Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 9 SB 132/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 44/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. November 2007 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 14. September 2004 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 22. Februar 2005 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 verpflichtet, bei dem Kläger ab Januar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu 1/4 zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten noch die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab Januar 2009.
Auf den Antrag des im Oktober 1942 geborenen Klägers vom 1. März 2004 holte der Beklagte Befundberichte ein, insbesondere des Augenarztes Dr. S vom 2. April 2004, der eine Sehschärfe rechts von 0,4 und links von 1,0 feststellte. Dem Vorschlag des Sozialmediziners Dr. St in dessen gutachterlichen Stellungnahme vom 4. September 2004 folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2004 dem Kläger einen GdB von 30 zu. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links (20), b) Sehminderung rechts (20), c) Diabetes mellitus (10).
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Auf der Grundlage des Befundberichts des HNO-Arztes Dr. B vom 8. Oktober 2004 und der gutachterlichen Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. M vom 12. Februar 2005 nahm der Beklagte mit dem Teilabhilfebescheid vom 22. Februar 2005 als weitere Behinderung
Schwerhörigkeit (20)
auf und erhöhte den Gesamt-GdB auf 40 ab 1. März 2004. Die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "RF" lehnte er ab. Den im Übrigen aufrecht erhaltenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2005 zurück.
Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger weiterhin einen GdB von 50 und die Merkzeichen "G" und "RF" begehrt. Hierzu hat er diverse medizinische Unterlagen, u.a. den Entlassungsbericht der Landesklinik B vom 21. Juli 2006 eingereicht, in welcher er wegen okulärer Myasthenia gravis mit Doppelbildern und Ptosis im Frühjahr 2006 stationär behandelt wurde.
Neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten der Arbeitsmedizinerin Dr. F vom 21. September 2007 eingeholt. Die Sachverständige hat bei dem Kläger folgende Behinderungen festgestellt:
a) Kunstgelenkersatz der linken Hüfte (20), b) Schwerhörigkeit beidseitig (20), c) Sehminderung rechts (10), seit März 2006 zusätzlich Augenmuskelschwäche mit wiederkehrendem Doppelbildersehen (20) c) Diabetes mellitus (10).
Nach Einschätzung der Gutachterin betrug der Gesamt-GdB seit Antragstellung 30, seit März 2006 40.
Mit Urteil vom 9. November 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist den Bewertungen der Sachverständigen Dr. F im Wesentlichen gefolgt. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers, bei der augenärztlichen Untersuchung vom 18. September 2007 sei eine Sehschärfe rechts von 0,2 ermittelt worden, hat es den Linsenverlust des rechten Auges mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, für seine Sehbehinderung sei ein Einzel-GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Seine Sehschärfe sei nicht richtig diagnostiziert worden, da sein Sehvermögen ohne Brille nicht ermittelt worden sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass bei ihm ein Gesichtsfeldausfall des nasalen oberen Quadranten des rechten Auges vorliege, dass beim Fixieren und konzentrierten Sehen Doppelbilder erschienen und dass sein Augenlid herabhänge. Für die Muskelschwäche sei ein Einzel-GdB von 20 bis 40 angemessen. Unter Berücksichtigung der Innenohrschwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 20, dem Kunstgelenkersatz der linken Hüfte mit einem Einzel-GdB von 20 und des Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 10 erreiche er einen Gesamt-GdB von 50.
Der Senat hat den Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. Th vom 14. Juli 2008 mit Ergänzung vom 10 März 2009 eingeholt, die zum 20. März 2008 eine Sehschärfe rechts von 0,15 und links von 1,0 sowie zum 12. Januar 2009 eine Sehschärfe rechts von 1/20 mitgeteilt hat.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Nervenarzt Prof. Dr. E gehört worden, der im Gutachten vom 3. Mai 2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 16. August 2010 auf seinem Fachgebiet bei dem Kläger neben der Myasthenia gravis des Auges eine Persönlichkeitsstörung festgestellt hat. Hinsichtlich der Höhe des GdB hat er sich dem Beklagten angeschlossen. Daneben hat die Augenärztin Dr. W nach § 109 SGG das Gutachten vom 24. Januar 2011 erstellt: Die korrigierte Sehschärfe des Klägers habe bei der Untersuchung rechts 1/36 und links 0,8 betragen. Am rechten Auge sei das Gesichtsfeld im nasenwärtigen oberen Quadranten ausgefallen. Die anhaltenden Doppelbilder von wechselnder Ausprägung sowie das Herabhängen des Oberlids am rechten Auge seien durch die gesicherte Myasthenia gravis zu erklären. Für das reduzierte Sehvermögen bei Linsenverlust sei ein GdB von 30, für das herabhängende Oberlid ein GdB von 10 und für die Doppelbilder, deretwegen ein Auge vom Sehen ausgeschlossen werden müsse, ein GdB von 30 zu berücksichtigen. Auf ihrem Fachgebiet betrage der GdB insgesamt 40.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 25. August 2009 hat der Kläger die Berufung hinsichtlich der Nachteilsausgleiche sowie für die Zeit vor dem Jahre 2009 zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 14. September 2004 in der Fassung des Bescheides vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 zu verpflichten, bei ihm ab Januar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seinen Entscheidungen unter Berufung auf die von ihm vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen, zuletzt vom 13. Mai 2009, fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist, begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch, dass dieser bei ihm ab Januar 2009 einen GdB von 50 feststellt. Das Sozialgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung die Klage insoweit zu Unrecht abgewiesen.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Die Sehbehinderungen des Klägers sind im streitgegenständlichen Zeitraum, d.h. ab Januar 2009, im Hinblick auf die Verschlechterung seiner Sehfähigkeit auf 30 festzusetzen. Die behandelnde Augenärztin Dr. Th hat mit Schreiben vom 10. März 2009 mitgeteilt, dass bei der Untersuchung vom 12. Januar 2009 die korrigierte Sehschärfe rechts nur noch 0,05 betrug. Teil B Nr. 4.2 (Bl. 29) der Anlage zur VersMedV sieht für den durch intraokulare Kunstlinse korrigierten Linsenverlust eines Auges bei einer Sehschärfe von weniger als 0,1 einem GdB-Rahmen von 25 bis 30 vor. Entgegen der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13. Mai 2009, in der die Sozialmedizinerin Dr. H einen GdB von 25 vorschlägt, ist es nach Ansicht des Senats gerechtfertigt, den vorgegebenen Rahmen auszuschöpfen. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit der MdE-Tabelle der DOG in Teil B Nr. 4.3 (Bl. 30) der Anlage zur VersMedV. Danach ist bei einer Sehschärfe links von 1,0 der GdB auf 20 festzusetzen, wenn die Sehschärfe rechts unter 0,1 beträgt. Teil B Nr. 4.2 (Bl. 29) der Anlage zur VersMedV privilegiert somit erkennbar den Linsenverlust, indem er für diesen bei gleicher Sehschärfe einen höheren GdB (hier mindestens 25) vorschreibt. Wenn nach der MdE-Tabelle der DOG bei einer Sehschärfe links von 1,0 und rechts von nur 0,05 der GdB auf 25 festzusetzen ist, bedeutet das für den vorliegenden Fall, dass dem Kläger ein GdB von 30 zu gewähren ist.
Der die Sehorgane betreffende Einzel-GdB ist im Hinblick auf den von Dr. S auf der Grundlage des Tests vom 23. September 2003 mitgeteilten Gesichtsfeldausfall im nasenwärtigen oberen Quadranten des rechten Auges nicht zu heraufzusetzen. Denn für diesen ist, wie die Sachverständige Dr. F im Gutachten vom 21. September 2007 nachvollziehbar dargelegt hat, lediglich ein (fiktiver) GdB von 10 zu vergeben. Zum Vergleich hat sie Nr. 26.4 der AHP, jetzt Teil B Nr. 4.5 (Bl. 32) der Anlage zur VersMedV, herangezogen, wonach ein homonymer (d.h. auf beiden Augen gleichseitiger) Gesichtsfeldausfall in einem oberen Quadranten mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Da hier nur ein Auge, das rechte, betroffen ist, muss der GdB entsprechend herabgesetzt werden. Diese Funktionsbeeinträchtigung wirkt sich mit Rücksicht darauf, dass die Sehschärfe rechts am Januar 2009 nur noch 0,05 betragen hat, nicht erhöhend aus.
Eine Heraufsetzung des die Sehorgane betreffende Einzel-GdB von 30 ist auch im Hinblick auf das Doppelbildersehen und die Ptosis nicht gerechtfertigt, die im Frühjahr 2006 einen stationären Aufenthalt in der Landesklinik B erforderlich machten. Diese Auswirkungen der dort festgestellten okulären Myasthenia gravis sind – entsprechend dem überzeugenden Vorschlag der Sachverständigen Dr. F – als Muskelschwäche mit geringen Auswirkungen einzuschätzen, die nach Teil B Nr. 18.6 (Bl. 88) der Anlage zur VersMedV mit einem (fiktiven) GdB von 20 zu bewerten sind. Denn diese Gesundheitsstörung zeitigte nur geringfügige Auswirkungen. Ausweislich des Entlassungsberichts der Landesklinik B vom 21. Juli 2006 war nach medikamentöser Einstellung des Klägers die Ptosis vollständig rückläufig, und die Doppelbilder zeigten sich fast vollständig gebessert. Selbst wenn das Doppelbildersehen in der Folgezeit verstärkt auftrat und in bestimmten Situationen eine Abdeckung des rechten Auges notwendig machte, was entsprechend Teil B Nr. 4.4 (Bl. 30) der Anlage zur VersMedV (Augenmuskellähmungen, Strabismus, wenn ein Auge wegen der Doppelbilder vom Sehen ausgeschlossen werden muss) mit einem (fiktiven) GdB von 30 zu bewerten wäre, kommt eine Anhebung des Einzel-GdB nicht in Betracht. Denn das Erfordernis der Abdeckung betrifft lediglich das erheblich in der Sehschärfe eingeschränkte rechte Auge, so dass hierdurch keine maßgebliche Funktionseinschränkung verbunden ist.
Die Innenohrschwerhörigkeit ist nach Teil B Nr. 5.2 (Bl. 34f.) der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20, der Kunstgelenkersatz der linken Hüfte nach Teil B Nr. 18.12 (Bl. 92) der Anlage zur VersMedV in der zum Januar 2009 geltenden Fassung mit einem Einzel-GdB von 20 und der Diabetes mellitus nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 14. Juli 2010 (die auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Zeiträume zurückwirkt, da die seinerzeit geltenden Bestimmungen in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung vom 10. Dezember 2008 unanwendbar sind; vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 2. Dezember 2010, B 9 SB 3/09 R, bei Juris) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Für die bei dem Kläger vorliegende Muskelschwäche ist kein besonderer Einzel-GdB zu anzusetzen. Keiner ärztlichen Äußerung ist zu entnehmen, dass die Myasthenia gravis Behinderungen zeitigt, die über solche des Auges hinausgeht. Das Doppelbildersehen und das Herabhängen des Oberlides am rechten Auge sind bereits bei den Sehbehinderungen berücksichtigt.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Januar 2009 ist der Gesamt-GdB auf 50 festzusetzen. Die Sehbehinderung, die Schwerhörigkeit und der Kunstgelenkersatz der linken Hüfte betreffen, worauf die Sachverständige Dr. F zutreffend hinweist, ganz verschiedene Abläufe im täglichen Leben. Der einzusetzende Einzel-GdB von 30 für die führende Sehbehinderung ist mit Rücksicht auf die beiden anderen Behinderungen, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 anzusetzen sind, auf insgesamt 50 anzuheben. Der Diabetes mellitus ist nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen, da er nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Denn nach Teil A Nr. 3d (Bl. 10) der Anlage zu § 2 VersMedV führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beteiligten jeweils nur zum Teil obsiegt haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten noch die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab Januar 2009.
Auf den Antrag des im Oktober 1942 geborenen Klägers vom 1. März 2004 holte der Beklagte Befundberichte ein, insbesondere des Augenarztes Dr. S vom 2. April 2004, der eine Sehschärfe rechts von 0,4 und links von 1,0 feststellte. Dem Vorschlag des Sozialmediziners Dr. St in dessen gutachterlichen Stellungnahme vom 4. September 2004 folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2004 dem Kläger einen GdB von 30 zu. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Kunstgelenkersatz der Hüfte links (20), b) Sehminderung rechts (20), c) Diabetes mellitus (10).
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Auf der Grundlage des Befundberichts des HNO-Arztes Dr. B vom 8. Oktober 2004 und der gutachterlichen Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. M vom 12. Februar 2005 nahm der Beklagte mit dem Teilabhilfebescheid vom 22. Februar 2005 als weitere Behinderung
Schwerhörigkeit (20)
auf und erhöhte den Gesamt-GdB auf 40 ab 1. März 2004. Die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "RF" lehnte er ab. Den im Übrigen aufrecht erhaltenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2005 zurück.
Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger weiterhin einen GdB von 50 und die Merkzeichen "G" und "RF" begehrt. Hierzu hat er diverse medizinische Unterlagen, u.a. den Entlassungsbericht der Landesklinik B vom 21. Juli 2006 eingereicht, in welcher er wegen okulärer Myasthenia gravis mit Doppelbildern und Ptosis im Frühjahr 2006 stationär behandelt wurde.
Neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten der Arbeitsmedizinerin Dr. F vom 21. September 2007 eingeholt. Die Sachverständige hat bei dem Kläger folgende Behinderungen festgestellt:
a) Kunstgelenkersatz der linken Hüfte (20), b) Schwerhörigkeit beidseitig (20), c) Sehminderung rechts (10), seit März 2006 zusätzlich Augenmuskelschwäche mit wiederkehrendem Doppelbildersehen (20) c) Diabetes mellitus (10).
Nach Einschätzung der Gutachterin betrug der Gesamt-GdB seit Antragstellung 30, seit März 2006 40.
Mit Urteil vom 9. November 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist den Bewertungen der Sachverständigen Dr. F im Wesentlichen gefolgt. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers, bei der augenärztlichen Untersuchung vom 18. September 2007 sei eine Sehschärfe rechts von 0,2 ermittelt worden, hat es den Linsenverlust des rechten Auges mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, für seine Sehbehinderung sei ein Einzel-GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Seine Sehschärfe sei nicht richtig diagnostiziert worden, da sein Sehvermögen ohne Brille nicht ermittelt worden sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass bei ihm ein Gesichtsfeldausfall des nasalen oberen Quadranten des rechten Auges vorliege, dass beim Fixieren und konzentrierten Sehen Doppelbilder erschienen und dass sein Augenlid herabhänge. Für die Muskelschwäche sei ein Einzel-GdB von 20 bis 40 angemessen. Unter Berücksichtigung der Innenohrschwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 20, dem Kunstgelenkersatz der linken Hüfte mit einem Einzel-GdB von 20 und des Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 10 erreiche er einen Gesamt-GdB von 50.
Der Senat hat den Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. Th vom 14. Juli 2008 mit Ergänzung vom 10 März 2009 eingeholt, die zum 20. März 2008 eine Sehschärfe rechts von 0,15 und links von 1,0 sowie zum 12. Januar 2009 eine Sehschärfe rechts von 1/20 mitgeteilt hat.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Nervenarzt Prof. Dr. E gehört worden, der im Gutachten vom 3. Mai 2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 16. August 2010 auf seinem Fachgebiet bei dem Kläger neben der Myasthenia gravis des Auges eine Persönlichkeitsstörung festgestellt hat. Hinsichtlich der Höhe des GdB hat er sich dem Beklagten angeschlossen. Daneben hat die Augenärztin Dr. W nach § 109 SGG das Gutachten vom 24. Januar 2011 erstellt: Die korrigierte Sehschärfe des Klägers habe bei der Untersuchung rechts 1/36 und links 0,8 betragen. Am rechten Auge sei das Gesichtsfeld im nasenwärtigen oberen Quadranten ausgefallen. Die anhaltenden Doppelbilder von wechselnder Ausprägung sowie das Herabhängen des Oberlids am rechten Auge seien durch die gesicherte Myasthenia gravis zu erklären. Für das reduzierte Sehvermögen bei Linsenverlust sei ein GdB von 30, für das herabhängende Oberlid ein GdB von 10 und für die Doppelbilder, deretwegen ein Auge vom Sehen ausgeschlossen werden müsse, ein GdB von 30 zu berücksichtigen. Auf ihrem Fachgebiet betrage der GdB insgesamt 40.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 25. August 2009 hat der Kläger die Berufung hinsichtlich der Nachteilsausgleiche sowie für die Zeit vor dem Jahre 2009 zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 14. September 2004 in der Fassung des Bescheides vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 zu verpflichten, bei ihm ab Januar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seinen Entscheidungen unter Berufung auf die von ihm vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen, zuletzt vom 13. Mai 2009, fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist, begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch, dass dieser bei ihm ab Januar 2009 einen GdB von 50 feststellt. Das Sozialgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung die Klage insoweit zu Unrecht abgewiesen.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Die Sehbehinderungen des Klägers sind im streitgegenständlichen Zeitraum, d.h. ab Januar 2009, im Hinblick auf die Verschlechterung seiner Sehfähigkeit auf 30 festzusetzen. Die behandelnde Augenärztin Dr. Th hat mit Schreiben vom 10. März 2009 mitgeteilt, dass bei der Untersuchung vom 12. Januar 2009 die korrigierte Sehschärfe rechts nur noch 0,05 betrug. Teil B Nr. 4.2 (Bl. 29) der Anlage zur VersMedV sieht für den durch intraokulare Kunstlinse korrigierten Linsenverlust eines Auges bei einer Sehschärfe von weniger als 0,1 einem GdB-Rahmen von 25 bis 30 vor. Entgegen der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13. Mai 2009, in der die Sozialmedizinerin Dr. H einen GdB von 25 vorschlägt, ist es nach Ansicht des Senats gerechtfertigt, den vorgegebenen Rahmen auszuschöpfen. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit der MdE-Tabelle der DOG in Teil B Nr. 4.3 (Bl. 30) der Anlage zur VersMedV. Danach ist bei einer Sehschärfe links von 1,0 der GdB auf 20 festzusetzen, wenn die Sehschärfe rechts unter 0,1 beträgt. Teil B Nr. 4.2 (Bl. 29) der Anlage zur VersMedV privilegiert somit erkennbar den Linsenverlust, indem er für diesen bei gleicher Sehschärfe einen höheren GdB (hier mindestens 25) vorschreibt. Wenn nach der MdE-Tabelle der DOG bei einer Sehschärfe links von 1,0 und rechts von nur 0,05 der GdB auf 25 festzusetzen ist, bedeutet das für den vorliegenden Fall, dass dem Kläger ein GdB von 30 zu gewähren ist.
Der die Sehorgane betreffende Einzel-GdB ist im Hinblick auf den von Dr. S auf der Grundlage des Tests vom 23. September 2003 mitgeteilten Gesichtsfeldausfall im nasenwärtigen oberen Quadranten des rechten Auges nicht zu heraufzusetzen. Denn für diesen ist, wie die Sachverständige Dr. F im Gutachten vom 21. September 2007 nachvollziehbar dargelegt hat, lediglich ein (fiktiver) GdB von 10 zu vergeben. Zum Vergleich hat sie Nr. 26.4 der AHP, jetzt Teil B Nr. 4.5 (Bl. 32) der Anlage zur VersMedV, herangezogen, wonach ein homonymer (d.h. auf beiden Augen gleichseitiger) Gesichtsfeldausfall in einem oberen Quadranten mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Da hier nur ein Auge, das rechte, betroffen ist, muss der GdB entsprechend herabgesetzt werden. Diese Funktionsbeeinträchtigung wirkt sich mit Rücksicht darauf, dass die Sehschärfe rechts am Januar 2009 nur noch 0,05 betragen hat, nicht erhöhend aus.
Eine Heraufsetzung des die Sehorgane betreffende Einzel-GdB von 30 ist auch im Hinblick auf das Doppelbildersehen und die Ptosis nicht gerechtfertigt, die im Frühjahr 2006 einen stationären Aufenthalt in der Landesklinik B erforderlich machten. Diese Auswirkungen der dort festgestellten okulären Myasthenia gravis sind – entsprechend dem überzeugenden Vorschlag der Sachverständigen Dr. F – als Muskelschwäche mit geringen Auswirkungen einzuschätzen, die nach Teil B Nr. 18.6 (Bl. 88) der Anlage zur VersMedV mit einem (fiktiven) GdB von 20 zu bewerten sind. Denn diese Gesundheitsstörung zeitigte nur geringfügige Auswirkungen. Ausweislich des Entlassungsberichts der Landesklinik B vom 21. Juli 2006 war nach medikamentöser Einstellung des Klägers die Ptosis vollständig rückläufig, und die Doppelbilder zeigten sich fast vollständig gebessert. Selbst wenn das Doppelbildersehen in der Folgezeit verstärkt auftrat und in bestimmten Situationen eine Abdeckung des rechten Auges notwendig machte, was entsprechend Teil B Nr. 4.4 (Bl. 30) der Anlage zur VersMedV (Augenmuskellähmungen, Strabismus, wenn ein Auge wegen der Doppelbilder vom Sehen ausgeschlossen werden muss) mit einem (fiktiven) GdB von 30 zu bewerten wäre, kommt eine Anhebung des Einzel-GdB nicht in Betracht. Denn das Erfordernis der Abdeckung betrifft lediglich das erheblich in der Sehschärfe eingeschränkte rechte Auge, so dass hierdurch keine maßgebliche Funktionseinschränkung verbunden ist.
Die Innenohrschwerhörigkeit ist nach Teil B Nr. 5.2 (Bl. 34f.) der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20, der Kunstgelenkersatz der linken Hüfte nach Teil B Nr. 18.12 (Bl. 92) der Anlage zur VersMedV in der zum Januar 2009 geltenden Fassung mit einem Einzel-GdB von 20 und der Diabetes mellitus nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 14. Juli 2010 (die auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Zeiträume zurückwirkt, da die seinerzeit geltenden Bestimmungen in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung vom 10. Dezember 2008 unanwendbar sind; vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 2. Dezember 2010, B 9 SB 3/09 R, bei Juris) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Für die bei dem Kläger vorliegende Muskelschwäche ist kein besonderer Einzel-GdB zu anzusetzen. Keiner ärztlichen Äußerung ist zu entnehmen, dass die Myasthenia gravis Behinderungen zeitigt, die über solche des Auges hinausgeht. Das Doppelbildersehen und das Herabhängen des Oberlides am rechten Auge sind bereits bei den Sehbehinderungen berücksichtigt.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Januar 2009 ist der Gesamt-GdB auf 50 festzusetzen. Die Sehbehinderung, die Schwerhörigkeit und der Kunstgelenkersatz der linken Hüfte betreffen, worauf die Sachverständige Dr. F zutreffend hinweist, ganz verschiedene Abläufe im täglichen Leben. Der einzusetzende Einzel-GdB von 30 für die führende Sehbehinderung ist mit Rücksicht auf die beiden anderen Behinderungen, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 anzusetzen sind, auf insgesamt 50 anzuheben. Der Diabetes mellitus ist nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen, da er nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Denn nach Teil A Nr. 3d (Bl. 10) der Anlage zu § 2 VersMedV führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beteiligten jeweils nur zum Teil obsiegt haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved