Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 SF 378/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch, den Richter W wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet.
Gründe:
Gemäß § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist also nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein" der Parteilichkeit, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Insbesondere kann das Verhalten des Richters im Prozess die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Dies kann eine unsachgemäße Verfahrensleitung sowie evident mangelnde Sorgfalt sein. Davon ist auszugehen, wenn sich das prozessuale Vorgehen des Richters so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt Je nach den Umständen reicht aber auch schon das Übergehen eines bestimmten Vortrags oder Antrags eines Beteiligten oder die fehlende Bereitschaft, das Vorbringen einer Partei vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen
Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier ein solcher Grund vor: Die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 12. November 2010 scheint die Klägerin vor vollendete Tatsachen zu stellen. Anstelle eines angesichts der offenen Sach- und Rechtslage gebotenen rechtlichen Hinweises bittet der Richter nur um Stellungnahme zur angeregten Kla-gerücknahme:
In seiner Verfügung teilt er der Klägerin mit, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 26. 04.2010 am selben Tag zur Post aufgegeben worden sei. Es greife deshalb die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Der Bescheid gelte als am 29. 04.2010 bekannt gegeben. Der Widerspruch vom 07.06.2010 sei daher verspätet. Es werde angeregt, die Klage mit beigefügtem Formblatt zurückzunehmen und ggf. einen Überprüfungsantrag zu stel-len.
Das richterliche Schreiben stellt diesen rechtlichen Sachverhalt als Fakt dar. Es fehlt jede Einschränkung, dass die ihm zu Grunde liegende Sachprüfung und die rechtliche Würdigung nur eine vorläufige ist und dass es der Klägerin unbenommen ist, zum Sachverhalt und zur Rechtslage ergänzend vorzutragen.
Worauf der Kammervorsitzende seine (wohl vorhandene) Überzeugung, dass der Bescheid tatsächlich am 26.04.2010 zur Post aufgegeben wurde, stützt, wird bereits nicht mitgeteilt. Die Klägerin weist ferner zutreffend darauf hin, dass nach § 37 Abs. 2 S. 3 SGB X (in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung, zuvor S. 2) die Bekanntgabefiktion des Satzes 1 dieser Vor-schrift nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt später eingeht. Der richterlichen Verfügung lässt sich weder ausdrücklich noch sinngemäß die Anregung entnehmen, zu den näheren Umständen der Bekanntgabe näher vorzutragen, obwohl vorliegend selbst der Beklagte im Gerichtsverfah-ren in Betracht zieht, dass der Bescheid erst nach eineinhalb Wochen zugegangen sein könnte und deshalb um einen Hinweis bittet, welche Folgen die Aufhebung des aus seiner Sicht rechtswidrig den Widerspruch als unzulässig verwerfenden Widerspruchsbescheid hätte. Durch die Verfügung konnte somit nicht nur rein subjektiv aus Sicht der Klägerin, sondern auch objektiv der Eindruck entstehen, der Richter nehme die ihm obliegende prozessuale Für-sorgepflicht den Beteiligten gegenüber nicht ernst oder wichtig, sondern es gehe ihm nur um einen im Wortsinne kurzen Prozess, ohne Rücksicht auf die Rechte der Beteiligten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Gründe:
Gemäß § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist also nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein" der Parteilichkeit, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Insbesondere kann das Verhalten des Richters im Prozess die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Dies kann eine unsachgemäße Verfahrensleitung sowie evident mangelnde Sorgfalt sein. Davon ist auszugehen, wenn sich das prozessuale Vorgehen des Richters so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt Je nach den Umständen reicht aber auch schon das Übergehen eines bestimmten Vortrags oder Antrags eines Beteiligten oder die fehlende Bereitschaft, das Vorbringen einer Partei vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen
Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier ein solcher Grund vor: Die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 12. November 2010 scheint die Klägerin vor vollendete Tatsachen zu stellen. Anstelle eines angesichts der offenen Sach- und Rechtslage gebotenen rechtlichen Hinweises bittet der Richter nur um Stellungnahme zur angeregten Kla-gerücknahme:
In seiner Verfügung teilt er der Klägerin mit, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 26. 04.2010 am selben Tag zur Post aufgegeben worden sei. Es greife deshalb die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Der Bescheid gelte als am 29. 04.2010 bekannt gegeben. Der Widerspruch vom 07.06.2010 sei daher verspätet. Es werde angeregt, die Klage mit beigefügtem Formblatt zurückzunehmen und ggf. einen Überprüfungsantrag zu stel-len.
Das richterliche Schreiben stellt diesen rechtlichen Sachverhalt als Fakt dar. Es fehlt jede Einschränkung, dass die ihm zu Grunde liegende Sachprüfung und die rechtliche Würdigung nur eine vorläufige ist und dass es der Klägerin unbenommen ist, zum Sachverhalt und zur Rechtslage ergänzend vorzutragen.
Worauf der Kammervorsitzende seine (wohl vorhandene) Überzeugung, dass der Bescheid tatsächlich am 26.04.2010 zur Post aufgegeben wurde, stützt, wird bereits nicht mitgeteilt. Die Klägerin weist ferner zutreffend darauf hin, dass nach § 37 Abs. 2 S. 3 SGB X (in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung, zuvor S. 2) die Bekanntgabefiktion des Satzes 1 dieser Vor-schrift nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt später eingeht. Der richterlichen Verfügung lässt sich weder ausdrücklich noch sinngemäß die Anregung entnehmen, zu den näheren Umständen der Bekanntgabe näher vorzutragen, obwohl vorliegend selbst der Beklagte im Gerichtsverfah-ren in Betracht zieht, dass der Bescheid erst nach eineinhalb Wochen zugegangen sein könnte und deshalb um einen Hinweis bittet, welche Folgen die Aufhebung des aus seiner Sicht rechtswidrig den Widerspruch als unzulässig verwerfenden Widerspruchsbescheid hätte. Durch die Verfügung konnte somit nicht nur rein subjektiv aus Sicht der Klägerin, sondern auch objektiv der Eindruck entstehen, der Richter nehme die ihm obliegende prozessuale Für-sorgepflicht den Beteiligten gegenüber nicht ernst oder wichtig, sondern es gehe ihm nur um einen im Wortsinne kurzen Prozess, ohne Rücksicht auf die Rechte der Beteiligten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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