Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 209 P 1216/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 60/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2011 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009 ab dem 01. Juni 2011 angeordnet. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen Kosten für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Einstellung von Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Auf den Antrag der Antragstellerin gewährte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. September 2007 zunächst unbefristet Leistungen der Pflegestufe I. Dem lagen die Erkenntnisse des MDK-Gutachtens vom 10. September 2007 zugrunde, in welchem unter anderem die Gebrauchsunfähigkeit des rechten Arms mit erheblichen Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter nach einer am 30. Juli 2007 operativ versorgten Refraktur nach vorheriger Mehrfragmentfraktur des rechten Oberarms und ein insbesondere daraus folgender Pflegebedarf von 57 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege sowie 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung festgestellt worden war. In einem weiteren MDK-Gutachten vom 04. Juli 2008 wurde ein nur noch geringerer Pflegebedarf der Antragstellerin von 15 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege festgestellt. Aufgrund dieses Gutachtens entzog die Antragsgegnerin die Leistungen der Pflegestufe I ab dem 01. Dezember 2008 durch den Bescheid vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009.
Im Laufe des gegen die Entscheidungen geführten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S holte das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. H vom 15. Februar 2010 ein, in welchem diese einen Grundpflegebedarf von täglich 52 Minuten feststellte. Zu den Einwendungen der Antragsgegnerin hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme der Dr. H vom 06. Juli 2010 eingeholt. Den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz, den die Antragstellerin unter anderem mit einem zwischenzeitlich stattgehabten Hirninfarkt begründet hat, hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 24. August 2011 zurückgewiesen.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und zudem begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Zutreffend hat das Sozialgericht unter Hinweis auf darauf, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Februar 2009, mit dem die Leistungen der Pflegestufe I ab dem 01. Dezember 2008 entzogen worden sind, gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG keine aufschiebende Wirkung hat, den Antrag der Klägerin zunächst als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ausgelegt. Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist, dass das Interesse des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt. Zu dieser Abwägung ist der in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG enthaltene Maßstab für eine Aussetzung der Vollziehung durch die Verwaltung entsprechend heranzuziehen. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Das ist der Fall, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Oktober 2010, L 27 P 48/10 B ER, - juris). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der erforderlichen Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Mai 2005, Az. 1 BvR 569/05, und vom 25. Februar 2009, Az. 1 BvR 120/09 - juris) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen; in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen, insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz, wiegen.
Die danach gebotene Interessenabwägung führt hier zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als noch offen anzusehen sind und das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt.
Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin die der Antragstellerin ursprünglich bewilligten Leistungen der Pflegestufe I aufgehoben hat, als offen anzusehen. Grundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin in dem MDK-Gutachten vom 04. Juli 2008 festgestellt, dass die zeitlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I nicht mehr vorlägen. Hingegen hat die gerichtliche Sachverständige Dr. H in ihrem Gutachten vom 15. Februar 2010 einen Grundpflegebedarf von täglich 52 Minuten festgestellt und an diesem Bedarf in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06. Juli 2010 auch gegenüber den Einwendungen der Antragsgegnerin mit ausführlicher Begründung festgehalten. Angesichts dieser widersprüchlichen ärztlichen Einschätzungen wird die Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung deshalb im anhängigen Klageverfahren gegebenenfalls noch näher aufzuklären sein. Dabei ist auch zu beachten, dass in einem Verfahren, mit dem dauerhaft bewilligte Leistungen wegen veränderter tatsächlicher Umstände auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 SGB X herabgesetzt werden, die Behörde die materielle Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten veränderten Umstände trifft. Im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung berücksichtigt der Senat weiterhin, dass die gerichtliche Sachverständige Dr. H in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06. Juli 2010 nochmals ausdrücklich bekräftigt, dass sich im Bereich des Oberkörpers, also auch im Bereich der notwendigen Hilfeleistungen nichts seit dem damaligen Zeitpunkt (der erstmaligen Bewilligung der Pflegestufe) verändert habe. Danach kann eine Vorwegnahme der abschließenden Entscheidung bzw. Aufklärung nach den oben aufgezeigten Maßstäben trotz der umfangreichen Begründung des Sozialgerichts im einstweiligen Rechtsschutz nicht erfolgen. Zur Überzeugung des Senats ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand aufgrund der widersprüchlichen ärztlichen Einschätzungen die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vielmehr im Rahmen einer Interessenabwägung vorzunehmen. Dies rechtfertigt und gebietet im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Hierbei war zu beachten, dass die Antragstellerin geltend gemacht hat, dass die erforderliche Hilfe nicht mehr –wie bisher- durch Verwandte sichergestellt ist. Hierzu hat sie vorgetragen, dass ihr Schwager als Pflegeperson aufgrund seiner nunmehr eingetretenen eigenen körperlichen Einschränkungen nur noch im Notfall aushelfen könne und die weiteren als Hilfspersonen benannten Mitglieder der Familie ihres Sohnes nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen würden. So müsse sie sich teilweise die Hilfe bei ihren Nachbarn holen; auch sei zu berücksichtigen, dass sie in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit der Familie ihres Sohnes völlig ohne Hilfe sei. Die Pflege der Antragstellerin erscheint danach derzeit nicht gesichert. Die Antragstellerin ist –wie sie durch Vorlage ihres Renten- und Kontoauszuges glaubhaft gemacht hat- auch nicht in der Lage, ihre Pflege durch eigene finanzielle Mittel sicherzustellen. Insbesondere befindet sich das Konto der Antragstellerin bereits im Soll und sie ist auch aus ihren laufenden Einkünften in Form einer Alters- und Witwenrente nicht in der Lage, die Pflegeleistungen zu bestreiten. Das Interesse der Antragstellerin überwiegt danach das Interesse der Antragsgegnerin, welches sich überwiegend darin erschöpft, dass keine Leistungen (vorläufig) zu Unrecht erbracht werden. Anders als die Nichtgewährung von Pflegeleistungen kann indes die unrechtmäßige Erbringung der streitigen Leistungen der Pflegestufe I durch die Rückforderung der Geldleistungen rückgängig gemacht werden. Bei der Nichtgewährung notwendiger Pflegeleistungen indes wäre die erforderliche Pflege der Antragstellerin als körperliches Grundbedürfnis nicht sichergestellt.
Antragsgemäß war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab dem 01. Juni 2011 vorzunehmen. Damit konnte offen bleiben, ob in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Antragstellerin zugleich ein Neuantrag auf Leistungen der Pflegestufe I ab Juni 2011 zu sehen ist und insofern auch die Gewährung von Leistungen nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in Betracht kommen könnte. Ebenfalls kann dahinstehen, ob ein solcher Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ohne vorherigen Antrag beim Antragsgegner überhaupt zulässig und ob das Sozialgericht für diesen als Gericht der Hauptsache zuständig gewesen wäre. Für die Antragstellerin dürfte es jedenfalls ratsam sein, sofern sie einen Neuantrag aufgrund des zwischenzeitlich erlittenen Hirninfarkts stellen will, diesen in der Hauptsache beim Antragsgegner zu stellen und weiter zu verfolgen, da Gegenstand des von ihr geführten Klageverfahrens S 209 P 84/09 nur die Frage der Leistungsentziehung nach § 48 SGB X durch den Bescheid vom 25. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009 ist, mithin Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen nach dem 09. Februar 2009 in diesem Verfahren nicht mehr zu berücksichtigen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Einstellung von Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Auf den Antrag der Antragstellerin gewährte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. September 2007 zunächst unbefristet Leistungen der Pflegestufe I. Dem lagen die Erkenntnisse des MDK-Gutachtens vom 10. September 2007 zugrunde, in welchem unter anderem die Gebrauchsunfähigkeit des rechten Arms mit erheblichen Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter nach einer am 30. Juli 2007 operativ versorgten Refraktur nach vorheriger Mehrfragmentfraktur des rechten Oberarms und ein insbesondere daraus folgender Pflegebedarf von 57 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege sowie 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung festgestellt worden war. In einem weiteren MDK-Gutachten vom 04. Juli 2008 wurde ein nur noch geringerer Pflegebedarf der Antragstellerin von 15 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege festgestellt. Aufgrund dieses Gutachtens entzog die Antragsgegnerin die Leistungen der Pflegestufe I ab dem 01. Dezember 2008 durch den Bescheid vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009.
Im Laufe des gegen die Entscheidungen geführten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S holte das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. H vom 15. Februar 2010 ein, in welchem diese einen Grundpflegebedarf von täglich 52 Minuten feststellte. Zu den Einwendungen der Antragsgegnerin hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme der Dr. H vom 06. Juli 2010 eingeholt. Den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz, den die Antragstellerin unter anderem mit einem zwischenzeitlich stattgehabten Hirninfarkt begründet hat, hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 24. August 2011 zurückgewiesen.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und zudem begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Zutreffend hat das Sozialgericht unter Hinweis auf darauf, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Februar 2009, mit dem die Leistungen der Pflegestufe I ab dem 01. Dezember 2008 entzogen worden sind, gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG keine aufschiebende Wirkung hat, den Antrag der Klägerin zunächst als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ausgelegt. Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist, dass das Interesse des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt. Zu dieser Abwägung ist der in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG enthaltene Maßstab für eine Aussetzung der Vollziehung durch die Verwaltung entsprechend heranzuziehen. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Das ist der Fall, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Oktober 2010, L 27 P 48/10 B ER, - juris). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der erforderlichen Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Mai 2005, Az. 1 BvR 569/05, und vom 25. Februar 2009, Az. 1 BvR 120/09 - juris) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen; in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen, insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz, wiegen.
Die danach gebotene Interessenabwägung führt hier zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als noch offen anzusehen sind und das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt.
Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin die der Antragstellerin ursprünglich bewilligten Leistungen der Pflegestufe I aufgehoben hat, als offen anzusehen. Grundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin in dem MDK-Gutachten vom 04. Juli 2008 festgestellt, dass die zeitlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I nicht mehr vorlägen. Hingegen hat die gerichtliche Sachverständige Dr. H in ihrem Gutachten vom 15. Februar 2010 einen Grundpflegebedarf von täglich 52 Minuten festgestellt und an diesem Bedarf in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06. Juli 2010 auch gegenüber den Einwendungen der Antragsgegnerin mit ausführlicher Begründung festgehalten. Angesichts dieser widersprüchlichen ärztlichen Einschätzungen wird die Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung deshalb im anhängigen Klageverfahren gegebenenfalls noch näher aufzuklären sein. Dabei ist auch zu beachten, dass in einem Verfahren, mit dem dauerhaft bewilligte Leistungen wegen veränderter tatsächlicher Umstände auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 SGB X herabgesetzt werden, die Behörde die materielle Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten veränderten Umstände trifft. Im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung berücksichtigt der Senat weiterhin, dass die gerichtliche Sachverständige Dr. H in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06. Juli 2010 nochmals ausdrücklich bekräftigt, dass sich im Bereich des Oberkörpers, also auch im Bereich der notwendigen Hilfeleistungen nichts seit dem damaligen Zeitpunkt (der erstmaligen Bewilligung der Pflegestufe) verändert habe. Danach kann eine Vorwegnahme der abschließenden Entscheidung bzw. Aufklärung nach den oben aufgezeigten Maßstäben trotz der umfangreichen Begründung des Sozialgerichts im einstweiligen Rechtsschutz nicht erfolgen. Zur Überzeugung des Senats ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand aufgrund der widersprüchlichen ärztlichen Einschätzungen die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vielmehr im Rahmen einer Interessenabwägung vorzunehmen. Dies rechtfertigt und gebietet im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Hierbei war zu beachten, dass die Antragstellerin geltend gemacht hat, dass die erforderliche Hilfe nicht mehr –wie bisher- durch Verwandte sichergestellt ist. Hierzu hat sie vorgetragen, dass ihr Schwager als Pflegeperson aufgrund seiner nunmehr eingetretenen eigenen körperlichen Einschränkungen nur noch im Notfall aushelfen könne und die weiteren als Hilfspersonen benannten Mitglieder der Familie ihres Sohnes nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen würden. So müsse sie sich teilweise die Hilfe bei ihren Nachbarn holen; auch sei zu berücksichtigen, dass sie in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit der Familie ihres Sohnes völlig ohne Hilfe sei. Die Pflege der Antragstellerin erscheint danach derzeit nicht gesichert. Die Antragstellerin ist –wie sie durch Vorlage ihres Renten- und Kontoauszuges glaubhaft gemacht hat- auch nicht in der Lage, ihre Pflege durch eigene finanzielle Mittel sicherzustellen. Insbesondere befindet sich das Konto der Antragstellerin bereits im Soll und sie ist auch aus ihren laufenden Einkünften in Form einer Alters- und Witwenrente nicht in der Lage, die Pflegeleistungen zu bestreiten. Das Interesse der Antragstellerin überwiegt danach das Interesse der Antragsgegnerin, welches sich überwiegend darin erschöpft, dass keine Leistungen (vorläufig) zu Unrecht erbracht werden. Anders als die Nichtgewährung von Pflegeleistungen kann indes die unrechtmäßige Erbringung der streitigen Leistungen der Pflegestufe I durch die Rückforderung der Geldleistungen rückgängig gemacht werden. Bei der Nichtgewährung notwendiger Pflegeleistungen indes wäre die erforderliche Pflege der Antragstellerin als körperliches Grundbedürfnis nicht sichergestellt.
Antragsgemäß war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab dem 01. Juni 2011 vorzunehmen. Damit konnte offen bleiben, ob in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Antragstellerin zugleich ein Neuantrag auf Leistungen der Pflegestufe I ab Juni 2011 zu sehen ist und insofern auch die Gewährung von Leistungen nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in Betracht kommen könnte. Ebenfalls kann dahinstehen, ob ein solcher Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ohne vorherigen Antrag beim Antragsgegner überhaupt zulässig und ob das Sozialgericht für diesen als Gericht der Hauptsache zuständig gewesen wäre. Für die Antragstellerin dürfte es jedenfalls ratsam sein, sofern sie einen Neuantrag aufgrund des zwischenzeitlich erlittenen Hirninfarkts stellen will, diesen in der Hauptsache beim Antragsgegner zu stellen und weiter zu verfolgen, da Gegenstand des von ihr geführten Klageverfahrens S 209 P 84/09 nur die Frage der Leistungsentziehung nach § 48 SGB X durch den Bescheid vom 25. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009 ist, mithin Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen nach dem 09. Februar 2009 in diesem Verfahren nicht mehr zu berücksichtigen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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