L 1 KR 510/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1476/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 510/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2008 geändert. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) seit dem 1. Oktober 2006 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch unterliegt. Die Berufung der Beigeladenen zu 1) und 2) wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beigeladene zu 1) in dem Zeitraum ab dem 1. Oktober 2006 rentenversicherungspflichtig bei der Beigeladenen zu 2) beschäftigt gewesen ist.

Die im Jahre 1972 geborene Beigeladene zu 1) war nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann seit dem 1. Februar 1995 bei der Barmer Ersatzkasse als versicherungspflichtig Beschäftigte der Beigeladenen zu 2) gemeldet. Diese betreibt eine Druckerei; der Vater der Beigeladenen zu 1) war bis zum 31. Dezember 2010 Alleingesellschafter. Seit dem 1. Januar 2011 hält die Beigeladene zu 1) 25 vom Hundert der Gesellschaftsanteile. Ihr Vater ist aber alleiniger Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2) geblieben.

Am 13. Juni 2006 wählte die Beigeladene zu 1) zum 1. Oktober 2006 die Mitgliedschaft bei der Beklagten. Die Beigeladene zu 2) bat parallel dazu (im Juli 2006) die Beklagte um eine Überprüfung der sozialversicherungspflichtigen Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) und legte dazu (u.a.) einen Feststellungsbogen mit Angaben zu dem Beschäftigungsverhältnis vorgelegt. Danach leite die Beigeladene zu 1) für ein Gehalt von monatlich 1.986,- Euro den gesamten kaufmännischen Teil der Firma. Ihr Vater beschränke sich auf die technischen Belange im Unternehmen, es sei vereinbart, dass sie den väterlichen Betrieb mittelfristig fortführen solle.

Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 15. August 2006 zu der von ihr beabsichtigten Feststellung an, dass die Beigeladene zu 1) nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe. Durch Schreiben vom 13. September 2006 wies die Klägerin darauf hin, dass sie diese Auffassung nicht teile. Bereits vorher hatte die Beklagte durch Bescheid vom 7. September 2006 festgestellt, dass das Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 1) nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- sowie Pflegeversicherung unterliege und die zum 1. Oktober 2006 begründete Mitgliedschaft in einem Tarif für Selbständige geführt werde. Dieser Bescheid wurde auch der Klägerin übersandt, er enthielt keine an sie gerichtete oder für sie zutreffende Rechtsmittelbelehrung.

Am 18. September 2006 erklärte die Barmer Ersatzkasse gegenüber den Beigeladenen, sich der Entscheidung der Beklagten anzuschließen und Versicherungsfreiheit für die Zeit vom 1. Februar 1995 bis zum 30. September 2006 zu bestätigen.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2006 beantragte die Beigeladene zu 1) über die Barmer Ersatzkasse bei der Klägerin die Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung für den Zeitraum vom 1. Februar 1995 bis 30. September 2006.

Mit der am 30. April 2007 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 7. September 2006 und die Feststellung von Versicherungspflicht für die Beigeladene zu 1) ab dem 1. Oktober 2006 in der Rentenversicherung begehrt. Auch gegen den Bescheid der Barmer Ersatzkasse vom 18. September 2006 erhob die Klägerin Klage, in deren Rahmen die Barmer Ersatzkasse ihren Bescheid am 2. Mai 2008 wieder zurücknahm, weil sie nach Überprüfung den Standpunkt der Beklagten teile.

Im vorliegenden Klageverfahren hat die Klägerin vor dem Sozialgericht geltend gemacht, dass steuerlich für die Beigeladene zu 1) von einer nichtselbständigen Arbeit ausgegangen werde. Die Beigeladene zu 1) trage kein Unternehmerrisiko, sei weder Gesellschafterin noch Geschäftsführerin. Die Beklagte verwies dagegen darauf, dass die Beigeladene zu 1) im Wesentlichen frei ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen könne.

Die Beigeladene zu 1) hat, vor dem Sozialgericht persönlich gehört, (u.a) erklärt, dass sie nur in seltenen Fällen mit ihrem Vater Rücksprache halte, ob ein Auftrag übernommen werden könne. Sie halte keine Gesellschaftsanteile, weil ihr Vater das Erbe nicht vorziehen wolle, sie habe zwei Geschwister.

Der Vater der Beigeladenen zu 1) hat gegenüber dem Sozialgericht erklärt, dass seine Tochter über die Annahme von Aufträgen entscheide. Seine Arbeit beginne erst nachher. Betriebliche Angelegenheiten würden gemeinsam besprochen.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 2. Dezember 2008 den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit in ihm die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung verneint worden war. Die erhobene Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung würden überwiegen. Das an die Beigeladene zu 1) gezahlte Entgelt stelle einen angemessenen Gegenwert für die von ihr geleistete Arbeit dar, es werde als Betriebsausgabe verbucht und Lohnsteuer entrichtet. Das eigene Interesse der Beigeladenen zu 1) an dem Betrieb, den sie erben wolle, und die Eigenverantwortlichkeit ihrer Tätigkeit würden nicht ins Gewicht fallen, da sie weder ein Unternehmerrisiko trage noch nicht fremdbestimmt arbeite. Ihr monatliches Gehalt sei garantiert, sie halte keine Anteile an der Beigeladenen zu 2). Eine Weisungsgebundenheit könne sich auch in einer funktionsgerecht dienenden Teilnahme am Arbeitsprozess ausdrücken, was hier vorliege. Die Beigeladene zu 1) verrichte ihre Tätigkeit mit im fremden Eigentum stehenden Sachmitteln und benutze dabei den sächlichen und personalen Apparat ihres Beschäftigungsgebers. Sie richte ihre Arbeitskraft nicht an einer von ihr selbst vorgegebenen Arbeitsorganisation aus, sondern nach den Belangen der Beigeladenen zu 2), deren Geschicke sie mangels Beteiligung nicht nach eigenem Gutdünken lenken könne. Der Feststellungsantrag sei dagegen unzulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse fehle, weil bereits im Rahmen der Anfechtungsklage über die Sach- und Rechtslage zu entscheiden gewesen sei.

Gegen das der Klägerin am 8. Dezember 2008 und den Beigeladenen zu 1) und 2) am 18. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29. Dezember 2008 und die der Beigeladenen zu 1) und 2) vom 19. Januar 2009 (Montag).

Die Klägerin macht geltend, dass die Verneinung eines Feststellungsinteresses in der Sache nicht überzeugend sei und auch der Rechtsprechung des BSG sowie der anderer Instanzgerichte widerspreche. Auch in der Praxis komme es vor, dass nach der bloßen Aufhebung eines Bescheides zur Frage der Versicherungspflicht erneut prozessiert werden müsse. Soweit das Sozialgericht eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) angenommen habe, stehe sein Urteil dagegen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung. Auch das Sozialgericht Lübeck habe mittlerweile durch Urteil vom 2. Dezember 2010 – S 3 KR 641/08 - für die Zeit vom 1. Februar 1995 bis zum 30. September 2009 in diesem Sinne entschieden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2008 abzuändern und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) seit dem 1. Oktober 2006 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch unterliegt, sowie die Berufungen der Beigeladenen zu 1) und 2) zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, dass das Sozialgericht die gebotene Gesamtwürdigung der Umstände nicht bzw. nicht zutreffend vorgenommen habe. Es handele sich um eine reine Familien-GmbH, die Gesellschafterbeschlüsse würden abweichend vom Gesellschaftsvertrag gleichberechtigt mit der Beigeladenen zu 1) gefasst. Diese habe auch die gesamte kaufmännische Leitung übernommen. Unterbewertet sei auch geblieben, dass die Beigeladene zu 1) die Firma erben solle. Sie trete nach außen als Inhaberin der Gesellschaft auf, verfüge über Handlungs- und Kontovollmacht, sei hinsichtlich der Bestimmung von Arbeitszeit und -ort völlig frei und unterliege nicht den Weisungen des Gesellschafters. Das Sozialgericht unterstelle unzutreffend, dass die Beigeladene zu 1) am Arbeitsprozess der Beigeladenen zu 2) in dienender Weise teilhabe. Aus der Natur der Sache ergebe sich, dass die sachlichen Mittel der Beigeladenen zu 2) in Anspruch genommen würden, die Beigeladene zu 1) arbeite aber völlig weisungsfrei. Eine Selbständigkeit hänge nicht zwingend davon ab, dass eigene Arbeitsmittel benutzt würden. Außer Acht gelassen habe das Sozialgericht auch, dass die Beigeladene zu 1) in der Woche ca. 50 Stunden und damit weit mehr als die üblichen Arbeitszeiten arbeite, dass kein Arbeitsvertrag existiere und entsprechend auch die Zahl der Urlaubstage nicht festgelegt sei. Das unternehmerische Risiko der Beigeladenen zu 1) zeige sich daran, dass sie auf eine höhere angemessene Vergütung verzichte, um den Betrieb nicht zu belasten. Auch das Fehlen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld belege, dass eine familienhafte Mithilfe erfolge, Unternehmens- und Eigeninteresse gleich gerichtet seien. Die Abführung von Lohnsteuern sei nicht maßgeblich, eine steuerliche und sozialrechtliche Gleichbehandlung sei auch aus logischen Gründen nicht geboten. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 45 SGB X sei nicht möglich, der wirtschaftliche Schaden der Beigeladenen zu 1) bei einer Aufhebung immens.

Auch sei die Anfechtungsklage bereits unzulässig. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 SGG (Jahresfrist bei unterbliebener Rechtsbehelfsbelehrung) habe die Klägerin selbst herbeigeführt. In den gemeinsamen Verlautbarungen zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger sei nämlich vorgesehen, dass keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden solle. Es verstoße dann aber gegen Treu und Glauben, aus der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung Vorteile, nämlich eine längere Klagefrist, herleiten zu wollen. Durch den Auftrag, sie nicht zu belehren, habe die Klägerin gegenüber der Beklagten auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet. Mit der Anfechtungsklage gegen den Bescheid degradiere die Klägerin die Beigeladene zu 1) zu einem bloßen Objekt des staatlichen Handelns, was gegen die Menschenwürde verstoße. Dürften die Betroffenen in einen Bescheid der Einzugsstelle kein Vertrauen setzen, werde die Regelung des § 28 SGB IV ad absurdum geführt. Jedenfalls müsse dazu entsprechend einer Parallelentscheidung des LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 17. Februar 2011 - L 5 KR 9/10 - ) die Revision zugelassen werden.

Die Beklagte hält ein Feststellungsinteresse der Klägerin für nicht gegeben, zumal sie nach ihrer Entscheidung, nicht Berufung einzulegen, kein Interesse mehr an der Fortführung des Rechtsstreits habe. Nach dem Urteil des Sozialgerichts, das sie für zutreffend hält, habe sie nur noch die Möglichkeit, das Bestehen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung festzustellen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beigeladenen ist unbegründet. Mit Recht hat das Sozialgericht die Anfechtungsklage für zulässig gehalten.

Vor Erhebung der Anfechtungsklage bedurfte es keines Vorverfahrens, weil die Klägerin ein Versicherungsträger nach der Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGG ist.

Die Klägerin ist auch klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2006 in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwaltungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 54 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 61, 27). Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin besteht hier. Die in dem Bescheid enthaltenen Feststellungen der Beklagten zur Versicherungsfreiheit haben Auswirkung auf ihre Beitragsansprüche.

Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der "Beteiligte" über den Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die Klägerin ist auch als Versicherungsträger Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift. Das ergibt sich aus § 69 Nr. 1 SGG, wonach (alle) Kläger Beteiligte sind. Statt der Monatsfrist war deshalb gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Frist von einem Jahr seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes maßgebend. Der angegriffene Bescheid datiert vom 7. September 2006, die Klage wurde am 30. April 2007 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben.

Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Klagerechts sind nicht ersichtlich. Soweit die Beigeladenen darauf hinweisen lassen, dass die Klägerin in den gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet habe, übersehen sie, dass darin keinesfalls schon ein Verzicht auf die Ausübung des Klagerechts gesehen werden kann. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt die Verwirkung ein Zeit- und Umstandsmoment voraus; ein Recht ist verwirkt, wenn es über längere Zeit nicht ausgeübt wurde und der Verpflichtete sich aufgrund besondere Umstände darauf einrichten durfte, dass von ihm auch in der Zukunft kein Gebrauch mehr gemacht werden wird. Der Senat hält - mit dem LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 17. Februar 2011 - L 5 KR 9/10 - Rdnr. 30 [zit. nach juris]) - schon für fraglich, ob für die Verwirkung eines Klagerechts ein kürzerer Zeitraum als ein Jahr ausreichen kann. Jedenfalls aber ist ein Verzicht auf eine Rechtsmittelbelehrung kein Umstand, der Anlass für die berechtigte Erwartung gibt, dass ein Klagerecht nicht oder doch nur innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme von einem Bescheid ausgeübt werde. Denn soweit § 36 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch - SGB X - für Verwaltungsakte eine Rechtsmittelbelehrung vorschreibt, handelt es sich um zwingendes Recht, auf das nicht einseitig oder einverständlich wirksam verzichtet werden könnte (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rdnr. 31). Aus den gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger ergibt sich daher nicht die rechtlich wirksame Fiktion erteilter Rechtmittelbelehrungen. Zwar kann für die Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihr die Rechtsschutzmöglichkeiten auch ohne formale Belehrung bekannt waren. Insoweit gilt aber der Rechtssatz, dass es für die vom Gesetz an eine unterbliebene oder fehlerhafte Rechtmittelbelehrung geknüpften Folgen nicht darauf ankommt, ob der Berechtigte tatsächlich positive Kenntnis von seinem Klagerecht gehabt hat (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 66 Rdnr. 12). Im Übrigen hat die Beklagte selbst das in den Absprachen der Spitzenverbände vorgesehene Verfahren nicht eingehalten, sie hat nämlich gerade keine Abstimmung der Standpunkte der beteiligten Sozialversicherungsträger herbeigeführt, ehe sie über die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) entschieden hat. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht ersichtlicht, dass sich aus den Absprachen der Spitzenverbände einseitig eine Verschlechterung der Rechtsschutzmöglichkeit zu Lasten der Rentenversicherung ergeben könnte (BSG, Beschluss v. 17. März 2011 - B 12 KR 66/10 B -).

Zutreffend hat das Sozialgericht die Anfechtungsklage für begründet gehalten. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht in der Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI -). Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch - SGB IV -. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu denen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).

Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung geht zwar der nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).

Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mitunternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002 - 42). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R -).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist - mit dem Sozialgericht - von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV auszugehen. Der Vater der Beigeladenen zu 1) ist alleiniger Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2). Bis zum 31. Dezember 2010 war er auch der alleinige Gesellschafter, seitdem hält die Beigeladene zu 1) eine Beteiligung von 25 vom Hundert, die ihr aber keine Mehrheit in der Gesellschafterversammlung gibt.

Das sich aus der Stellung als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter ergebende Weisungsrecht gegenüber der Beigeladenen zu 1) wird nicht dadurch hinfällig, dass es nie praktiziert worden sein mag, worauf allerdings die von den Beteiligten gegenüber dem Sozialgericht gegebene Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse im Betrieb hindeutet. Entscheidend ist nämlich nicht die tatsächliche regelmäßige Ausübung des Weisungsrechtes, sondern dessen rechtlicher Bestand. Da das aus der Stellung als Inhaber und Geschäftsführer herrührende Weisungsrecht nie formell wirksam aufgehoben worden ist, hätte es in einem Konfliktfall ausgeübt werden können. Dafür spricht schon, dass die Beigeladene zu 1) Gesellschafterbeschlüsse alleine nicht rechtlich wirksam herbeiführen kann, auch wenn sie tatsächlich angeblich gleichberechtigt an der Gesellschafterversammlung teilnimmt. Dass ein Konfliktfall zwischen der Beigeladenen zu 1) und ihrem Vater, der rechtlich Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer der Firma geblieben ist, bislang nicht eingetreten sein mag, ist für die rechtliche Bewertung unerheblich.

Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) kann auch nicht deswegen als selbständig angesehen werden, weil sie faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken hätte führen können. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf zu verweisen, dass allein die Überlassung weit reichender Entscheidungsbefugnisse nicht ausreicht, um den Status als abhängig Beschäftigter aufzuheben. Entsprechende Befugnisse sind etwa auch für leitende Angestellte in Großunternehmen typisch, die deswegen aber noch nicht als selbständige Unternehmer anzusehen sind. An dieser rechtlichen Bewertung ändert sich nichts allein deswegen, weil der Inhaber des Betriebes mit demjenigen verwandt ist, dem die Führung der täglichen Geschäfte übertragen ist. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die belegen, dass eine Einflussnahme des Inhabers auf alle geschäftlichen Angelegenheiten faktisch ausgeschlossen ist. Solche Umstände fehlen hier aber. Der Inhaber der Beigeladenen zu 2) hat bislang nicht etwa vorgetragen, dass er die Führung des Betriebs gänzlich der Beigeladenen zu 1) übertragen habe, sondern dies nur für den kaufmännischen Bereich so angegeben. In der mündlichen Verhandlung bei dem Sozialgericht hat er dann angegeben, alle betrieblichen Angelegenheiten gemeinsam mit seiner Tochter zu besprechen, etwa den Kauf neuer Druckmaschinen. Demnach vermag der Senat nicht zu erkennen, dass er sich tatsächlich aus der Leitung des Betriebs schon zurückgezogen hat, so dass sich seine Stellung als Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer als lediglich formelle Rechtsposition ohne materielle Substanz darstellen würde. Soweit die Beigeladene zu 1) im kaufmännischen Bereich frei "schalten und walten" kann, gilt dies nur solange, wie ihr Vater damit einverstanden ist. Das Fortbestehen der Möglichkeit zum Entzug dieses Einverständnisses unterscheidet die Stellung der Beigeladenen zu 1) von der Stellung eines Betriebsinhabers.

Im Übrigen belegt das gelebte Rechtsverhältnis, dass die Beteiligten zunächst selbst davon ausgingen, dass die Beigeladene zu 1) auch nach dem 1. Oktober 2006 noch abhängig beschäftigt war. Entsprechend wurde sie zur Sozialversicherung angemeldet und wurden die an sie gezahlten Löhne steuerlich als Betriebsausgaben geltend gemacht. Dass die Beigeladenen ihre vorherige Bewertung nun im Nachhinein deswegen in Frage stellen, weil sie sich finanzielle Vorteile davon versprechen, entwertet die Aussagekraft des vorherigen gelebten Rechtsverhältnisses nicht.

Die aus der fehlenden Stellung als Gesellschafter und Geschäftsführer und dem gelebten Rechtsverhältnis stammenden Umstände, die auf eine abhängige Beschäftigung hindeutenden, werden im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung nicht durch andere Gegebenheiten in den Hintergrund gedrängt. Für eine abhängige Beschäftigung spricht weiter, dass die Beigeladene zu 1) monatliche Entgeltzahlungen erhalten hat, die von dem jeweiligen Betriebsergebnis unabhängig waren. Das Entgelt ging auch erheblich über bloße Unterhaltsleistungen hinaus, so dass nicht von einer versicherungsfreien familienhaften Mithilfe ausgegangen werden kann. Unerheblich ist, dass keine eingehenden schriftlichen Vereinbarungen etwa zu den Urlaubsansprüchen erfolgten, weil insoweit gegebenenfalls auf die gesetzlich geregelten Mindestansprüche im Arbeitsverhältnis zurückgegriffen werden könnte. Die Beigeladene zu 1) trug auch kein Unternehmerrisiko. Sie hat dem Betrieb bislang nach eigenem Vorbringen kein Kapital zur Verfügung gestellt. Dass sie möglicherweise mit einer Tätigkeit außerhalb des elterlichen Betriebes mehr verdienen könnte und auf diesen Mehrverdienst in Hinblick auf eine Erberwartung verzichtet, steht dem Einsatz eigenen Risikokapitals nicht gleich.

Die Berufung der Klägerin ist hingegen begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage in Hinblick auf den Feststellungsantrag abgewiesen. Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - dar (vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung zwar nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz gleichwohl auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An diesem fehlte es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gäbe oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage indessen nur zur Aufhebung des Versicherungspflicht verneinenden Bescheides der Beklagten und nicht auch zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen zu 1) und 2) aus deren Sicht begünstigende Bescheid aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -), so dass letztere zulässig ist. Dass die Beigeladene zu 1) abhängig beschäftigt gewesen ist, ergibt sich aus dem oben Erörterten.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, da die Beigeladene zu 1) Berufungsklägerin ist und zum Personenkreis des § 183 SGG gehört.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich. Die Sachverhaltsgestaltung in dem von den Beigeladenen herangezogenen Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2011 ist schon deswegen nicht mit der vorliegenden vergleichbar, weil hier nicht die Rücknahme eines Verwaltungsaktes durch die erlassende Behörde nach den §§ 45, 49 SGB X in Frage steht.
Rechtskraft
Aus
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