L 23 SO 298/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 1047/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 298/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kos-ten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Rückforderungsbescheid, mit dem sie ein vom Beklag-ten erhaltenes Darlehen zurückzahlen soll.

Die 1968 geborene Klägerin bezog vom Beklagten seit November 2001 für sich und ihre Toch-ter Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie wohnte zu dieser Zeit in der R Str. in B. Mit Schreiben vom 11. April 2002 erklärte sich der Beklagte bereit, die Unterkunftskos-ten für die neue Wohnung in der P in B sowie unter Umständen eine Kaution zu übernehmen. Daraufhin unterzeichnete die Klägerin am 17. Juni 2002 den Mietvertrag für die Wohnung in der P in B für die Zeit ab September 2002 und verpflichtete sich darin unter anderem zur Zah-lung einer Kaution i.H.v. 1.107,45 EUR.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2002 bewilligte der Beklagte der Klägerin ein Darlehen i.H.v. 1.107,45 EUR zur Zahlung der Mietkaution für die Wohnung P in B. Der Betrag werde dem Vermieter direkt überwiesen. Ergänzend führte der Beklagte darin unter anderem aus:

" Das Darlehen ist rückzahlbar, sobald Sie dazu wirtschaftlich in der Lage sind, spä-testens 3 Monate nach Beendigung des Mietverhältnisses. Ich behalte mir vor, ihre wirt-schaftlichen Verhältnisse in Abständen zu prüfen.

Über die Rückzahlung des Darlehens ergeht zu gegebener Zeit ein gesonderter Be-scheid. "

Entsprechend einer Bescheinigung des Beklagten gegenüber dem Klägerbevollmächtigten vom 12. Oktober 2004, die bis zum 31. Dezember 2004 gültig sei, erhalte die Klägerin und ihre Tochter seit 2002 laufend Sozialhilfe.

Mit undatiertem Bescheid stellte der Beklagte zum 1. Januar 2005 die laufenden Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gegenüber der Klägerin ein und wies auf die Antragstellung für die Hilfegewährung nach dem SGB II hin.

Mit Bescheid vom 9. Mai 2006 forderte der Beklagte die Klägerin zur Rückzahlung des Darle-hens auf, da sie seit 30. April 2004 keine Sozialhilfe nach dem BSHG mehr erhalte.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass sie nach wie vor in der Wohnung in der P wohne, über den 30. April 2004 hinaus bis Ende Dezember 2004 durchgehend im Sozialhilfebezug gestanden habe und seit 1. Januar 2005 laufend Arbeitslo-sengeld II vom Job-Center erhalte und legte hierzu zahlreiche Nachweise vor.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2008 und der Begründung zurück, er sei zwar irrtümlich davon ausgegangen, dass die Klägerin seit 30. April 2004 keine Sozialhilfe mehr erhalte, die Rückzahlung des Kautionsdarlehens werde jedoch zu Recht verlangt, denn mit dem Außerkraftreten des Bundessozialhilfegesetzes zum 31. Dezember 2004 sei die Rechtsgrundlage für die Darlehensbewilligung entfallen. Die Darlehensgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - habe andere, engere Voraussetzungen. Es stehe der Klägerin aber weiterhin frei, eine Stundung oder Ratenzahlung für die Tilgung des Darlehens zu beantragen.

Hiergegen hat die Klägerin am 17. April 2008 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen zur Rückzahlung des Darlehens entsprechend dem Bescheid vom 26. Juni 2002 lägen immer noch nicht vor, da sie weiterhin in der Wohnung P in B wohne und unverändert als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II bedürftig sei. Die Reform des Bundessozialhilfegesetzes und dessen Eingliederung in das Sozialgesetzbuch stellten keinen die Rückforderung rechtfertigenden Grund dar. Der Beklagte beruft sich hin-sichtlich seines Klageabweisungsantrages auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Mit Urteil vom 12. November 2008 hat das Sozialgericht Berlin der Anfechtungsklage stattge-geben und den Bescheid vom 9. Mai 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 mit Hinweis auf dessen Rechtswidrigkeit aufgehoben. Auf den Bewilligungsbe-scheid vom 26. Juni 2002 könne der Beklagte die verfügte Rückforderung nicht stützen, da weder die Klägerin zur Rückzahlung wirtschaftlich in der Lage noch das Mietverhältnis been-det worden sei. Die Klägerin wohne weiterhin in der Wohnung, für deren Anmietung seinerzeit das Darlehen gewährt worden sei. Die fortbestehende Bedürftigkeit zeige sich im durchgehen-den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Unerheblich sei, ob die Klägerin nach dem 31. Dezember 2004 Leistungen nach dem SGB II oder Sozialhil-fe nach dem SGB XII beziehe, da beide Leistungsgesetze hinsichtlich der jeweils anzuerken-nenden Bedarfslage und der Leistungshöhe nahezu gleiche Voraussetzungen enthielten. Der Fortbestand des Bewilligungsbescheides vom 26. Juni 2002 hänge nicht von der Fortgeltung des BSHG ab, sodass er mit dessen Wegfall nicht seine Wirksamkeit verliere und nicht erledigt sei. Der Bewilligungsbescheid vom 26. Juni 2002 sei weder ausdrücklich noch konkludent wirksam zurückgenommen, widerrufen oder aufgehoben worden. Die Voraussetzungen hierfür lägen ersichtlich nicht vor. Insbesondere sei mit dem zwischenzeitlichen Außerkrafttreten des BSHG keine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, weil nicht erkennbar sei, dass nach dem Willen des Gesetzgebers unter der Geltung des früheren Rechts ausgesprochene Bewilligungen keinen Bestand mehr haben sollten. Gegen das ihm am 21. November 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11. Dezember 2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das vorliegende Verfahren habe für ihn grundsätzliche Bedeutung, denn er habe in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle nach den Bestimmungen des BSHG gewährte Mietkautionsdarlehen gekündigt und deren (ratenwei-se) Rückzahlung gefordert. Dabei lägen den Darlehenskündigungen zwei unterschiedliche Fallkonstruktionen zu Grunde: Zum einen sei neben dem Bescheid über die Gewährung eines Mietkautionsdarlehens auch ein Darlehensvertrag mit Fälligkeitsdatum und Ratenzahlungshöhe geschlossen worden, wobei bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 11 BSHG Änderungen hinsichtlich der Rückzahlungsverpflichtung möglich gewesen seien. Zum anderen sei - wie vorliegend - nur ein Bescheid über die Darlehensgewährung erteilt worden. Zwar sei er in den Verfahren zu der 1. Alternative erfolgreich gewesen. Er bitte jedoch im vorliegenden Verfahren, dem eine Entscheidung nach der 2. Alternative zu Grunde liege, um eine gerichtli-che Entscheidung, damit seine Kosteneinziehungsstelle insoweit Rechtsicherheit erlange.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vor-bringen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 22. April 2009, Schriftsatz des Beklagten vom 4. Mai 2009).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beratung und Entscheidung wird auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und auf die Gerichtsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Ent-scheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung den Rechtstreit beraten und entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 So-zialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht der Kla-ge stattgegeben und den angefochtenen Rückforderungsbescheid aufgehoben.

1. Der bestandskräftige Bescheid vom 26. Juni 2002 stellt den im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides weiterhin bestehenden Rechtsgrund für das (noch) Behaltendürfen der Darlehens-summe dar.

2. Die im Bescheid vom 26. Juni 2002 festgelegten Voraussetzungen für die Fälligkeit der Rückzahlung sind (noch) nicht eingetreten, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheides vom 9. Mai 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 weiterhin in der Wohnung Pstraße in B wohnte und unverändert als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II nicht in der Lage war, das Darlehen zurückzuzahlen.

3. Der bestandskräftige Bescheid vom 26. Juni 2002 bleibt nach § 39 Abs. 2 SGB X wirksam, weil der Beklagte den Bescheid weder nach § 45 SGB X zurücknehmen, nach § 47 SGB X widerrufen noch nach § 48 SGB X aufheben konnte, da die Voraussetzungen hierfür nicht vor-liegen.

Insbesondere hat der Beklagte die ursprüngliche Darlehensbewilligung nicht mit dem auf Bl. IV 126 der Verwaltungsakte befindlichen undatierten Bescheid aufgehoben. Dieser bezieht sich ausdrücklich nicht auf die einmalige Darlehensgewährung, sondern auf die "laufenden Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz".

Unabhängig davon, dass der Beklagte vorliegend eine solche Entscheidung überhaupt nicht getroffen hat, könnte er eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung auch nicht auf § 48 SGB X stützen, da eine wesentliche Änderung weder in den tatsächlichen noch in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Die Klägerin ist nach wie vor hilfebedürftig und bewohnt ihre Wohnung, für die die Kaution bewilligt wurde. Soweit durch Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. De-zember 2003 (BGBl. I 3022) das BSHG aufgehoben wurde, liegt darin in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Darlehensbewilligungsbescheid keine wesentliche rechtliche Änderung. Dem o.g. BSHG-Aufhebungsgesetz ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein Darlehensge-währungsbescheid nach BSHG kraft Gesetzes seine Wirksamkeit verlieren sollte. Der ur-sprünglich erlassene Bescheid behält daher gem. § 39 Abs. 2 SGB X seine Wirksamkeit.

Hierzu hat das Sozialgericht umfangreiche Ausführungen gemacht. Der Senat weist die Beru-fung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 SGG.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dem vom Sozialgericht gefundenen Ergebnis die im Berufungsverfahren übersandte Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2008 (Az: S 50 SO 3220/06) nicht entgegensteht. Wie der Beklagte selber ausführt, betrifft die über-sandte Entscheidung nicht den vorliegenden Fall einer ausschließlich per Bescheid erfolgten Darlehensgewährung. Der dort bejahte Rückzahlungsanspruch der Behörde beruhte im We-sentlichen auf einer in einem Darlehensvertrag getroffenen Tilgungsregelung. Vorliegend exis-tiert weder eine solche Regelung noch ein Darlehensvertrag überhaupt, sondern lediglich der o.g. - weiter wirksame - Bewilligungsbescheid.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlagen.
Rechtskraft
Aus
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