L 3 U 239/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 2 U 20/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 239/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente über den 30. November 2005 hinaus.

Die 1962 geborene Klägerin erlitt am 17. Juli 2003 einen Arbeitsunfall, als sie nach der Spätschicht auf dem Betriebsparkplatz mit ihrem Motorroller auf losem Sand ausrutschte und auf die rechte Schulter stürzte (vgl. den Durchgangsarztbericht (DAB) der Dres. B und W vom 21. Juli 2003 sowie die Unfallanzeige vom 02. September 2003), wobei sie eine zweifache Schulterluxation (d. h. Ausrenkung), eine Supraspinatussehnenabrissverletzung sowie eine frische vordere Labrumabrissverletzung (sog. Bankart-Läsion) an der Schultergelenkspfanne erlitt (vgl. die Zwischenberichte der Dres. B und W vom 23. Juli 2003 sowie des Dr. V-S vom V Klinikum N vom 31. Juli 2003). Am 29. Juli 2003 wurde eine Arthroskopie des rechten Schultergelenks mit offenem Sehnenrepair, offener Bankartoperation sowie Kapselshift nach Neer durchgeführt (vgl. den Arztbrief des Klinikums Neukölln vom 05. August 2003). In der Folge entwickelte die Klägerin eine schmerzhafte partielle Schultersteife rechts (vgl. den Entlassungsbericht der Klinik B vom 10. Dezember 2003 betreffend die vom 19. November bis zum 10. Dezember 2003 durchgeführte berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (bsW)). Nach Abschluss einer Belastungserprobung war die Klägerin ab dem 22. März 2004 wieder arbeitsfähig.

Im Auftrag der Beklagten erstellten Dr. B und Dr. N am 28. April 2004 nach einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag ein Erstes Rentengutachten, in welchem sie als Folgen des Unfalls • eine deutliche Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, insbesondere für das Seit- und Vorwärtsheben, • eine deutliche Kraftminderung des rechten Armes bei Bewegung im Schultergelenk mit Verschmächtigung des Muskulus deltoideus, • eine Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Schultergelenk durch Verklebung der thorakoskapulären Gleitschicht, reizlose Keloidnarben nach
Schulteroparation, • deutliche radiologische Zeichen einer Schultereckgelenksarthrose, die mag-netresonanztomographischen Zeichen einer eingesteiften Schulter bei Kapselschrumpfung und narbiger Verlötung des subacromialen Raumes bzw. der Bur-sa subacromialis/subdeltoidea, • die von der Verletzten glaubhaft geschilderten Beschwerden feststellten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde auf 20 vom Hundert (v. H.). geschätzt und eine Nachuntersuchung in einem Jahr für erforderlich gehalten.

Daraufhin gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 09. September 2004 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juli 2003 ab dem 22. März 2004 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: Deutliche Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, insbeson-dere beim Seit- und Vorwärtsheben, deutliche Kraftminderung des rechten Armes bei Bewegung im Schultergelenk mit Verschmächtigung des Muskulus deltoideus,
Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk durch Verklebung der thorakoskapulären Gleitschicht, radiologisch festgestellte Schultergelenksarthrose, die magnetreso-nanztomographisch festgestellten Zeichen einer eingesteiften Schulter bei Kapsel-schrumpfung und narbiger Verlötung des subacromialen Raumes bzw. der Bursa subacromialis/subdeltoidea, reizlose Keloidnarben nach operativ versorgter Schulterluxation mit Abriss des Labrum glenoidale und Supraspinatussehnenabriss rechts.

Im April 2005 leitete die Beklagte eine Nachprüfung ein und holte zunächst einen Zwi-schenbericht des Durchgangsarztes Dr. P vom 11. Mai 2005 ein. Außerdem gelangte ein Arztbrief der Neurologin P vom 14. August 2005 zu den Akten. Im Auftrag der Beklagten erstellte der Chirurg Dr. Knach einer Untersuchung der Klägerin vom 08. Juli 2005 am 03. August 2005 ein weiteres Rentengutachten, in welchem er bei Verbesserung sowohl der Beweglichkeit der rechten Schulter als auch der Schmerzen zu folgenden Unfallfolgen gelangte: • noch deutlich schmerzhafte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter in allen Ebenen • schmerzhaft bedingte Krafteinschränkung im rechten Arm • subacromiales Impingement der rechten Schulter. Die MdE betrage 10 v. H.

Mit Schreiben vom 19. Oktober 2005 hörte die Beklagte die Klägerin zu ihrer Absicht an, die vorläufige Rente durch Bescheid zu entziehen. Die Folgen des Versicherungsfalls bedingten nur noch eine MdE von 10 v. H. In ihrer Erwiderung vom 07. November 2005 vertrat die Klägerin die Ansicht, es sei keine Änderung ihres Zustands
eingetreten. Mit Bescheid vom 17. November 2005 entzog die Beklagte der Klägerin die bisher als vorläufige Entschädigung gewährte Rente ab dem 01. Dezember 2005. Darüber hinaus wurde die Gewährung einer Rente für unbestimmte Zeit abgelehnt. Als Folgen des Versicherungsfalls lägen vor: Bewegungseinschränkung der rechten Schulter in allen Ebenen bei Herabsetzung der groben Kraft des rechten Armes sowie geringgradiger Minderung der Muskulatur am rechten Schultergürtel nach operativ versorgter Schulterluxation rechts mit einer Labrumrefixation sowie Rotatorenmanschettenrefixation mit noch liegendem Fremdmaterial im Schultergelenk bei reizloser Narbenbildung im Operationsbereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 07. Februar 2006).

Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, zwar möge es im Vergleich zur ersten Rentenbegutachtung am 28. April 2004 zu einer leichten Besserung gekommen sein, diese sei jedoch nicht dergestalt, dass die MdE unter 20 v. H. abgesunken sei. Das SG holte zunächst einen Befundbericht des behandelnden Durchgangsarztes Dr. P vom 30. November 2006 ein und beauftragte anschließend den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. T mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens. In dem am 22. Februar 2008 nach einer Untersuchung der Klägerin am 18. Februar 2008 erstellten Gutachten hat dieser ausgeführt, von der Klägerin würden folgende Funktionsstörungen beklagt: • verminderte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks, insbesondere Überkopfarbeiten oberhalb der Schultergelenkshorizontale seien mit rechts nicht möglich • verminderte Belastbarkeit des rechten Schultergelenks, mit dem rechten Arm könne sie allenfalls leichte Gegenstände kurzzeitig heben und tragen. Klinisch objektiv zeige sich eine verminderte Beweglichkeit am rechten Schultergelenk bei reizloser Narbe. Es lägen Hinweise für eine Restimpingementsymptomatik vor. Die klinischen Tests für Rotatorenmanschettenläsionen seien negativ, die Umfänge an den Armen seien seitengleich, neurologische Ausfälle bestünden nicht. Als Unfallfolgen seien festzustellen: • eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks • beginnende Degeneration der Rotatorenmanschette, die sich in Form von
Verkalkungen am Ansatz dieser Muskulatur am Oberarmkopf radiologisch nachweisen lasse • leicht verminderte Belastbarkeit des rechten Arms ohne Umfangsdifferenzen der Oberarm- und Unterarmmuskulatur. Die unfallbedingte MdE betrage unter Zugrundelegung der Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 2003, 10 v. H.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 20. Februar 2009 insbesondere unter Verweis auf die Befunde und Ausführungen des Dr. K sowie des Dr. T abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 07. August 2009 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingegangene Berufung der Klägerin mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren unter Verweis auf die von Dr. P erhobenen Befunde weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Februar 2009 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juli 2003 über den 30. November 2005 hinaus Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Dr. M mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens betraut. In seinem am 01. Dezember 2009 nach einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestünden folgende Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 17. Juli 2003 zurückzuführen seien: • Schultergelenksverschleiß nach Unfall (posttraumatische Omarthrose) mit sekundärer Schultersteife (frozen shoulder) und Kalkablagerung (Tendinitis calca-rea) rechts • Zustand nach traumatischer Schulterluxation rechts Die MdE betrage 20 v. H. Beide Vorgutachter hätten nicht die vollständige Diagnose berücksichtigt. Dem Gutachten ist ein MRT-Befund der rechten Schulter vom 27. März 2009 beigefügt worden.

Die Beklagte hat das Gutachten kritisiert. Die von Dr. M erhobenen Befunde rechtfertigten keine MdE von 20 v. H. Nicht das seitliche Anheben (Abduktion), sondern die Armvorhebung (Anteversion) sei maßgeblich für die Bemessung der MdE.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Januar 2010 hat Dr. M seine Beurteilung aufrechterhalten und darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zudem eine Instabilität (vordere Subluxation) des rechten Schultergelenks sowie eine Kalkablagerung bestehe.

Die Beklagte hat darauf verweisen, dass eine Instabilität erstmals von Dr. M festgestellt worden sei. Hierbei sei unklar, ob diese tatsächlich bzw. seit wann diese vorliege. Der Verweis auf Verkalkungen rechtfertige keine MdE von 20 v. H. Denn zum einen fehle es an Vergleichsaufnahmen der linken Schulter und zum anderen seien im Rahmen der MdE-Bemessung einzig die bestehenden Funktionseinschränkungen maßgeblich.

In einer weiteren Stellungnahme vom 04. Februar 2010 hat Dr. M ausgeführt, die Klä-gerin könne sehr eindrucksvoll ihre rechte Schulter nach vorne ausrenken. Er verbleibe bei seiner MdE-Bewertung.

Der Senat hat abschließend eine ergänzende Stellungnahme des Dr. T vom 09. März 2010 eingeholt, in der dieser unter anderem dargelegt hat, im Gegensatz zu Dr. M habe er eine Instabilität des rechten Schultergelenks überprüft. Er habe einen dezent positiven Apprehensionstest festgehalten. Allerdings habe zum Zeitpunkt seiner Be-gutachtung eine positive Impingement-Symptomatik überwogen. Der Apprehensionstest sei aufgrund der Schmerzsymptomatik bei der Untersuchung in Seitanhebung und leichter Außenrotation im Stehen nicht eindeutig zu werten gewesen. Im Übrigen fänden sich im MRT-Befund vom 27. Mai 2009 keine Hinweise auf eine Bankart-Läsion oder eine Hill-Sachs-Delle, wie sie gehäuft vorkämen, wenn
Luxationen/Subluxationen und Repositionen stattgefunden hätten. Ferner habe Dr. M keine Umfangsminderung der Muskulatur festgestellt, wie sie bei einer Instabilität, die mit einer Minderung der Funktion einhergehe, zu erwarten sei. Eine Omarthrose werde durch das MRT genauso wenig bestätigt wie durch die von ihm – Dr. T - veranlassten Röntgenaufnahmen des rechten Schultergelenks vom 18. Februar 2008. Vielmehr bestätigten die radiologischen Befunde eine Schultereckgelenksarthrose (AC-Gelenksarthrose). Soweit Dr. M angesichts der von ihm festgestellten Beweglichkeitseinschränkung des rechten Schultergelenks eine MdE von 20 v. H. für angemessen halte, überzeuge dies nicht. Das Standardwerk Schönberger/Mehrtens/Valentin sehe eine MdE von 20 v. H. dann vor, wenn eine Beweglichkeitseinschränkung bis 90° Vor-hebung vorliege. Tatsächlich habe Dr. M eine Vorhebung bis 110° und eine Seitanhe-bung von 90° festgehalten. Offensichtlich habe er Vorhebung und Seitanhebung ver-wechselt. Tatsache sei, dass die Seitanhebung des Armes aus arbeitsmedizinischer Sicht von untergeordneter Bedeutung im vergleich zur Vorhebung sei. Es fänden kaum Arbeitsabläufe bei strikter seitlicher Armanhebung statt. Fast alle Arbeitsabläufe mit dem Arm fänden vor dem eigenen Körper, die meisten unterhalb der Schulterhorizontale, einige oberhalb der Schulterhorizontale, statt.

Die Beklagte hat noch einen Abschlussbericht des Ukrankenhauses B vom 06. Mai (Juni?) 2010 betreffend eine berufsgenossenschaftliche Schulterrehabilitation vom 03. Mai bis zum 01. Juni 2010 nach Arthroskopie und subacromialer Dekompression der rechten Schulter übersandt. Danach hatte sich die Klägerin im Ukrankenhaus wegen einer seit Mai 2009 zunehmenden Impingementsymptomatik der rechten Schulter zur Rehabilitation vom 23. Februar bis zum 23. März 2010 vorgestellt. Nachdem konser-vative Maßnahmen sowie eine Infiltration nicht zu einer Besserung geführt hatten, er-folgte die stationäre Aufnahme zur Arthroskopie und subacromialen Dekompression. Der stationäre Aufenthalt zog sich vom 31. März bis zum 21. April 2010, wobei bereits eine beginnende intensive Physiotherapie stattfand. Nach einer EAP-Staffel erfolgte am 03. Mai 2010 die erneute Aufnahme in der Schulterrehabilitation.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte (Gz. ) der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht über den 30. November 2005 hinaus keine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu.

Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beein-trächtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Der Klägerin ist bis zum 30. November 2005 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. gemäß § 62 Abs. 1 SGB VII gewährt worden. Im Rahmen der hier streitigen erstmaligen Feststellung der Verletztenrente als Rente auf unbestimmte Zeit nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII kann der Vomhundertsatz der MdE bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Insoweit hat die Festsetzung einer Rente als
vorläufige Entschädigung für die erstmalige Entscheidung über eine Rente nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII keine Bindungswirkung. Die Bewilligung einer Rente als vorläufige Entschädigung erledigt sich durch die erstmalige Entscheidung und bleibt daher nach § 39 Abs. 2 SGB X nur bis zu dieser Entscheidung wirksam, ohne einer Aufhe-bung zu bedürfen. Auch wenn in dem Bescheid – wie hier – nicht nur die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt, sondern seinem Wortlaut nach auch die zuvor bewilligte Rente als vorläufige Entschädigung "entzogen" wird, setzt die "Entziehung" keine Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sin-ne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus (vgl. Urteil des BSG vom 16. März 2010 – B 2 U 2/09 R – in Juris). Die Spezialvorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die generelle Regelung des § 48 SGB X. Die in § 48 SGB X allgemein erteilte Ermächtigung zur Aufhebung von Verwaltungsakten ist nicht anwendbar, wenn und solange es speziell um die Änderung, Aufhebung oder Ersetzung von "vorläufigen" Feststellungen eines Rentenanspruchs in der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall geht. Soweit es im Dreijahreszeitraum um deren Ersetzung durch eine andere "vorläufige" Regelung geht, gilt § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Danach kann der Vomhundertsatz der MdE innerhalb dieses Zeitraums jederzeit und anders als bei Renten auf unbestimmte Zeit (vgl. hierzu § 73 Abs. 3 Halbs. 2 SGB VII) ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden. Soweit es aber um deren Ersetzung durch eine Entscheidung über das Recht auf Dauerrente geht, gilt § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII. So ist es hier.

Die Bemessung des Grades der MdE im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze (vgl. Urteile des BSG vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – in Breithaupt 2003, 565; vom 02. November 1999 – B 2 U 49/98 R – in SozR 3-2200 § 581 Nr. 6) trifft. Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis.

Die erste Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente - das Vorliegen eines Versicherungsfalls, hier: eines Arbeitsunfalls - ist erfüllt und von der Beklagten auch anerkannt. Nach den ausführlich, überzeugenden und fachkundigen Feststellungen insbesondere des gerichtlichen Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 22. Februar 2008 nebst seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09. März 2010 be-stehen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 17. Juli 2003 zurückzuführen sind: • eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks • beginnende Degeneration der Rotatorenmanschette • leicht verminderte Belastbarkeit des rechten Arms ohne Umfangsdifferenzen der Oberarm- und Unterarmmuskulatur.

Das Ausmaß der konkreten Funktionseinschränkungen sei im Folgenden im Vergleich mit den Befunden der Sachverständigen Frau Dr. B vom 28. April 2004, Dr. K vom 08. Juli 2005 und Dr. T vom 18. Februar 2008 dargestellt:

28. April 2004 Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 60-0-15 180-0-20 180-0-40 Ante-/Retroversion 60-0-20 150-0-40 170-0-40 Innen-/Außenrotation 90-0-5 95-0-40 95-0-40 Innen-/Außenrotation (Oberarm 90°) 70-0-50 70-0-70 90-0-90 Die Klägerin beklagte einen ständigen Schmerz und dass sie den Arm nicht richtig heben könne. Bei der Entkleidung war eine Schonhaltung im rechten Schultergelenk erkennbar. Auffällig war eine vermindert ausgeprägte Deltamuskulatur rechts im Vergleich zur Gegenseite. Schürzen- und Nackengriff waren nur eingeschränkt möglich. Die Umfangsmaße der Ober- und Unterarme waren nicht seitendifferent, die Beschwielung der Hände mäßig und ebenfalls ohne erkennbare Seitendifferenz. Im Röntgenbild war eine beginnende AC-Gelenksarthrose rechts festzustellen. Im MRT zeigte sich darüber hinaus neben einer Degeneration der Rotatorenmanschette u. a. eine Hill-Sachs-Läsion als Folgezustand der stattgehabten Schulterluxation.

08. Juli 2005 Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 130-0-20 180-0-20 180-0-40 Ante-/Retroversion 120-0-40 170-0-40 170-0-40 Innen-/Außenrotation 90-0-10 90-0-50 95-0-40 Innen-/Außenrotation (Oberarm 90°) 40-0-40 70-0-70 90-0-90 Die Klägerin beklagte, manchmal beim schweren Heben und Tragen Schmerzen im Oberarm und in der Schulter zu haben. Außerdem käme sie nicht überall ran. Das Heben und Tragen über 5 kg sei nicht möglich, das Halten von Gegenständen wie z. B. einer Wasserflasche in der Waagerechten nur sehr kurzfristig. Einen Dauerschmerz gab sie nicht an. Das Entkleiden geschah ohne sichtliche Beeinträchtigung. Es fiel eine leichte Atrophie der rechtsseitigen Schultermuskulatur auf. Es zeigte sich ein deutlicher Druckschmerz über dem Acromion und im Subacriomialraum. Eine Instabili-tät im Glenohumeralgelenk (Schulterhauptgelenk) lag nicht vor. Der Schürzen- und auch der Nackengriff waren insgesamt möglich, jedoch nur schmerzhaft und langsam. Die Beschwielung beider Hände war mäßig ausgebildet und seitengleich.

18. Februar 2008 Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 135-0-30 170-0-40 180-0-40 Ante-/Retroversion 115-0-20 170-0-35 170-0-40 Innen-/Außenrotation 95-0-30 95-0-40 95-0-40 Innen-/Außenrotation (Oberarm 90°) 20-0-20 70-0-70 90-0-90 Die Klägerin beklagte andauernde Schmerzen im Bereich der vorderen und äußeren Schultergelenksregion rechts. sie könne mit dem rechten Arm kaum mittelschwe-re/schwere Gegenstände halten. Zeitweise habe sie auch Schmerzen am rechten Schulterblatt. Schmerzmedikamente habe sie erstmals nach der Anfangsphase wieder am 21. Januar 2008 verschrieben bekommen. Sie nehme ein- bis zweimal täglich 30 Tropfen. Zum Ausziehen der Oberbekleidung praktizierte die Klägerin eine Ausweichbewegung des Oberkörpers und des Kopfes. Die Schulterkonturen zeigten sich rechts leicht abgeflacht. Es fand sich ein leichter Druckschmerz über dem AC-Gelenk rechts und subacromial. Der Nackengriff war rechts deutlich verlangsamt, der Schürzengriff beidseitig komplett und in angemessener Geschwindigkeit durchführbar. Der Appre-hensionstest war rechts dezent positiv, die Impingementtests nach Jobe und Hawkins recht positiv, links negativ, Rotatorenmanschettentests beidseits negativ. Die Musku-latur der Ober- und Unterarme war nicht seitendifferent, die Faustschlusskraft war rechts dezent abgeschwächt. Im Röntgenbild zeigte sich rechts eine beginnende AC-Gelenksarthrose, jedoch keine nennenswerten degenerativen Veränderungen am Glenohumeralgelenk.

Eine Bewegungseinschränkung im Schultergelenk vorwärts/seitwärts bis 90°, Rotation frei wird von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010 auf S. 523 sowie von Bereiter-Hahn/Mehrtens, Kommentar zum SGB VII, Anhang 12 J 028 und Ludolph/Lehmann/Schürmann, Kursbuch der ärztlichen
Begutachtung, Loseblatt-Sammlung, Band 1, Teil III-1.12 S. 14, Stand 09/2007, mit einer MdE von 20 v. H. veranschlagt, eine Bewegungseinschränkung vorwärts/seitwärts bis 120°, Rotation frei mit 10 v. H. Wegen vielfältiger dreidimensionaler Bewegungsein-schränkung ist die Schultervorhebung (d. h. die Anteversion) danach als führend zu werten. Nach Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolff/Hollo (Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Aufl. 2009, S. 718) wird eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks, Vorhebung bis 90° mit einer MdE von 20 v. H. und bei einer Vorhebung bis 120° mit 10 v. H. angesetzt. Bei Thomann/Schröter/Grosser (Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 1. A. 2009, S. 543) wird eine Vorhebung der Schulter bis 90° bei eingeschränkter Drehbewegung mit einer MdE von 20 v. H. ver-anschlagt.

Anhand dieser Maßgaben lässt sich nachvollziehen, dass eine MdE von 20 v. H. auf der Grundlage der Befunde des Dr. K und des Dr. T nicht gerechtfertigt ist, denn beide Sachverständigen beschreiben sowohl bei der Seitanhebung als auch bei der Vorhebung Bewegungsausmaße im rechten Schultergelenk von über 90°. Daneben besteht lediglich eine Beschränkung in der Außenrotation und keine allgemeine Beschränkung der Rotationsfähigkeit des Schultergelenks. Bedenkt man, dass – wie von Dr. T in sei-ner ergänzenden Stellungnahme vom 09. März 2010 ausgeführt - der überwiegende Teil der Arbeitsabläufe und alltäglichen Verrichtungen vor der Köper und nicht neben dem Körper oder hinter dem Körper stattfindet, wird deutlich, dass ein Beschränkung der Außenrotation – anders als eine Beschränkung der Innenrotation – keine maßgebliche Beeinträchtigung darstellt. Im Übrigen sehen auch Thomann/Schröter/Grosser a. a. O. eine MdE von 20 v. H. erst bei einer Einschränkung der Drehbewegung und gleichzeitiger Einschränkung der Vorhebung bis 90° eine MdE von 20 v. H. als
angemessen an.

Demgegenüber überzeugt die Bewertung durch Dr. M in seinem Gutachten vom 01. Dezember 2009 sowie in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 11. Januar 2010 und 04. Februar 2010, bei der Klägerin bestehe eine unfallbedingte Funktionsein-schränkung des rechten Schultergelenks dergestalt, dass eine MdE von 20 v. H.
gerechtfertigt sei, nicht. Dr. M hat am 01. Dezember 2009 folgende Befunde erhoben: Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 90-0-40 170-0-40 180-0-40 Ante-/Retroversion 110-0-20 170-0-40 170-0-40 Innen-/Außenrotation 90-0-10 90-0-30 95-0-40 Die Klägerin beklagte wiederkehrende Schmerzen im Bereich der rechten Schulter mit Ausstrahlung in die Schulter-Nackenregion beidseits. Bei körperlicher Belastung trete eine Schmerzverstärkung ein. Die Schmerzen seien vermehrt bei Wetterwechsel, an-sonsten permanent vorhanden. Die Einnahme von Schmerzmedikamenten wurde nicht angegeben. Der Entkleidungsmechanismus wurde nicht als auffällig beschrie-ben. Das Bewegungsausmaß des linken Schultergürtels war unauffällig, das des rech-ten Schultergürtels schmerzhaft eingeschränkt. Der Nackengriff war beidseits vollständig ausführbar, der Schürzengriff linksseitig komplett, rechtsseitig nicht ausführbar. Bei der Palpation der Muskulatur des Schultergürtels bestanden Druckschmerzen über der ventralen Gelenkkapsel rechtsseitig. Bei der Bewegungsprüfung beider Schultergelenke im Seitenvergleich war eine vordere Subluxation des rechten Schultergelenks feststellbar. Die AC-Gelenke waren unauffällig. Der Muskelweichteilmantel zeigte keine Seitendifferenzen. Motorik und Sensibilität waren normal.

Die von Dr. M erhobenen Bewegungsausmaße bedingen auf der Grundlage der oben dargestellten Erfahrungswerte der unfallmedizinischen Standardliteratur angesichts der nach wie vor deutlich über 90° reichenden Vorhebung im rechten Schultergelenk keine MdE von 20 v. H. Auch soweit Dr. M auf eine Instabilität der rechten Schulter (Subluxation) verweist, führt dies nicht zu einer MdE von 20 v. H. Hier ist bereits fraglich, ob eine Instabilität des rechten Schultergelenks von ihm ausreichend objektiviert worden ist. Dr. M hat hierzu lediglich angeführt, bei der Bewegungsprüfung beider Schultergelenke im Seitenvergleich sei eine vordere Subluxation des rechten Schultergelenks feststellbar gewesen. Entsprechende Tests wie z. B. den Apprehensionstest, den Test nach Leffert oder den Schubladentest nach Gerber (vgl. hierzu Th. Tiling, "Das Schultergelenk – Anatomie, Funktion und Diagnostik" in Hierhol-zer/Ludolph/Hamacher, Gutachtenkolloquium 6, "Schulterverletzun-gen/Schulererkrankungen", Springer Verlag 1991, S. 180) hat er jedoch – anders als beispielsweise Dr. T - offenbar an keinem der beiden Schultergelenke durchgeführt. Auffällig ist zudem, dass die Diagnose einer Instabilität von Dr. M nicht in seinem Gut-achten bei der Beantwortung der Beweisfragen auftaucht und er auch auf Nachfrage keinerlei Ausführungen dazu macht, seit wann eine solche Instabilität besteht. Auch anhand der weiteren Umstände und Befunde lässt sich keine für die Funktion des Schultergelenks relevante Instabilität nachvollziehen, denn wiederkehrende Verren-kungen des rechten Schultergelenks als Niederschlag einer alltäglichen, die Funktion des Gelenks beeinträchtigenden Instabilität, wurden von der Klägerin weder gegenüber Dr. M noch gegenüber den anderen Gutachtern, ihrem behandelnden Arzt Dr. P oder etwa den behandelnden Ärzten im Ukrankenhaus geschildert. Die Muskulatur im Schulterbereich war ebenfalls nicht vermindert, obwohl eine infolge einer Instabilität bestehende Minderbelastbarkeit der Schulter zu einer erkennbaren Muskelminderung führen müsste. Schließlich zeigten sich im MRT vom 27. Mai 2009 keine Hinweise auf eine Bankart-Läsion oder eine Hill-Sachs-Delle, wie sie bei gehäuften Subluxationen zu erwarten wären. Darüber hinaus ist grundsätzlich die Richtigkeit der Feststellungen und Diagnosen des Dr. M zu hinterfragen, denn beispielsweise seine Diagnose einer "Omarthrose" wird, worauf Dr. T hinweist, durch die vorliegenden radiologischen Befunde nicht gestützt.

Auch in dem Abschlussbericht des Ukrankenhauses B vom 06. Mai (Juni?) 2010 wurden Subluxationsereignisse nicht geschildert und eine Instabilität nicht befundet. Darüber hinaus bestätigen die dort erhobenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke mit einer rechtsseitigen Vorhebung und Seitanhebung von deutlich über 90° die Ein-schätzung, dass die bestehenden Unfallfolgen eine MdE von 20 v. H. nicht rechtfertigen. Eine gegebenenfalls zwischenzeitliche kurzzeitige schlechtere Beweglichkeit beruhte offensichtlich auf dem behandelbaren und nunmehr behandelten Impingement. 03. Mai 2010 Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 100-0-20 140-0-20 180-0-40 Ante-/Retroversion 110-0-25 150-0-50 170-0-40 Innen-/Außenrotation 60-0-10 80-0-30 95-0-40 Innen-/Außenrotation (Oberarm 90°) 10-0-50 70-0-80 90-0-90 01. Juni 2010 Schultern rechts links Norm Abduktion/Adduktion 130-0-20 140-0-20 180-0-40 Ante-/Retroversion 130-0-40 150-0-50 170-0-40 Innen-/Außenrotation 80-0-20 80-0-30 95-0-40 Innen-/Außenrotation (Oberarm 90°) 35-0-50 70-0-80 90-0-90

Die Berufung war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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