedenfalls im Kern – von dem jeweiligen Betriebsergebnis unabhängig waren. Das Entgelt ging auch erheblich über bloße Unterhalts-leistungen hinaus, so dass nicht von einer versicherungsfreien familienhaften Mithilfe ausge-gangen werden kann.

Zwar war der Beigeladene zu 3) durch die Mitunterzeichnung des betrieblichen Mietvertrages und die Mithaftung für betriebliche Schulden gegenüber der Bank höheren Risiken ausgesetzt, als es für einen Arbeitnehmer typisch wäre. Insoweit ist die Mithaftung aber allein seiner Stel-lung als Ehegatte geschuldet, nicht auf seine Mitunternehmerschaft zurückzuführen. Denn im Geschäftsleben ist es mittlerweile jedenfalls nicht unüblich, den Ehegatten eines Betriebsinha-bers mit in die Haftung für größere Verbindlichkeiten zu nehmen, schon um das Risiko von Vermögensverschiebungen zwischen den Ehegatten auszuschließen. Dies kennzeichnet den mithaftenden Ehegatten aber noch nicht als Unternehmer, auch dann nicht, wenn er in dem seinem Ehegatten gehörenden Betrieb beschäftigt ist. Auch der über das Maß des Üblichen hinausgehende Arbeitseinsatz des Beigeladenen zu 3) macht ihn noch nicht zum Selbständigen, er erklärt sich ebenfalls aus der familiären Verbindung zur Betriebsinhaberin.

Der Senat vermag ebenso keine besonderen Spezialkenntnisse des Beigeladenen zu 3) festzu-stellen, die allein ihn zur Leitung des Betriebs in der Lage und insoweit als "Herz und Seele" der Firma erscheinen lassen würden. Soweit ein Wissensvorsprung hinsichtlich der Bedienung der Reinigungsmaschine bestand, gründete sich dieser lediglich auf die Absolvierung eines einmonatigen Lehrganges. Folglich wäre der Beigeladene zu 3) ohne großen Aufwand durch Angestellte oder auch durch die branchenkundige Betriebsinhaberin selbst nach einer entspre-chenden Fortbildung ersetzbar gewesen. Im Übrigen bezogen sich die vorhandenen speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beigeladenen zu 3) auf die betrieblichen Arbeitsabläufe als solche, ohne einen besonderen Bezug zur Leitung des Betriebes zu haben.

Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) kann schließlich nicht deswegen als selbständig angese-hen werden, weil er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eige-nem Gutdünken hätte führen können. Davon ist schon nach dem Vorbringen der Beigeladenen zu 3) und 4) nicht auszugehen, da nach diesem die Entscheidungsbefugnis des Beigeladenen zu 3) auf die technische Seite der Betriebsführung beschränkt war. Jedenfalls in kaufmännischer Hinsicht hat sich die Ehefrau damit nicht aus der Betriebsführung zurückgezogen. Unerheblich ist auch, dass der Beigeladene zu 3) eigenverantwortlich Personalentscheidungen treffen durfte. Eine solche Kompetenz ist etwa für leitende Angestellte typisch, die deswegen aber noch nicht als selbständige Unternehmer anzusehen sind.

Die Klage ist auch in Hinblick auf den Feststellungsantrag zulässig und begründet. Das Fest-stellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 41 Abs. 2 Finanzge-richtsordnung zwar nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, so-weit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz gleichwohl auch im sozial-gerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemei-nen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An diesem fehlte es, wenn es eine effektive-re Klagemöglichkeit gäbe oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage indessen nur zur Aufhebung des Versiche-rungspflicht verneinenden Bescheides der Beklagten und nicht auch zur Feststellung der Ren-tenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen zu 3) und 4) aus deren Sicht begünstigende Bescheid aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungskla-ge (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -), so dass letztere zulässig ist. Dass der Beigeladene zu 3) abhängig beschäftigt gewesen ist, ergibt sich aus dem oben Erörterten.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 VwGO. Sie entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersicht-lich.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.
Rechtskraft
Aus
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