L 1 KR 83/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 KR 105/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 83/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beigeladenen zu 2) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Be-klagten vom 23. November 2005 aufgehoben worden ist, soweit er über die Versiche-rungspflicht der Beigeladenen zu 2) in der gesetzlichen Rentenversicherung entschie-den hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 1) wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 2) in der gesetzlichen Rentenversiche-rung in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 3) seit Februar 1994.

Die 1951 geborene Beigeladene zu 2) ist gelernte Handelskauffrau. Sie war nach ihren Angaben bereits seit 1983 in dem von ihrem späteren Ehemann als Augenoptiker geführten Einzelhan-delsgeschäft tätig. Dieses wurde 1994 in eine GmbH umgewandelt, 1995 eine Filiale eröffnet. Der Ehemann der Beigeladenen zu 2) ist alleiniger Gesellschafter der Beigeladenen zu 3) und als deren alleiniger Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Im Januar 1994 erteilte ihr E-hemann der Beigeladenen zu 2) Handlungsvollmacht, im August 1996 wurde ihr Einzelprokura erteilt und die Befugnis, Grundstücke zu veräußern und zu belasten im Handelsregister eingetra-gen. Der Wohn- und Geschäftssitz befand sich bis Juni 2008 in Eisleben nachfolgend in Kauf einem im Eigentum der Ehegatten stehenden Grundstück, das diese an die Beigeladene zu 3) vermieten. Die Beigeladene zu 2) gab an, sie habe 2005 bis 2008 zwar weiter volltags im Au-genoptikergeschäft gearbeitet, aber nur noch die Hälfte des Gehalts bezogen, um Mitarbeiter nicht entlassen zu müssen. Sie habe zu dieser Zeit ein "Networkmarketing" betrieben.

Im Oktober 2005 beantragte eine Steuerberatungsgesellschaft für die Beigeladene zu 2) die rückwirkende versicherungsrechtliche Beurteilung bei der Beklagten. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen gab die Beigeladene zu 2) u.a. an, sie sei mit der Kundenberatung, -betreuung, dem Warenein-kauf, der Buchhaltung, Lieferantenverhandlung, Kalkulation, Marketing, Mitarbeiterführung, Überwachung des Zahlungsverkehrs befasst. Sie bejahte u.a. die Fragen nach der freien Bestim-mung und Gestaltung der Tätigkeit, der Mitwirkung an der Führung des Betriebes, des gleichbe-rechtigten Nebeneinanders zum Betriebsinhaber aufgrund familienhafter Rücksichtnahmen, der Zahlung eines regelmäßiges Entgeltes in Höhe von 1.409,- Euro, für das Lohnsteuer entrichtet und das als Betriebsausgabe gebucht werde. Die Fragen nach einer arbeitsvertraglichen Verein-barung, der Eingliederung in den Betrieb wie eine fremde Arbeitskraft, der Weisungsunterwor-fenheit wurden verneint. Die Beigeladene zu 2) habe Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachts-geld sowie Tantiemen, Anspruch auf Urlaub bestehe nicht. Sie habe Bürgschaften in Höhe von 198.381,06 Euro und Sicherheiten über 142.139,15 Euro für den Betrieb bzw. Betriebsinhaber übernommen. In einem weiteren Feststellungsbogen wurde angegeben, die Beigeladene zu 2) sei seit 28. Januar 1994 Geschäftsführerin.

Mit Bescheid vom 23. November 2005 stellte die Beklagte fest, die Beigeladene zu 2) unterliege als Geschäftsführerin der Beigeladenen zu 3) nicht der Sozialversicherungspflicht. Hierüber in-formierte sie im November 2005 die Klägerin, die dieser Einschätzung widersprach. Mit Schrei-ben vom 22. März 2006 teilte die Klägerin der Beigeladenen zu 2) u.a. mit, dass abzuwarten bleibe, inwieweit die Beklagte ihre Entscheidung nochmals überprüfe, eine Erstattung der Ren-tenversicherungsbeiträge sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.

Am 02. Juni 2006 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben mit dem Antrag, den Bescheid vom 23. November 2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 2) ab 01. Februar 1994 der Rentenversicherungspflicht unterliege.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. Januar 2009 den Bescheid vom 23. November 2007 (richtig: 2005) aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 2) seit dem 1. Februar 1994 der Rentenversicherungspflicht unterliege. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprä-chen die Zahlung eines regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelts, die Fortzahlung von Arbeits-entgelt bei Arbeitsunfähigkeit, die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld, die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern, die steuerrechtliche Behandlung als Be-triebsausgabe, die Tatsache, dass die Beigeladene zu 2) keine Gesellschafteranteile inne hatte, die Geschäftsführertätigkeit nicht im Handelsregister eingetragen sei und die für ein Augenop-tikgeschäft erforderliche Ausbildung und Fachkenntnis nur der Geschäftsführer und Gesellschaf-ter besitze. Dagegen sprächen zwar das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages, die weitge-hend selbständige Arbeit im kaufmännischen Bereich, die Übernahme von Darlehen, Bürgschaf-ten und Sicherheiten in erheblicher Höhe und der Verzicht auf einen Teil des Gehalts bei unver-änderter Arbeitsleistung; im Rahmen einer Gesamtabwägung würden aber die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 17. Februar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 09. März 2009 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beigeladenen zu 2). Das Sozialgericht habe das ihm zustehende Ermessen falsch ausgeübt. Beide Ehegatten hätten das gleiche Interesse an der Führung des Geschäfts, weil es für beide die Existenzsicherung beinhal-te. Es bestehe ein gleichberechtigtes Nebeneinander, die Beigeladene zu 2) sei nicht weisungs-gebunden gewesen. Sie habe als Geschäftsführerin nicht in das Handelsregister eingetragen wer-den können, weil dies nach der Handwerksordnung Optikermeistern vorbehalten sei. Mit der persönlichen Haftung, der Übernahme von Sicherheiten und Krediten habe sie ein absolut ar-beitnehmeruntypisches Risiko getragen. Über das Familien- und Erbrecht sei sie unmittelbar am Unternehmen und an den dort zu treffenden Entscheidungen beteiligt gewesen. Die Beigeladene zu 2) habe zudem von 2004 bis 2008 neben der Tätigkeit im Optikergeschäft ihres Mannes ein Unternehmen geführt welches sich mit der Handelsvermittlung von Nahrungsergänzungsmitteln, kosmetischen Erzeugnissen u.ä. befasste, sie sei durchaus bereit und in der Lage gewesen, ein eigenes wirtschaftliches Risiko zu übernehmen. Sie habe Risiken in Höhe von 340.520,41 Euro übernommen und das ihr gehörende Geschäftshaus dem Optikergeschäft zur Verfügung gestellt. Die tatsächlichen Verhältnisse würden eindeutig belegen, dass ein abhängiges Beschäftigungs-verhältnis nicht gewollt gewesen sei. Durch die lange Verfahrensdauer bestünden erhebliche Risiken für die Absicherung der Beigeladenen zu 2) im Alter. Sie habe im Vertrauen auf die Versicherungsfreiheit seit 2005 keine Beiträge mehr abgeführt, sondern privat vorgesorgt. Wür-de Rentenversicherungspflicht bejaht, müsste die Beigeladene zu 2) Privatinsolvenz anmelden. In anderen aber vergleichbaren Fällen habe die Klägerin auf eine Auseinandersetzung mit der AOK verzichtet und die Beiträge bereits zurückgezahlt. Dass sie - die Beigeladene zu 2) - nicht als weitere Geschäftsführerin bestellt worden sei, sei eine reine Formalität.

Die Beigeladene zu 2) beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2009 aufzuheben und festzustellen, dass sie in ihrer Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 3) seit dem 01. Februar 1994 nicht der Rentenversicherungspflicht unterliegt.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, das Sozialgericht habe den Sachverhalt zutreffend ermittelt und gewürdigt. Die An-fechtungsklage werde zurückgenommen, soweit sie die Feststellungen des Bescheides vom 23. November 2005 zur Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 2) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladenen zu 3) in der Arbeitslosen- Kranken- und Pflegeversicherung betreffe.

Die Beigeladene zu 1) beantragt im Wege der unselbständigen Anschlussberufung,

das Urteil des SG aufzuheben, soweit der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2005 ganz aufgehoben wurde, festzustellen dass die Beigeladene zu 2) seit dem 1. Dezember 1994 der Versicherungs-pflicht in der Arbeitslosenversicherung unterlag, den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2005 aufzuheben, soweit Versicherungs-pflicht in der Arbeitslosenversicherung abgelehnt wurde, die darüber hinaus gehende Berufung zurückzuweisen.

Sie führt u.a. aus, die Entscheidung der Beklagten, die dazu geführt habe, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung teilweise erstattet wurden, sei rechtswidrig und ihr nach dem nunmehr bekannt gewordenen Sachverhalt nicht nachvollziehbar. Eine Entscheidung über die Versiche-rungspflicht zur Arbeitslosenversicherung würde einen anderen anhängigen Rechtsstreit verkür-zen, der über die Rückzahlung weiterer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geführt werde.

Die Beklagte sowie die Beigeladene zu 3) haben keine Anträge gestellt.

Die Beklagte meint, die Beigeladene zu 2) sei wegen der erteilten Prokura faktisch wie eine Ge-schäftsführerin anzusehen, die fehlende Eintragung im Handelsregister sei unerheblich. Durch die Übernahme von Darlehen in nicht unerheblichem Maße habe sie das betriebliche Risiko mit-getragen.

Die Beteiligten haben sich sämtlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ein-verstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwal-tungsvorgänge der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Ent-scheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - konnte der Senat ohne mündliche Ver-handlung entscheiden.

Die Berufung der Beigeladenen zu 2) ist unbegründet. Nachdem die Klägerin ihre Anfechtungs-klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2005 ausdrücklich zurückgenom-men hat, soweit er Feststellungen zur Versicherungspflicht in der Arbeitslosen- Kranken und Pflegeversicherung getroffen hat, ist Gegenstand des Berufungsrechtsstreits ausschließlich die Frage, ob die Beigeladene zu 2) ab dem 1. Februar 1994 rentenversicherungspflichtig bei der Beigeladenen zu 3) beschäftigt gewesen ist. Das hat das Sozialgericht unter Aufhebung des an-gefochtenen Bescheides zutreffend festgestellt.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft und zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Bestehens von Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Ein Feststellungsinteresse wäre zu verneinen, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gäbe oder ein Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. Bundessozialgericht, BSG Urteil vom 05. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - juris, mit weiteren Nachweisen). Hier kann die Klä-gerin mittels der Anfechtungsklage aber nur die Aufhebung des die Versicherungspflicht vernei-nenden Bescheides der Beklagten erreichen. Damit würde über das Bestehen der Versicherungs-pflicht in der Rentenversicherung, an der die Klägerin ein berechtigtes Interesse hat, keine die Beteiligten bindende Entscheidung getroffen. Auch wäre eine Verpflichtungsklage der Klägerin auf Erlass eines feststellenden Bescheides gegen die Einzugstelle insoweit kein einfacherer Weg. Die Klägerin hat ihr Klagerecht auch nicht verwirkt. Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen nur vor, wenn in Folge eines bestimmten Verhaltens (Verwirkungsverhalten) berechtigtes Vertrauen darauf entstanden ist, dass der Berechtigte (hier: die Klägerin) sein Recht (hier: Klagerecht mit der möglichen Konsequenz im Falle eines obsiegenden Urteils, Beiträge nicht rückerstatten zu müssen) nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete sich in Folge dessen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so bereits Ur-teil des Senats vom 17. April 2008 - L 1 KR 356/06 - unter Bezugnahme auf BSGE 80, 41, 43f mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtssprechung des BSG). Hier fehlt es jedenfalls an einem Vertrauenstatbestand. Die Klägerin hat die Beigeladene zu 2) im März 2006 darüber in-formiert, dass sie die Einschätzung der Beklagten nicht teilt und Überprüfung begehrt. Bereits geleistete Rentenbeiträge sind zudem noch nicht an die Beigeladenen zu 2) oder 3) erstattet wor-den.

Das Urteil des Sozialgerichts ist auch nicht deswegen bereits aus formalen Gründen aufzuheben, weil sich der Tenor auf einen (nicht existierenden) Bescheid vom 23. November 2007 bezieht und Versicherungspflicht ab dem 1. Februar 1994 feststellt, obwohl die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls die Feststellung von Versicherungspflicht erst ab dem 1. Dezember 1994 beantragt hatte. Der Tenor kann in der Rechtsmittelinstanz auch durch das Berufungsgericht wegen offensichtlicher Unrichtigkeit nach den §§ 138, 153 SGG berichtigt werden. Weiter ist das Gericht nach § 123 SGG an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Dass die Klägerin tat-sächlich über die Rentenversicherungspflicht ab dem 1. Februar 1994 eine Entscheidung des Gerichts herbeiführen wollte, ergibt sich bereits aus ihrer Klageschrift, ohne dass für die abwei-chende Fassung in dem protokollierten Antrag ein sachlicher Grund erkennbar geworden wäre.

In der Sache hat das Sozialgericht mit Recht den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufge-hoben. Die Beigeladene zu 2) war in ihrer Beschäftigung für die Beigeladene zu 3) seit dem 01. Februar 1994 abhängig beschäftigt und damit nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungs- bzw. Bei-tragspflicht in der Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI -). Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Sozial-gesetzbuchs, Viertes Buch - SGB IV -. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozial-gerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber per-sönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig be-schäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfas-sungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu denen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Be-schäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).

Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung geht zwar der nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).

Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mit¬unternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Umstän-de des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R -). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Famili-enmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung ei-nes Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand - ob-wohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86 -; Urteil vom 14. De-zember 1999 - B 2 U 48/98 R - ).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist von einem Beschäftigungsver-hältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV auszugehen. Inhaber des Betriebes war der Ehemann der Beigeladenen zu 2). Dieser hatte die GmbH als alleiniger Gesellschafter gegründet, er war auch Alleingeschäftsführer. Aus dieser Stellung ergab sich ein Weisungsrecht gegenüber allen ande-ren, welche Tätigkeiten für die GmbH verrichteten, also auch gegenüber der Beigeladenen zu 2) in ihrer Tätigkeit für den Betrieb.

Ebenso belegt das gelebte Rechtsverhältnis, dass die Beteiligten während des gesamten Zeit-raums von 1994 bis in das Jahr 2005 hinein davon ausgingen, dass die Beigeladene zu 2) in dem Betrieb abhängig beschäftigt war. Entsprechend wurde sie zur Sozialversicherung angemeldet und wurden die an sie gezahlten Löhne steuerlich als Betriebsausgaben geltend gemacht. An-haltspunkte dafür, dass die Ehegatten sich dabei in einem Rechtsirrtum befanden, gibt es nicht. Nach ihren Angaben haben sie fortlaufend auch andere Arbeitnehmer beschäftigt, so dass ihnen sozialversicherungsrechtliche und steuerliche Fragen nicht fremd gewesen sein können. Dass sie die bisherige übereinstimmende Bewertung der Verhältnisse nun im Nachhinein deswegen in Frage stellen, weil sie sich finanzielle Vorteile davon versprechen, entwertet die Aussagekraft des vorherigen über lange Jahre gelebten Rechtsverhältnisses nicht.

Das sich aus der Betriebsinhaberschaft ergebende Weisungsrecht gegenüber der Beigeladenen zu 2) wird nicht dadurch hinfällig, dass es nie praktiziert worden sein mag. Entscheidend ist nämlich nicht die tatsächliche regelmäßige Ausübung des Weisungsrechtes, sondern dessen rechtlicher Bestand. Das Weisungsrecht ist nie formell aufgehoben worden, entsprechend hätte es in einem Konfliktfall ausgeübt werden können. Dass ein solcher Konfliktfall möglicherweise nie eintrat, ist für die rechtliche Bewertung unerheblich.

Diese aus dem gelebten Rechtsverhältnis und der alleinigen Betriebsinhaberschaft des Eheman-nes stammenden Umstände, die auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten, werden im Rah-men der anzustellenden Gesamtabwägung nicht durch andere Gegebenheiten in den Hintergrund gedrängt. Für eine abhängige Beschäftigung spricht zunächst weiter, dass die Beigeladene zu 2) monatliche Entgeltzahlungen erhalten hat, die - jedenfalls im Kern - von dem jeweiligen Be-triebsergebnis unabhängig waren. Das Entgelt ging auch erheblich über bloße Unterhaltsleistun-gen hinaus, so dass nicht von einer versicherungsfreien familienhaften Mithilfe ausgegangen werden kann.

Zwar war die Beigeladene zu 2) durch die Gewährung von Bürgschaften und die Mithaftung für betriebliche Schulden in Rahmen einer auf dem gemeinsamen Grundstück eingetragenen Grund-schuld höheren Risiken ausgesetzt, als es für einen Arbeitnehmer typisch wäre. Insoweit ist ihre Mithaftung aber allein ihrer Stellung als Ehegatte geschuldet und nicht auf eine Mitunterneh-merschaft zurückzuführen. Denn im Geschäftsleben ist es mittlerweile jedenfalls nicht unüblich, den Ehegatten eines Betriebsinhabers mit in die Haftung für größere Verbindlichkeiten zu neh-men, schon um das Risiko von Vermögensverschiebungen zwischen den Ehegatten auszuschlie-ßen. Dies kennzeichnet den mithaftenden Ehegatten aber noch nicht als Unternehmer, auch dann nicht, wenn er in dem seinem Ehegatten gehörenden Betrieb beschäftigt ist. Auch der über das Maß des Üblichen hinausgehende Arbeitseinsatz der Beigeladenen zu 2) macht sie noch nicht zum Selbständigen, er erklärt sich ebenfalls aus der familiären Verbindung zum Betriebsinhaber.

Der Senat vermag ebenso keine besonderen Kenntnisse der Beigeladenen zu 2) oder eine he-rausgehobene Stellung festzustellen, die allein sie zur Leitung des Betriebs in der Lage und in-soweit als "Herz und Seele" der Firma erscheinen lassen würden. Im Gegenteil, die Beigelade-nen räumen selbst ein, dass die Beigeladene zu 2) aus handwerksrechtlichen Gründen nicht al-leine, sondern nur zusammen mit einem Augenoptikermeister den Betrieb führen könne. Dem-gemäß ist nicht ersichtlich, wie sie die bestimmende Figur in einem Betrieb sein könnte, der ih-rem Ehemann gehört, in dem ihr Ehemann zudem arbeitet und handelsrechtlich als Geschäfts-führer der GmbH sowie handwerksrechtlich als Optikermeister die Verantwortung trägt. Selbst wenn die Beigeladene zu 2) Aufgaben wie Kundenbetreuung, Einkauf, Buchhaltung, Marketing, Mitarbeiterführung und Überwachung des Zahlungsverkehrs selbständig erledigte, ist doch nicht ersichtlich, dass ihr Mann sich aus dem Betrieb schon zurückgezogen hatte. Im Gegenteil, nach dem Vortrag der Beigeladenen wird er beim Verkauf und bei den handwerklichen Aufgaben des Betriebs tätig. Danach werden wesentliche Betriebsabläufe von dem Inhaber der Beigeladenen zu 3) oder doch zumindest unter seiner Aufsicht erledigt. Dann erscheint aber ausgeschlossen, dass der tatsächliche Einfluss der Beigeladenen zu 2) in dem Betrieb stärker als der ihres Ehe-mannes ist. Eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Ausgestaltung der Verhältnisse und ihrer rechtlichen Regelung ist nicht erkennbar.

Die Klage ist auch in Hinblick auf den Feststellungsantrag zulässig und begründet. Das Feststel-lungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegen-satz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsord-nung zwar nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Klä-ger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz gleichwohl auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststel-lungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An diesem fehlte es, wenn es eine effektivere Klagemög-lichkeit gäbe oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage indessen nur zur Aufhebung des Versicherungspflicht vernei-nenden Bescheides der Beklagten und nicht auch zur Feststellung der Rentenversicherungs-pflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen zu 2) und 3) aus deren Sicht begünstigende Bescheid aufgeho-ben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -), so dass letztere zulässig ist. Dass die Beigeladene zu 2) abhängig beschäftigt gewesen ist, ergibt sich aus dem oben Erörterten.

Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 1) ist unzulässig. Die Zulässigkeit einer - im SGG nicht ausdrücklich geregelten - Anschlussberufung setzt voraus, dass sie sich auf denselben Streitgegenstand bezieht wie die eigentliche Berufung (BSG, Urt. v. 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R - Rdnr. 33 [zit. nach juris]; Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 143 Rdnr. 5d). Das ist indessen nicht der Fall, soweit die Beigeladene zu 1) das Bestehen von Versiche-rungspflicht in der Arbeitslosenversicherung festgestellt wissen will. Streitgegenstand des vor-liegenden Verfahrens ist allein das Bestehen von Versicherungspflicht in der Rentenversiche-rung. Auch wenn die Klägerin dies erst im Verlauf des Berufungsverfahrens im Wege einer teilweisen Klagerücknahme klargestellt hat, nimmt das entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO der be-reits eingelegten Anschlussberufung ihre Wirksamkeit (Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 143 Rdnr. 5g).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, da die Beigeladene zu 2) Berufungsklägerin ist und zum Personenkreis des § 183 SGG gehört.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersicht-lich.
Rechtskraft
Aus
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