L 1 KR 255/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 71/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 255/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Fahrtkosten im Taxi zur ambulanten Behandlung in Höhe von 301,20 Euro.

Der 1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an Multipler Sklerose. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 100 % und das Merkzeichen G zuerkannt. An seinem Wohnort L gab und gibt es zumindest einen praktizierenden Neurologen.

Am 05. August 2008 erlitt der Kläger einen akuten Schub der Erkrankung. Er ließ sich mit dem Taxi in die Notaufnahme des Klinikums E nach P fahren. Am 07. August, 12. August, 13. August und 14. August 2008 begab er sich jeweils von zu Hause nach B in die Praxis seiner ihn seit bereits seit Jahren behandelnden Neurologin S und erhielt als Schubtherapie intravenös Kortison (Methylprednisolon). Er ließ sich dabei hin und zurück mit dem Taxi fahren.

Am 12. August 2008 beantragte er bei der Beklagten die Kostenerstattung für die Fahrten mit dem Taxi. Er reichte eine Verordnung einer Krankenbeförderung seiner Neurologin vom 07. August 2008 ein, bei der als Grund "schwere Gangstörung bei MS" angegeben war, sowie diverse Taxi-Quittungen. Ferner wiederholte er mit Schreiben vom 23. September 2008 seinen Antrag auf Erstattung, den er nicht habe früher stellen können. Seinerzeit sei er weder in der Lage gewesen, Auto zu fahren, noch öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Er habe nicht mal erkennen können, wohin er fahre.

Die Beklagte wandte sich an die behandelnde Neurologin Straub. Diese teilte unter dem 07. Oktober 2008 mit, wegen des MS-Schubs sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Die Gehstrecke habe nur 50 m betragen. Das Sehen sei unsicher gewesen, Treppensteigen sei nicht möglich gewesen. Auch habe der Kläger nicht Autofahren können, da bei der Schubbehandlung Schwindelbeschwerden eingetreten seien. Die Beklagte schaltete den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) dazu ein. Dieser gelangte in seiner Stellungnahme vom 27. Oktober 2008 zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Krankentransportrichtlinie nicht erfüllt seien. Zwar läge ein Krankheitsverlauf oder eine Behinderung vor, die den Kläger so beeinträchtige, dass er ohne die begehrte Beförderung Schaden an Leib und Leben erleiden könne, jedoch handele es sich nicht um eine hohe Behandlungsfrequenz - zweimal wöchentlich für sechs Monate -. Auch habe der Kläger weder das Merkzeichen aG, Bl, H, noch sei er als pflegebedürftig in die Pflegestufen II oder III eingestuft.

Der Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 06. November 2008 den Antrag auf Kostenübernahme ab.

Der Kläger erhob Widerspruch: Er habe weder selbst Auto fahren können noch eine Person gehabt, die ihn hätte fahren können. Er habe weder Rollstuhl fahren können, noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Ihm sei nicht klar, wie er von dem ihm zur Verfügung stehenden 950,00 Euro netto monatlich die Fahrtkosten bezahlen können solle.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2009 zurück. Die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung dürften nur ausnahmsweise übernommen werden. Die Voraussetzungen hierfür nach § 8 der Krankentransport-Richtlinie lägen nicht vor.

Hiergegen hat sich die beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhobene Klage gerichtet. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, bei ihm habe eine Situation vorgelegen, die der des § 8 Abs. 3 der Krankentransport-Richtlinien entspräche. Temporär habe er sich in einem der dort ausdrücklich benannten Merkmale vergleichbaren Zustand befunden. Darüber hinaus habe eine Behandlungsfrequenz vorgelegen, die mit den Anforderungen des § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien vergleichbar sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung der Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung bei seiner Neurologin. Etwaige Ansprüche seien abschließend in § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geregelt (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG -, Urt. v. 02.11.2007 - B 1 KR 4/07 R - Rdnr. 13). Die Voraussetzungen der hier einzig möglichen Anspruchsgrundlage des § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach die Krankenkasse nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V - also den Krankentransport-Richtlinien - festgelegt habe, lägen hier nicht vor. Die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 Krankentransport-Richtlinien seien nicht einschlägig. Die Kortisonbehandlung habe keine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum im Sinne des § 8 Abs. 2 Krankentransport-Richtlinien gehabt. Der Kläger verfüge auch nicht über eines der in § 8 Abs. 3 der Richtlinien genannten Merkzeichen. Die Formulierung in § 8 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinien "von Versicherten, die keinen Nachweis nach Satz 1 besitzen, wenn diese von einer der Kriterien von Satz 1 vergleichbaren Beeinträchtigungen der Mobilität betroffen sind", sei nach Auffassung der Kammer nur im Sinne der Beurteilung nach dem Schwerbehindertengesetz oder dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) auszulegen. Das Merkzeichen aG im Schwerbehindertenausweis mit außergewöhnlicher Gehbehinderung werde nur vergeben, wenn das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt und die Fortbewegung nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung möglich sein. Dies sei beim Kläger nicht anzunehmen. Der Kläger sei auch nicht blind oder (dauerhaft) hochgradig sehbehindert, um eine dem Merkzeichen "Bl" vergleichbare Einschränkung anzunehmen. Entsprechendes gelte auch für das Merkzeichen "H" für "Hilflos". Es werde erteilt bei Personen, die dauernd und in erheblichem Maße fremde Hilfe für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens benötigten. Die Einschränkungen des Klägers seien nur von vorübergehender Dauer gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Berufung des Klägers vom 20. August 2010: Eine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien liege nicht nur vor, wenn die Voraussetzungen eines der genannten Merkzeichen vorläge, sondern auch dann, wenn - wie beim akuten MS-Schub - die Beeinträchtigung vorübergehender Natur sei. Das Kriterium der Vergleichbarkeit bezöge sich auf die Transportbedürftigkeit. Bei einer anderen Auslegung sei die Richtlinie mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbaren.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 29. Juni 2010 unter Aufhebung des Bescheides vom 06. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2009 zu verurteilen, ihm Fahrtkosten in Höhe von 301,20 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wortlaut, Gesetzessystematik und Sinn und Zweck der Norm widersprächen der vom Kläger angedachten Annahme einer Ausnahmeindikation einer "vergleichbaren Beeinträchtigung in der Mobilität". Die Richtlinien knüpften an den Schwerbehindertenausweis mit den entsprechenden Merkzeichen an bzw. an einen Einstufungsbescheid gemäß SGB XI in die Pflegestufen II oder III. Als behindert gälten Menschen, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Lebensalter abweiche und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sei, § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch. Eine vergleichbare Beeinträchtigung könne somit überhaupt nur dann vorliegen, wenn diese mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauere. Es entspreche gerade nicht der Intention des Gesetzes, die Übernahme von Fahrtkosten im Zusammenhang mit der ambulanten Behandlung zum Regelfall zu machen. Vielmehr solle diese auf solche Ausnahmefälle begrenzt werden, die durch eine auch in zeitlicher Hinsicht besonders schwere Belastung des Versicherten begründet sei.

Entscheidungsgründe:

Es konnte ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter anstelle des Senats entschieden werden. Beide Beteiligten haben sich hiermit einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], § 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Das SG hat im angegriffenen Urteil zu Recht einen Anspruch auf Kostenerstattung abgelehnt. Der Senat durch den erkennenden Richter verweist zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen (§ 153 Abs. 2 SGG).

§ 8 Abs. 3 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien setzt neben den Kriterien des Satzes 1 mit den genannten Merkzeichen oder einem Einstufungsbescheid gemäß SGB XI das Erfordernis einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum voraus. Das SG hat hier ausführlich klargestellt, weshalb eine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität beim Kläger im August 2008 nicht vorgelegen hat. Die damals erforderliche Schub-Kortisontherapie war auch nicht über einen längeren Zeitraum nötig. Sie war hier bereits am 14. August und damit nach zehn Tagen wieder abgeschlossen. Darüber hinaus scheitert ein Kostenerstattungsantrag zumindest teilweise auch daran, dass der Kläger diese nicht vorab beantragt hat, wie dies jedenfalls vor der ersten Rückfahrt von der Neurologin nach Hause am 07. August 2008 möglich gewesen wäre.

Zuletzt setzt eine Kostenerstattung nach § 3 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinie eine Notwendigkeit der Beförderung voraus. Nach der Vorschrift sind "notwendig" in der Regel nur Fahrten auf dem direkten Weg zwischen dem Aufenthaltsort des Versicherten und der nächsten erreichbar geeigneten Behandlungsmöglichkeit. Diese war hier in L: Jedenfalls Neurologe praktiziert auch am Wohnort des Klägers. Dass sich der Kläger der Infusionstherapie lieber bei der ihn seit langem behandelnden Neurologin in B unterzogen hat, ist verständlich. Jedoch sind keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, dass die Therapie nicht auch von einem anderen Neurologen hätte durchgeführt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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