L 10 AS 434/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 AS 1020/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 434/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2011 werden zurückgewiesen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragstellerin, die bulgarische Staatsbürgerin ist und sich vermutlich seit Januar 2010 in B aufhält, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Zu ihrem entsprechenden Antrag vom 01. November 2010 hat sie bei der Antragsgegnerin einem (Unter-) Mietvertrag bzgl. einer 48,05 qm großen Wohnung zu einer Bruttokaltmiete von 331,- EUR bei nachträglicher Umlegung der tatsächlichen Heiz- und Warmwasserkosten vorgelegt. Weiter hat die Antragstellerin eine Gewerbeanmeldung bzw. Ummeldung beigebracht, die einen von ihr – ohne dass eine Beteiligung Dritter zur Darstellung käme – betriebenen Begleitservice betreffen, dessen Einnahmen sie im Weiteren mit 400,- EUR monatlich geschätzt hat, wobei Ausgaben nicht anfielen. Auf die Mitwirkungsaufforderung der Antragsgegnerin, mit der Unterlagen zum Aufenthaltsstatus, zur Krankenversicherung und Kontoauszüge verlangt worden waren, hat die Antragstellerin nicht reagiert. Die die Antragsgegnerin hat daraufhin ohne zeitliche Begrenzung Leistungen ab dem 01. November 2010 versagt. Gegen den bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2011 wurde Klage nicht erhoben.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt; die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin könne nicht geprüft werden, da sie der im Gerichtsverfahren nochmals wiederholten Mitwirkungsaufforderung nicht nachgekommen sei. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin Kontoauszüge eines für sie geführten Postbankkontos eingereicht, die den Zeitraum vom September 2010 bis Februar 2011 betreffen, sonst aber nicht weiter vorgetragen.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Es bleibt offen, ob bereits der Umstand, dass die Antragstellerin die zukunftsoffene Versagung des Anspruchs – § 66 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) – hat bindend werden lassen (nicht mit der Klage angefochten hat) dem Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entgegensteht. Besteht eine solche Entscheidung, ergibt sich ein Spannungsverhältnis zum Gebot effektiven Rechtsschutzes (wie ihn die noch darzustellende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ausformt), weil eine Sachlage entstehen kann, angesichts derer nach dem verfassungsrechtlich gebotenen Maßstab eine vorläufige Gewährungsentscheidung begründet ist, wobei sich aber "an sich" in Anbetracht der Struktur der Versagungsentscheidung (es wird nicht über den Anspruch (über seine gesetzlichen Voraussetzungen) entschieden, dem entsprechend ist allein die Anfechtungsklage gegeben) ein verpflichtender bzw zur Leistung verurteilender Entscheidungssatz verbietet. Es bei den Rechtsschutzmodalitäten für Bescheide nach § 66 Abs. 1 SGB I zu belassen, steht damit in der Gefahr den gebotenen Rechtsschutz im Bereich existenzsichernder Leistungen zu verkürzen, die gegenteilige Sichtweise entwertet die gesetzlich vorgesehenen Mittel zur Reaktion auf die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten, und zwar ggf auch dann, wenn von ihnen gesetzeskonform und der Sachlage angemessenen Gebrauch gemacht wird. Das hier zu entscheidende Beschwerdeverfahren nötigt nicht zu einer abschließenden Positionierung, da der pro¬zessuale Anspruch der Antragstellerin – wie noch auszuführen sein wird – auch wenn an die Existenz der Versagungsentscheidung mit Blick auf das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren keine rechtlichen Folgen geknüpft werden, nicht begründet ist. Zudem liegt der Sonderfall der im Verfahren (teilweise) nachgeholten Mitwirkung vor, der im Zusammenhang mit der (allerdings als Ermessensnorm ausgestalteten) Regelung zur Nachholung der Leistungen in § 67 SGB I die Sachprüfung eröffnen dürfte.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung (ausgerichtet nach den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Beschluss vom 12. Mai 2005 (1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats – info also 2005, 166) entwickelt hat) kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei (teilweise) ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist in der Regel anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgt.

Der Anordnungsanspruch setzt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II voraus, dass die Antragstellerin das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, dass sie erwerbsfähig ist, dass sie hilfebedürftig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Der Senat kann sich vorliegend, obwohl vieles darauf hindeutet, dass die Antragstellerin nicht hilfebedürftig ist, nicht die volle Überzeugung von einer Tatsachenlage bilden, wonach die Antragstellerin ausgehend von dem durch das SGB II begründeten Anspruchsniveau nicht hilfebedürftig ist, bzw. dies nur zu einem so geringfügigen Umfang ist, dass aus diesem Grunde ein Ersuchen um einstweiligen Rechtschutz erfolglos bleiben müsste.

Dennoch bleibt die Beschwerde ohne Erfolg, da die Antragstellerin das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht hat (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Insoweit sind im Verfahren der vorliegenden Art nur geringe Anforderungen zu stellen, da aus einer möglichen Untersicherung bezogen auf das Existenzminimum regelhaft die besondere Eilbedürftigkeit einer Leistungsverfügung zu Gunsten dessen folgt, der Grundsicherungsleistungen beantragt hat. Allerdings entfallen die Anforderungen – derartiges ist insbesondere dem zitierten Beschluss des BVerfG nicht zu entnehmen – nicht vollständig, denn die Feststellung der Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung ist Grundlage jeder Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, weil gerade darin die Rechtfertigung für eine Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach den bezüglich der Richtigkeitsgewähr verminderten Maßstäben des einstweiligen Verfahrens (Glaubhaftmachung) liegt. Vorliegend verfehlt die Antragstellerin die danach noch zu stellenden Anforderungen wegen ihrer unzureichenden Mitwirkung im Verfahren. Der Antragstellerin sind mit ausreichender Frist einfach verständliche und erfüllbare Auflagen gemacht worden, die evident und auch für sie nachvollziehbar für die Feststellung der Leistungsvoraussetzungen erheblich sind. Ihr ist insoweit vorgehalten worden, dass sich nach den bisher bekannt gewordenen Umständen und ihrem Vortrag kein "Szenario" der Hilfebedürftigkeit ergibt. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, wie sie in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt bestritten hat und welche Veränderungen insoweit eingetreten sind. Objek¬tiviert ist nur, dass sie über ein Konto verfügt, von dem alle das Wohnen betreffenden Ausgaben (Miete Abschlagszahlungen an Versorger), aber auch nur diese, bestritten wurden und das jeweils durch zeitnahe (vor- oder nachgehende) Bareinzahlungen ausgeglichen wurde. Diese Verhältnisse waren im vergangenen halben Jahr stabil. Auch zu der angegebenen Tätigkeit, bzgl. derer die Bezeichnung nicht darauf hindeutet, dass Einkünfte jedenfalls nur geringfügig sein können, ist kein weiterer Vortrag erfolgt. Es fehlt überhaupt jede authentische Äußerung, wobei die Antragstellerin – abgesehen davon, dass von ihrer Bevollmächtigten auf Behördenunerfahrenheit hingewiesen wurde – auch keinerlei Angaben gemacht hat, die diese Form der ersichtlich nachteiligen Zurückhaltung erklären könnte. Angesichts dessen kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass für die Antragstellerin die Erfüllung des erhobenen Anspruchs unverzichtbar oder auch nur dringend notwendig ist. Das Ausbleiben erkennbarer Bemühungen (eventuell auch von Erläuterungen zu Verzögerungen, Hindernissen oder Ähnliches) legt vielmehr den Schluss nahe, dass dem nicht so ist. Der Senat kann dabei offen lassen, ob diese Würdigung der nachhaltigen Mitwirkungsverweigerung in jedem Fall zum Fehlen eines Anordnungsgrundes führen muss. Bedenken, die sich angesichts der aus dem zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmenden Tendenz ergeben könnten, der Vorenthaltung existenznotwendiger Leistungen weitestgehend vorzubeugen, greifen bei der Würdigung dieses Falles jedenfalls nicht durch, weil im Hinblick auf die von der Antragstellerin angegebene Erzielung von Einkommen – von der Darstellung, dass ein "Begleitservice" betrieben und insoweit Einnahmen erzielt werden, wur¬de zu keiner Zeit Abstand genommen –eine unmittelbare Existenzgefährdung nicht zu erken¬nen ist, wobei angesichts des Umstandes, dass – ausweislich der Kontounterlagen – auch keine Mietrückstände bestehen dürften, auch eine Gefährdung der Unterkunft durch den Ausfall der ent¬sprechenden Leistungen unmittelbar nicht bevorsteht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskosten¬hilfe für das Verfahren vor dem SG Berlin ist unbegründet, da aus den bezeichneten Gründen Erfolgsaussicht (Bewilligungsvoraussetzung nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO) nicht gegeben war.

Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, weil es an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung fehlt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 Satz 1 SGG. Diese Entscheidung ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177SGG).
Rechtskraft
Aus
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