L 7 KA 39/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 82/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 39/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Zur Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes im Fall der Versagung einer Zulassung zur vertragspsycho-therapeutischen Versorgung.

2.) Mit Blick auf das Recht der Psychotherapeuten auf Freiheit der Berufswahl und -ausübung aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG ist § 95 Abs. 11 Satz 5 letzter Halbsatz SGB V dahin auszulegen, dass die Ermächtigung mit dem Ziel der Nachqualifikation bis zur bestandkräftigen Entscheidung der Zulassungsgremien (Zulassungs- und Berufungsausschuss) über die Umwandlung der Ermächtigung in eine bedarfsunabhängige Zulassung fortbesteht (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Januar 2008,
L 11 KA 103/06).
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2011 geändert: Es wird im Wege einstweiliger Anordnung festgestellt, dass die dem Antragsteller vom Antragsgegner mit Beschluss vom 11. Januar 2006 erteilte Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung nach § 95 Abs. 11 Sozial-gesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) bis zur bestandskräftigen Entscheidung der Zulas-sungsgremien über die Umwandlung der Ermächtigung in eine Zulassung fortbesteht. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens beider In-stanzen jeweils zu ½ mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Der Wert des Verfahrensgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2011 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

1.) Soweit der Antragsteller mit seinem ausdrücklich gestellten Antrag begehrt hat, den An-tragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Ermächtigung des An-tragstellers zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte und Psychotherapeuten vom 12. Januar 2011 in eine Zulassung umzuwandeln, hat das Sozialgericht den Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn dem Antragsteller fehlt für dieses Begehren ein eiliges Regelungsbedürfnis und damit ein Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschlüsse vom 11. Dezember 2009, L 7 KA 143/09 ER sowie vom 27. Januar 2010, L 7 KA 139/09 B ER, jeweils zitiert nach juris) besteht in aller Regel kein eiliges Regelungsbedürfnis und damit kein Anord-nungsgrund für eine einstweilige Anordnung, mit der einem Antragsteller ein vertragsärztli-cher Status - z. B. eine Zulassung oder Ermächtigung - zugesprochen werden soll. Denn ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zielt darauf ab, vorläufige Regelungen herbeizu-führen, während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter haben und damit die Hauptsache vorwegnehmen; zumindest die während der Dauer ihrer vorübergehenden Gel-tung erbrachten Leistungen können nachträglich nicht vollständig rückabgewickelt werden. Um eine solche Statusentscheidung - die Umwandlung einer (befristeten) Ermächtigung in ei-ne (bedarfsunabhängige) Zulassung - wird auch hier gestritten. Allerdings hat der für das Ver-tragsarztrecht zuständige 6. Senat des BSG in diversen Entscheidungen, in denen um eine (rückwirkende) Statusentscheidung bzw. Genehmigung gestritten wurde, anklingen lassen, dass er eine nur vorläufig erteilte Genehmigung auch in diesen Angelegenheiten nicht für ausgeschlossen hält (so Urteile vom 31. Mai 2006, B 6 KA 7/05 R - für die Verlegung des Vertragsarztsitzes -, vom 5. November 2003, B 6 KA 11/03 R - für die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes -, vom 11. September 2002, B 6 KA 41/01 R, und Beschluss vom 28. Sep-tember 2005, B 6 KA 19/05 B - jeweils für die Zulassung als Psychotherapeut -, außerdem in einer kostenrechtlichen Entscheidung: Urteil vom 17. Oktober 2007, B 6 KA 4/07 R; alle ver-öffentlicht in juris). Diese Rechtsprechung schließt es jedoch nicht aus, als Ausnahme zur in der Rechtsprechung des Senats entwickelten o.g. Regel einen vertragsärztlichen Status im Wege einstweiligen Rechtsschutzes dann zuzuerkennen, wenn der geltend gemachte mate-riell-rechtliche Anspruch völlig unzweifelhaft besteht oder die Interessenlage zu Gunsten ei-nes Antragstellers so eindeutig ist, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten erscheint.

Hieran fehlt es im vorliegenden Fall jedoch. Denn die erforderliche gründliche Prüfung aller vom Antragsteller dem Zulassungsausschuss zum Beleg der Nachqualifikation vorgelegten Unterlagen (ein Teil wurde erst am 31. Januar 2011 überreicht) war bisher noch nicht mög-lich, zumal noch nicht einmal eine Verwaltungsentscheidung über die erfolgreiche Nachquali-fikation der in § 12 Abs. 1 und 3 Satz 2 des Psychotherapeutengesetzes genannten Vorausset-zungen vorliegt, wie das Sozialgericht in seinem Beschluss (S. 7 und 8) festgestellt hat. Bei dieser Sachlage kann von einem unzweifelhaften Bestehen eines Zulassungsanspruchs keine Rede sein.

b) Vor allem ist der Antragsteller zur Fortsetzung seiner vertragspsychotherapeutischen Tä-tigkeit, aus der er nach seinem Vorbringen ganz überwiegend seinen Lebensunterhalt bestrei-tet, nicht auf die vorläufige Zuerkennung einer Zulassung angewiesen, weil die ihm vom An-tragsgegner mit Beschluss vom 11. Januar 2006 erteilte Ermächtigung zur vertragspsychothe-rapeutischen Versorgung nach § 95 Abs. 11 SGB V bis zur bestandskräftigen Entscheidung der Zulassungsgremien über die Umwandlung der Ermächtigung in eine Zulassung fortbe-steht. Deshalb gebietet auch die Interessenlage nicht, dem Antragsteller unter Vorwegnahme der Hauptsache schon jetzt eine - auch nur vorläufige - Zulassung zuzusprechen.

aa) Nach § 95 Abs. 11 Satz 4 SGB V hat der Zulassungsausschuss bei Nachweis des erfolg-reichen Abschlusses der Nachqualifikation auf Antrag die Ermächtigung in eine Zulassung umzuwandeln. Das bedeutet, dass der Psychotherapeut die Zulassung unabhängig von einer in seinem Planungsbereich eventuell bestehenden Zulassungssperre erhält (BT-Drs. 13/8035 S. 22). Die Ermächtigung des Psychotherapeuten erlischt bei Beendigung der Nachqualifika-tion, spätestens fünf Jahre nach Erteilung der Ermächtigung; sie bleibt jedoch bis zur Ent-scheidung des Zulassungsausschusses erhalten, wenn der Antrag auf Umwandlung bis fünf Jahre nach Erteilung der Ermächtigung gestellt wurde (§ 95 Abs. 11 Satz 5 SGB V). Grund-sätzlich erlischt deshalb spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit, im Rahmen der Ermäch-tigung an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teilzunehmen. Stellt der Psychothe-rapeut den Antrag auf Umwandlung der Ermächtigung in eine Zulassung allerdings vor Ab-lauf dieser Frist, so bleibt die Ermächtigung bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses erhalten. Damit wird den Fällen Rechnung getragen, in denen der Zulassungsausschuss trotz rechtzeitiger Antragstellung vor Ablauf der Fünfjahresfrist nicht entschieden hat (BT-Drs. 13/8035).

bb) Mit Blick auf die Freiheit der Berufswahl und -ausübung aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie das Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG ist § 95 Abs. 11 Satz 5 letzter Halbsatz SGB V dahin auszulegen, dass die Ermächtigung mit dem Ziel der Nachqualifikation bis zur bestandskräftigen Entscheidung der Zulassungsgre-mien (Zulassungs- und Berufungsausschuss) über die Umwandlung der Ermächtigung in eine bedarfsunabhängige Zulassung fortbesteht (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Januar 2008, L 11 KA 103/06: maßgeblich ist der Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses des Zulassungsausschusses); der Wortlaut der Vorschrift lässt eine solche Auslegung zu. So-wohl dem Gesetzeswortlaut als auch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass die Ermächtigung zur Nachqualifikation grundsätzlich nach fünf Jahren erlischt. Aus § 95 Abs. 11 Satz 5 SGB V folgt außerdem, dass eine Umwandlung der Ermächtigung in eine Zulassung nicht (mehr) in Betracht kommt, wenn der Psychotherapeut den hierfür erforderlichen Antrag erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist stellt, selbst wenn er die Voraussetzungen der Umwand-lung erfüllt. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass in diesem Fall seine Ermächtigung zur Nachqualifikation zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits erloschen war und die Um-wandlung einer bereits erloschenen Ermächtigung in eine Zulassung ausgeschlossen ist. Des-halb ordnet der letzte Halbsatz des § 95 Abs. 11 Satz 5 SGB V auch an, dass die Ermächti-gung im Falle der rechtzeitigen Antragstellung innerhalb der Fünfjahresfrist bis zur Entschei-dung des Zulassungsausschusses fortbesteht. Würde man insoweit auf den Zeitpunkt der Ent-scheidung des Zulassungsausschusses bzw. die Zustellung seiner Entscheidung abstellen, würde die Ermächtigung zur Nachqualifikation zu diesem Zeitpunkt endgültig erlöschen mit der Folge, dass eine Umwandlung der Ermächtigung in eine Zulassung danach nicht mehr möglich wäre, selbst wenn der Psychotherapeut die Nachqualifikationsvoraussetzungen in-nerhalb der Fünfjahresfrist erbracht und nachgewiesen hatte, die Entscheidung des Zulas-sungsausschusses also rechtswidrig war. Der Betroffene wäre dann darauf angewiesen, sich um eine bedarfsabhängige Zulassung zu bemühen, die er im gesperrten Zulassungsbezirk u.U. überhaupt nicht mehr, jedenfalls aber nur unter erheblich erschwerten Voraussetzungen erhal-ten könnte. Ein solches Ergebnis ist weder im Lichte des Rechts der Psychotherapeuten aus Art. 12 Abs. 1 noch aus Art. 19 Abs. 4 GG haltbar, weil eine rechtswidrige staatliche Ent-scheidung zu einem möglicherweise irreparablen Rechtsverlust führen könnte. Es ist darüber hinaus mit Blick auf den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht zu rechtfertigen, dass die Säumnis des Zulassungsausschusses, rechtzeitig innerhalb der Fünfjahresfrist zu ent-scheiden, zu einer rechtserhaltenden Verlängerung der Ermächtigung führt, während diese Wirkung bei einer rechtswidrigen Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht eintreten soll, obwohl die rechtswidrige Entscheidung (mindestens) ebenso wie die verspätete in glei-cher Weise belastend in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG eingreift. Aus den vorliegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen folgt schließlich, dass es für die Fortdauer der Nachqualifikationsermächtigung nicht darauf ankommt, ob der Zulassungsaus-schuss innerhalb oder erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entschieden hat.

2.) Mit Blick auf das Ziel, das der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt, nämlich bis zu einer bindenden Entscheidung über den Erfolg der Nachqualifikation weiter an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil-nehmen zu können, ist dem Antrag des Antragstellers konkludent der Hilfsantrag zu entneh-men, die Fortdauer seiner Ermächtigung bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Umwandlung der Ermächtigung in eine (bedarfsunabhängige) Zulassung festzu-stellen.

a) Dies hat auf telefonische Nachfrage sein Prozessbevollmächtigter bestätigt. Von dieser neuen prozessualen Situation ist auch der Vorsitzende des Antragsgegners telefonisch unter-richtet worden, so dass die Rechte der Hauptbeteiligten auf rechtliches Gehör gewahrt wur-den. Der Senat hat daher - nicht zuletzt auch im Interesse der vom Antragsteller derzeit be-handelten Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung - unmittelbar nach ih¬rem Ein-gang über die Beschwerde entschieden.

b) Sie ist mit ihrem Hilfsantrag im Hinblick auf die obigen Ausführungen zulässig, weil der Antragsteller ein schützenswertes Interesse an der Feststellung hat, dass sein derzeitiger Zu-lassungsstatus bis zur endgültigen Klärung des Ergebnisses der Nachqualifikation sowohl für die Zulassungsgremien als auch für die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung zur Siche-rung einer weiteren Vergütung verbindlich festgestellt wird. Aus den bereits dargelegten ver-fassungsrechtlichen Gründen ist der Antrag auch begründet; insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 155 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwal-tungsgerichtsordnung (VwGO). Im Hinblick auf das teilweise Unterliegen beider Beteiligter hält der Senat eine gleichmäßige Kostenbelastung beider Hauptbeteiligter für angemessen.

4.) Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird gemäß §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 20.000 EUR festgesetzt; der Senat macht sich insofern die Erwägungen des Sozialgerichts aus dem Schreiben vom 22. Februar 2011 an die Beteiligten zu Eigen. Der Hilfsantrag erhöht den Wert des Verfahrensgegenstandes nicht (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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