Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 269/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 319/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 geändert. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 03. Januar 2004 ein Arbeitsunfall ist und Folgen des Arbeitsunfalls eine mittelgradige depressive Episode sowie eine Agoraphobie mit Panikstö-rung als Residuen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen. Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der Kosten des gesamten Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall.
Die 1945 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung im Betriebs- und Verkehrsdienst der D R (DR). Nach verschiedenen Beschäftigungen bei der DR und in anderen Bereichen war sie zehn Jahre lang bis zum 31. August 1997 bei den B Verkehrsbe-trieben (BVG) als Fahrdienstleiterin sowie Aufsicht und vom 01. September 1997 bis zur Berentung zum 01. August 2004 (Bescheid der Bahnversicherungsanstalt vom 19. Januar 2005: Rente wegen voller Erwerbsminderung zunächst auf Zeit, später unbe-fristet) bei der S-Bahn B GmbH beschäftigt. Dort arbeitete sie zuletzt im Drei-Schicht-System als Aufsicht auf dem S- Bahnhof B.
Am 03. Januar 2004 begann ihr Dienst erstmals nach einer Krankschreibung vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 um 14:00 Uhr. Um 16:20 Uhr fertigte sie regulär den S-Bahnzug der Linie S2 in Richtung S-Bahnhof M ab. Als der Zug den Bahnübergang B, der mit einer Halbschranke für den Verkehr gesperrt war, passierte, erfasste er einen Jogger, der ungeachtet des Zuges den Bahnübergang überqueren wollte, und schleifte diesen rund 37 Meter mit sich. Der Triebwagenführer U K leitete die Notbremsung ein. Es bestand Funkkontakt zwischen dem Triebwagenführer und der Klägerin sowie zwischen dem Triebwagenführer und der Betriebsleitstelle. Kurz nach dem Unfall fertigte die Klägerin den S-Bahnzug aus der entgegenkommenden Richtung ab. Der Fahrstrom wurde um 16:21 Uhr abgeschaltet. Die Klägerin verließ ihren Dienstraum und den Bahnhof mit einer Taschenlampe, um dem Unfallopfer Hil-fe zu leisten. Der Triebwagenführer verließ ebenfalls den Zug, um den Kurzschließer zu holen. Dazu ging er an der rechten Seite des Zuges entlang zurück in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg zum Bahnhof begegnete er der Klägerin und ging mit dieser zum Bahnhof, wo diese ihm den Kurzschließer gab. Um 16:24 Uhr war der Bundes-grenzschutz (BGS), um 16:30 Uhr die Polizei vor Ort. Um 16:50 Uhr wurde der Fuß-gänger von der Feuerwehr geborgen, der Notarzt musste trotz eingeleiteter Notfall-versorgung um 16:55/17:00 Uhr dessen Tod feststellen. Der Triebwagenführer wurde mit einem Schock von der Feuerwehr ins Krankenhaus zur ambulanten Behandlung gebracht (Ermittlungsbericht des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004). Um 17:10 Uhr wurde der stehende Zug durch den BGS geräumt (Mitteilung der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008). Um 17:20 Uhr traf der Notfallmanager der Deut-schen Bahn AG, Herr RB, ein (Protokoll der Zeugenvernehmung vom 02. April 2009). Die Klägerin selber wurde um 17:30 Uhr von der Feuerwehr in das W-Klinikum ge-bracht, wo sie erstmals um 18:04 Uhr behandelt wurde unter der Diagnose "akute Be-lastungsreaktion" (Erste-Hilfe-Bericht vom 03. Januar 2004). Es bestand Arbeitsunfä-higkeit ab dem 04. Januar 2004.
Am 20. Januar 2004 ging die Unfallanzeige der S-Bahn B GmbH vom 13. Januar 2004 bei der Beklagten ein. Darin wurde angegeben, bei der Ausfahrt eines S-Bahnzuges aus dem Bahnhof B sei es zu einem Personenunfall gekommen. Die S-Bahn habe einen Fußgänger erfasst, der durch den geschlossenen Schrankenbereich gelaufen sei. Die Klägerin habe einen Schock erlitten. Ergänzend gab die S-Bahn B GmbH mit Schreiben vom 05. März 2004 an, die Klägerin habe den Unfall selbst nicht gesehen. Sie habe nach der Information durch den Triebwagenführer alle erforderlichen Maß-nahmen (Gleissperrung, Meldung an die Betriebsleitung) eingeleitet und sich an-schließend zum Unfallort begeben, wo sie die verunfallte Person im Gleis gesehen habe.
Die Beklagte zog den Erste-Hilfe-Bericht des W-Klinikums vom 03. Januar 2004, Ko-pien der Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung (SVA) der Klägerin sowie die Akte der Staatsanwaltschaft B zum Az. bei, holte Behandlungsauskünfte des Facharz-tes für Allgemeinmedizin I vom 12. März 2004 und 22. Juni 2004 sowie des Facharz-tes für Neurologie und Psychiatrie S vom 03. Mai 2004 und 28. Juni 2004, Aufstellun-gen der Arbeitsunfähigkeitszeiten durch die Bahn- BKK vom 06. April 2004 sowie die AOK B vom 12. Mai 2004 ein. Auf Rückfrage der Beklagten gab die Klägerin telefo-nisch am 24. Juni 2004 an, sie sei zum Unfallort gegangen und habe die Leiche unter dem Wagenrad liegend (teils im Gleis und teils auf der Schiene) gesehen. Sie habe sich um das Unfallopfer kümmern wollen, der Lokführer habe sie jedoch zurück in den Dienstraum geschickt. Schließlich veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 12. Juli 2004. Mit Bescheid vom 15. Juli 2004 lehnte sie Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 03. Januar 2004 ab. Nach den vorliegenden Unterlagen habe die Klägerin den Unfall selber nicht gesehen, aber die Leiche. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation be-funden. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bzw. Behandlungsbedürftigkeit sei nicht begründbar. Wenn hier eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit zustande gekommen sei, sei diese nur dadurch zu begründen, dass sie – die Klägerin – sich in einem hochgra-dig labilen Gleichgewicht befunden habe. Das Ereignis dürfte zwar Anlass, aber nicht eigentliche Ursache der lang anhaltenden psychischen Reaktion gewesen sein. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. März 2005).
Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Kläge-rin die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall sowie die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge und die Gewährung von Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente, bean-tragt.
Das SG hat die Renten- und Reha-Akten der Bahnversicherungsanstalt zum Az. so-wie die Schwerbehindertenakte der Klägerin beigezogen und Auszüge hieraus zu den Akten genommen (u. a. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. S vom 21. April 2005, Befundberichte des Herrn S vom 08. September 2004 sowie des Herrn I vom 18. September 2004 und das psychiatrische Rentengutachten der Frau Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004). Darüber hinaus hat es den Reha-Entlassungsbericht der V-Kliniken GmbH vom 05. Juli 2005 und medizinische Unterlagen von dem Allge-meinmediziner B beigezogen sowie Vorerkrankungsverzeichnisse der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie Befundberichte von Herrn I vom 05. Dezember 2005, Herrn S vom 06. Dezember 2005, von dem Gynäkologen Dr. S vom 20. Dezember 2005 sowie der Internistin Dr. A vom 09. August 2006 eingeholt.
Anschließend hat das SG den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem am 23. Februar 2007 nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Januar 2007 fertig gestellten Gutachten hat dieser auf seinem Fachgebiet eine PTBS festgestellt. Diese Gesundheitsstörung sei im Sinne der erstmaligen Entstehung ursächlich auf das Er-eignis vom 03. Januar 2004 zurückzuführen. Die Klägerin habe am Unfalltag die Lei-che des getöteten Mannes gesehen und sei anschließend Ziel der Aggressionen auf-gebrachter Bahnreisender und Autoreisender, die mehr als zwei Stunden hätten war-ten müssen, gewesen. Sie habe sich massiv bedroht gefühlt. Danach habe sich eine PTBS entwickelt mit wiederkehrenden und eindringlich belastenden Erinnerungen an das Trauma in Form von Alpträumen und intrusiven Wiedererinnerungen bei an das Trauma erinnernden Stimuli, Vermeidungsverhalten (Vermeiden der früheren Dienst-stelle im Bahnhof, Vermeidung des Aus- dem- Haus- Gehens, Vermeidung öffentlicher Verkehrsmittel, Vermeidung des Redens über die Ereignisse am Unfalltag, Vermei-dung des Auto- sowie des Eisenbahnfahrens), ausgeprägtem sozialen Rückzug, Auf-gabe wichtiger früherer Aktivitäten (Reisen, Autofahren), Ein- und Durchschlafstörun-gen, vermehrter Schreckhaftigkeit und Gereiztheit, erhöhter Grundanspannung, ver-minderter Merkfähigkeit als Symptome eines erhöhten Arousals, Angst vor Menschen in Menschenansammlungen, psychosomatischer Reaktionen mit Gelenkschmerzen, depressiver Symptomatik in Form von Grübeln und Schuldgefühlen am Tod des Fuß-gängers sowie Konversionssymptomatik in Form der Unfähigkeit, Briefe von Ärzten zu lesen. Unter fortlaufender nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung bis Ende 2006 sei es zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik gekommen. Die Klägerin sei wegen der Folgen des Ereignisses anhaltend arbeitsunfähig gewesen und auch jetzt noch behandlungsbedürftig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei bis zum Ende der Psychotherapie, dem 31. Dezember 2006, mit 40 v. H., danach fortlaufend mit 20 v. H. zu bemessen.
Die Beklagte hat das Gutachten unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des bera-tenden Arztes Dr. B vom 04. April 2007 als nicht nachvollziehbar kritisiert. So fehle das so genannte A-Kriterium für die Diagnose einer PTBS ebenso wie ein intrusives Wiedererleben. Der Gutachter verneine bzw. bagatellisiere Vorerkrankungen bzw. vorbestehende psychische Belastungen, obwohl die Klägerin diese selber aktenkun-dig geschildert habe (Schlafstörungen und Erschöpfungszustand durch jahrelangen Schichtdienst).
Der Sachverständige hat in einer Stellungnahme hierauf vom 02. Juni 2007 seine Be-urteilung aufrecht erhalten. Bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich um ein komplexes Ereignis mit einem komplexen Erleben der Klägerin, das nicht in einzelne Bestandteile auseinander dividiert werden könne bzw. dürfe. Selbst die Be-klagtenseite habe eingeräumt, dass sich der Klägerin mit dem Anblick des vom Zug erfassten Mannes ein grauenhafter Anblick geboten habe. Dass sie selber von dem Anblick nicht bedroht worden sei, spiele keine Rolle. Darüber hinaus sei dieses Be-drohungserleben dann relativ bald nach dem Auffinden der Leiche, als die Klägerin sich in ihrem Arbeitsraum auf dem Bahnhof befunden habe und von wütenden und aufgebrachten Fahrgästen beschimpft sowie handgreiflich bedroht worden sei, gefolgt. Dieses Bedrohungserleben mit dem hilflosen Ausgeliefertsein gegenüber der toben-den Menge könne nicht vom Gesamtkomplex des Unfallereignisses abgelöst werden. Dass die Klägerin selber schildere, der Anblick des Toten sei "nicht so besonders" gewesen und dass sie darüber nicht reden wolle, sei bei ihr Teil einer Vermeidungs-strategie im Rahmen der PTBS. Bei den von der Beklagten angeführten Vorerkran-kungen habe es sich nicht um gravierende psychische Störungen gehandelt, zumal die Diagnosen aus den Vorerkrankungsverzeichnissen zum Teil nicht nachvollziehbar seien. Auch ein intrusives Wiedererleben habe die Klägerin bei seiner Untersuchung geschildert.
Die Beklagte hat ihre Kritik weiter untermauert durch Herreichung von Stellungnah-men der beratenden Ärzte Dr. B vom 16. Juli 2007 und des Neurologen und Psychia-ters Dr. F vom 01. September 2007.
Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 25. April 2008 unter Aufhebung des Be-scheides vom 15. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2005 verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung des Ereignisses vom 03. Ja-nuar 2004 als Arbeitsunfall und einer anhaltenden PTBS als Folge dieses Arbeitsun-falls Entschädigungsleistungen zu gewähren, insbesondere Verletztengeld bis zum Ablauf von 78 Wochen seit dem 04. Januar 2004 sowie für den anschließenden Zeit-raum eine Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE i. H. v. von 40 v. H. bis zum 31. Dezember 2006 und i. H. v. 20 v. H. seit dem 01. Januar 2007. Soweit die Beklag-te meine, bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich deshalb nicht um einen Unfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), weil die Klä-gerin selber nicht betroffen gewesen und der Anblick einer Leiche allgemeines Le-bensrisiko sei, müsse dem widersprochen werden. Bereits die Mitteilung des Unfaller-eignisses als sich ein in ihrem beruflichen Zuständigkeitsbereich ereignet habendes Unglück durch den Triebwagenführer und dann im Folgenden auch der Anblick des Unfallopfers stellten jeweils für sich wie auch als einheitlich zu bewertendes Gesamt-geschehen ohne weiteres ein zeitlich begrenztes äußeres Ereignis und somit ein Un-fallereignis im Rechtssinne dar. Sowohl die Kenntnisnahme von dem Unfall als auch der Anblick des Unfallopfers seien durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin als S-Bahn-Aufsicht erzwungen worden und hätten daher in einem eindeutigen inneren Zu-sammenhang mit dieser Tätigkeit gestanden. Es sei geltendes Recht, dass auch sol-che Risiken vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst seien, denen man auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sei, wenn und soweit sie sich bei der beruflichen Tätigkeit und in einem inneren Zusammenhang zu derselben verwirklichten. Ebenso wenig schließe die Tatsache, dass manche Risiken bestimm-ten beruflichen Tätigkeiten immanent seien, den Schutz der gesetzlichen Unfallversi-cherung aus. Soweit die Beklagte durch ihre beratenden Ärzte Widersprüche zwi-schen den einzelnen Schilderungen der Klägerin geltend mache, sei dies konstruiert und entspreche nicht der Faktenlage. Bereits im W-Klinikum habe die Klägerin ange-geben, die Leiche gesehen zu haben. Wenn jetzt ausgeführt werde, dies sei vielleicht doch nicht der Fall gewesen und die Klägerin habe sich dies nur vorgestellt, handele es sich um bloße Spekulation. Im Übrigen seien der Anblick des Unfallopfers und die Anfeindungen auf dem Bahnsteig durch Fahrgäste als einheitliches Unfallgeschehen zu werten. Das Gericht habe auch keine Bedenken, seiner Entscheidung das einge-holte psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. B zugrunde zu legen. Dieser habe schlüssig und überzeugend alle relevanten Gesichtspunkte für das streitige Vor-liegen einer PTBS geprüft. Die Einwände der Beklagten könnten hingegen nicht über-zeugen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Es fehle an einem hinreichend schweren Ereignis, das zu einer PTBS bei der Klägerin habe führen können. Darüber hinaus fänden sich konkurrierende Ursachen. So seien den Vorerkrankungsverzeich-nissen der Krankenkassen Arbeitsunfähigkeiten wegen akuter Belastungsreaktionen, zerebraler Störungen, Psychosyndrom und depressiver Erschöpfung zu entnehmen. Außerdem sei die Klägerin unmittelbar vor dem Ereignis wegen einer unfallunabhän-gigen psychischen Erkrankung (akute Belastungsreaktion) mehrere Wochen lang ar-beitsunfähig erkrankt gewesen. Im Übrigen bestünden weiter Zweifel an den Sachver-haltsangaben der Klägerin. Es sei beispielsweise schwer vorstellbar, dass die Fahr-gäste unmittelbar nach dem Ereignis handgreiflich geworden und die Klägerin sogar bedroht hätten, obwohl sie den stehenden Zug gar nicht hätten verlassen können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst Auskünfte der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008 und 24. Oktober 2008, denen der für das Eisenbahn-Bundesamt am 23. Februar 2004 er-stellte Unfallbericht beigefügt war, eingeholt. Darüber hinaus hat der Senat Auflistun-gen der behandelnden Ärzte von der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie einen Be-fundbericht des Praxisnachfolgers des Herrn I – Herrn A – vom 05. Mai 2009 nebst Kopien der in seiner Akte befindlichen medizinischen Unterlagen eingeholt. Des Wei-teren hat der Senat die Akte der Staatsanwaltschaft Berlin zum Az. beigezogen sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin eingesehen.
Im Erörterungstermin vom 02. April 2009 hat die Berichterstatterin die Klägerin aus-führlich befragt und den Triebwagenführer U K sowie den Notfallmanager R B als Zeugen zu den Geschehnissen am S-Bahnhof B vernommen. Hinsichtlich des Ergeb-nisses der Befragungen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift sowie der Anla-gen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Anschließend hat der Senat den Arzt für Psychiatrie Prof. Dr. Z mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens betraut. In dem am 23. November 2009 nach einer Untersuchung der Klägerin am 16. November 2009 fertig gestellten Gut-achten ist dieser zu dem Schluss gelangt, das Unfallereignis am 03. Januar 2004 ha-be bei der Klägerin zu einer gut dokumentierten ersten Schockreaktion und anschlie-ßend zu einem Syndrom, das fachkundig und ausführlich niedergelegt und zu Recht mit der Diagnose PTBS gefasst worden sei, geführt. Inzwischen sei die damalige Symptomatik zugunsten einer chronisch persistierenden psychischen Störung zurück-gegangen. Es ließen sich nicht mehr alle Symptome einer PTBS feststellen. Die Klä-gerin lebe seit dem Unfall bis dato durch die resultierende psychische Störung in ihrer Autonomie, was die Berufsausübung sowie die allgemeine Lebensgestaltung angehe, deutlich reduziert und eingeschränkt. Aktuell sei ein psychiatrisches Syndrom zu diag-nostizieren, das nicht mehr eindeutig nur einer psychischen Störung zuzuordnen sei. Es handele sich um ein insgesamt mittelschweres Syndrom mit zwei Schwerpunkten:
- leichte bis mittelschwere depressive Komponente - mittelschwere Angstsymtpomatik.
Der Systematik des ICD-10 folgend müssten aktuell zwei Diagnosen gestellt werden:
- F32.1. bzw. F34.1 für eine mittelgradige depressive Episode und - F 40.1 für eine Agoraphobie mit Panikstörung.
Das Vollbild einer PTBS bestehe nicht mehr bzw. die entsprechenden Kriterien seien nicht mehr eindeutig erfüllt. Früher hätten diese aber zweifellos vorgelegen. Hier seien aktuell zu nennen: Nachhallerinnerungen, Vermeidung von an den Unfall erinnernden Situationen und in entsprechenden Situationen Angst bis zur Panik. Weiterhin ließen sich ein chronischer Rückzug aus altersgemäßen und früher praktizierten Aktivitäten und ein ausschließlicher Bezug auf ein enges soziales Umfeld feststellen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die nunmehr noch vorliegenden Störungen ausschließlich durch den streitigen Unfall verursacht worden seien. Konkrete und gravierende potentielle Faktoren, die als unfallunabhän-gige Ursachenfaktoren in Frage kämen, seien hier nicht nachgewiesen. Die von der Klägerin erlebte Situation erfülle im Übrigen das so genannte A-Kriterium für eine PTBS. Ausdrücklich seien in der ICD-10 auch "ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer" benannt. Diese Einschätzung sei auch von den ähnlich formulierten Beschreibungen in der DSM-IV gedeckt, in denen explizit " die Beo-bachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person." genannt sei. Das so genannte A2-Kriterium sei ebenfalls sicher erfüllt, da die dort beschriebene psychische Reaktion – "die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen" – auf die Klägerin zutreffe. Überdies sei im Einzelfall zu bestimmen, wie der Betroffene subjektiv das Ereignis erlebt habe, zumal es kaum je endgültig gelingen könne, hier allein objektive Kriterien zu finden. Wie die von der Klägerin immer wieder berichtete Konfrontation mit aufgebrachten Fahrgästen tatsächlich verlaufen sei, lasse sich an-hand der Akten offenbar nicht sicher rekonstruieren. Die in solchen Situationen stets entstehende Unübersichtlichkeit der Situation möge im Zusammenhang mit der Schockreaktion der Klägerin wohl zu subjektiven Färbungen geführt haben. Dies sei aber aus psychiatrischer Sicht für die Beantwortung der Beweisfragen nicht relevant, da die objektivierbaren Aspekte des Unfallereignisses und die Reaktion der Klägerin vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung bis dahin die entscheidenden Faktoren und Kriterien für die Bewertung beinhalteten. Hinsichtlich der MdE hat sich der Sachver-ständige den Bewertungen des Dr. B angeschlossen. Dem Gutachten ist eine Be-scheinigung des ehemals behandelnden Gynäkologen Dr. S vom 26. Juni 2009 beige-fügt worden.
Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellung-nahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. S vom 22. Januar 2010 entgegen getreten. Unter Bezugnahme auf die Zeugenvernehmung des Trieb-wagenführers vom 02. April 2009 halte sie es für erwiesen, dass die Klägerin das Un-fallopfer nicht gesehen habe. Weder das A1- noch das A2-Kriterium für eine PTBS seien erfüllt. Eine psychische Initialreaktion sei nicht belegt. Das eingeholte Gutachten weise formale und inhaltliche Mängel dergestalt auf, dass keine Diagnosen begründet würden, dass eine Beschwerdeverdeutlichung nicht ausgeschlossen werde, obwohl der Aktenverlauf erhebliche Bedenken vorgebe. Die Ausführungen zur Kausalität könnten nicht überzeugen, weil maßgebliche Vorerkrankungen nicht in die Kausali-tätsdiskussion eingeflossen seien. Eine Agoraphobie und/oder Panikstörung könne aus fachärztlicher Sicht keine Unfallfolge sein, da es sich um anlagebedingt auftreten-de psychische Störungen handele. Eine Umwandlung von (angenommenen) unfallbe-dingten psychischen Störungen in eine Agoraphobie und/oder Panikstörung sowie Depression sei wissenschaftlich nicht belegt.
Der Sachverständige hat hierzu ergänzend unter dem Datum vom 09. Mai 2010 Stel-lung genommen und klarstellende Fragen des Gerichts beantwortet. Er hat die Kritik der Beklagten bzw. ihres beratenden Arztes zurückgewiesen. Er hat u. a. ausgeführt, entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin unabhängig davon, ob sie den Unfallhergang gesehen habe, den Unfall "miterlebt", denn sie sei am Unfallort gewesen, habe die entsprechenden Ansagen, Hinweise und Folgen erlebt, phasen-weise sogar das Geschehen selber mit gesteuert. Eine direkte Wahrnehmung des Leichnams sei aus seiner fachärztlichen Sicht zur Erfüllung des A-Kriteriums nicht er-forderlich. Es bedürfe darüber hinaus nicht zwingend einer von außen wahrgenom-menen Initialreaktion. Nach der noch gültigen ICD-10 sei ein zeitliches Intervall von sechs Monaten nach dem Trauma als "Sollbestimmung" aufgeführt. Im Übrigen sei eine frühe spezifische Reaktion ärztlich dokumentiert.
Die Beklagte hat zwei weitere Stellungnahmen des beratenden Arztes Prof. Dr. S vom 24. Juni 2010 und 18. Oktober 2010 vorgelegt.
Der Senat hat noch den Rettungsdienst-Einsatzbogen der B Feuerwehr vom 03. Ja-nuar 2004 beigezogen und bei der Bundespolizei – erfolglos – nach ihren Ermittlungs-unterlagen zum streitigen Ereignis angefragt (telefonische Negativanzeige der Bun-despolizei vom 17. März 2011).
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Gz. ) sowie die Akten der Staatsan-waltschaft Berlin (Az. ) verwiesen, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Die erstinstanzliche Ent-scheidung war insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Gewährung von "Entschädi-gungsleistungen", insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente verurteilt worden ist. In diesem Umfang war demnach auch die Klage abzuweisen. Darüber hinaus ist die zulässige Berufung der Beklagten unbegründet.
Die Berufung ist teilweise begründet, weil Streitgegenstand der Klage (und der Beru-fung) lediglich die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall sowie von Unfallfolgen ist. Nur hierüber hat die Beklagte in ihrem angefochtenen Be-scheid vom 15. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2005 entschieden. Eine Verwaltungsentscheidung zur Frage der Gewährung von Ver-letztengeld bzw. von Verletztenrente liegt nicht vor, insoweit war die Klage demnach unzulässig.
Das Ereignis vom 03. Januar 2004 ist aber entgegen der Auffassung der Beklagten als Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen. Darüber hinaus resultieren aus diesem Arbeitsunfall bis dato Gesundheitsschäden in Form einer mittelgradigen de-pressiven Episode und einer Agoraphobie mit Panikstörung als Residuen einer PTBS. Diesen Anspruch kann die Klägerin zulässigerweise im Wege der Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) verfolgen.
Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicher-ten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Er-eignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haf-tungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewäh-rung einer Verletztenrente (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04. Septem-ber 2007 - B 2 U 28/06 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).
Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derje-nigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwi-schenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglich-keit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R – in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Ver-sicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfall-merkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnis-ses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).
Hiervon ausgehend ist der Senat in dem nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG gebotenen Maß davon überzeugt, dass die Klägerin am 03. Januar 2004 während ihrer versi-cherten Tätigkeit gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als S-Bahnaufsicht am S-Bahnhof B C das Unfallopfer gesehen und anschließend auf dem Bahnsteig Anfeindungen und Handgreiflichkeiten durch unzufriedene Reisende ausgesetzt war.
Die Klägerin hat von Anfang an, insbesondere bereits wenige Stunden später am sel-ben Tag, noch unter dem vollen Eindruck der Ereignisse stehend im W-Klinikum an-gegeben, das Unfallopfer gesehen zu haben. Hiervon ist sie zu keinem Zeitpunkt ab-gerückt. Dass ihre Aussage bei der Polizei vom 14. Januar 2004 keine derartige ex-plizite Angabe enthält, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, sie habe dort das Gegen-teil gesagt. Im Rahmen ihrer dortigen Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfah-ren gegen den Triebwagenführer wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung war der Umstand, ob sie das Unfallopfer gesehen hatte oder nicht, nicht von Bedeutung. Immerhin hat die Klägerin auch dort betont, sie habe dem Opfer Hilfe leisten wollen und habe den Bahnhof verlassen. Ein Anblick des Unfallopfers bleibt hierbei offen. Es ist letztlich kein Grund erkennbar, weshalb die Klägerin bzgl. des Anblicks des Unfall-opfers von Anfang an etwas Falsches oder Eingebildetes erzählt haben sollte. Schließlich ist es unzutreffend, dass – wie der Zeuge K bei seiner Befragung durch das Gericht am 02. Januar 2009 angegeben hat – das Unfallopfer auf der linken Seite des Zuges lag. Die Lektüre des Ermittlungsberichts des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004 und die Betrachtung der von der Polizei gefertigten Fotos des Un-fallortes zeigen, dass das Opfer - das ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Bahnübergang und der Zugspitze unter dem Zug lag und nicht neben dem Zug - zu-mindest wenn man sich bückte, von der rechten Seite des Zuges aus zu sehen ge-wesen sein muss und zwar wahrscheinlich besser als von der linken Seite, da dort die stromführende Schiene davor lag. Wie aus seinen weiteren Angaben hervorgeht, wusste der Zeuge K selber nicht, mit welchem Teil des Zuges er das Opfer getroffen hatte und wo sich das Opfer nach dem Zusammenprall und anschließendem Mit-geschleiftwerden befand. Er selbst hat den Verunglückten nicht gesehen (und wohl auch nicht nach ihm Ausschau gehalten), sondern war ganz und gar damit beschäf-tigt gewesen, alles Notwendige zu veranlassen und alsbald mit Hilfe des im Bahnhof aufbewahrten mobilen Kurzschließers den Strom komplett abzuschalten. Ob die Klä-gerin das Unfallopfer gesehen hat, konnte er bei seiner Befragung als Zeuge am 02. April 2009 nicht sagen. Letztlich stützen die Angaben des Zeugen K zur Überzeugung des Senats aber bei Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten, wonach das Opfer nicht unter dem Triebwagen, sondern unter dem zweiten Wagen hinter dem Drehgestell aufgefunden wurde, die Schilderung der Ereignisse durch die Klägerin, insbesondere deren Angabe, den Bahnhof verlassen zu haben, um dem Unfallopfer zu helfen und bei ihrer Suche das Unfallopfer auch tatsächlich gesehen zu haben. Denn der Zeuge hat bestätigt, nach Verlassen des Führerstandes auf seinem Weg zur Bahnhofsaufsicht die mit der Taschenlampe ausgerüstete Klägerin, die den Zug auf dessen rechter Seite in Richtung Führerstand abschritt, außerhalb des Bahnhofs im Gleisbereich getroffen und zur Umkehr veranlasst zu haben, da er dringend den Kurzschließer benötigte. Dass er nicht bestätigen konnte, dass die Klägerin das Opfer gesehen hat, ist nach den aus der von der Polizei gefertigten Unfallskizze ersichtli-chen örtlichen Gegebenheiten, wonach die Klägerin schon vor dem Zusammentreffen das Opfer hat erblicken können, und seiner Konzentration auf die vollständige Ab-schaltung des Stroms nicht weiter verwunderlich. Zudem bleiben die Angaben der Klägerin im Kern über die Jahre und die Befrager (behandelnde Ärzte, Arbeitgeber, Beklagte, Polizei, Sachverständige, Gericht) hinweg konsistent. Sie hat die Nachricht vom Unfall vernommen, die vorgeschriebenen Diensthandlungen ausgeführt und sich auf den Weg zum Unfallort begeben. Angaben über das Chaos im Bahnhof sind erstmals bei den Gutachterinnen für die Rentenversicherung im September 2004 ge-macht worden, sie ist zuvor jedoch nie über das Gesamtgeschehen befragt worden. Zeugenaussagen, die ihre Angaben bzgl. des Anblicks des Toten oder der Bedro-hungen, Beschimpfungen und allgemeinen Bedrängung auf dem Bahnhof stützen könnten, liegen bis auf die Aussage des Triebwagenführers und Zeugen K vom 02. April 2009, es sei "ziemlich turbulent" gewesen, nicht vor. Es entspricht jedoch der allgemeinen Lebenserfahrung im Berliner Nahverkehr, dass es bereits nach kurzen Verzögerungen und erst recht bei lang andauernden Sperrungen zu Beschimpfungen und auch zu Handgreiflichkeiten kommt. Dies ist im vorliegenden Fall aufgrund der räumlichen Lage des Unfallortes in besonderem Maße nachvollziehbar. Hier war über Stunden der Bahnübergang und damit die B C für Autos, Fußgänger, Fahrradfahrer und sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel gesperrt. Dies musste zu großen Umwegen und Behinderungen im Verkehr zwischen M und L führen, da ein weiterer Übergang über die S-Bahn-Trasse sich nicht in unmittelbarer Nähe befindet.
Von diesem tatsächlichen Hergang der Geschehnisse ausgehend hat die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten. Die Eindrücke binnen der einen Stunde und zehn Minuten, während derer die Klägerin ihre Arbeit verrichtet hat – die mündliche Nachricht von einem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, be-drohenden und beschimpfenden Fahrgästen – wirkten auf die Klägerin geistig-seelisch ein. Dies gilt letztlich auch für den Fall, dass die Klägerin das Unfallopfer tat-sächlich gar nicht gesehen, sondern nur gesucht haben sollte. Es handelte sich zwar um einen im Rahmen der normalen Dienstpflichten einer S-Bahn-Aufsicht liegenden Geschehensablauf, er war jedoch ungewöhnlich bzw. außergewöhnlich in dem Sinne, dass er nicht alltäglich vorkam und keinen normierten Geschehensablauf beinhaltete. Die Ereignisse führten auch zu einer vermehrten Anspannung i. S. v. Stress. Diese geistig-seelische Einwirkung stellte ein zeitlich begrenztes (über annähernd 1,5 Stun-den innerhalb einer Arbeitsschicht), von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar.
Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stol-pern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das BSG (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 35/87 - in SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstren-gung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Haus-schlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Recht-sprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die An-nahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umstän-den beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranla-gung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (vgl. Urteile des BVerwG vom 24. Oktober 1963 - II C 10.62 – in BVerwGE 17, 59, 61; vom 09. April 1970 - II C 49.68 - in BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwillig-keit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSG SozR 2200 § 1252 Nr. 6). Hiervon zu unterschei-den sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Keller in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Randnr. 14 zu § 8). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen un-bestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juni 1981 - 2 RU 61/79 - in SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Gegebenen-falls genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (vgl. Urteil des BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 - 2 RU 189/59 - in SozR Nr 61 zu § 542 RVO; vom 02. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R - in VersR 2000, 789; Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 24 zu § 8). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur als Fallkonstellationen u. a. Geisel-nahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kolle-gen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. Ricke in Kasseler Kom-mentar a. a. O.; Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 – in SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 39; Dr. Manfred Benz "Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzli-chen Unfallversicherung" in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10). Zutreffend führt Krasney (in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Kommentar zum SGB VII, Stand Januar 2010, Randnr. 8 zu § 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders Ungewöhn-liches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein. Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stol-pern vom normalen Gehen. Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (vgl. Urteil des Oberverwaltungs-gerichts (OVG) Schleswig-Holstein vom 26. November 1993 - 3 L 99/93 - zitiert nach Juris). Wendet man dies auch auf den Fall einer rein geistig-seelischen Einwirkung ("psychisches Trauma") an, so sollte zumindest eine besondere psychische Anspan-nung und eine dadurch bedingte Stresssituation verlangt werden (vgl. Keller in Hauck/Noftz, a. a. O. Randnr. 11 zu § 8 unter Verweis auf ein Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 8/96 – in HVBG-Info 1997, 1279 ff). Bisher ist keine Untergrenze für die für ein psychisches Trauma notwendigen Einwirkungen von der Rechtspre-chung herausgearbeitet worden. Es dürfte auch fraglich sein, ob hier angesichts der Tatsache, dass es keine Normen für seelisches Verhalten gibt, ein generalisierender Maßstab überhaupt praktikabel ist (vgl. hierzu Jens Düsel in "Die Sicherung von Ar-beitnehmerrechten", 2008, S. 75 ff, S. 86).
Bei der Klägerin ist darüber hinaus ein Gesundheitsschaden eingetreten. Das Unfall-ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfordert keine körperlich-organische Schädigung. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII spricht ohne Einschränkung von "Gesund-heitsschäden". Daraus folgt, dass auch wenn sich die Schädigung nur im psychi-schen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfaller-eignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein "regelwidriger Kör-per- und Geisteszustand", worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10).
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Un-fallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfä-higkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, son-dern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dorti-gen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnosti-sches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiat-rischen Vereinigung - Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versi-cherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Be-gründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlos-sen.
Eine solche psychische Störung ist hier anhand der Angaben der Klägerin im W-Klinikum diagnostiziert worden als "akute Belastungsreaktion" (ICD-10: F43.0). Diese Diagnose ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deswegen falsch, weil die Klägerin bei den Untersuchungen im W-Klinikum um 18:04 und 19:30 Uhr ruhig, ge-ordnet und orientiert wirkte. Im Bereich der psychischen Störungen beruht eine Diag-nosefindung maßgeblich auf der Schilderung des Erlebten und Empfundenen durch die Betroffenen (so letztlich auch Prof. Dr. K. Foerster "Die psychoreaktiven Störun-gen – auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema", in: Der me-dizinische Sachverständige 2010, S. 16 ff, 16/17). Diese ist natürlich auf Wider-sprüchlichkeiten, Aggravation und Simulation hin zu prüfen. Besteht hierfür im Rah-men der Gesamtsituation jedoch kein Anhaltspunkt, kann ein Zweifel an der Richtig-keit der medizinischen Diagnose insbesondere angesichts der Wechselhaftigkeit und Unnormiertheit psychischer Verhaltensweisen zur Überzeugung des Senats nicht fachgerecht geäußert werden. Die Klägerin hatte im W-Klinikum geschildert, zunächst gut funktioniert zu haben, dann plötzlich Kreislaufprobleme und Derealisationserleben verspürt zu haben. Sie wurde von der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht. Zwar enthält der Rettungsdienst-Einsatzbogen der Berliner Feuerwehr lediglich den Ver-merk "Schock", es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Feuerwehr eine völlig normal erscheinende Person ins Krankenhaus transportiert. Bei Dr. H und A. K-E (Begutachtung am 08. September und 01. Oktober 2004) schilderte die Klägerin de-taillierter "sie habe geweint und nicht mehr schreiben und telefonieren" können. Bei der stationären Reha-Maßnahme in den V-Kliniken in B M sagte sie im Mai 2005, "sie habe unter starker Anspannung gestanden, die schließlich so hoch gewesen sei, dass sie einen am Telefon erhaltenen Befehl nicht mehr habe ausführen können, zu-dem habe sie aufgrund von Sehstörungen auch nicht mehr lesen können". Bei Dr. B am 29. Januar 2007 hieß es: "Irgendwann habe sie ihren Dienst dann nicht mehr ma-chen können, sie habe nichts mehr verstanden, auch nichts mehr sehen können". Die weiteren Schilderungen (vor dem Gericht am 02. Januar 2009 sowie bei Prof. Dr. Z) sind ähnlich. Dr. I berichtete bezüglich der ersten Vorstellung nach dem Ereignis am 05. Januar 2004: "Im Gespräch war sofort deutlich, dass die Klägerin unter Schock stand. Sie wies Zeichen der psychischen Dekompensation auf (Weinen, motorische Unruhe, Blässe)". Laut ICD-10 wird die Diagnose "akute Belastungsreaktion" F43.0 definiert als eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht mani-fest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechseln-des Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer gewissen Bewusstseins-einengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verar-beiten und Desorientiertheit. Die Symptome erscheinen im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Ta-gen, oft innerhalb von Stunden zurück. Angesichts dieser Anforderungen an die Di-agnose F43.0 äußern nachvollziehbar weder der Sachverständige Dr. B noch der Sachverständige Prof. Dr. Z Zweifel an deren Richtigkeit, so dass ein Gesund-heits(erst)schaden zu bejahen ist. Dabei ist zu bedenken, dass im Rahmen der Frage einer Traumatisierung nicht irgendeine Form "objektiver" Belastung entscheidend ist, sondern maßgeblich vielmehr ist, dass ein Ereignis tatsächlich als belastend erlebt wird (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 16/17).
Dieser Gesundheits(erst)schaden ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursäch-lich auf das Gesamtereignis vom 03. Januar 2004 (die mündliche Nachricht von ei-nem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, be-drohenden und beschimpfenden Fahrgästen) zurückzuführen. Hierfür ist zunächst zu prüfen, welche Ursachen für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die ver-sicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstö-rungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – a. a. O.). Basis dieser Beurteilung müs-sen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Er-krankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheits-störungen sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis-standes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfin-dung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke ins-besondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z. B. Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2008). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemein-schaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berück-sichtigen (hier insbesondere "Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychi-scher Traumatisierung" AWMF-Leitlinien-Register 051/027 von Mai 2008 sowie "Post-traumatische Belastungsstörung" AWMF-Leitlinien-Register 051/010 von Januar 2011, veröffentlicht unter www.awmf.org). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentli-chungen. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versi-cherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. Eine bloße Litera-turauswertung seitens des Gerichts genügt zur Feststellung des aktuellen wissen-schaftlichen Erkenntnisstandes allerdings in der Regel nicht, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt. Vielmehr ist die Klärung des der Ursa-chenbeurteilung zugrunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstan-des in der Regel im Rahmen eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. An-dererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Er-kenntnisstand auszugehen sein. Auf der Grundlage der aktuellen Diagnoseschlüssel ICD-10, der aktuellen AWMF-Leitlinie Registernr. 051/027 sowie der Sachverständi-gengutachten der Dr. B und Prof. Dr. Z vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 ist die Diagnose gesichert, das Ereignis als "Trauma" zur Hervorrufung einer akuten Belastungsreaktion geeignet, im konkreten Falle der Klägerin anhand von Ak-tenlage, Anamnese und Befund der Ursachenzusammenhang zu bejahen und kon-kurrierende Ursachenfaktoren zu verneinen.
Über die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall hinaus sind zur Überzeugung des Senats auch dauerhafte Unfallfolgen festzustellen und zwar jetzt noch – dem ausführlichen, fachgerechten und nachvollziehbaren Gutach-ten des Prof. Dr. Z folgend – eine mittelgradige depressive Episode (F32.1 bzw. F34.1) sowie eine Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) als Residuen einer PTBS (F43.1). Dies beruht auf den fachkundigen Gutachten des Prof. Dr. Z vom 23. No-vember 2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 09. Mai 2010 sowie des Dr. B vom 23. Februar 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 02. Juni 2007. Die Einschätzungen der Sachverständigen bezüglich des Bestehens einer PTBS stehen wiederum in Einklang mit den diagnostischen und kausalen Erwägungen bzw. Ein-schätzungen der Gutachterinnen im rentenversicherungsrechtlichen Verwaltungsver-fahren Dr. H und A. K-E (Gutachten vom 21. Dezember 2004) sowie der Behandler in den V-Kliniken in BM im Jahr 2005.
Die akute Belastungsreaktion F43.0 kann in eine akute PTBS F 43.1 und andere chronische Traumafolgestörungen übergehen (vgl. AWMF-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung", Leitlinien-Register Nr. 051/027). Dementsprechend geht auch der DSM-IV TR davon aus, dass die Störung (d. h. die PTBS) häufig als unmittelbare Reaktion auf das Trauma anfänglich die Kri-terien er akuten Belastungsstörung (Diagnose nach DSM-IV Nr. 308.3) bzw. akuten Belastungsreaktion erfüllt. Ab einer Symptomdauer von drei Monaten ist die Diagnose einer chronischen PTBS zu verwenden. Auch subsyndromale Störungsbilder können behandlungsbedürftig sein (aus: AWMF-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von a-kuten Folgen psychischer Traumatisierung", Leitlinien-Register Nr. 051/027).
Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubt sein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Er-innerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Ver-lauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet wer-den. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Nach der AWMF-Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung" Leitlinien-Register Nr. 051/010 ist die PTBS eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumati-scher Ereignisse (wie z. B. Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, auch in der Kindheit (so genannter sexueller Missbrauch), Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzent-rationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit), die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch:
• sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Intrusionen) oder Erinnerungslücken (Bilder, Alpträume, Flashbacks, partielle Amnesie), • Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli), • Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen) und • emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teil-nahmslosigkeit).
Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z. T. mehrjähriger) Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (verzögerte PTBS).
Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV TR Nr. 309.81 der PTBS lauten:
A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die bei den folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Per- sonen beinhalteten. 2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen: 1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können,
2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis, 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxika- tion auftreten), 4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externa- len Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern, 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hin- weisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitä- ten 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden) 7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft.
D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (d. h. Erregung) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche 3. Konzentrationsschwierigkeiten 4. Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit) 5. Übertriebene Schreckreaktionen.
E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat.
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beein- trächtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Ausgehend von diesen Kriterien haben die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z in ihren Gutachten vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 sowie ihren Stel-lungnahmen vom 02. Juni 2007 und 09. Mai 2010 ausführlich, fachkundig und nach-vollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin die Diagnosekriterien einer PTBS nach dem DSM-IV TR und dem ICD-10 in der Vergangenheit, auf jeden Fall zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B am 29. Januar 2007, vorlagen. Sie haben überein-stimmend dargetan, dass der Anblick des schwer verletzten Unfallopfers und die (zumindest empfundene) Bedrohung auf dem Bahnsteig das A1-Kriterium des DSM-IV TR (" erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen kon-frontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Ge-fahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen be-inhalteten.") erfüllen. Prof. Dr. Z hat darüber hinaus unter Rückgriff auf den DSM-IV TR darauf hingewiesen, dass das A1-Kriterium auch für den Fall erfüllt ist, dass man mit der Beklagten davon ausginge, die Klägerin habe das Unfallopfer selber nicht gesehen. Die darüber hinausgehende Kritik der Beklagten bezüglich der Erfül-lung des A1-Kriteriums befasst sich allein mit der allgemeinen Problematik des Er-krankungsbildes "PTBS", so wie sie beispielsweise in Schönberger/Mehrtens/Valentin unter 5.1.3 auf S. 144 angesprochen wird. Sie ignoriert aber weitgehend die aktuelle AWMF-Leitlinie und die Kriterien des DSM-IV TR. Für die Entwicklung einer PTBS ist jedoch aus medizinischer Sicht letztlich die subjektive Reaktion von wesentlicher Be-deutung, z. B. ob das Ereignis als lebensbedrohlich gewertet wurde, ob eine physi-sche Verletzung befürchtet wurde und wie stark Angst oder Hilflosigkeit auftraten. Der erlebte Verlust der Kontrolle über eine Situation ist von maßgeblicher Bedeutung. Daher ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung des Ereignisses neben dem Auftreten von posttraumatischen Dissoziationen der wesentliche Faktor für die Ent-stehung einer PTBS, wahrscheinlich wichtiger als die objektiven Parameter des Traumas (so Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18). Letztlich stützt sich die Diagnose einer PTBS ganz wesentlich auf die Angaben des Betroffenen, weswegen die Prüfung auf Widersprüchlichkeiten und Simulation unerlässlich ist (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 19). Und gerade insoweit ist die Kritik der Beklagten an der Diagnosefindung durch die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z ebenso wie durch das Team der Behand-ler in den V-Kliniken oder die Sachverständigen im Rentenverfahren Dr. H /A. K-E unzulänglich, denn sie basiert nicht auf einer persönlichen Befunderhebung auf der Grundlage eines diagnostischen Gesprächs mit der Klägerin.
Auch das A2-Kriterium wird von den Sachverständigen bejaht, rekurrierend auf die Schilderung der Klägerin (Weinen nach Anblick des Opfers, Ratlosigkeit und Hilflo-sigkeit angesichts des Verhaltens der Menschen auf dem Bahnsteig und im Zug, Un-fähigkeit Anweisungen auszuführen).
Das B-Kriterium wird z. B. in Form der für die ersten Jahre nach dem Ereignis ge-schilderten wiederkehrenden Erinnerungen an das Aufsuchen des Opfers, die Reak-tionen der Fahrgäste, des Bestürmtwerdens und Bedrohtwerdens zu unterschiedli-chen Zeiten (vgl. das Gutachten der Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004), der im-mer noch plötzlich auftretenden Erinnerungen, wenn sie z. B. das Wort "S-Bahn" hört (vgl. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z) und wiederkehrenden Alpträumen (vgl. den Entlassungsbericht der V-Kliniken vom 05. Juli 2005: unfallbezogene Alpträume; Gut-achten von Dr. B vom 23. Februar 2007: Träume von Rädern und Köpfen; Gutachten von Prof. Dr. Z vom 23. November 2009; Träume von Menschenköpfen neben Rä-dern) bejaht.
Das C-Kriterium liegt ebenfalls vor, z. B. aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin angibt, entweder in der Vergangenheit oder noch den alten Arbeitsplatz zu meiden, generell Bahnen zu meiden, deutlich weniger sonstige Aktivitäten wie Reisen oder Autofahren zu unternehmen, nicht mehr zu reiten, kein Squash mehr zu spielen, we-niger Freunde zu haben und ein Gefühl der Unwirklichkeit nach dem Ereignis zu emp-finden (vgl. die Schilderung der "aktuellen Beschwerden" im Gutachten der Dr. H/A. K-E, S. 5 des Gutachtens von Dr. B und z. B. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).
Zum D-Kriterium wird verwiesen auf z. T. in der Vergangenheit liegende Einschrän-kungen/Beschwerden wie ein erhöhtes Anspannungsniveau und Ein- und Durch-schlafschwierigkeiten sowie erhöhte Schreckhaftigkeit bzw. noch anhaltende Kon-zentrationsschwierigkeiten und Schwierigkeiten, länger zu lesen (vgl. z. B. S. 4 des Gutachtens von Dr. B sowie S. 8 und 20 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).
Diese PTBS ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf das Unfallereignis zurück-zuführen. Soweit die Beklagte immer wieder darauf verweist, dass die Klägerin be-reits in denn zurückliegenden Jahrzehnten und insbesondere genau vor dem Ereignis aufgrund psychiatrischer Diagnosen arbeitsunfähig erkrankt war, folgt daraus nicht, dass die PTBS wesentlich auf andere Faktoren (also eine vorbestehende Erkrankung oder eine Krankheitsanlage, die so leicht ansprechbar war, dass die PTBS wesentlich darauf zurückzuführen und das Ereignis nur als "Auslöser" fungiert hat) ursächlich zu-rückzuführen wäre. Insbesondere die sich aus den SVAs sowie den Vorerkrankungs-verzeichnissen der Bahn- BKK bzw. der AOK B ergebenden Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 15. August 1985 bis zum 20. November 1985, vom 23. April 1986 bis zum 25. April 1986, vom 13. August 1986 bis zum 19. Februar 1987 sowie vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 sind in Zusammenhang mit belastenden Lebensereig-nissen wie Schwangerschaftsunterbrechung, Scheidung, Übersiedelung nach West-Berlin und Verdacht auf ein bösartiges Tumorleiden der Brust zu sehen. Gerade das einschneidende Ereignis der Übersiedelung nach West-Berlin relativ kurz nach der Scheidung und ohne Kinder hat nach eigenen Angaben der Klägerin zu Erschütte-rungen in ihrem Leben geführt, ist jedoch gut bewältigt worden. Denn die Klägerin hat den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten, einen Freundeskreis aufbauen und in ihren angestammten Beruf zurückkehren können. Hinweise für eine manifeste psychische Erkrankung vor dem Arbeitsunfall lassen sich den Vorerkrankungsverzeichnissen – wie sowohl Dr. B als auch Prof. Dr. Z nachvollziehbar ausführen – nicht entnehmen, auch hat die Beklagte eine solche nicht aufzeigen können.
Eine Prüfung auf Simulation wie bei Prof. Dr. Foerster in seinem bereits in Bezug ge-nommenen Aufsatz vorgeschlagen (S. 19), ist von Prof. Dr. Z ebenfalls erfolgt (vgl. S. 19, 21 und 38 des Gutachtens). Die Klägerin hat keinen spezifischen Wortschatz verwendet, der auf eine vorherige Auseinandersetzung mit der Literatur zur PTBS schließen lassen könnte. Sie hat außerdem situationsadäqaut agiert und Emotionen gezeigt. Im Sinne der Empfehlungen von Prof. Dr. Foerster sprechen im Übrigen fol-gende Umstände gegen eine Simulation: vegetative Erregung und emotionale An-spannung sind beim Bericht eines Flashbacks in der Untersuchungssituation direkt beobachtbar (so auf S. 20 und 21 des Gutachtens von Prof. Dr. Z und im psychopa-thologischen Befund des Gutachtens von Dr. H/A. K-E), Selbstvorwürfe werden ge-schildert (so u. a. auf S. 5 des Gutachtens von Dr. B), es sind frühzeitige Therapie-bemühungen erfolgt und die Symptomatik fluktuiert, insbesondere wird selber eine Besserung infolge Therapie geschildert (vgl. die Angaben der Klägerin bei Prof. Dr. Z und auch schon bei Dr. B).
Inzwischen besteht bei der Klägerin – wie Prof. Dr. Z darlegt – nicht mehr das Vollbild einer PTBS. Auch die inzwischen nur noch vorliegenden Residuen der PTBS in Form von depressiven Episoden und einer Angststörung sind wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Hierzu hat Prof. Dr. Z in seinem Gutachten vom 23. No-vember 2009 sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09. Mai 2010 fachge-rechte und überzeugende Darlegungen gemacht. So hat er ausgeführt, das noch ver-bliebene Krankheitsbild sei am ehesten als partielle oder subsyndromale PTBS zu qualifizieren, die allerdings im ICD-10 als Diagnose nicht enthalten sei. Er verweist hierzu unter Zitathinweis auf die aktuelle wissenschaftliche Diskussion, die sich auch in der aktuellen Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1" (AWMF-Register 051/010) - insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leit-linien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter "3. Grundsätzliche Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Diagnostik bei PTBS 3.1 Schwierigkeiten bei der diagnostischen Zuordnung" – sowie z. B. im Aufsatz von Prof. Dr. Foerster (a. a. O. S. 19) widerspie-gelt. Die im Grunde unspezifische Symptomatik der PTBS (vgl. hierzu u. a. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18) umfasst sowohl Elemente der Angst als auch der Depression (beispielsweise im so genannten C-Kriterium), darüber hinaus sind Angststörungen und Depressionen häufig als komorbide zu beobachten (vgl. die aktuelle Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1" (AWMF-Register 051/010) - insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leitlinien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter "Übersicht traumreaktiver Entwicklungen" und unter "5. Erfassung rele-vanter Komorbidität"). Soweit für die Beklagte Prof. Dr. S in seinen Stellungnahmen vom 22. Januar 2010 und 24. Juni 2010 behauptet, eine Agoraphobie und/oder Pa-nikstörung sei niemals Unfallfolge, denn nach medizinischem Kenntnisstand und zahlreichen epidemiologischen Studien handele es sich um anlagebedingte Störun-gen, bleibt er hierfür eine Begründung schuldig.
Nach alldem war zwar der Berufung insoweit stattzugeben, als die Beklagte durch das SG zur Gewährung von Leistungen verurteilt worden ist. Im Übrigen jedoch ist das erstinstanzliche Urteil im Kern zu bestätigen. Auch wenn aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Verurteilung der Beklagten auf Gewährung von Leistungen ausscheidet, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilungen der Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z hinsichtlich der Höhe der MdE an den geltenden Erfahrungswer-ten in der unfallmedizinischen Literatur (vgl. z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O. Nr. 5.1.16 S. 156f) orientieren, wobei ggf. eine weitere Besserung der Beeinträchti-gungen nach dem 16. November 2009 zu berücksichtigen bleibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Antrag auf Gewährung von Leistungen erfolglos geblieben ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall.
Die 1945 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung im Betriebs- und Verkehrsdienst der D R (DR). Nach verschiedenen Beschäftigungen bei der DR und in anderen Bereichen war sie zehn Jahre lang bis zum 31. August 1997 bei den B Verkehrsbe-trieben (BVG) als Fahrdienstleiterin sowie Aufsicht und vom 01. September 1997 bis zur Berentung zum 01. August 2004 (Bescheid der Bahnversicherungsanstalt vom 19. Januar 2005: Rente wegen voller Erwerbsminderung zunächst auf Zeit, später unbe-fristet) bei der S-Bahn B GmbH beschäftigt. Dort arbeitete sie zuletzt im Drei-Schicht-System als Aufsicht auf dem S- Bahnhof B.
Am 03. Januar 2004 begann ihr Dienst erstmals nach einer Krankschreibung vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 um 14:00 Uhr. Um 16:20 Uhr fertigte sie regulär den S-Bahnzug der Linie S2 in Richtung S-Bahnhof M ab. Als der Zug den Bahnübergang B, der mit einer Halbschranke für den Verkehr gesperrt war, passierte, erfasste er einen Jogger, der ungeachtet des Zuges den Bahnübergang überqueren wollte, und schleifte diesen rund 37 Meter mit sich. Der Triebwagenführer U K leitete die Notbremsung ein. Es bestand Funkkontakt zwischen dem Triebwagenführer und der Klägerin sowie zwischen dem Triebwagenführer und der Betriebsleitstelle. Kurz nach dem Unfall fertigte die Klägerin den S-Bahnzug aus der entgegenkommenden Richtung ab. Der Fahrstrom wurde um 16:21 Uhr abgeschaltet. Die Klägerin verließ ihren Dienstraum und den Bahnhof mit einer Taschenlampe, um dem Unfallopfer Hil-fe zu leisten. Der Triebwagenführer verließ ebenfalls den Zug, um den Kurzschließer zu holen. Dazu ging er an der rechten Seite des Zuges entlang zurück in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg zum Bahnhof begegnete er der Klägerin und ging mit dieser zum Bahnhof, wo diese ihm den Kurzschließer gab. Um 16:24 Uhr war der Bundes-grenzschutz (BGS), um 16:30 Uhr die Polizei vor Ort. Um 16:50 Uhr wurde der Fuß-gänger von der Feuerwehr geborgen, der Notarzt musste trotz eingeleiteter Notfall-versorgung um 16:55/17:00 Uhr dessen Tod feststellen. Der Triebwagenführer wurde mit einem Schock von der Feuerwehr ins Krankenhaus zur ambulanten Behandlung gebracht (Ermittlungsbericht des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004). Um 17:10 Uhr wurde der stehende Zug durch den BGS geräumt (Mitteilung der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008). Um 17:20 Uhr traf der Notfallmanager der Deut-schen Bahn AG, Herr RB, ein (Protokoll der Zeugenvernehmung vom 02. April 2009). Die Klägerin selber wurde um 17:30 Uhr von der Feuerwehr in das W-Klinikum ge-bracht, wo sie erstmals um 18:04 Uhr behandelt wurde unter der Diagnose "akute Be-lastungsreaktion" (Erste-Hilfe-Bericht vom 03. Januar 2004). Es bestand Arbeitsunfä-higkeit ab dem 04. Januar 2004.
Am 20. Januar 2004 ging die Unfallanzeige der S-Bahn B GmbH vom 13. Januar 2004 bei der Beklagten ein. Darin wurde angegeben, bei der Ausfahrt eines S-Bahnzuges aus dem Bahnhof B sei es zu einem Personenunfall gekommen. Die S-Bahn habe einen Fußgänger erfasst, der durch den geschlossenen Schrankenbereich gelaufen sei. Die Klägerin habe einen Schock erlitten. Ergänzend gab die S-Bahn B GmbH mit Schreiben vom 05. März 2004 an, die Klägerin habe den Unfall selbst nicht gesehen. Sie habe nach der Information durch den Triebwagenführer alle erforderlichen Maß-nahmen (Gleissperrung, Meldung an die Betriebsleitung) eingeleitet und sich an-schließend zum Unfallort begeben, wo sie die verunfallte Person im Gleis gesehen habe.
Die Beklagte zog den Erste-Hilfe-Bericht des W-Klinikums vom 03. Januar 2004, Ko-pien der Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung (SVA) der Klägerin sowie die Akte der Staatsanwaltschaft B zum Az. bei, holte Behandlungsauskünfte des Facharz-tes für Allgemeinmedizin I vom 12. März 2004 und 22. Juni 2004 sowie des Facharz-tes für Neurologie und Psychiatrie S vom 03. Mai 2004 und 28. Juni 2004, Aufstellun-gen der Arbeitsunfähigkeitszeiten durch die Bahn- BKK vom 06. April 2004 sowie die AOK B vom 12. Mai 2004 ein. Auf Rückfrage der Beklagten gab die Klägerin telefo-nisch am 24. Juni 2004 an, sie sei zum Unfallort gegangen und habe die Leiche unter dem Wagenrad liegend (teils im Gleis und teils auf der Schiene) gesehen. Sie habe sich um das Unfallopfer kümmern wollen, der Lokführer habe sie jedoch zurück in den Dienstraum geschickt. Schließlich veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 12. Juli 2004. Mit Bescheid vom 15. Juli 2004 lehnte sie Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 03. Januar 2004 ab. Nach den vorliegenden Unterlagen habe die Klägerin den Unfall selber nicht gesehen, aber die Leiche. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation be-funden. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bzw. Behandlungsbedürftigkeit sei nicht begründbar. Wenn hier eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit zustande gekommen sei, sei diese nur dadurch zu begründen, dass sie – die Klägerin – sich in einem hochgra-dig labilen Gleichgewicht befunden habe. Das Ereignis dürfte zwar Anlass, aber nicht eigentliche Ursache der lang anhaltenden psychischen Reaktion gewesen sein. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. März 2005).
Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Kläge-rin die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall sowie die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge und die Gewährung von Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente, bean-tragt.
Das SG hat die Renten- und Reha-Akten der Bahnversicherungsanstalt zum Az. so-wie die Schwerbehindertenakte der Klägerin beigezogen und Auszüge hieraus zu den Akten genommen (u. a. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. S vom 21. April 2005, Befundberichte des Herrn S vom 08. September 2004 sowie des Herrn I vom 18. September 2004 und das psychiatrische Rentengutachten der Frau Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004). Darüber hinaus hat es den Reha-Entlassungsbericht der V-Kliniken GmbH vom 05. Juli 2005 und medizinische Unterlagen von dem Allge-meinmediziner B beigezogen sowie Vorerkrankungsverzeichnisse der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie Befundberichte von Herrn I vom 05. Dezember 2005, Herrn S vom 06. Dezember 2005, von dem Gynäkologen Dr. S vom 20. Dezember 2005 sowie der Internistin Dr. A vom 09. August 2006 eingeholt.
Anschließend hat das SG den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem am 23. Februar 2007 nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Januar 2007 fertig gestellten Gutachten hat dieser auf seinem Fachgebiet eine PTBS festgestellt. Diese Gesundheitsstörung sei im Sinne der erstmaligen Entstehung ursächlich auf das Er-eignis vom 03. Januar 2004 zurückzuführen. Die Klägerin habe am Unfalltag die Lei-che des getöteten Mannes gesehen und sei anschließend Ziel der Aggressionen auf-gebrachter Bahnreisender und Autoreisender, die mehr als zwei Stunden hätten war-ten müssen, gewesen. Sie habe sich massiv bedroht gefühlt. Danach habe sich eine PTBS entwickelt mit wiederkehrenden und eindringlich belastenden Erinnerungen an das Trauma in Form von Alpträumen und intrusiven Wiedererinnerungen bei an das Trauma erinnernden Stimuli, Vermeidungsverhalten (Vermeiden der früheren Dienst-stelle im Bahnhof, Vermeidung des Aus- dem- Haus- Gehens, Vermeidung öffentlicher Verkehrsmittel, Vermeidung des Redens über die Ereignisse am Unfalltag, Vermei-dung des Auto- sowie des Eisenbahnfahrens), ausgeprägtem sozialen Rückzug, Auf-gabe wichtiger früherer Aktivitäten (Reisen, Autofahren), Ein- und Durchschlafstörun-gen, vermehrter Schreckhaftigkeit und Gereiztheit, erhöhter Grundanspannung, ver-minderter Merkfähigkeit als Symptome eines erhöhten Arousals, Angst vor Menschen in Menschenansammlungen, psychosomatischer Reaktionen mit Gelenkschmerzen, depressiver Symptomatik in Form von Grübeln und Schuldgefühlen am Tod des Fuß-gängers sowie Konversionssymptomatik in Form der Unfähigkeit, Briefe von Ärzten zu lesen. Unter fortlaufender nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung bis Ende 2006 sei es zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik gekommen. Die Klägerin sei wegen der Folgen des Ereignisses anhaltend arbeitsunfähig gewesen und auch jetzt noch behandlungsbedürftig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei bis zum Ende der Psychotherapie, dem 31. Dezember 2006, mit 40 v. H., danach fortlaufend mit 20 v. H. zu bemessen.
Die Beklagte hat das Gutachten unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des bera-tenden Arztes Dr. B vom 04. April 2007 als nicht nachvollziehbar kritisiert. So fehle das so genannte A-Kriterium für die Diagnose einer PTBS ebenso wie ein intrusives Wiedererleben. Der Gutachter verneine bzw. bagatellisiere Vorerkrankungen bzw. vorbestehende psychische Belastungen, obwohl die Klägerin diese selber aktenkun-dig geschildert habe (Schlafstörungen und Erschöpfungszustand durch jahrelangen Schichtdienst).
Der Sachverständige hat in einer Stellungnahme hierauf vom 02. Juni 2007 seine Be-urteilung aufrecht erhalten. Bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich um ein komplexes Ereignis mit einem komplexen Erleben der Klägerin, das nicht in einzelne Bestandteile auseinander dividiert werden könne bzw. dürfe. Selbst die Be-klagtenseite habe eingeräumt, dass sich der Klägerin mit dem Anblick des vom Zug erfassten Mannes ein grauenhafter Anblick geboten habe. Dass sie selber von dem Anblick nicht bedroht worden sei, spiele keine Rolle. Darüber hinaus sei dieses Be-drohungserleben dann relativ bald nach dem Auffinden der Leiche, als die Klägerin sich in ihrem Arbeitsraum auf dem Bahnhof befunden habe und von wütenden und aufgebrachten Fahrgästen beschimpft sowie handgreiflich bedroht worden sei, gefolgt. Dieses Bedrohungserleben mit dem hilflosen Ausgeliefertsein gegenüber der toben-den Menge könne nicht vom Gesamtkomplex des Unfallereignisses abgelöst werden. Dass die Klägerin selber schildere, der Anblick des Toten sei "nicht so besonders" gewesen und dass sie darüber nicht reden wolle, sei bei ihr Teil einer Vermeidungs-strategie im Rahmen der PTBS. Bei den von der Beklagten angeführten Vorerkran-kungen habe es sich nicht um gravierende psychische Störungen gehandelt, zumal die Diagnosen aus den Vorerkrankungsverzeichnissen zum Teil nicht nachvollziehbar seien. Auch ein intrusives Wiedererleben habe die Klägerin bei seiner Untersuchung geschildert.
Die Beklagte hat ihre Kritik weiter untermauert durch Herreichung von Stellungnah-men der beratenden Ärzte Dr. B vom 16. Juli 2007 und des Neurologen und Psychia-ters Dr. F vom 01. September 2007.
Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 25. April 2008 unter Aufhebung des Be-scheides vom 15. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2005 verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung des Ereignisses vom 03. Ja-nuar 2004 als Arbeitsunfall und einer anhaltenden PTBS als Folge dieses Arbeitsun-falls Entschädigungsleistungen zu gewähren, insbesondere Verletztengeld bis zum Ablauf von 78 Wochen seit dem 04. Januar 2004 sowie für den anschließenden Zeit-raum eine Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE i. H. v. von 40 v. H. bis zum 31. Dezember 2006 und i. H. v. 20 v. H. seit dem 01. Januar 2007. Soweit die Beklag-te meine, bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich deshalb nicht um einen Unfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), weil die Klä-gerin selber nicht betroffen gewesen und der Anblick einer Leiche allgemeines Le-bensrisiko sei, müsse dem widersprochen werden. Bereits die Mitteilung des Unfaller-eignisses als sich ein in ihrem beruflichen Zuständigkeitsbereich ereignet habendes Unglück durch den Triebwagenführer und dann im Folgenden auch der Anblick des Unfallopfers stellten jeweils für sich wie auch als einheitlich zu bewertendes Gesamt-geschehen ohne weiteres ein zeitlich begrenztes äußeres Ereignis und somit ein Un-fallereignis im Rechtssinne dar. Sowohl die Kenntnisnahme von dem Unfall als auch der Anblick des Unfallopfers seien durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin als S-Bahn-Aufsicht erzwungen worden und hätten daher in einem eindeutigen inneren Zu-sammenhang mit dieser Tätigkeit gestanden. Es sei geltendes Recht, dass auch sol-che Risiken vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst seien, denen man auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sei, wenn und soweit sie sich bei der beruflichen Tätigkeit und in einem inneren Zusammenhang zu derselben verwirklichten. Ebenso wenig schließe die Tatsache, dass manche Risiken bestimm-ten beruflichen Tätigkeiten immanent seien, den Schutz der gesetzlichen Unfallversi-cherung aus. Soweit die Beklagte durch ihre beratenden Ärzte Widersprüche zwi-schen den einzelnen Schilderungen der Klägerin geltend mache, sei dies konstruiert und entspreche nicht der Faktenlage. Bereits im W-Klinikum habe die Klägerin ange-geben, die Leiche gesehen zu haben. Wenn jetzt ausgeführt werde, dies sei vielleicht doch nicht der Fall gewesen und die Klägerin habe sich dies nur vorgestellt, handele es sich um bloße Spekulation. Im Übrigen seien der Anblick des Unfallopfers und die Anfeindungen auf dem Bahnsteig durch Fahrgäste als einheitliches Unfallgeschehen zu werten. Das Gericht habe auch keine Bedenken, seiner Entscheidung das einge-holte psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. B zugrunde zu legen. Dieser habe schlüssig und überzeugend alle relevanten Gesichtspunkte für das streitige Vor-liegen einer PTBS geprüft. Die Einwände der Beklagten könnten hingegen nicht über-zeugen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Es fehle an einem hinreichend schweren Ereignis, das zu einer PTBS bei der Klägerin habe führen können. Darüber hinaus fänden sich konkurrierende Ursachen. So seien den Vorerkrankungsverzeich-nissen der Krankenkassen Arbeitsunfähigkeiten wegen akuter Belastungsreaktionen, zerebraler Störungen, Psychosyndrom und depressiver Erschöpfung zu entnehmen. Außerdem sei die Klägerin unmittelbar vor dem Ereignis wegen einer unfallunabhän-gigen psychischen Erkrankung (akute Belastungsreaktion) mehrere Wochen lang ar-beitsunfähig erkrankt gewesen. Im Übrigen bestünden weiter Zweifel an den Sachver-haltsangaben der Klägerin. Es sei beispielsweise schwer vorstellbar, dass die Fahr-gäste unmittelbar nach dem Ereignis handgreiflich geworden und die Klägerin sogar bedroht hätten, obwohl sie den stehenden Zug gar nicht hätten verlassen können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst Auskünfte der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008 und 24. Oktober 2008, denen der für das Eisenbahn-Bundesamt am 23. Februar 2004 er-stellte Unfallbericht beigefügt war, eingeholt. Darüber hinaus hat der Senat Auflistun-gen der behandelnden Ärzte von der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie einen Be-fundbericht des Praxisnachfolgers des Herrn I – Herrn A – vom 05. Mai 2009 nebst Kopien der in seiner Akte befindlichen medizinischen Unterlagen eingeholt. Des Wei-teren hat der Senat die Akte der Staatsanwaltschaft Berlin zum Az. beigezogen sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin eingesehen.
Im Erörterungstermin vom 02. April 2009 hat die Berichterstatterin die Klägerin aus-führlich befragt und den Triebwagenführer U K sowie den Notfallmanager R B als Zeugen zu den Geschehnissen am S-Bahnhof B vernommen. Hinsichtlich des Ergeb-nisses der Befragungen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift sowie der Anla-gen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Anschließend hat der Senat den Arzt für Psychiatrie Prof. Dr. Z mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens betraut. In dem am 23. November 2009 nach einer Untersuchung der Klägerin am 16. November 2009 fertig gestellten Gut-achten ist dieser zu dem Schluss gelangt, das Unfallereignis am 03. Januar 2004 ha-be bei der Klägerin zu einer gut dokumentierten ersten Schockreaktion und anschlie-ßend zu einem Syndrom, das fachkundig und ausführlich niedergelegt und zu Recht mit der Diagnose PTBS gefasst worden sei, geführt. Inzwischen sei die damalige Symptomatik zugunsten einer chronisch persistierenden psychischen Störung zurück-gegangen. Es ließen sich nicht mehr alle Symptome einer PTBS feststellen. Die Klä-gerin lebe seit dem Unfall bis dato durch die resultierende psychische Störung in ihrer Autonomie, was die Berufsausübung sowie die allgemeine Lebensgestaltung angehe, deutlich reduziert und eingeschränkt. Aktuell sei ein psychiatrisches Syndrom zu diag-nostizieren, das nicht mehr eindeutig nur einer psychischen Störung zuzuordnen sei. Es handele sich um ein insgesamt mittelschweres Syndrom mit zwei Schwerpunkten:
- leichte bis mittelschwere depressive Komponente - mittelschwere Angstsymtpomatik.
Der Systematik des ICD-10 folgend müssten aktuell zwei Diagnosen gestellt werden:
- F32.1. bzw. F34.1 für eine mittelgradige depressive Episode und - F 40.1 für eine Agoraphobie mit Panikstörung.
Das Vollbild einer PTBS bestehe nicht mehr bzw. die entsprechenden Kriterien seien nicht mehr eindeutig erfüllt. Früher hätten diese aber zweifellos vorgelegen. Hier seien aktuell zu nennen: Nachhallerinnerungen, Vermeidung von an den Unfall erinnernden Situationen und in entsprechenden Situationen Angst bis zur Panik. Weiterhin ließen sich ein chronischer Rückzug aus altersgemäßen und früher praktizierten Aktivitäten und ein ausschließlicher Bezug auf ein enges soziales Umfeld feststellen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die nunmehr noch vorliegenden Störungen ausschließlich durch den streitigen Unfall verursacht worden seien. Konkrete und gravierende potentielle Faktoren, die als unfallunabhän-gige Ursachenfaktoren in Frage kämen, seien hier nicht nachgewiesen. Die von der Klägerin erlebte Situation erfülle im Übrigen das so genannte A-Kriterium für eine PTBS. Ausdrücklich seien in der ICD-10 auch "ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer" benannt. Diese Einschätzung sei auch von den ähnlich formulierten Beschreibungen in der DSM-IV gedeckt, in denen explizit " die Beo-bachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person." genannt sei. Das so genannte A2-Kriterium sei ebenfalls sicher erfüllt, da die dort beschriebene psychische Reaktion – "die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen" – auf die Klägerin zutreffe. Überdies sei im Einzelfall zu bestimmen, wie der Betroffene subjektiv das Ereignis erlebt habe, zumal es kaum je endgültig gelingen könne, hier allein objektive Kriterien zu finden. Wie die von der Klägerin immer wieder berichtete Konfrontation mit aufgebrachten Fahrgästen tatsächlich verlaufen sei, lasse sich an-hand der Akten offenbar nicht sicher rekonstruieren. Die in solchen Situationen stets entstehende Unübersichtlichkeit der Situation möge im Zusammenhang mit der Schockreaktion der Klägerin wohl zu subjektiven Färbungen geführt haben. Dies sei aber aus psychiatrischer Sicht für die Beantwortung der Beweisfragen nicht relevant, da die objektivierbaren Aspekte des Unfallereignisses und die Reaktion der Klägerin vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung bis dahin die entscheidenden Faktoren und Kriterien für die Bewertung beinhalteten. Hinsichtlich der MdE hat sich der Sachver-ständige den Bewertungen des Dr. B angeschlossen. Dem Gutachten ist eine Be-scheinigung des ehemals behandelnden Gynäkologen Dr. S vom 26. Juni 2009 beige-fügt worden.
Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellung-nahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. S vom 22. Januar 2010 entgegen getreten. Unter Bezugnahme auf die Zeugenvernehmung des Trieb-wagenführers vom 02. April 2009 halte sie es für erwiesen, dass die Klägerin das Un-fallopfer nicht gesehen habe. Weder das A1- noch das A2-Kriterium für eine PTBS seien erfüllt. Eine psychische Initialreaktion sei nicht belegt. Das eingeholte Gutachten weise formale und inhaltliche Mängel dergestalt auf, dass keine Diagnosen begründet würden, dass eine Beschwerdeverdeutlichung nicht ausgeschlossen werde, obwohl der Aktenverlauf erhebliche Bedenken vorgebe. Die Ausführungen zur Kausalität könnten nicht überzeugen, weil maßgebliche Vorerkrankungen nicht in die Kausali-tätsdiskussion eingeflossen seien. Eine Agoraphobie und/oder Panikstörung könne aus fachärztlicher Sicht keine Unfallfolge sein, da es sich um anlagebedingt auftreten-de psychische Störungen handele. Eine Umwandlung von (angenommenen) unfallbe-dingten psychischen Störungen in eine Agoraphobie und/oder Panikstörung sowie Depression sei wissenschaftlich nicht belegt.
Der Sachverständige hat hierzu ergänzend unter dem Datum vom 09. Mai 2010 Stel-lung genommen und klarstellende Fragen des Gerichts beantwortet. Er hat die Kritik der Beklagten bzw. ihres beratenden Arztes zurückgewiesen. Er hat u. a. ausgeführt, entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin unabhängig davon, ob sie den Unfallhergang gesehen habe, den Unfall "miterlebt", denn sie sei am Unfallort gewesen, habe die entsprechenden Ansagen, Hinweise und Folgen erlebt, phasen-weise sogar das Geschehen selber mit gesteuert. Eine direkte Wahrnehmung des Leichnams sei aus seiner fachärztlichen Sicht zur Erfüllung des A-Kriteriums nicht er-forderlich. Es bedürfe darüber hinaus nicht zwingend einer von außen wahrgenom-menen Initialreaktion. Nach der noch gültigen ICD-10 sei ein zeitliches Intervall von sechs Monaten nach dem Trauma als "Sollbestimmung" aufgeführt. Im Übrigen sei eine frühe spezifische Reaktion ärztlich dokumentiert.
Die Beklagte hat zwei weitere Stellungnahmen des beratenden Arztes Prof. Dr. S vom 24. Juni 2010 und 18. Oktober 2010 vorgelegt.
Der Senat hat noch den Rettungsdienst-Einsatzbogen der B Feuerwehr vom 03. Ja-nuar 2004 beigezogen und bei der Bundespolizei – erfolglos – nach ihren Ermittlungs-unterlagen zum streitigen Ereignis angefragt (telefonische Negativanzeige der Bun-despolizei vom 17. März 2011).
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Gz. ) sowie die Akten der Staatsan-waltschaft Berlin (Az. ) verwiesen, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Die erstinstanzliche Ent-scheidung war insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Gewährung von "Entschädi-gungsleistungen", insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente verurteilt worden ist. In diesem Umfang war demnach auch die Klage abzuweisen. Darüber hinaus ist die zulässige Berufung der Beklagten unbegründet.
Die Berufung ist teilweise begründet, weil Streitgegenstand der Klage (und der Beru-fung) lediglich die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall sowie von Unfallfolgen ist. Nur hierüber hat die Beklagte in ihrem angefochtenen Be-scheid vom 15. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2005 entschieden. Eine Verwaltungsentscheidung zur Frage der Gewährung von Ver-letztengeld bzw. von Verletztenrente liegt nicht vor, insoweit war die Klage demnach unzulässig.
Das Ereignis vom 03. Januar 2004 ist aber entgegen der Auffassung der Beklagten als Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen. Darüber hinaus resultieren aus diesem Arbeitsunfall bis dato Gesundheitsschäden in Form einer mittelgradigen de-pressiven Episode und einer Agoraphobie mit Panikstörung als Residuen einer PTBS. Diesen Anspruch kann die Klägerin zulässigerweise im Wege der Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) verfolgen.
Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicher-ten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Er-eignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haf-tungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewäh-rung einer Verletztenrente (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04. Septem-ber 2007 - B 2 U 28/06 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).
Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derje-nigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwi-schenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglich-keit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R – in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Ver-sicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfall-merkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnis-ses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).
Hiervon ausgehend ist der Senat in dem nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG gebotenen Maß davon überzeugt, dass die Klägerin am 03. Januar 2004 während ihrer versi-cherten Tätigkeit gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als S-Bahnaufsicht am S-Bahnhof B C das Unfallopfer gesehen und anschließend auf dem Bahnsteig Anfeindungen und Handgreiflichkeiten durch unzufriedene Reisende ausgesetzt war.
Die Klägerin hat von Anfang an, insbesondere bereits wenige Stunden später am sel-ben Tag, noch unter dem vollen Eindruck der Ereignisse stehend im W-Klinikum an-gegeben, das Unfallopfer gesehen zu haben. Hiervon ist sie zu keinem Zeitpunkt ab-gerückt. Dass ihre Aussage bei der Polizei vom 14. Januar 2004 keine derartige ex-plizite Angabe enthält, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, sie habe dort das Gegen-teil gesagt. Im Rahmen ihrer dortigen Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfah-ren gegen den Triebwagenführer wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung war der Umstand, ob sie das Unfallopfer gesehen hatte oder nicht, nicht von Bedeutung. Immerhin hat die Klägerin auch dort betont, sie habe dem Opfer Hilfe leisten wollen und habe den Bahnhof verlassen. Ein Anblick des Unfallopfers bleibt hierbei offen. Es ist letztlich kein Grund erkennbar, weshalb die Klägerin bzgl. des Anblicks des Unfall-opfers von Anfang an etwas Falsches oder Eingebildetes erzählt haben sollte. Schließlich ist es unzutreffend, dass – wie der Zeuge K bei seiner Befragung durch das Gericht am 02. Januar 2009 angegeben hat – das Unfallopfer auf der linken Seite des Zuges lag. Die Lektüre des Ermittlungsberichts des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004 und die Betrachtung der von der Polizei gefertigten Fotos des Un-fallortes zeigen, dass das Opfer - das ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Bahnübergang und der Zugspitze unter dem Zug lag und nicht neben dem Zug - zu-mindest wenn man sich bückte, von der rechten Seite des Zuges aus zu sehen ge-wesen sein muss und zwar wahrscheinlich besser als von der linken Seite, da dort die stromführende Schiene davor lag. Wie aus seinen weiteren Angaben hervorgeht, wusste der Zeuge K selber nicht, mit welchem Teil des Zuges er das Opfer getroffen hatte und wo sich das Opfer nach dem Zusammenprall und anschließendem Mit-geschleiftwerden befand. Er selbst hat den Verunglückten nicht gesehen (und wohl auch nicht nach ihm Ausschau gehalten), sondern war ganz und gar damit beschäf-tigt gewesen, alles Notwendige zu veranlassen und alsbald mit Hilfe des im Bahnhof aufbewahrten mobilen Kurzschließers den Strom komplett abzuschalten. Ob die Klä-gerin das Unfallopfer gesehen hat, konnte er bei seiner Befragung als Zeuge am 02. April 2009 nicht sagen. Letztlich stützen die Angaben des Zeugen K zur Überzeugung des Senats aber bei Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten, wonach das Opfer nicht unter dem Triebwagen, sondern unter dem zweiten Wagen hinter dem Drehgestell aufgefunden wurde, die Schilderung der Ereignisse durch die Klägerin, insbesondere deren Angabe, den Bahnhof verlassen zu haben, um dem Unfallopfer zu helfen und bei ihrer Suche das Unfallopfer auch tatsächlich gesehen zu haben. Denn der Zeuge hat bestätigt, nach Verlassen des Führerstandes auf seinem Weg zur Bahnhofsaufsicht die mit der Taschenlampe ausgerüstete Klägerin, die den Zug auf dessen rechter Seite in Richtung Führerstand abschritt, außerhalb des Bahnhofs im Gleisbereich getroffen und zur Umkehr veranlasst zu haben, da er dringend den Kurzschließer benötigte. Dass er nicht bestätigen konnte, dass die Klägerin das Opfer gesehen hat, ist nach den aus der von der Polizei gefertigten Unfallskizze ersichtli-chen örtlichen Gegebenheiten, wonach die Klägerin schon vor dem Zusammentreffen das Opfer hat erblicken können, und seiner Konzentration auf die vollständige Ab-schaltung des Stroms nicht weiter verwunderlich. Zudem bleiben die Angaben der Klägerin im Kern über die Jahre und die Befrager (behandelnde Ärzte, Arbeitgeber, Beklagte, Polizei, Sachverständige, Gericht) hinweg konsistent. Sie hat die Nachricht vom Unfall vernommen, die vorgeschriebenen Diensthandlungen ausgeführt und sich auf den Weg zum Unfallort begeben. Angaben über das Chaos im Bahnhof sind erstmals bei den Gutachterinnen für die Rentenversicherung im September 2004 ge-macht worden, sie ist zuvor jedoch nie über das Gesamtgeschehen befragt worden. Zeugenaussagen, die ihre Angaben bzgl. des Anblicks des Toten oder der Bedro-hungen, Beschimpfungen und allgemeinen Bedrängung auf dem Bahnhof stützen könnten, liegen bis auf die Aussage des Triebwagenführers und Zeugen K vom 02. April 2009, es sei "ziemlich turbulent" gewesen, nicht vor. Es entspricht jedoch der allgemeinen Lebenserfahrung im Berliner Nahverkehr, dass es bereits nach kurzen Verzögerungen und erst recht bei lang andauernden Sperrungen zu Beschimpfungen und auch zu Handgreiflichkeiten kommt. Dies ist im vorliegenden Fall aufgrund der räumlichen Lage des Unfallortes in besonderem Maße nachvollziehbar. Hier war über Stunden der Bahnübergang und damit die B C für Autos, Fußgänger, Fahrradfahrer und sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel gesperrt. Dies musste zu großen Umwegen und Behinderungen im Verkehr zwischen M und L führen, da ein weiterer Übergang über die S-Bahn-Trasse sich nicht in unmittelbarer Nähe befindet.
Von diesem tatsächlichen Hergang der Geschehnisse ausgehend hat die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten. Die Eindrücke binnen der einen Stunde und zehn Minuten, während derer die Klägerin ihre Arbeit verrichtet hat – die mündliche Nachricht von einem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, be-drohenden und beschimpfenden Fahrgästen – wirkten auf die Klägerin geistig-seelisch ein. Dies gilt letztlich auch für den Fall, dass die Klägerin das Unfallopfer tat-sächlich gar nicht gesehen, sondern nur gesucht haben sollte. Es handelte sich zwar um einen im Rahmen der normalen Dienstpflichten einer S-Bahn-Aufsicht liegenden Geschehensablauf, er war jedoch ungewöhnlich bzw. außergewöhnlich in dem Sinne, dass er nicht alltäglich vorkam und keinen normierten Geschehensablauf beinhaltete. Die Ereignisse führten auch zu einer vermehrten Anspannung i. S. v. Stress. Diese geistig-seelische Einwirkung stellte ein zeitlich begrenztes (über annähernd 1,5 Stun-den innerhalb einer Arbeitsschicht), von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar.
Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stol-pern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das BSG (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 35/87 - in SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstren-gung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Haus-schlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Recht-sprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die An-nahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umstän-den beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranla-gung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (vgl. Urteile des BVerwG vom 24. Oktober 1963 - II C 10.62 – in BVerwGE 17, 59, 61; vom 09. April 1970 - II C 49.68 - in BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwillig-keit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSG SozR 2200 § 1252 Nr. 6). Hiervon zu unterschei-den sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Keller in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Randnr. 14 zu § 8). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen un-bestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juni 1981 - 2 RU 61/79 - in SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Gegebenen-falls genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (vgl. Urteil des BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 - 2 RU 189/59 - in SozR Nr 61 zu § 542 RVO; vom 02. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R - in VersR 2000, 789; Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 24 zu § 8). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur als Fallkonstellationen u. a. Geisel-nahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kolle-gen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. Ricke in Kasseler Kom-mentar a. a. O.; Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 – in SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 39; Dr. Manfred Benz "Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzli-chen Unfallversicherung" in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10). Zutreffend führt Krasney (in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Kommentar zum SGB VII, Stand Januar 2010, Randnr. 8 zu § 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders Ungewöhn-liches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein. Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stol-pern vom normalen Gehen. Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (vgl. Urteil des Oberverwaltungs-gerichts (OVG) Schleswig-Holstein vom 26. November 1993 - 3 L 99/93 - zitiert nach Juris). Wendet man dies auch auf den Fall einer rein geistig-seelischen Einwirkung ("psychisches Trauma") an, so sollte zumindest eine besondere psychische Anspan-nung und eine dadurch bedingte Stresssituation verlangt werden (vgl. Keller in Hauck/Noftz, a. a. O. Randnr. 11 zu § 8 unter Verweis auf ein Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 8/96 – in HVBG-Info 1997, 1279 ff). Bisher ist keine Untergrenze für die für ein psychisches Trauma notwendigen Einwirkungen von der Rechtspre-chung herausgearbeitet worden. Es dürfte auch fraglich sein, ob hier angesichts der Tatsache, dass es keine Normen für seelisches Verhalten gibt, ein generalisierender Maßstab überhaupt praktikabel ist (vgl. hierzu Jens Düsel in "Die Sicherung von Ar-beitnehmerrechten", 2008, S. 75 ff, S. 86).
Bei der Klägerin ist darüber hinaus ein Gesundheitsschaden eingetreten. Das Unfall-ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfordert keine körperlich-organische Schädigung. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII spricht ohne Einschränkung von "Gesund-heitsschäden". Daraus folgt, dass auch wenn sich die Schädigung nur im psychi-schen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfaller-eignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein "regelwidriger Kör-per- und Geisteszustand", worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10).
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Un-fallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfä-higkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, son-dern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dorti-gen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnosti-sches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiat-rischen Vereinigung - Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versi-cherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Be-gründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlos-sen.
Eine solche psychische Störung ist hier anhand der Angaben der Klägerin im W-Klinikum diagnostiziert worden als "akute Belastungsreaktion" (ICD-10: F43.0). Diese Diagnose ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deswegen falsch, weil die Klägerin bei den Untersuchungen im W-Klinikum um 18:04 und 19:30 Uhr ruhig, ge-ordnet und orientiert wirkte. Im Bereich der psychischen Störungen beruht eine Diag-nosefindung maßgeblich auf der Schilderung des Erlebten und Empfundenen durch die Betroffenen (so letztlich auch Prof. Dr. K. Foerster "Die psychoreaktiven Störun-gen – auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema", in: Der me-dizinische Sachverständige 2010, S. 16 ff, 16/17). Diese ist natürlich auf Wider-sprüchlichkeiten, Aggravation und Simulation hin zu prüfen. Besteht hierfür im Rah-men der Gesamtsituation jedoch kein Anhaltspunkt, kann ein Zweifel an der Richtig-keit der medizinischen Diagnose insbesondere angesichts der Wechselhaftigkeit und Unnormiertheit psychischer Verhaltensweisen zur Überzeugung des Senats nicht fachgerecht geäußert werden. Die Klägerin hatte im W-Klinikum geschildert, zunächst gut funktioniert zu haben, dann plötzlich Kreislaufprobleme und Derealisationserleben verspürt zu haben. Sie wurde von der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht. Zwar enthält der Rettungsdienst-Einsatzbogen der Berliner Feuerwehr lediglich den Ver-merk "Schock", es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Feuerwehr eine völlig normal erscheinende Person ins Krankenhaus transportiert. Bei Dr. H und A. K-E (Begutachtung am 08. September und 01. Oktober 2004) schilderte die Klägerin de-taillierter "sie habe geweint und nicht mehr schreiben und telefonieren" können. Bei der stationären Reha-Maßnahme in den V-Kliniken in B M sagte sie im Mai 2005, "sie habe unter starker Anspannung gestanden, die schließlich so hoch gewesen sei, dass sie einen am Telefon erhaltenen Befehl nicht mehr habe ausführen können, zu-dem habe sie aufgrund von Sehstörungen auch nicht mehr lesen können". Bei Dr. B am 29. Januar 2007 hieß es: "Irgendwann habe sie ihren Dienst dann nicht mehr ma-chen können, sie habe nichts mehr verstanden, auch nichts mehr sehen können". Die weiteren Schilderungen (vor dem Gericht am 02. Januar 2009 sowie bei Prof. Dr. Z) sind ähnlich. Dr. I berichtete bezüglich der ersten Vorstellung nach dem Ereignis am 05. Januar 2004: "Im Gespräch war sofort deutlich, dass die Klägerin unter Schock stand. Sie wies Zeichen der psychischen Dekompensation auf (Weinen, motorische Unruhe, Blässe)". Laut ICD-10 wird die Diagnose "akute Belastungsreaktion" F43.0 definiert als eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht mani-fest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechseln-des Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer gewissen Bewusstseins-einengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verar-beiten und Desorientiertheit. Die Symptome erscheinen im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Ta-gen, oft innerhalb von Stunden zurück. Angesichts dieser Anforderungen an die Di-agnose F43.0 äußern nachvollziehbar weder der Sachverständige Dr. B noch der Sachverständige Prof. Dr. Z Zweifel an deren Richtigkeit, so dass ein Gesund-heits(erst)schaden zu bejahen ist. Dabei ist zu bedenken, dass im Rahmen der Frage einer Traumatisierung nicht irgendeine Form "objektiver" Belastung entscheidend ist, sondern maßgeblich vielmehr ist, dass ein Ereignis tatsächlich als belastend erlebt wird (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 16/17).
Dieser Gesundheits(erst)schaden ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursäch-lich auf das Gesamtereignis vom 03. Januar 2004 (die mündliche Nachricht von ei-nem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, be-drohenden und beschimpfenden Fahrgästen) zurückzuführen. Hierfür ist zunächst zu prüfen, welche Ursachen für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die ver-sicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstö-rungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – a. a. O.). Basis dieser Beurteilung müs-sen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Er-krankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheits-störungen sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis-standes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfin-dung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke ins-besondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z. B. Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2008). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemein-schaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berück-sichtigen (hier insbesondere "Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychi-scher Traumatisierung" AWMF-Leitlinien-Register 051/027 von Mai 2008 sowie "Post-traumatische Belastungsstörung" AWMF-Leitlinien-Register 051/010 von Januar 2011, veröffentlicht unter www.awmf.org). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentli-chungen. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versi-cherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. Eine bloße Litera-turauswertung seitens des Gerichts genügt zur Feststellung des aktuellen wissen-schaftlichen Erkenntnisstandes allerdings in der Regel nicht, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt. Vielmehr ist die Klärung des der Ursa-chenbeurteilung zugrunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstan-des in der Regel im Rahmen eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. An-dererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Er-kenntnisstand auszugehen sein. Auf der Grundlage der aktuellen Diagnoseschlüssel ICD-10, der aktuellen AWMF-Leitlinie Registernr. 051/027 sowie der Sachverständi-gengutachten der Dr. B und Prof. Dr. Z vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 ist die Diagnose gesichert, das Ereignis als "Trauma" zur Hervorrufung einer akuten Belastungsreaktion geeignet, im konkreten Falle der Klägerin anhand von Ak-tenlage, Anamnese und Befund der Ursachenzusammenhang zu bejahen und kon-kurrierende Ursachenfaktoren zu verneinen.
Über die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall hinaus sind zur Überzeugung des Senats auch dauerhafte Unfallfolgen festzustellen und zwar jetzt noch – dem ausführlichen, fachgerechten und nachvollziehbaren Gutach-ten des Prof. Dr. Z folgend – eine mittelgradige depressive Episode (F32.1 bzw. F34.1) sowie eine Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) als Residuen einer PTBS (F43.1). Dies beruht auf den fachkundigen Gutachten des Prof. Dr. Z vom 23. No-vember 2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 09. Mai 2010 sowie des Dr. B vom 23. Februar 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 02. Juni 2007. Die Einschätzungen der Sachverständigen bezüglich des Bestehens einer PTBS stehen wiederum in Einklang mit den diagnostischen und kausalen Erwägungen bzw. Ein-schätzungen der Gutachterinnen im rentenversicherungsrechtlichen Verwaltungsver-fahren Dr. H und A. K-E (Gutachten vom 21. Dezember 2004) sowie der Behandler in den V-Kliniken in BM im Jahr 2005.
Die akute Belastungsreaktion F43.0 kann in eine akute PTBS F 43.1 und andere chronische Traumafolgestörungen übergehen (vgl. AWMF-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung", Leitlinien-Register Nr. 051/027). Dementsprechend geht auch der DSM-IV TR davon aus, dass die Störung (d. h. die PTBS) häufig als unmittelbare Reaktion auf das Trauma anfänglich die Kri-terien er akuten Belastungsstörung (Diagnose nach DSM-IV Nr. 308.3) bzw. akuten Belastungsreaktion erfüllt. Ab einer Symptomdauer von drei Monaten ist die Diagnose einer chronischen PTBS zu verwenden. Auch subsyndromale Störungsbilder können behandlungsbedürftig sein (aus: AWMF-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von a-kuten Folgen psychischer Traumatisierung", Leitlinien-Register Nr. 051/027).
Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubt sein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Er-innerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Ver-lauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet wer-den. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Nach der AWMF-Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung" Leitlinien-Register Nr. 051/010 ist die PTBS eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumati-scher Ereignisse (wie z. B. Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, auch in der Kindheit (so genannter sexueller Missbrauch), Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzent-rationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit), die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch:
• sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Intrusionen) oder Erinnerungslücken (Bilder, Alpträume, Flashbacks, partielle Amnesie), • Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli), • Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen) und • emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teil-nahmslosigkeit).
Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z. T. mehrjähriger) Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (verzögerte PTBS).
Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV TR Nr. 309.81 der PTBS lauten:
A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die bei den folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Per- sonen beinhalteten. 2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen: 1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können,
2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis, 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxika- tion auftreten), 4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externa- len Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern, 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hin- weisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitä- ten 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden) 7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft.
D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (d. h. Erregung) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche 3. Konzentrationsschwierigkeiten 4. Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit) 5. Übertriebene Schreckreaktionen.
E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat.
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beein- trächtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Ausgehend von diesen Kriterien haben die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z in ihren Gutachten vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 sowie ihren Stel-lungnahmen vom 02. Juni 2007 und 09. Mai 2010 ausführlich, fachkundig und nach-vollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin die Diagnosekriterien einer PTBS nach dem DSM-IV TR und dem ICD-10 in der Vergangenheit, auf jeden Fall zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B am 29. Januar 2007, vorlagen. Sie haben überein-stimmend dargetan, dass der Anblick des schwer verletzten Unfallopfers und die (zumindest empfundene) Bedrohung auf dem Bahnsteig das A1-Kriterium des DSM-IV TR (" erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen kon-frontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Ge-fahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen be-inhalteten.") erfüllen. Prof. Dr. Z hat darüber hinaus unter Rückgriff auf den DSM-IV TR darauf hingewiesen, dass das A1-Kriterium auch für den Fall erfüllt ist, dass man mit der Beklagten davon ausginge, die Klägerin habe das Unfallopfer selber nicht gesehen. Die darüber hinausgehende Kritik der Beklagten bezüglich der Erfül-lung des A1-Kriteriums befasst sich allein mit der allgemeinen Problematik des Er-krankungsbildes "PTBS", so wie sie beispielsweise in Schönberger/Mehrtens/Valentin unter 5.1.3 auf S. 144 angesprochen wird. Sie ignoriert aber weitgehend die aktuelle AWMF-Leitlinie und die Kriterien des DSM-IV TR. Für die Entwicklung einer PTBS ist jedoch aus medizinischer Sicht letztlich die subjektive Reaktion von wesentlicher Be-deutung, z. B. ob das Ereignis als lebensbedrohlich gewertet wurde, ob eine physi-sche Verletzung befürchtet wurde und wie stark Angst oder Hilflosigkeit auftraten. Der erlebte Verlust der Kontrolle über eine Situation ist von maßgeblicher Bedeutung. Daher ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung des Ereignisses neben dem Auftreten von posttraumatischen Dissoziationen der wesentliche Faktor für die Ent-stehung einer PTBS, wahrscheinlich wichtiger als die objektiven Parameter des Traumas (so Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18). Letztlich stützt sich die Diagnose einer PTBS ganz wesentlich auf die Angaben des Betroffenen, weswegen die Prüfung auf Widersprüchlichkeiten und Simulation unerlässlich ist (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 19). Und gerade insoweit ist die Kritik der Beklagten an der Diagnosefindung durch die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z ebenso wie durch das Team der Behand-ler in den V-Kliniken oder die Sachverständigen im Rentenverfahren Dr. H /A. K-E unzulänglich, denn sie basiert nicht auf einer persönlichen Befunderhebung auf der Grundlage eines diagnostischen Gesprächs mit der Klägerin.
Auch das A2-Kriterium wird von den Sachverständigen bejaht, rekurrierend auf die Schilderung der Klägerin (Weinen nach Anblick des Opfers, Ratlosigkeit und Hilflo-sigkeit angesichts des Verhaltens der Menschen auf dem Bahnsteig und im Zug, Un-fähigkeit Anweisungen auszuführen).
Das B-Kriterium wird z. B. in Form der für die ersten Jahre nach dem Ereignis ge-schilderten wiederkehrenden Erinnerungen an das Aufsuchen des Opfers, die Reak-tionen der Fahrgäste, des Bestürmtwerdens und Bedrohtwerdens zu unterschiedli-chen Zeiten (vgl. das Gutachten der Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004), der im-mer noch plötzlich auftretenden Erinnerungen, wenn sie z. B. das Wort "S-Bahn" hört (vgl. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z) und wiederkehrenden Alpträumen (vgl. den Entlassungsbericht der V-Kliniken vom 05. Juli 2005: unfallbezogene Alpträume; Gut-achten von Dr. B vom 23. Februar 2007: Träume von Rädern und Köpfen; Gutachten von Prof. Dr. Z vom 23. November 2009; Träume von Menschenköpfen neben Rä-dern) bejaht.
Das C-Kriterium liegt ebenfalls vor, z. B. aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin angibt, entweder in der Vergangenheit oder noch den alten Arbeitsplatz zu meiden, generell Bahnen zu meiden, deutlich weniger sonstige Aktivitäten wie Reisen oder Autofahren zu unternehmen, nicht mehr zu reiten, kein Squash mehr zu spielen, we-niger Freunde zu haben und ein Gefühl der Unwirklichkeit nach dem Ereignis zu emp-finden (vgl. die Schilderung der "aktuellen Beschwerden" im Gutachten der Dr. H/A. K-E, S. 5 des Gutachtens von Dr. B und z. B. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).
Zum D-Kriterium wird verwiesen auf z. T. in der Vergangenheit liegende Einschrän-kungen/Beschwerden wie ein erhöhtes Anspannungsniveau und Ein- und Durch-schlafschwierigkeiten sowie erhöhte Schreckhaftigkeit bzw. noch anhaltende Kon-zentrationsschwierigkeiten und Schwierigkeiten, länger zu lesen (vgl. z. B. S. 4 des Gutachtens von Dr. B sowie S. 8 und 20 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).
Diese PTBS ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf das Unfallereignis zurück-zuführen. Soweit die Beklagte immer wieder darauf verweist, dass die Klägerin be-reits in denn zurückliegenden Jahrzehnten und insbesondere genau vor dem Ereignis aufgrund psychiatrischer Diagnosen arbeitsunfähig erkrankt war, folgt daraus nicht, dass die PTBS wesentlich auf andere Faktoren (also eine vorbestehende Erkrankung oder eine Krankheitsanlage, die so leicht ansprechbar war, dass die PTBS wesentlich darauf zurückzuführen und das Ereignis nur als "Auslöser" fungiert hat) ursächlich zu-rückzuführen wäre. Insbesondere die sich aus den SVAs sowie den Vorerkrankungs-verzeichnissen der Bahn- BKK bzw. der AOK B ergebenden Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 15. August 1985 bis zum 20. November 1985, vom 23. April 1986 bis zum 25. April 1986, vom 13. August 1986 bis zum 19. Februar 1987 sowie vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 sind in Zusammenhang mit belastenden Lebensereig-nissen wie Schwangerschaftsunterbrechung, Scheidung, Übersiedelung nach West-Berlin und Verdacht auf ein bösartiges Tumorleiden der Brust zu sehen. Gerade das einschneidende Ereignis der Übersiedelung nach West-Berlin relativ kurz nach der Scheidung und ohne Kinder hat nach eigenen Angaben der Klägerin zu Erschütte-rungen in ihrem Leben geführt, ist jedoch gut bewältigt worden. Denn die Klägerin hat den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten, einen Freundeskreis aufbauen und in ihren angestammten Beruf zurückkehren können. Hinweise für eine manifeste psychische Erkrankung vor dem Arbeitsunfall lassen sich den Vorerkrankungsverzeichnissen – wie sowohl Dr. B als auch Prof. Dr. Z nachvollziehbar ausführen – nicht entnehmen, auch hat die Beklagte eine solche nicht aufzeigen können.
Eine Prüfung auf Simulation wie bei Prof. Dr. Foerster in seinem bereits in Bezug ge-nommenen Aufsatz vorgeschlagen (S. 19), ist von Prof. Dr. Z ebenfalls erfolgt (vgl. S. 19, 21 und 38 des Gutachtens). Die Klägerin hat keinen spezifischen Wortschatz verwendet, der auf eine vorherige Auseinandersetzung mit der Literatur zur PTBS schließen lassen könnte. Sie hat außerdem situationsadäqaut agiert und Emotionen gezeigt. Im Sinne der Empfehlungen von Prof. Dr. Foerster sprechen im Übrigen fol-gende Umstände gegen eine Simulation: vegetative Erregung und emotionale An-spannung sind beim Bericht eines Flashbacks in der Untersuchungssituation direkt beobachtbar (so auf S. 20 und 21 des Gutachtens von Prof. Dr. Z und im psychopa-thologischen Befund des Gutachtens von Dr. H/A. K-E), Selbstvorwürfe werden ge-schildert (so u. a. auf S. 5 des Gutachtens von Dr. B), es sind frühzeitige Therapie-bemühungen erfolgt und die Symptomatik fluktuiert, insbesondere wird selber eine Besserung infolge Therapie geschildert (vgl. die Angaben der Klägerin bei Prof. Dr. Z und auch schon bei Dr. B).
Inzwischen besteht bei der Klägerin – wie Prof. Dr. Z darlegt – nicht mehr das Vollbild einer PTBS. Auch die inzwischen nur noch vorliegenden Residuen der PTBS in Form von depressiven Episoden und einer Angststörung sind wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Hierzu hat Prof. Dr. Z in seinem Gutachten vom 23. No-vember 2009 sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09. Mai 2010 fachge-rechte und überzeugende Darlegungen gemacht. So hat er ausgeführt, das noch ver-bliebene Krankheitsbild sei am ehesten als partielle oder subsyndromale PTBS zu qualifizieren, die allerdings im ICD-10 als Diagnose nicht enthalten sei. Er verweist hierzu unter Zitathinweis auf die aktuelle wissenschaftliche Diskussion, die sich auch in der aktuellen Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1" (AWMF-Register 051/010) - insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leit-linien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter "3. Grundsätzliche Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Diagnostik bei PTBS 3.1 Schwierigkeiten bei der diagnostischen Zuordnung" – sowie z. B. im Aufsatz von Prof. Dr. Foerster (a. a. O. S. 19) widerspie-gelt. Die im Grunde unspezifische Symptomatik der PTBS (vgl. hierzu u. a. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18) umfasst sowohl Elemente der Angst als auch der Depression (beispielsweise im so genannten C-Kriterium), darüber hinaus sind Angststörungen und Depressionen häufig als komorbide zu beobachten (vgl. die aktuelle Leitlinie "Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1" (AWMF-Register 051/010) - insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leitlinien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter "Übersicht traumreaktiver Entwicklungen" und unter "5. Erfassung rele-vanter Komorbidität"). Soweit für die Beklagte Prof. Dr. S in seinen Stellungnahmen vom 22. Januar 2010 und 24. Juni 2010 behauptet, eine Agoraphobie und/oder Pa-nikstörung sei niemals Unfallfolge, denn nach medizinischem Kenntnisstand und zahlreichen epidemiologischen Studien handele es sich um anlagebedingte Störun-gen, bleibt er hierfür eine Begründung schuldig.
Nach alldem war zwar der Berufung insoweit stattzugeben, als die Beklagte durch das SG zur Gewährung von Leistungen verurteilt worden ist. Im Übrigen jedoch ist das erstinstanzliche Urteil im Kern zu bestätigen. Auch wenn aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Verurteilung der Beklagten auf Gewährung von Leistungen ausscheidet, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilungen der Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z hinsichtlich der Höhe der MdE an den geltenden Erfahrungswer-ten in der unfallmedizinischen Literatur (vgl. z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O. Nr. 5.1.16 S. 156f) orientieren, wobei ggf. eine weitere Besserung der Beeinträchti-gungen nach dem 16. November 2009 zu berücksichtigen bleibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Antrag auf Gewährung von Leistungen erfolglos geblieben ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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