Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 85/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 453/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2005 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 2.323,20 Euro zu erstatten. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Kostenerstattung in Höhe von 2.323,20 Euro.
Die 1986 geborene Klägerin ist auf beiden Ohren hochgradig schwerhörig. Am linken Ohr ist sie mit einem Hörgerät versorgt, am rechten Ohr mit einem Cochlea-Implantat. Zusätzlich versorgte die Beklagte sie im Jahre 2001 mit einer drahtlosen Übertra-gungsanlage, die aus einem beispielsweise in der Schule vom Lehrer getragenen Sendermikrophon und einem vom Hörgeschädigten getragenen Empfangsgerät be-steht. Bis zum Abschluss der zehnten Klasse am Evangelischen Gymnasium F er-möglichte dies der Klägerin ein problemfreies Hören während des Unterrichts. In die Klasse der Klägerin ging eine weitere schwerhörige Schülerin, die ebenfalls eine drahtlose Übertragungsanlage nutzte. Der Lehrer trug in dieser Situation nur ein Mik-rophon und erreichte so die Empfangsgeräte beider Schülerinnen, die dieselben Sig-nale problemlos auf derselben Frequenz empfingen. Mit Beginn des Besuchs der Oberstufe entstanden jedoch erhebliche Empfangsstörungen, da die beiden schwer-hörigen Schülerinnen nun nicht mehr denselben Klassenraum nutzten, so dass ver-schiedene Lehrer gleichzeitig in verschiedenen Räumen die Sendemikrophone trugen und die Signale sich gegenseitig störten.
Zur Ausschaltung dieser Störungen, die es der Klägerin erschwerten, am Unterrichts-geschehen teilzunehmen, ließ sie sich im Februar 2005 bei der Firma KIND Hörgeräte eine andere, störungsfrei funktionierende drahtlose Übertragungsanlage der Marke Phonak nebst Zubehör anpassen. Hierüber fertigte der Hörgeräteakustiker für die Be-klagte am 8. Februar 2005 eine "Aufstellung der Festbeträge" mit genauer Produktbe-zeichnung und Preisen in Höhe von insgesamt 2.323,20 Euro. Am selben Tag erhielt die Klägerin das Gerät ausgehändigt und nutzte es fortan. Am 1. März 2005 stellten die HNO-Ärzte Dr. V B / Dr. H S der Klägerin eine vertragsärztliche Verordnung aus, in der es hieß "erbitte Phonak Smartlink SX für Hörgeräte".
Diese Verordnung und die "Aufstellung der Festbeträge" seitens des Hörgeräteakusti-kers wurden der beklagten Krankenkasse zugeleitet.
Mit Bescheid vom 8. März 2005 lehnte diese eine Kostenübernahme ab. Die bean-tragte Mikroportanlage sei nur für hörgeschädigte Kinder, die eine normale Schule besuchen können, nicht aber für Erwachsene zu Lasten der gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV) verordnungsfähig.
Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Hörsitua-tion in der Schule werde durch das neue Gerät entscheidend verbessert, was insbe-sondere für die Ablegung des Abiturs von Bedeutung sei.
Der von der Beklagten um eine Beurteilung ersuchte Medizinische Dienst der Kran-kenkassen Berlin-Brandenburg (MDK) hielt die verordnete Anlage nicht für erforderlich und empfahl eine Antragstellung beim Integrationsamt (Dr. S vom 24. März 2005).
Am 6. Juni 2005 stellte die Firma KIND Hörgeräte der Klägerin die seit Februar 2005 genutzte drahtlose Übertragungsanlage mit 2.323,20 Euro abschließend und verbind-lich in Rechnung; für den Fall der Nichtzahlung wurde die Anlage zurückgefordert. Der Betrag wurde daraufhin vom Vater der Klägerin beglichen.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Besuch der gymnasialen Oberstufe stelle kein allgemeines Grundbedürfnis des tägli-chen Lebens dar; die Sicherung der Schulfähigkeit falle daher nicht in den Aufgaben-bereich der GKV.
Im Januar 2006 haben die Klägerin und ihre Eltern hiergegen Klage erhoben. Die Mut-ter der Klägerin, ursprünglich Klägerin zu 3), hat die Klage im Laufe des Klageverfah-rens, der Vater der Klägerin, ursprünglich Kläger zu 2), im Berufungsverfahren zu-rückgenommen.
Die Klägerin hat im Klageverfahren geltend gemacht, die Beklagte sei einstandspflich-tig für die drahtlose Übertragungsanlage, da der weiterführende Schulbesuch alters- und bildungskonform sei. Das Hilfsmittel diene dem unmittelbaren Behinderungsaus-gleich.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des die Klägerin zu 1) behandelnden Hör-geschädigtenpädagogen K. B (Cochlear Implant Centrum Berlin Brandenburg) vom 21. August 2006 eingeholt, auf den Bezug genommen wird.
Mit Urteil vom 5. Juni 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zu Recht habe die Beklagte Kostenüber-nahme bzw. –erstattung abgelehnt. Es fehle schon am notwendigen Kausalzusam-menhang zwischen der Inanspruchnahme der Leistung und der Ablehnung durch die Krankenkasse. Die Kammer habe nämlich nach den Bekundungen der Klägerin und ihres Vaters im Rahmen der mündlichen Verhandlung keinen Zweifel daran, dass ein Kaufvertrag über die drahtlose Übertragungsanlage schon im Februar 2005 und damit vor Ablehnung des Antrags durch die Beklagte zustande gekommen sei; der Kaufpreis sei lediglich gestundet gewesen. Eine für den Fall der Kostenübernahme durch die Beklagte bedingte Abgabe der Geräte durch den Leistungserbringer sei nicht erfolgt, da der Vater der Klägerin ausdrücklich versichert habe, die Kosten zu tragen, falls die Beklagte nicht leiste. Im Übrigen habe aber auch kein Sachleistungsanspruch bestan-den. Der Besuch eines Gymnasiums zähle nämlich nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, so dass die Beklagte nicht leistungspflichtig gewesen sei. Zu-dem sei die Klägerin bereits mit einer drahtlosen Übertragungsanlage versorgt gewe-sen; sie habe also nur eine Alternativversorgung besserer Qualität erstrebt.
Gegen das ihr am 14. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Juli 2007 Berufung eingelegt. Ein Sachleistungsanspruch bestehe. Die Berücksichtigung nur der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sei unvereinbar mit der Verpflichtung der Be-klagten zum Behinderungsausgleich. Ende Mai habe die Firma Hörgeräte KIND sie vor die Wahl gestellt, die Übertragungsanlage zu kaufen oder zurückzugeben. Erst aufgrund dieser Nachricht habe ihr Vater sich entschlossen, die Anlage zu kaufen. Auch nach dem 8. Februar 2005 hätte noch die Möglichkeit bestanden, das Gerät zu-rückzugeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kosten in Hö-he von 2.323,20 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genom-men, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhand-lung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung in Höhe von 2.323,20 Euro.
1. Zu Recht hat das Sozialgericht allerdings entschieden, dass die Anspruchs-grundlage für das Begehren der Klägerin sich nicht aus krankenversicherungsrechtli-chem Zusammenhang ergibt.
Nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist die Erstattung von Kos-ten (Aufwendungen) für eine selbst beschaffte Leistung in einem Fall wie dem vorlie-genden davon abhängig, dass der zur Leistung verpflichtete Träger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. An Letzterem mangelt es.
Die Klägerin hat nämlich keinen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Kos-tenübernahme für die drahtlose Übertragungsanlage. Nach dem insoweit als Rechts-grundlage in Betracht kommenden § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte An-spruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und ande-ren Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus Versorgung der GKV ausge-schlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Demgemäß besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, die kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen sind und weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung einer Behinderung dienen, so-weit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs. 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind. Unzweifelhaft stellt etwa das von der Klägerin getragene Cochlea-Implantat ein Kör-perersatzstück in diesem Sinne dar. Zum unmittelbaren Behinderungsausgleich be-stand insoweit – unstreitig – ein Leistungsanspruch gegenüber der GKV.
Allerdings stand der Klägerin nach Erfüllung der Schulpflicht – also mit Eintritt in die gymnasiale Oberstufe – kein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit einer draht-losen Übertragungsanlage mit dem Ziel des Behinderungsausgleichs aus § 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt SGB V zu. Denn Aufgabe der GKV bei der Hilfsmittelversorgung ist allein die an Gesundheit, Organfunktion und Behandlungserfolg orientierte medizinische Rehabilitation (vgl. hierzu und zum Folgenden: Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Ok-tober 2010, B 3 KR 5/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13; Urteil vom 3. November 1999, B 3 KR 3/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12). Darüber hinausgehende soziale oder berufliche Rehabilitationsleistungen könnten allenfalls von anderen Sozialleis-tungsträgern erbracht werden. Bei GKV-Hilfsmitteln, die - wie hier - nicht unmittelbar eine körperliche Funktion ersetzen, sondern lediglich die direkten oder indirekten Fol-gen einer Behinderung ausgleichen ("mittelbarer Behinderungsausgleich"), kann von medizinischer Rehabilitation aber nur dann die Rede sein, wenn der Zweck des Hilfs-mitteleinsatzes der Befriedigung körperlicher Grundfunktionen und in diesem Sinne einem Grundbedürfnis dient. Dies ist der Fall, wenn das Hilfsmittel die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert: Dann ist ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen. Der Gesetzgeber hat diese ständige Rechtsprechung des BSG zur Hilfsmittelversorgung durch die Regelung in § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ausdrücklich gesetzlich bestätigt.
Die drahtlose Übertragungsanlage kann hierunter nicht fallen, denn sie beseitigt für die Klägerin nicht die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben, sondern ganz vorwiegend in der spezifischen Situation des schulischen Oberstufenun-terrichts und – heute – des universitären Unterrichts. Zur Begründung einer Leis-tungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht dies nicht aus. Wird eine Organfunktion wie das Hören durch ein Hilfsmittel nicht für alle Lebensbereiche glei-chermaßen, sondern nur für bestimmte Lebensbereiche ausgeglichen, so kommt es nach ständiger Rechtsprechung nur dann zu einer weiteren Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den mensch-lichen Grundbedürfnissen zählen. Eine Verbesserung des Behinderungsausgleichs auf beruflicher oder gesellschaftlicher Ebene sowie im Freizeitbereich reicht dazu nicht aus (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. November 1999, B 3 KR 3/99 R, zi-tiert nach juris, dort Rdnr. 13).
2. Allerdings – und im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts – ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin in ihrem speziellen Einzelfall aus den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit denen des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (Sozialhilfe, SGB XII). Die Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung liegt insoweit in § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Danach besteht Erstattungspflicht in Bezug auf selbst beschaffte Leistungen, wenn der Reha-bilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
a) Den hier ebenso wie im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V notwendigen Beschaf-fungsweg hat die Klägerin nach Auffassung des Senats eingehalten. Indem das Ge-setz die Erstattung von Kosten (Aufwendungen) für eine selbst beschaffte Leistung in einem Fall wie dem vorliegenden davon abhängig macht, dass der zur Leistung ver-pflichtete Träger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, setzt es insbesondere vor-aus, dass die Beschaffung der Leistung kausal zurück geht auf eine Ablehnung der Leistungserbringung durch den Leistungsträger. "Selbst beschafft" ist eine Hilfsmittel-Leistung dabei grundsätzlich nicht schon mit deren Auswahl (vgl. hierzu und zum Fol-genden: Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12). Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren not-wendig vorgeschaltet und scheidet deshalb mit Ausnahme von Fällen der Vorfestle-gung als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. An-spruchshindernd ist vielmehr erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhält-nis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Unschädlich sind danach Aus-wahlentscheidungen, die – wie hier – den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgerätever-sorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommen-den Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Überlassung der angepassten Geräte. Anders ist es erst dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Kran-kenkasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die Kranken-kasse die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts sprechen hier die überwiegenden Anzeichen dafür, dass die Klägerin die drahtlose Übertragungsanlage noch nicht ver-bindlich und abschließend beschafft hatte, als sie bei der Beklagten den Antrag auf Kostenübernahme stellte. Die Bekundungen der Klägerin und ihres Vaters im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat lassen das Vorbringen plausibel erschei-nen, wonach eine Rückgabe der Anlage an den Hörgeräteakustiker auch noch im Mai 2005 möglich gewesen wäre.
b) Die Leistungsablehnung durch die angefochtenen Bescheide erfolgte auch zu Unrecht. Die Klägerin konnte nämlich eine Versorgung mit der störungsfrei funktionie-renden drahtlosen Übertragungsanlage nach den Vorschriften des SGB XII als Maß-nahme der Eingliederungshilfe beanspruchen.
Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Perso-nen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht be-steht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die auf § 60 SGB XII beru-hende Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) grenzt u.a. in ihrem § 1 ("körperlich wesentlich behinderte Menschen") den insoweit leistungsberechtigten Personenkreis näher ein. Diesen Eingangsvoraussetzungen wird die Klägerin gerecht. Denn durch ihre erhebliche Hörminderung, die ihr eine sprachliche Verständigung über das Gehör nur mit Hörhilfen ermöglicht (§ 1 Nr. 5 EinglHV), ist ihre Teilhabe am Leben in der Ge-sellschaft offenkundig beeinträchtigt.
Eine Leistung der Eingliederungshilfe besteht nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch in der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. § 12 Nr. 3 der Eingliede-rungshilfeverordnung (EinglHV) stellt insoweit klar, dass sich dies auf den Besuch ei-nes Gymnasiums erstreckt. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorschrift dem Begeh-ren der Klägerin, die die drahtlose Übertragungsanlage gerade in schulischem und universitärem Zusammenhang nutzt, weitaus eher Rechnung trägt als § 33 SGB V mit seiner oben dargestellten Begrenzung auf Hilfsmittel, die für alle Lebensbereiche glei-chermaßen einsetzbar sind. Die streitgegenständliche drahtlose Übertragungsanlage zählt als Hörgerät i.S.v. § 9 Abs. 2 Nr. 8 EinglHV auch zu den sog. anderen Hilfsmit-teln nach § 9 Abs. 1 und 3 EinglHV i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, da es dazu be-stimmt und geeignet ist, die gravierend eingeschränkten Möglichkeiten der Klägerin, über das Gehör an der sprachlichen Verständigung teilzunehmen, auszugleichen. Die-se Anlage, die die Klägerin offensichtlich bedienen kann, ist ferner erforderlich, da An-haltspunkte für einen kostengünstigeren Behinderungsausgleich weder vorgebracht noch anderweitig ersichtlich sind.
Unerheblich ist ferner, dass es mit der Beschaffung der drahtlosen Übertragungsanla-ge aufgrund der im Tatbestand geschilderten Problematik der Frequenzstörungen zu einer Doppelausstattung kam; diese erklärt § 10 Abs. 2 EinglHV für hinnehmbar, so-weit sie im Einzelfall erforderlich ist. An der Erforderlichkeit in diesem Sinne hat der Senat keinen Zweifel, denn die Klägerin war mit der ursprünglichen Übertragungsan-lage nicht mehr in der Lage, dem Unterricht sachgerecht zu folgen.
Leistungsberechtigung besteht insoweit nach § 19 Abs. 3 SGB XII, soweit die Aufbrin-gung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften der §§ 82 bis 96 SGB XII nicht zumutbar ist. Für die von der Klägerin begehrte Leistung, die un-zweifelhaft dem Erwerb einer angemessenen Schulbildung diente, sieht speziell § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB XII die Nichtanrechenbarkeit von Vermögen vor; dies hat das Sozialgericht übersehen, indem es die Klägerin auf die Einsetzbarkeit der Mittel aus ihrem Bausparvertrag verwies.
c) Schließlich ist die Beklagte für den dargestellten Anspruch auf Eingliederungs-hilfe auch gesetzlich zuständiger "Rehabilitationsträger" im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Dies ergibt sich aus § 14 SGB IX. Dort heißt es:
(1) Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Abs. 4 des Fünften Buches. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leis-tung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auf-fassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Muss für eine solche Feststel-lung die Ursache der Behinderung geklärt werden und ist diese Klärung in der Frist nach Satz 1 nicht möglich, wird der Antrag unverzüglich dem Rehabilitati-onsträger zugeleitet, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt. ( )
(2) Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Re-habilitationsbedarf unverzüglich fest. Muss für diese Feststellung ein Gutachten nicht eingeholt werden, entscheidet der Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang. Wird der Antrag weitergeleitet, gelten die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend; die in Satz 2 genannte Frist beginnt mit dem Eingang bei diesem Rehabilitationsträger. Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen. Kann der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, für die beantragte Leistung nicht Re-habilitationsträger nach § 6 Abs. 1 sein, klärt er unverzüglich mit dem nach sei-ner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach den Sätzen 2 und 4 ent-schieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller.
Hiernach war die Beklagte als erstangegangene Rehabilitationsträgerin im Verhältnis zur Klägerin zur Prüfung auch der weiter in Betracht zu ziehenden, über das SGB V hinaus gehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen verpflichtet. Der materiell-rechtlich eigentlich zuständige Rehabilitationsträger verliert im Außenver-hältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beklagte Krankenkasse) eine i.S. von § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständig-keitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Diese Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhält-nis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrecht-lich vorgesehen sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 4/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22). Zuständig ist also derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier die beklagte Kranken-kasse. Ohne Belang ist hierbei, dass die drahtlose Übertragungsanlage im Bereich der GKV der medizinischen Rehabilitation, im Bereich der Sozialhilfe hingegen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen ist (vgl. BSG a.a.O. Rd. 23). Denn die Leistungszwecke – allein auf diese und nicht auf die Leistungsgegenstände ist abzustellen – des SGB V bzw. der medizinischen und der sozialen Rehabilitation können sich überschneiden (BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 19/08 R, zitiert nach juris, dort Rd. 21).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Kostenerstattung in Höhe von 2.323,20 Euro.
Die 1986 geborene Klägerin ist auf beiden Ohren hochgradig schwerhörig. Am linken Ohr ist sie mit einem Hörgerät versorgt, am rechten Ohr mit einem Cochlea-Implantat. Zusätzlich versorgte die Beklagte sie im Jahre 2001 mit einer drahtlosen Übertra-gungsanlage, die aus einem beispielsweise in der Schule vom Lehrer getragenen Sendermikrophon und einem vom Hörgeschädigten getragenen Empfangsgerät be-steht. Bis zum Abschluss der zehnten Klasse am Evangelischen Gymnasium F er-möglichte dies der Klägerin ein problemfreies Hören während des Unterrichts. In die Klasse der Klägerin ging eine weitere schwerhörige Schülerin, die ebenfalls eine drahtlose Übertragungsanlage nutzte. Der Lehrer trug in dieser Situation nur ein Mik-rophon und erreichte so die Empfangsgeräte beider Schülerinnen, die dieselben Sig-nale problemlos auf derselben Frequenz empfingen. Mit Beginn des Besuchs der Oberstufe entstanden jedoch erhebliche Empfangsstörungen, da die beiden schwer-hörigen Schülerinnen nun nicht mehr denselben Klassenraum nutzten, so dass ver-schiedene Lehrer gleichzeitig in verschiedenen Räumen die Sendemikrophone trugen und die Signale sich gegenseitig störten.
Zur Ausschaltung dieser Störungen, die es der Klägerin erschwerten, am Unterrichts-geschehen teilzunehmen, ließ sie sich im Februar 2005 bei der Firma KIND Hörgeräte eine andere, störungsfrei funktionierende drahtlose Übertragungsanlage der Marke Phonak nebst Zubehör anpassen. Hierüber fertigte der Hörgeräteakustiker für die Be-klagte am 8. Februar 2005 eine "Aufstellung der Festbeträge" mit genauer Produktbe-zeichnung und Preisen in Höhe von insgesamt 2.323,20 Euro. Am selben Tag erhielt die Klägerin das Gerät ausgehändigt und nutzte es fortan. Am 1. März 2005 stellten die HNO-Ärzte Dr. V B / Dr. H S der Klägerin eine vertragsärztliche Verordnung aus, in der es hieß "erbitte Phonak Smartlink SX für Hörgeräte".
Diese Verordnung und die "Aufstellung der Festbeträge" seitens des Hörgeräteakusti-kers wurden der beklagten Krankenkasse zugeleitet.
Mit Bescheid vom 8. März 2005 lehnte diese eine Kostenübernahme ab. Die bean-tragte Mikroportanlage sei nur für hörgeschädigte Kinder, die eine normale Schule besuchen können, nicht aber für Erwachsene zu Lasten der gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV) verordnungsfähig.
Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Hörsitua-tion in der Schule werde durch das neue Gerät entscheidend verbessert, was insbe-sondere für die Ablegung des Abiturs von Bedeutung sei.
Der von der Beklagten um eine Beurteilung ersuchte Medizinische Dienst der Kran-kenkassen Berlin-Brandenburg (MDK) hielt die verordnete Anlage nicht für erforderlich und empfahl eine Antragstellung beim Integrationsamt (Dr. S vom 24. März 2005).
Am 6. Juni 2005 stellte die Firma KIND Hörgeräte der Klägerin die seit Februar 2005 genutzte drahtlose Übertragungsanlage mit 2.323,20 Euro abschließend und verbind-lich in Rechnung; für den Fall der Nichtzahlung wurde die Anlage zurückgefordert. Der Betrag wurde daraufhin vom Vater der Klägerin beglichen.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Besuch der gymnasialen Oberstufe stelle kein allgemeines Grundbedürfnis des tägli-chen Lebens dar; die Sicherung der Schulfähigkeit falle daher nicht in den Aufgaben-bereich der GKV.
Im Januar 2006 haben die Klägerin und ihre Eltern hiergegen Klage erhoben. Die Mut-ter der Klägerin, ursprünglich Klägerin zu 3), hat die Klage im Laufe des Klageverfah-rens, der Vater der Klägerin, ursprünglich Kläger zu 2), im Berufungsverfahren zu-rückgenommen.
Die Klägerin hat im Klageverfahren geltend gemacht, die Beklagte sei einstandspflich-tig für die drahtlose Übertragungsanlage, da der weiterführende Schulbesuch alters- und bildungskonform sei. Das Hilfsmittel diene dem unmittelbaren Behinderungsaus-gleich.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des die Klägerin zu 1) behandelnden Hör-geschädigtenpädagogen K. B (Cochlear Implant Centrum Berlin Brandenburg) vom 21. August 2006 eingeholt, auf den Bezug genommen wird.
Mit Urteil vom 5. Juni 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zu Recht habe die Beklagte Kostenüber-nahme bzw. –erstattung abgelehnt. Es fehle schon am notwendigen Kausalzusam-menhang zwischen der Inanspruchnahme der Leistung und der Ablehnung durch die Krankenkasse. Die Kammer habe nämlich nach den Bekundungen der Klägerin und ihres Vaters im Rahmen der mündlichen Verhandlung keinen Zweifel daran, dass ein Kaufvertrag über die drahtlose Übertragungsanlage schon im Februar 2005 und damit vor Ablehnung des Antrags durch die Beklagte zustande gekommen sei; der Kaufpreis sei lediglich gestundet gewesen. Eine für den Fall der Kostenübernahme durch die Beklagte bedingte Abgabe der Geräte durch den Leistungserbringer sei nicht erfolgt, da der Vater der Klägerin ausdrücklich versichert habe, die Kosten zu tragen, falls die Beklagte nicht leiste. Im Übrigen habe aber auch kein Sachleistungsanspruch bestan-den. Der Besuch eines Gymnasiums zähle nämlich nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, so dass die Beklagte nicht leistungspflichtig gewesen sei. Zu-dem sei die Klägerin bereits mit einer drahtlosen Übertragungsanlage versorgt gewe-sen; sie habe also nur eine Alternativversorgung besserer Qualität erstrebt.
Gegen das ihr am 14. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Juli 2007 Berufung eingelegt. Ein Sachleistungsanspruch bestehe. Die Berücksichtigung nur der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sei unvereinbar mit der Verpflichtung der Be-klagten zum Behinderungsausgleich. Ende Mai habe die Firma Hörgeräte KIND sie vor die Wahl gestellt, die Übertragungsanlage zu kaufen oder zurückzugeben. Erst aufgrund dieser Nachricht habe ihr Vater sich entschlossen, die Anlage zu kaufen. Auch nach dem 8. Februar 2005 hätte noch die Möglichkeit bestanden, das Gerät zu-rückzugeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kosten in Hö-he von 2.323,20 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genom-men, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhand-lung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung in Höhe von 2.323,20 Euro.
1. Zu Recht hat das Sozialgericht allerdings entschieden, dass die Anspruchs-grundlage für das Begehren der Klägerin sich nicht aus krankenversicherungsrechtli-chem Zusammenhang ergibt.
Nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist die Erstattung von Kos-ten (Aufwendungen) für eine selbst beschaffte Leistung in einem Fall wie dem vorlie-genden davon abhängig, dass der zur Leistung verpflichtete Träger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. An Letzterem mangelt es.
Die Klägerin hat nämlich keinen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Kos-tenübernahme für die drahtlose Übertragungsanlage. Nach dem insoweit als Rechts-grundlage in Betracht kommenden § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte An-spruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und ande-ren Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus Versorgung der GKV ausge-schlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Demgemäß besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, die kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen sind und weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung einer Behinderung dienen, so-weit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs. 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind. Unzweifelhaft stellt etwa das von der Klägerin getragene Cochlea-Implantat ein Kör-perersatzstück in diesem Sinne dar. Zum unmittelbaren Behinderungsausgleich be-stand insoweit – unstreitig – ein Leistungsanspruch gegenüber der GKV.
Allerdings stand der Klägerin nach Erfüllung der Schulpflicht – also mit Eintritt in die gymnasiale Oberstufe – kein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit einer draht-losen Übertragungsanlage mit dem Ziel des Behinderungsausgleichs aus § 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt SGB V zu. Denn Aufgabe der GKV bei der Hilfsmittelversorgung ist allein die an Gesundheit, Organfunktion und Behandlungserfolg orientierte medizinische Rehabilitation (vgl. hierzu und zum Folgenden: Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Ok-tober 2010, B 3 KR 5/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13; Urteil vom 3. November 1999, B 3 KR 3/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12). Darüber hinausgehende soziale oder berufliche Rehabilitationsleistungen könnten allenfalls von anderen Sozialleis-tungsträgern erbracht werden. Bei GKV-Hilfsmitteln, die - wie hier - nicht unmittelbar eine körperliche Funktion ersetzen, sondern lediglich die direkten oder indirekten Fol-gen einer Behinderung ausgleichen ("mittelbarer Behinderungsausgleich"), kann von medizinischer Rehabilitation aber nur dann die Rede sein, wenn der Zweck des Hilfs-mitteleinsatzes der Befriedigung körperlicher Grundfunktionen und in diesem Sinne einem Grundbedürfnis dient. Dies ist der Fall, wenn das Hilfsmittel die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert: Dann ist ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen. Der Gesetzgeber hat diese ständige Rechtsprechung des BSG zur Hilfsmittelversorgung durch die Regelung in § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ausdrücklich gesetzlich bestätigt.
Die drahtlose Übertragungsanlage kann hierunter nicht fallen, denn sie beseitigt für die Klägerin nicht die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben, sondern ganz vorwiegend in der spezifischen Situation des schulischen Oberstufenun-terrichts und – heute – des universitären Unterrichts. Zur Begründung einer Leis-tungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht dies nicht aus. Wird eine Organfunktion wie das Hören durch ein Hilfsmittel nicht für alle Lebensbereiche glei-chermaßen, sondern nur für bestimmte Lebensbereiche ausgeglichen, so kommt es nach ständiger Rechtsprechung nur dann zu einer weiteren Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den mensch-lichen Grundbedürfnissen zählen. Eine Verbesserung des Behinderungsausgleichs auf beruflicher oder gesellschaftlicher Ebene sowie im Freizeitbereich reicht dazu nicht aus (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. November 1999, B 3 KR 3/99 R, zi-tiert nach juris, dort Rdnr. 13).
2. Allerdings – und im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts – ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin in ihrem speziellen Einzelfall aus den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit denen des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (Sozialhilfe, SGB XII). Die Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung liegt insoweit in § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Danach besteht Erstattungspflicht in Bezug auf selbst beschaffte Leistungen, wenn der Reha-bilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
a) Den hier ebenso wie im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V notwendigen Beschaf-fungsweg hat die Klägerin nach Auffassung des Senats eingehalten. Indem das Ge-setz die Erstattung von Kosten (Aufwendungen) für eine selbst beschaffte Leistung in einem Fall wie dem vorliegenden davon abhängig macht, dass der zur Leistung ver-pflichtete Träger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, setzt es insbesondere vor-aus, dass die Beschaffung der Leistung kausal zurück geht auf eine Ablehnung der Leistungserbringung durch den Leistungsträger. "Selbst beschafft" ist eine Hilfsmittel-Leistung dabei grundsätzlich nicht schon mit deren Auswahl (vgl. hierzu und zum Fol-genden: Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12). Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren not-wendig vorgeschaltet und scheidet deshalb mit Ausnahme von Fällen der Vorfestle-gung als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. An-spruchshindernd ist vielmehr erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhält-nis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Unschädlich sind danach Aus-wahlentscheidungen, die – wie hier – den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgerätever-sorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommen-den Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Überlassung der angepassten Geräte. Anders ist es erst dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Kran-kenkasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die Kranken-kasse die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts sprechen hier die überwiegenden Anzeichen dafür, dass die Klägerin die drahtlose Übertragungsanlage noch nicht ver-bindlich und abschließend beschafft hatte, als sie bei der Beklagten den Antrag auf Kostenübernahme stellte. Die Bekundungen der Klägerin und ihres Vaters im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat lassen das Vorbringen plausibel erschei-nen, wonach eine Rückgabe der Anlage an den Hörgeräteakustiker auch noch im Mai 2005 möglich gewesen wäre.
b) Die Leistungsablehnung durch die angefochtenen Bescheide erfolgte auch zu Unrecht. Die Klägerin konnte nämlich eine Versorgung mit der störungsfrei funktionie-renden drahtlosen Übertragungsanlage nach den Vorschriften des SGB XII als Maß-nahme der Eingliederungshilfe beanspruchen.
Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Perso-nen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht be-steht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die auf § 60 SGB XII beru-hende Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) grenzt u.a. in ihrem § 1 ("körperlich wesentlich behinderte Menschen") den insoweit leistungsberechtigten Personenkreis näher ein. Diesen Eingangsvoraussetzungen wird die Klägerin gerecht. Denn durch ihre erhebliche Hörminderung, die ihr eine sprachliche Verständigung über das Gehör nur mit Hörhilfen ermöglicht (§ 1 Nr. 5 EinglHV), ist ihre Teilhabe am Leben in der Ge-sellschaft offenkundig beeinträchtigt.
Eine Leistung der Eingliederungshilfe besteht nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch in der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. § 12 Nr. 3 der Eingliede-rungshilfeverordnung (EinglHV) stellt insoweit klar, dass sich dies auf den Besuch ei-nes Gymnasiums erstreckt. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorschrift dem Begeh-ren der Klägerin, die die drahtlose Übertragungsanlage gerade in schulischem und universitärem Zusammenhang nutzt, weitaus eher Rechnung trägt als § 33 SGB V mit seiner oben dargestellten Begrenzung auf Hilfsmittel, die für alle Lebensbereiche glei-chermaßen einsetzbar sind. Die streitgegenständliche drahtlose Übertragungsanlage zählt als Hörgerät i.S.v. § 9 Abs. 2 Nr. 8 EinglHV auch zu den sog. anderen Hilfsmit-teln nach § 9 Abs. 1 und 3 EinglHV i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, da es dazu be-stimmt und geeignet ist, die gravierend eingeschränkten Möglichkeiten der Klägerin, über das Gehör an der sprachlichen Verständigung teilzunehmen, auszugleichen. Die-se Anlage, die die Klägerin offensichtlich bedienen kann, ist ferner erforderlich, da An-haltspunkte für einen kostengünstigeren Behinderungsausgleich weder vorgebracht noch anderweitig ersichtlich sind.
Unerheblich ist ferner, dass es mit der Beschaffung der drahtlosen Übertragungsanla-ge aufgrund der im Tatbestand geschilderten Problematik der Frequenzstörungen zu einer Doppelausstattung kam; diese erklärt § 10 Abs. 2 EinglHV für hinnehmbar, so-weit sie im Einzelfall erforderlich ist. An der Erforderlichkeit in diesem Sinne hat der Senat keinen Zweifel, denn die Klägerin war mit der ursprünglichen Übertragungsan-lage nicht mehr in der Lage, dem Unterricht sachgerecht zu folgen.
Leistungsberechtigung besteht insoweit nach § 19 Abs. 3 SGB XII, soweit die Aufbrin-gung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften der §§ 82 bis 96 SGB XII nicht zumutbar ist. Für die von der Klägerin begehrte Leistung, die un-zweifelhaft dem Erwerb einer angemessenen Schulbildung diente, sieht speziell § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB XII die Nichtanrechenbarkeit von Vermögen vor; dies hat das Sozialgericht übersehen, indem es die Klägerin auf die Einsetzbarkeit der Mittel aus ihrem Bausparvertrag verwies.
c) Schließlich ist die Beklagte für den dargestellten Anspruch auf Eingliederungs-hilfe auch gesetzlich zuständiger "Rehabilitationsträger" im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Dies ergibt sich aus § 14 SGB IX. Dort heißt es:
(1) Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Abs. 4 des Fünften Buches. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leis-tung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auf-fassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Muss für eine solche Feststel-lung die Ursache der Behinderung geklärt werden und ist diese Klärung in der Frist nach Satz 1 nicht möglich, wird der Antrag unverzüglich dem Rehabilitati-onsträger zugeleitet, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt. ( )
(2) Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Re-habilitationsbedarf unverzüglich fest. Muss für diese Feststellung ein Gutachten nicht eingeholt werden, entscheidet der Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang. Wird der Antrag weitergeleitet, gelten die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend; die in Satz 2 genannte Frist beginnt mit dem Eingang bei diesem Rehabilitationsträger. Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen. Kann der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, für die beantragte Leistung nicht Re-habilitationsträger nach § 6 Abs. 1 sein, klärt er unverzüglich mit dem nach sei-ner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach den Sätzen 2 und 4 ent-schieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller.
Hiernach war die Beklagte als erstangegangene Rehabilitationsträgerin im Verhältnis zur Klägerin zur Prüfung auch der weiter in Betracht zu ziehenden, über das SGB V hinaus gehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen verpflichtet. Der materiell-rechtlich eigentlich zuständige Rehabilitationsträger verliert im Außenver-hältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beklagte Krankenkasse) eine i.S. von § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständig-keitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Diese Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhält-nis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrecht-lich vorgesehen sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 4/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22). Zuständig ist also derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier die beklagte Kranken-kasse. Ohne Belang ist hierbei, dass die drahtlose Übertragungsanlage im Bereich der GKV der medizinischen Rehabilitation, im Bereich der Sozialhilfe hingegen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen ist (vgl. BSG a.a.O. Rd. 23). Denn die Leistungszwecke – allein auf diese und nicht auf die Leistungsgegenstände ist abzustellen – des SGB V bzw. der medizinischen und der sozialen Rehabilitation können sich überschneiden (BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 19/08 R, zitiert nach juris, dort Rd. 21).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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