L 23 SO 57/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 2446/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 57/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. März 2011 wird zurückgewiesen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. März 2011, mit dem dieses den Antrag zurückgewiesen hat, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorläufig zu verpflichten, bei der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) rückwirkend ab Oktober 2009 einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 60,00 Euro im Monat zu berücksichtigen, ist zulässig. Insbesondere ist im Hinblick auf den monatlich geltend gemachten Mehraufwand für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 60,00 EUR, gerechnet auf den maßgeblichen streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2009 bis heute der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht abgelehnt. Der Senat weist die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab. Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren nichts vorgetragen, was eine andere rechtliche Einschätzung rechtfertigen könnte.

Diesbezüglich weist der Senat zunächst darauf hin, dass sich die erstinstanzliche Richterin entgegen dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers umfassend mit den geltend gemachten Erkrankungen und den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen auseinandergesetzt hat und zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt ist, dass ein Bedarf auf eine kostenaufwändigere Ernährung aus medizinischen Gründen nicht feststellbar ist. Zu Recht hat das SG seiner Entscheidung die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Deutscher Verein [DV]) zugrunde gelegt.

Für welche Krankheitsbilder eine kostenaufwändige Ernährung in aller Regel erforderlich ist, ist in den nach fachwissenschaftlicher Beratung entwickelten Empfehlungen des Deutschen Vereins niedergelegt. Das betrifft auch die jeweiligen Zuschläge der Höhe nach. Diese Empfehlungen stellen grundsätzlich eine geeignete und zutreffende Entscheidungsgrundlage dar. Dies gilt auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahre 1997 (BSG, Urteil vom 15. April 2008, B 14/II b AS 3/07 R; Urteile vom 27. Februar 2008, B 14/7 b AS 32/06 R und B 14/7 b AS 64/06 R). Der erkennende Senat folgt der Rechtsprechung des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Dezember 2008 (L 8 B 386/08), nach der die Empfehlungen aus dem Jahre 2008 als antizipierte Sachverständigengutachten zu berücksichtigen sind (im Ergebnis ebenso Sächsisches LSG vom 27. August 2009 (L 3 AS 245/08), LSG Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2010 (L 20 AS 2147/09 B PKH), LSG Niedersachsen-Bremen vom 03. Februar 2009 (L 9 b 339/08 AS), LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2009 (L 12 b 100/09 SO) sowie vom 14. Januar 2010 (L 7 b 480/09 AS). Die aktuellen Empfehlungen des DV vom 01. Oktober 2008 genügen den vom BSG aufgestellten Kriterien für die Verwertung als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. bereits Urteil des Senats vom 12. Oktober 2010 - L 23 SO 130/06 - Juris).

Soweit der Antragsteller einen grundsätzlich gegebenen Anspruch mit der Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. September 2007 (Az. L 11 AS 258/06, Juris) begründet, übersieht er, dass diese Entscheidung, in der ein Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit - vom Gericht ungeprüft - als unstreitig gegeben unterstellt worden war, auf den Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 1997 beruhte, die jedoch durch die aktuellen Empfehlungen des DV für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 1. Oktober 2008) überholt sind.

Unter Zugrundelegung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse des DV ist die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung des Antragstellers nicht nachgewiesen.

In den Empfehlungen des DV vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Ausführungen wird aber für Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer so genannten "Vollkost" bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen des DV verzehrende Erkrankungen, und Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung einhergehen. Beispielsweise aufgezählt werden in diesem Zusammenhang fortschreitende oder fortgeschrittene Krebsleiden, HIV- und Aids-Erkrankungen, Erkrankungen an Multipler Sklerose sowie schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

Bei Erkrankungen, die mit einer gestörten Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung - Malabsorption/Maldigestion - einhergehen, ist nach Nr. 4.2 der Empfehlungen des DV ebenfalls Vollkost die allgemein empfohlene Ernährungsform. Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf ist in der Regel nur zu bejahen, wenn der BMI unter 18,5 liegt (und das Untergewicht Folge der Erkrankung ist) und/oder (2) ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust zu verzeichnen ist, was beides beim Antragsteller, dessen BMI deutlich über 30 liegt, nicht gegeben ist.

Bei der Lactoseunverträglichkeit (Milchzuckerunverträglichkeit) handelt es um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit, die mit den in den Empfehlungen des DV aufgeführten regelmäßig schweren Krankheitsbildern in keiner Weise vergleichbar ist (ebenso SG Karlsruhe, Urteil vom 31. März 2011 - S 4 AS 2626/09 veröffentlicht in Juris; vgl. auch Sozialgericht Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2006, S 101 AS 862/06, Juris). In Deutschland leiden schätzungsweise 15 v.H. der Bevölkerung an einer Laktoseintoleranz (Dr. Larisch, www.netdoktor.de unter Hinweis auf Hutyra et al: Lactose intolerance: pathophysiology, clinical symptoms, diagnosis and treatment, 2009, S. 148-152), der durch die Vermeidung von lactosehaltiger Kost begegnet werden kann.

Lactosefreie Kost für Erwachsene ist auch keineswegs kostenaufwändiger als lactosehaltige Nahrung. Bereits das SG Karlsruhe hat in seiner Entscheidung vom 31. März 2011 (a.a.O.) zutreffend ausgeführt, dass Betroffenen - wie dem Antragsteller - ein Ausweichen auf die in vielen Discountern inzwischen angebotene kostengünstige lactosefreie Kost und insbesondere auch auf sojabasierte Produkte zuzumuten ist. Lactosefrei sind neben Sojaprodukten insbesondere folgende Nahrungsmittel: lactosefreie Milch, Fleisch und Fisch, roher und gekochter Schinken, Braten, Rauchfleisch, alle Pflanzenöle, Pflanzenmargarine, alle Getreide- und Mehlsorten, Reis, Mais, Haferflocken, Brot- und Gebäcksorten (soweit ohne Kuhmilch gebacken), Kartoffeln, alle Gemüse und Hülsenfruchtsorten, alle Obstsorten, Nüsse sowie Fruchtbonbons, Gummibärchen und Marmelade (vgl. Prof. Dr. Hauner, Essen und Trinken bei Laktoseintoleranz, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, TU München, 2004, www.med.tu-muenchen.de/ .../ernaehrungsmedizin/ .../Broschuere Lactose. pdf -). Damit steht dem Antragsteller ein weites Feld an zum Teil sehr kostengünstigen Nahrungsmitteln für eine in jeder Hinsicht ausgewogene Ernährung offen, so dass sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht begründen lässt (vgl. SG Karlsruhe a.a.O.).

Auch hinsichtlich der übrigen bei dem Antragsteller vorliegenden Erkrankungen, insbesondere Hyperlipidämie und Diabetes mellitus, ist gemäß Nummer 4.1 der Empfehlungen des DV vom 1. Oktober 2008 ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand bereits grundsätzlich zu verneinen. Diese Erkrankungen erfordern keinen höheren Aufwand für eine Vollkost, als den auf der Grundlage der EVS 2003 (jetzt EVS 2008) dafür bemessenen Regelsatzanteil im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht zu bewilligen (§ 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und aus § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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