Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 204 AS 33052/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1664/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. August 2011 aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer den Januar 2007 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung streitig; vornehmlich wird darum gestritten, ob der hiergegen erhobene Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen worden ist.
Der 2005 geborene Kläger bezog im streitigen Zeitraum aufgrund des Bescheides vom 29. September 2006 (Bl 456 ff der Verwaltungsakte; VA) zusammen mit seiner 1986 geborenen Mutter und ihrem damaligen, 1979 geborenen Lebenspartner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von (iHv) insgesamt 375,15 EUR (Arbeitslosengeld II für die Mutter iHv 155,66 EUR (Regelleistung 29,40 EUR/Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung 126,27 EUR), Arbeitslosengeld II für den Partner iHv 155,67 EUR (Regelleistung 29,40 EUR/Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung 126,27 EUR) und Sozialgeld für den Kläger iHv 63,82 EUR (ausschließlich Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung))
Mit an die Mutter gerichtetem Bescheid vom 14. November 2007 (vgl Bl 31 f der Gerichtsakte (GA)/Bl 254 f VA) hob der Beklagte den Bescheid vom 29. September 2006 für den streitigen Zeitraum "für Sie" teilweise in Höhe von 147,54 EUR (Regelleistung 58,80 EUR/Leistungen für Unterkunft und Heizung 88,74 EUR) mit der Begründung auf, "Sie" habe nachträglich Einkommen erzielt, das zur Minderung "Ihres" Anspruches geführt habe, und sie habe die ihr zu Unrecht in dieser Höhe gezahlten Leistungen zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers, Widerspruch (Schreiben vom 06. Dezember 2007 (Bl 391 ff VA)). Während dieses Widerspruchsverfahrens fertigte der Beklagte am 11. Juli 2008 einen an die Mutter gerichteten Bescheid (Bl 14 f GA/Bl 542 f VA), den er mit einfachem Brief an den Prozessbevollmächtig-ten des Klägers übermittelte, mit dem er den bezeichneten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. November 2007 zurücknahm, das dem Kläger im streitigen Zeitraum bewilligte Sozialgeld iHv 5,28 EUR aufhob und von ihm die Erstattung dieses Betrages verlangte. Der Bescheid enthielt außerdem den Hinweis, dass er gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werde. Im Tenor des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2008 (Bl 16ff GA/546ff VA) stellte der Beklagte fest, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den hier streitigen Zeitraum in Abänderung des Erstattungsbescheides vom 14. November 2007 lediglich iHv 5,28 EUR zu erstatten seien. "Im Üb-rigen" wies der Beklagte den Widerspruch der Mutter als unbegründet zurück. Die notwendi-gen Aufwendungen der Mutter würden auf Antrag zu 96% erstattet. In dem anschließenden Klageverfahren der Mutter des Klägers vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam (S 47 AS 3397/08) wies die Kammervorsitzende in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechts-lage vom 01. September 2010 den Beklagten daraufhin, dass der "Aufhebungs- und Erstat-tungsbescheid" vom 11. Juli 2008 kein Änderungsbescheid zum Aufhebungs- und Erstattungs-bescheid vom 14. November 2007 sei. Dennoch habe der Beklagte den zuerst genannten Be-scheid als einen Änderungsbescheid bei der Kostenquotelung im Widerspruchsverfahren heran gezogen. Sie rege an, dass der Beklagte vollumfänglich die Kosten aus dem Widerspruchsver-fahren übernehme. Daraufhin erklärte der Beklagte, dass die Mutter des Klägers aus dem Wi-derspruchsbescheid vom 15. Juli 2008 neben dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. Juli 2008 keine weiteren 5,28 EUR zu erstatten habe, er ihre notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren übernehme und ihre außergerichtlichen Kosten trage. Die Mutter des Klägers nahm dieses Anerkenntnis an.
Gegen die ihn belastende Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung im Bescheid vom 11. Juli 2008 legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 16. August 2008 Widerspruch ein. Unklar ist, ob dieser Widerspruch schon am 18. August 2008 per Fax (Bl 670 VA) bei dem Beklagten einging oder erst am Folgetag, dem 19. August 2008, im Original (Bl 672 VA). Jedenfalls bestätigte der Beklagte in der dem Prozessbevollmächti-gen des Klägers übersandten Eingangsmitteilung vom 10. September 2008 den Eingang des Widerspruchs am 18. August 2008 (Bl 673 VA) und verwarf diesen im Anschluss als unzuläs-sig (Widerspruchsbescheid vom 17. September 2008 (Bl a ff GA)). Die einmonatige Wider-spruchsfrist sei nicht gewahrt. Der angefochtene Bescheid sei am 11. Juli 2008 mit einfachem Brief an den Kläger abgesandt worden, so dass er aufgrund der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch (SGB X) als am 14. Juli 2008 bekannt gegeben gelte, mithin die Wider-spruchsfrist am 14. August 2008 abgelaufen sei. Der Widerspruch sei aber erst am 18. August 2008 eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe seien weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Mit der hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Anfechtungsklage hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Juli 2008 sei fristgerecht erhoben worden. Hieran könne es ausweislich des "Poststempels" vom 18. Juli 2008 auf dem Briefumschlag, mit dem der Bescheid vom 11. Juli 2008 übersandt worden sei, keinen Zweifel geben. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Laufe des Klageverfah-rens auf Bitte des SG eine Kopie dieses Briefumschlages zur Gerichtsakte gereicht, der den "Freistempler"-Aufdruck des Beklagten vom 18. Juli 2008 trägt. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei der Widerspruch auch statthaft gewesen, weil der Aufhebungs- und Erstattungs-bescheid vom 14. November 2007 (Zeitraum Januar 2007) ihn nicht betroffen habe, mithin der Bescheid vom 11. Juli 2008 nicht Gegenstand des den Bescheid vom 14. November 2007 be-treffenden Widerspruchsverfahrens habe werden können. Schließlich sei der angegriffene Be-scheid vom 11. Juli 2008 auch rechtswidrig, weil die Aufhebungsentscheidung "verfristet" sei und nicht § 33 SGB X genüge.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2011 hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, es erwäge, gemäß § 124 Abs 2 SGG zu entscheiden. Sie mögen binnen zwei Wochen mitteilen, ob Einver-ständnis mit diesem Vorgehen bestehe. Mit am 02. August 2011 beim SG eingegangen Schrei-ben vom Vortag hat der Kläger einer Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG "widersprochen".
Das SG hat dem schriftlichen Vorbringen des Klägers den Antrag entnommen, "den Bescheid vom 11. Juli 2008 betreffend die Aufhebung und Erstattung von 5,28 EUR in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 17. September 2008 aufzuheben", und hat durch Gerichtsbescheid vom 03. August 2011 die so verstandene Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat das SG im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbeschei-des (§ 105 SGG) lägen vor, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Erforderlich sei, dass das SG den Beteiligten jedenfalls sinngemäß die Absicht einer solchen Entscheidung mitteile. Wesentlich sei, dass die Beteiligten erkennen könnten, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung ent-scheiden möchte (Bezugnahme auf Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 10 zu § 105). Die Beteiligten seien dazu angehört worden, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG bestehe. Darin lie-ge eine konkludente Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Anders als für eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG sei dafür kein Einverständnis der Beteiligten erfor-derlich.
Die zulässige Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbe-scheid vom 11. Juli 2007 (gemeint war offensichtlich vom 11. Juli 2008) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2008 rechtmäßig sei. Dahin gestellt bleiben könne, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Erstattung vorgelegen hätten, denn die Auf-hebungs- und Erstattungsentscheidung sei bereits zum Zeitpunkt der Erhebung des Wider-spruchs gemäß § 84 Abs 1 SGG in Bestandskraft erwachsen. Ausweislich des darauf von ei-nem Mitarbeiter des Beklagten notierten "Abgabevermerks" sei der streitige Bescheid am 11. Juli 2007 (gemeint war offensichtlich am 11. Juli 2008) zur Post aufgegeben worden. Der hier-gegen gerichtete Widerspruch sei aber ausweislich des Posteingangsstempels auf Blatt 666 VA (gemeint war offensichtlich Bl 672 VA) erst am 19. August 2008 bei dem Beklagten eingegan-gen. Ein vorheriger Eingang per Telefax sei dem Verwaltungsvorgang nicht zu entnehmen. Soweit § 37 Abs 2 SGB X den Zugang des Verwaltungsaktes insoweit fingiere, als dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen gelte, gehe die Kammer von einem Zugang am 14. Juli 2008 bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aus. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage eines Briefumschlages und unter Hinweis auf den dort vermerkten Eingangsstempel vorgetragen, dass der Bescheid erst am 18. Juli 2008 zugegangen sein solle. Dieser Vortrag sei jedoch nicht geeignet, die Fiktionswirkung zu wider-legen. Zu den Pflichten eines ordnungsgemäß handelnden Rechtsanwalts gehöre es, Rechtsmit-tel- und Rechtsbehelfsfristen entweder auf den Bescheiden selbst oder aber auf einem Briefum-schlag, der mit den Bescheiden fest verbunden oder durch Zugehörigkeitsvermerk versehen sei, zu vermerken. Die Kammer weise in diesem Zusammenhang auf die umfangreiche Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofs zur Anwaltshaftung hin.
Hinzukomme, dass selbst nach dem Vorbringen des Klägers von einer Verfristung auszugehen sei. Wäre der Bescheid ihm tatsächlich erst am 18. Juli 2008 zugegangen, hätte die Wider-spruchsfrist am 18. August 2008 geendet, der Widerspruch sei aber erst am 19. August 2008 beim Beklagten eingegangen.
Der Kläger verfolgt mit der vom SG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuge-lassenen Berufung sein Aufhebungsbegehren weiter.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. August 2011 und den Bescheid vom 11. Juli 2008, soweit darin die Aufhebung der ihm für Januar 2007 bewilligten Leistungen iHv 5,28 EUR und von ihm die Erstattung dieses Betrages verlangt worden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend. Im Übrigen fragt er sich, was der Kläger noch errei-chen wolle. Der angegriffene Bescheid sei am 01. September 2010 im Klageverfahren vor dem SG Potsdam (S 47 AS 3397/08) zurückgenommen worden.
Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten unter Mitteilung der Absicht, den Rechts-streit an das SG zurückzuverweisen, gebeten, sich mit einer Entscheidung durch ihn ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären (§§ 155 Abs 3 und 4, 124 Abs 2 SGG); diese Zustimmung haben die Beteiligten erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbe-sondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die Verwaltungsakten des Beklagten (Bd I bis IV) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist iS der Aufhebung des Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Berlin begründet.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen bereits gemäß § 159 Abs 1 Nr 1 SGG vor. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufhe-ben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Das SG hat hier noch nicht iS des § 159 Abs 1 Nr 1 SGG in der Sache selbst entschieden.
Das SG hat nicht nur dann noch nicht in der Sache selbst entschieden, wenn es die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat. Darunter fallen vielmehr auch die Fälle, in denen das SG zu den eigentlichen Rechtsfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtli-chen Vorfrage "die Weichen falsch gestellt" hat, etwa wenn es – so wie hier – zu Unrecht, die Klage wegen Versäumung der Widerspruchsfrist, dh als unbegründet abgewiesen hat (Bundes-sozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK 61/80, juris RdNr 18f = BSGE 51, 202, 205 und Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 2b zu § 159, jeweils mwN). Das SG hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Bescheid vom 11. Juli 2008, soweit dieser zwischen den Beteiligten streitig ist, (iS von § 77 SGG und nicht etwa – wie das SG gemeint hat – iS von § 84 Abs 1 SGG) in Bestandskraft erwachsen ist, was nicht etwa – wie das SG ausgeführt hat – die Beurteilung erlaubt hätte, dieser sei rechtmäßig, sondern diesen im Gegen-teil einer rechtlichen Überprüfung durch das SG entzogen hätte. Vielmehr hätte das SG zu dem Schluss gelangen müssen, dass der Kläger die mit dem Bescheid vom 11. Juli 2008 verlautbar-ten streitigen Verwaltungsakte (= Verfügungssätze iS von § 31 Satz 1 SGB X) noch rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist des § 84 Abs 1 Satz 1 SGG mit seinem Widerspruch (Schreiben vom 16. August 2008) angefochten hat, selbst dann, wenn dieser erst am 19. August 2008 bei dem Beklagten eingegangen sein sollte, so dass er nicht – wie mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2008 geschehen – als unzulässig hätte verworfen werden dürfen.
Die Frist für die Einreichung des Widerspruchs beginnt nach § 84 Abs 1 Satz 1 SGG mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Erfolgt die Bekanntgabe - wie hier - mit einfachem Brief im Inland, so gilt der Verwaltungsakt gemäß § 37 Abs 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben (Satz 1), außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (Satz 3 1. Halbs). Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28. No-vember 2006 – B 2 U 33/05 R, juris = SozR 4-2700 § 136 Nr 2, jeweils RdNr 15, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 15, jeweils RdNr 17 und Urteil vom 06. Mai 2010 - B 14 AS 12/09 R, juris RdNr 10), was hier nicht geschehen ist.
Zwar trägt der Entwurf des Bescheides vom 11. Juli 2008 (Bl 542f VA) auf der Vorderseite (links oben) neben dem gedruckten Namen der Bearbeiterin auch den gedruckten Vermerk "abgesandt am: 11. 07.2008". Ebenso enthält der Entwurf des an den Prozessbevollmächtigten des Klägers adressierte Begleitschreibens vom 11. Juli 2008 (Bl 541 VA) auf der Vorderseite neben dem gedruckten Namen der Bearbeiterin und der gedruckten Datumsangabe einen hand-schriftlichen, aber nicht unterzeichneten "ab" –Vermerk. Diese Vermerke geben aber keinen Aufschluss über den Tag der Aufgabe des den Bescheid vom 11. Juli 2008 beinhaltenden Brie-fes zur "Post", womit nur diejenige Institution gemeint sein kann, die den Brief befördert hat, hier die Deutsche Post AG. Vielmehr handelt es sich lediglich um die Bestätigung eines inner-behördlichen Vorgangs, nämlich um die Zuleitung an die Poststelle der Beklagten, die den Versand durch das Postunternehmen zu veranlassen hatte.
Hinsichtlich des nachfolgend Vorgangs, nämlich der Aufgabe des Briefes beim Postunterneh-men bzw ggf auch dem Einwurf des Briefes in den Postkasten (BSG, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, aaO, RdNr 17), enthält der vom Beklagten vorgelegte Verwaltungs-vorgang keine Vermerke mehr (vgl zum Ganzen auch BSG, Beschluss vom 26. August 1997 – 5 RJ 6/96, juris = SozR 3 -1960 § 4 Nr 3). Ein Postausgangsbuch führt der Beklagte nicht. Er kann daher – wie er inzwischen selbst einräumt – nicht nachweisen, wann er den Bescheid vom 11. Juli 2008 abgesandt hat. Ebenso wenig kann der Beklagte nachweisen, wann der Be-scheid vom 11. Juli 2008 dem Kläger zugegangen ist (§ 37 Abs 2 Satz 3 2. Halbs SGB X). Die Auffassung des SG, dies sei am 18. Juli 2008 der Fall gewesen, beruht auf einer fehlerhaften Interpretation des klägerischen Vortrags. Der Kläger hat nämlich keineswegs eingeräumt, der streitige Bescheid sei an diesem Tag bei seinem Prozessbevollmächtigten eingegangen, son-dern er hat geltend gemacht, dass dieser Bescheid – entgegen der Behauptung des Beklagten - schon deshalb nicht am 11. Juli 2008 abgesandt worden sein könne, weil der "Poststempel" (gemeint war der Freistempler-Aufdruck des Beklagten) auf dem Briefumschlag, mit dem die-ser Bescheid seinem Prozessbevollmächtigten übermittelt worden sei, vom 18. Juli 2008 stamme. Zu Gunsten des Klägers ist daher davon auszugehen, dass die Widerspruchsfrist am 19. August 2008 jedenfalls noch nicht abgelaufen war (vgl BSG, Urteil vom 28. November 2006, aaO). Deshalb kann dahin stehen, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers überhaupt der richtige Bekanntgabe-Adressat (im Gegensatz zum Inhalts-Adressat; vgl zu den beiden Begriffen: Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd 2, Stand April 2011, RdNr 13 zu § 39 SGB X mwN) war, was vorausgesetzt hätte, dass er vor Einlegung des Widerspruchs von diesem bereits bevollmächtigt war (§ 37 Abs 1 Satz 2 SGB X) oder ob eine wirksame Bekanntgabe der den Kläger betreffenden Entscheidungen im Bescheid vom 11. Juli 2008 nur durch Bekanntgabe an seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin möglich war (vgl BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 2/08 R, juris = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 21), so dass erst in dem Moment, in dem diese den Bescheid vom 11. Juli 2008 erhalten hat, die Bekanntgabe der hier streitigen Verwaltungsakte bewirkt worden wäre.
Der hier in Rede stehende Widerspruch des Klägers war auch nicht etwa im Hinblick auf § 86 SGG unstatthaft und damit unzulässig. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten konnte der mit dem Widerspruch angefochtene Teil des Bescheides vom 11. Juli 2008 schon deshalb nicht Gegenstand des den Bescheid vom 14. November 2007 betreffenden Widerspruchsver-fahrens werden, weil alleiniger Inhaltsadressat des zuletzt genannten Bescheides die Mutter des Klägers war, während alleiniger Inhaltsadressat des streitigen Teils des zuerst genannten Be-scheides der Kläger ist, so dass dieser den Bescheid vom 14. November 2007 nicht ändern konnte.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen aber auch gemäß § 159 Abs 1 Nr 2 SGG vor. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Dies ist hier der Fall.
Das SG hätte nicht durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden entscheiden dürfen. Of-fen bleiben kann, ob die ihm (ausnahmsweise) zustehende Kompetenz, als Einzelrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, bereits deshalb fehlte, weil die Sache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, so dass es an den tat-bestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG fehlen würde. Besondere Schwie-rigkeiten rechtlicher Art iS dieser Bestimmung weist eine Streitsache regelmäßig dann auf, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs 2 Nr 1 SGG; vgl dazu BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R, juris = SozR 4-1500 § 105 Nr 1, jeweils RdNr 19 zum Fall der Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, RdNr 6 zu § 105 mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vermag der Senat auf den ersten Blick jedenfalls nicht zu erkennen, insbesondere ist nicht ersichtlich, welche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Norm des § 37 Abs 2 SGB X höchstrichterlich noch nicht geklärt sind. Zwar hat das SG der Rechtssache offenbar allein we-gen der von ihm zumindest sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage, was genau der Empfänger eines Verwaltungsaktes vortragen bzw ggf beweisen muss, um Zweifel an der Dreitagesvermu-tung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X zu begründen, grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Be-ruht aber die Klageabweisung - so wie hier - auf zwei selbständig tragenden Gründen (so ge-nannte Mehrfachbegründung), hätte das SG die Berufung (wegen grundsätzlicher Bedeutung) nur zulassen dürfen, wenn hinsichtlich jedes dieser beiden Gründe ein Zulassungsgrund be-standen hätte (vgl nur BSG, Beschluss vom 07. Dezember 2010 - B 11 AL 74/10 B, juris RdNr 7 mwN). Dies war aber offensichtlich auch nach Meinung des SG nicht der Fall. Da es sich bei der Klageabweisung im Hinblick auf den unterstellten Bekanntgabezeitpunkt am 18. Juli 2008 und den Widerspruchseingang am 19. August 2008 um einen rechtlich selbständigen Abwei-sungsgrund und insoweit sicherlich auch nicht aus Sicht des SG um eine klärungsbedürftige, die erfolgte Zulassung rechtfertigende Rechtsfrage handelt, kam es auf die erste Begründungs-alternative des SG (nicht erschütterte Dreitagesvermutung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X) nicht mehr an. Zwar wird es für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG als ausreichend erachtet, wenn der Kammervorsitzende des SG – subjektiv – einer zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst (BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 – B 7 AL 43/08 R, juris RdNr 11). Ob dies aber auch für den Fall gelten kann, dass die aufgeworfene Rechtsfrage nach der eigenen Ansicht des SG gar nicht zu entscheiden ist, er-scheint zweifelhaft, was nichts daran ändert, dass das SG aus seiner Sicht nicht durch Ge-richtsbescheid hätte entscheiden dürfen.
Jedenfalls erlaubt § 105 Abs 1 Satz 2 SGG die Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur, wenn die Beteiligten hierzu gehört worden sind. Daran fehlt es hier. Die gegenteilige Auffassung des Kammervorsitzenden des SG, dem Anhörungserfordernis sei bereits damit Genüge getan, dass er die Beteiligten davon unterrichtet hat, eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG zu erwä-gen, ist nicht vertretbar. Denn aus der Anhörungsmitteilung muss hinreichend zum Ausdruck kommen, dass das SG durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung beabsichtigt zu entscheiden. Bittet das SG aber lediglich um Mitteilung der Beteiligten, ob sie mit einer Ent-scheidung nach § 124 Abs 2 SGG und damit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, aber unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter einverstanden sind, gibt es dadurch weder zu erkennen, in jedem Fall ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wol-len, noch dass dies durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden und damit ohne Mitwir-kung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGG) geschehen soll. Reagiert wie im vorliegenden Fall ein Beteiligter auf eine solche Anhörungsmitteilung, indem er einer Ent-scheidung nach § 124 Abs 2 SGG "widerspricht", kann er nicht damit rechnen, dass gleichwohl ohne mündliche Verhandlung und damit unter Abschneidung der Möglichkeit zu weiterem Vortrag in einer solchen Verhandlung und durch den Kammervorsitzenden allein entschieden werden wird. Deshalb vermag sogar ein nach § 124 Abs 2 SGG erteiltes Einverständnis eine Anhörung nach § 105 Abs 1 Satz 2 SGG nicht zu ersetzten. Die vom SG für seine Auffassung in Anspruch genommene Kommentarstelle, wonach es wesentlich ist, dass die Beteiligten er-kennen können, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden möchte (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 10 zu § 105), ist willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen, was sich schon aus dem nachfolgenden Satz ergibt, der wie folgt lautet: "Ebenso wie bei § 153 Abs 4 (dort Rn 19, 20) wird deswegen genügen, dass Gericht mitteilt, es erwäge eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid."
Der dem SG unterlaufenen Verfahrensmangel ist auch wesentlich iS des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG. Wesentlich ist ein Mangel immer dann, wenn die Entscheidung auf ihm beruhen kann (Keller, aaO, RdNr 3 zu § 159). Bei absoluten Revisionsgründen (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) wird dies unwiderlegbar vermutet (Lüdke in Lüdke, SGG, 3. Aufl 2009, RdNr 6 zu § 159). Die Verletzung des § 105 Abs 1 Satz 2 SGG führt zur unvor-schriftsmäßigen Besetzung des SG nur mit dem als Kammervorsitzenden fungierenden Berufs-richter statt mit der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 125 SGG) und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (vgl BSG, Beschluss vom 09. Dezem-ber 2008 - B 8 SO 17/08 B, juris RdNr 8 und Hauck in Hennig, SGG, Stand April 2010, RdNr 56 zu § 105). Auf diesem Mangel kann die Entscheidung daher auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das SG in voller Besetzung eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Der Senat macht von seinem in § 159 Abs 1 SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch, den Rechtsstreit nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern ihn stattdessen an das SG zu-rückzuverweisen. Ermessensleitend ist dabei der Gesichtspunkt, dass über den vorliegend er-hobenen Aufhebungsanspruch nach den Wertungen des Berufungsrechts abschließend durch das SG zu entscheiden ist. Das Landessozialgericht hat sich nämlich wegen des geringen Wer-tes des Beschwerdegegenstandes (750,00 EUR nicht übersteigend) bei einem ordnungsgemä-ßen Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens wegen des in §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG geregelten Berufungsausschlusses grundsätzlich nicht mit einem solchen Rechtsstreit in der Sache zu befassen. Es wäre sachwidrig, das Landessozialgericht nur deshalb einen Rechtsstreit entscheiden zu lassen, weil das SG dem Kläger eine mündliche Verhandlung verwehrt hat, auf deren Durchführung er gegenüber dem SG auch nicht verzichten wollte und die er – hätte das SG nicht die Berufung zugelassen – auch nach § 105 Abs 2 Satz 2 SGG hätte erzwingen kön-nen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger bereits das Rechtsschutzinteresse für die Klage fehlt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die streitigen Entscheidungen im Bescheid vom 11. Juli 2008 eben nicht bereits am 01. September 2010 zurückgenommen wor-den, sondern nach wie vor existent.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen; sie bleibt der Entscheidung des SG vorbehalten (Keller, aaO, RdNr 5f zu § 159).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer den Januar 2007 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung streitig; vornehmlich wird darum gestritten, ob der hiergegen erhobene Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen worden ist.
Der 2005 geborene Kläger bezog im streitigen Zeitraum aufgrund des Bescheides vom 29. September 2006 (Bl 456 ff der Verwaltungsakte; VA) zusammen mit seiner 1986 geborenen Mutter und ihrem damaligen, 1979 geborenen Lebenspartner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von (iHv) insgesamt 375,15 EUR (Arbeitslosengeld II für die Mutter iHv 155,66 EUR (Regelleistung 29,40 EUR/Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung 126,27 EUR), Arbeitslosengeld II für den Partner iHv 155,67 EUR (Regelleistung 29,40 EUR/Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung 126,27 EUR) und Sozialgeld für den Kläger iHv 63,82 EUR (ausschließlich Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung))
Mit an die Mutter gerichtetem Bescheid vom 14. November 2007 (vgl Bl 31 f der Gerichtsakte (GA)/Bl 254 f VA) hob der Beklagte den Bescheid vom 29. September 2006 für den streitigen Zeitraum "für Sie" teilweise in Höhe von 147,54 EUR (Regelleistung 58,80 EUR/Leistungen für Unterkunft und Heizung 88,74 EUR) mit der Begründung auf, "Sie" habe nachträglich Einkommen erzielt, das zur Minderung "Ihres" Anspruches geführt habe, und sie habe die ihr zu Unrecht in dieser Höhe gezahlten Leistungen zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers, Widerspruch (Schreiben vom 06. Dezember 2007 (Bl 391 ff VA)). Während dieses Widerspruchsverfahrens fertigte der Beklagte am 11. Juli 2008 einen an die Mutter gerichteten Bescheid (Bl 14 f GA/Bl 542 f VA), den er mit einfachem Brief an den Prozessbevollmächtig-ten des Klägers übermittelte, mit dem er den bezeichneten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. November 2007 zurücknahm, das dem Kläger im streitigen Zeitraum bewilligte Sozialgeld iHv 5,28 EUR aufhob und von ihm die Erstattung dieses Betrages verlangte. Der Bescheid enthielt außerdem den Hinweis, dass er gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werde. Im Tenor des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2008 (Bl 16ff GA/546ff VA) stellte der Beklagte fest, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den hier streitigen Zeitraum in Abänderung des Erstattungsbescheides vom 14. November 2007 lediglich iHv 5,28 EUR zu erstatten seien. "Im Üb-rigen" wies der Beklagte den Widerspruch der Mutter als unbegründet zurück. Die notwendi-gen Aufwendungen der Mutter würden auf Antrag zu 96% erstattet. In dem anschließenden Klageverfahren der Mutter des Klägers vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam (S 47 AS 3397/08) wies die Kammervorsitzende in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechts-lage vom 01. September 2010 den Beklagten daraufhin, dass der "Aufhebungs- und Erstat-tungsbescheid" vom 11. Juli 2008 kein Änderungsbescheid zum Aufhebungs- und Erstattungs-bescheid vom 14. November 2007 sei. Dennoch habe der Beklagte den zuerst genannten Be-scheid als einen Änderungsbescheid bei der Kostenquotelung im Widerspruchsverfahren heran gezogen. Sie rege an, dass der Beklagte vollumfänglich die Kosten aus dem Widerspruchsver-fahren übernehme. Daraufhin erklärte der Beklagte, dass die Mutter des Klägers aus dem Wi-derspruchsbescheid vom 15. Juli 2008 neben dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. Juli 2008 keine weiteren 5,28 EUR zu erstatten habe, er ihre notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren übernehme und ihre außergerichtlichen Kosten trage. Die Mutter des Klägers nahm dieses Anerkenntnis an.
Gegen die ihn belastende Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung im Bescheid vom 11. Juli 2008 legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 16. August 2008 Widerspruch ein. Unklar ist, ob dieser Widerspruch schon am 18. August 2008 per Fax (Bl 670 VA) bei dem Beklagten einging oder erst am Folgetag, dem 19. August 2008, im Original (Bl 672 VA). Jedenfalls bestätigte der Beklagte in der dem Prozessbevollmächti-gen des Klägers übersandten Eingangsmitteilung vom 10. September 2008 den Eingang des Widerspruchs am 18. August 2008 (Bl 673 VA) und verwarf diesen im Anschluss als unzuläs-sig (Widerspruchsbescheid vom 17. September 2008 (Bl a ff GA)). Die einmonatige Wider-spruchsfrist sei nicht gewahrt. Der angefochtene Bescheid sei am 11. Juli 2008 mit einfachem Brief an den Kläger abgesandt worden, so dass er aufgrund der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch (SGB X) als am 14. Juli 2008 bekannt gegeben gelte, mithin die Wider-spruchsfrist am 14. August 2008 abgelaufen sei. Der Widerspruch sei aber erst am 18. August 2008 eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe seien weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Mit der hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Anfechtungsklage hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Juli 2008 sei fristgerecht erhoben worden. Hieran könne es ausweislich des "Poststempels" vom 18. Juli 2008 auf dem Briefumschlag, mit dem der Bescheid vom 11. Juli 2008 übersandt worden sei, keinen Zweifel geben. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Laufe des Klageverfah-rens auf Bitte des SG eine Kopie dieses Briefumschlages zur Gerichtsakte gereicht, der den "Freistempler"-Aufdruck des Beklagten vom 18. Juli 2008 trägt. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei der Widerspruch auch statthaft gewesen, weil der Aufhebungs- und Erstattungs-bescheid vom 14. November 2007 (Zeitraum Januar 2007) ihn nicht betroffen habe, mithin der Bescheid vom 11. Juli 2008 nicht Gegenstand des den Bescheid vom 14. November 2007 be-treffenden Widerspruchsverfahrens habe werden können. Schließlich sei der angegriffene Be-scheid vom 11. Juli 2008 auch rechtswidrig, weil die Aufhebungsentscheidung "verfristet" sei und nicht § 33 SGB X genüge.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2011 hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, es erwäge, gemäß § 124 Abs 2 SGG zu entscheiden. Sie mögen binnen zwei Wochen mitteilen, ob Einver-ständnis mit diesem Vorgehen bestehe. Mit am 02. August 2011 beim SG eingegangen Schrei-ben vom Vortag hat der Kläger einer Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG "widersprochen".
Das SG hat dem schriftlichen Vorbringen des Klägers den Antrag entnommen, "den Bescheid vom 11. Juli 2008 betreffend die Aufhebung und Erstattung von 5,28 EUR in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 17. September 2008 aufzuheben", und hat durch Gerichtsbescheid vom 03. August 2011 die so verstandene Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat das SG im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbeschei-des (§ 105 SGG) lägen vor, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Erforderlich sei, dass das SG den Beteiligten jedenfalls sinngemäß die Absicht einer solchen Entscheidung mitteile. Wesentlich sei, dass die Beteiligten erkennen könnten, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung ent-scheiden möchte (Bezugnahme auf Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 10 zu § 105). Die Beteiligten seien dazu angehört worden, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG bestehe. Darin lie-ge eine konkludente Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Anders als für eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG sei dafür kein Einverständnis der Beteiligten erfor-derlich.
Die zulässige Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbe-scheid vom 11. Juli 2007 (gemeint war offensichtlich vom 11. Juli 2008) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2008 rechtmäßig sei. Dahin gestellt bleiben könne, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Erstattung vorgelegen hätten, denn die Auf-hebungs- und Erstattungsentscheidung sei bereits zum Zeitpunkt der Erhebung des Wider-spruchs gemäß § 84 Abs 1 SGG in Bestandskraft erwachsen. Ausweislich des darauf von ei-nem Mitarbeiter des Beklagten notierten "Abgabevermerks" sei der streitige Bescheid am 11. Juli 2007 (gemeint war offensichtlich am 11. Juli 2008) zur Post aufgegeben worden. Der hier-gegen gerichtete Widerspruch sei aber ausweislich des Posteingangsstempels auf Blatt 666 VA (gemeint war offensichtlich Bl 672 VA) erst am 19. August 2008 bei dem Beklagten eingegan-gen. Ein vorheriger Eingang per Telefax sei dem Verwaltungsvorgang nicht zu entnehmen. Soweit § 37 Abs 2 SGB X den Zugang des Verwaltungsaktes insoweit fingiere, als dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen gelte, gehe die Kammer von einem Zugang am 14. Juli 2008 bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aus. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage eines Briefumschlages und unter Hinweis auf den dort vermerkten Eingangsstempel vorgetragen, dass der Bescheid erst am 18. Juli 2008 zugegangen sein solle. Dieser Vortrag sei jedoch nicht geeignet, die Fiktionswirkung zu wider-legen. Zu den Pflichten eines ordnungsgemäß handelnden Rechtsanwalts gehöre es, Rechtsmit-tel- und Rechtsbehelfsfristen entweder auf den Bescheiden selbst oder aber auf einem Briefum-schlag, der mit den Bescheiden fest verbunden oder durch Zugehörigkeitsvermerk versehen sei, zu vermerken. Die Kammer weise in diesem Zusammenhang auf die umfangreiche Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofs zur Anwaltshaftung hin.
Hinzukomme, dass selbst nach dem Vorbringen des Klägers von einer Verfristung auszugehen sei. Wäre der Bescheid ihm tatsächlich erst am 18. Juli 2008 zugegangen, hätte die Wider-spruchsfrist am 18. August 2008 geendet, der Widerspruch sei aber erst am 19. August 2008 beim Beklagten eingegangen.
Der Kläger verfolgt mit der vom SG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuge-lassenen Berufung sein Aufhebungsbegehren weiter.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. August 2011 und den Bescheid vom 11. Juli 2008, soweit darin die Aufhebung der ihm für Januar 2007 bewilligten Leistungen iHv 5,28 EUR und von ihm die Erstattung dieses Betrages verlangt worden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend. Im Übrigen fragt er sich, was der Kläger noch errei-chen wolle. Der angegriffene Bescheid sei am 01. September 2010 im Klageverfahren vor dem SG Potsdam (S 47 AS 3397/08) zurückgenommen worden.
Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten unter Mitteilung der Absicht, den Rechts-streit an das SG zurückzuverweisen, gebeten, sich mit einer Entscheidung durch ihn ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu erklären (§§ 155 Abs 3 und 4, 124 Abs 2 SGG); diese Zustimmung haben die Beteiligten erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbe-sondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die Verwaltungsakten des Beklagten (Bd I bis IV) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist iS der Aufhebung des Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Berlin begründet.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen bereits gemäß § 159 Abs 1 Nr 1 SGG vor. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufhe-ben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Das SG hat hier noch nicht iS des § 159 Abs 1 Nr 1 SGG in der Sache selbst entschieden.
Das SG hat nicht nur dann noch nicht in der Sache selbst entschieden, wenn es die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat. Darunter fallen vielmehr auch die Fälle, in denen das SG zu den eigentlichen Rechtsfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtli-chen Vorfrage "die Weichen falsch gestellt" hat, etwa wenn es – so wie hier – zu Unrecht, die Klage wegen Versäumung der Widerspruchsfrist, dh als unbegründet abgewiesen hat (Bundes-sozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK 61/80, juris RdNr 18f = BSGE 51, 202, 205 und Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 2b zu § 159, jeweils mwN). Das SG hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Bescheid vom 11. Juli 2008, soweit dieser zwischen den Beteiligten streitig ist, (iS von § 77 SGG und nicht etwa – wie das SG gemeint hat – iS von § 84 Abs 1 SGG) in Bestandskraft erwachsen ist, was nicht etwa – wie das SG ausgeführt hat – die Beurteilung erlaubt hätte, dieser sei rechtmäßig, sondern diesen im Gegen-teil einer rechtlichen Überprüfung durch das SG entzogen hätte. Vielmehr hätte das SG zu dem Schluss gelangen müssen, dass der Kläger die mit dem Bescheid vom 11. Juli 2008 verlautbar-ten streitigen Verwaltungsakte (= Verfügungssätze iS von § 31 Satz 1 SGB X) noch rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist des § 84 Abs 1 Satz 1 SGG mit seinem Widerspruch (Schreiben vom 16. August 2008) angefochten hat, selbst dann, wenn dieser erst am 19. August 2008 bei dem Beklagten eingegangen sein sollte, so dass er nicht – wie mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2008 geschehen – als unzulässig hätte verworfen werden dürfen.
Die Frist für die Einreichung des Widerspruchs beginnt nach § 84 Abs 1 Satz 1 SGG mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Erfolgt die Bekanntgabe - wie hier - mit einfachem Brief im Inland, so gilt der Verwaltungsakt gemäß § 37 Abs 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben (Satz 1), außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (Satz 3 1. Halbs). Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28. No-vember 2006 – B 2 U 33/05 R, juris = SozR 4-2700 § 136 Nr 2, jeweils RdNr 15, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 15, jeweils RdNr 17 und Urteil vom 06. Mai 2010 - B 14 AS 12/09 R, juris RdNr 10), was hier nicht geschehen ist.
Zwar trägt der Entwurf des Bescheides vom 11. Juli 2008 (Bl 542f VA) auf der Vorderseite (links oben) neben dem gedruckten Namen der Bearbeiterin auch den gedruckten Vermerk "abgesandt am: 11. 07.2008". Ebenso enthält der Entwurf des an den Prozessbevollmächtigten des Klägers adressierte Begleitschreibens vom 11. Juli 2008 (Bl 541 VA) auf der Vorderseite neben dem gedruckten Namen der Bearbeiterin und der gedruckten Datumsangabe einen hand-schriftlichen, aber nicht unterzeichneten "ab" –Vermerk. Diese Vermerke geben aber keinen Aufschluss über den Tag der Aufgabe des den Bescheid vom 11. Juli 2008 beinhaltenden Brie-fes zur "Post", womit nur diejenige Institution gemeint sein kann, die den Brief befördert hat, hier die Deutsche Post AG. Vielmehr handelt es sich lediglich um die Bestätigung eines inner-behördlichen Vorgangs, nämlich um die Zuleitung an die Poststelle der Beklagten, die den Versand durch das Postunternehmen zu veranlassen hatte.
Hinsichtlich des nachfolgend Vorgangs, nämlich der Aufgabe des Briefes beim Postunterneh-men bzw ggf auch dem Einwurf des Briefes in den Postkasten (BSG, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, aaO, RdNr 17), enthält der vom Beklagten vorgelegte Verwaltungs-vorgang keine Vermerke mehr (vgl zum Ganzen auch BSG, Beschluss vom 26. August 1997 – 5 RJ 6/96, juris = SozR 3 -1960 § 4 Nr 3). Ein Postausgangsbuch führt der Beklagte nicht. Er kann daher – wie er inzwischen selbst einräumt – nicht nachweisen, wann er den Bescheid vom 11. Juli 2008 abgesandt hat. Ebenso wenig kann der Beklagte nachweisen, wann der Be-scheid vom 11. Juli 2008 dem Kläger zugegangen ist (§ 37 Abs 2 Satz 3 2. Halbs SGB X). Die Auffassung des SG, dies sei am 18. Juli 2008 der Fall gewesen, beruht auf einer fehlerhaften Interpretation des klägerischen Vortrags. Der Kläger hat nämlich keineswegs eingeräumt, der streitige Bescheid sei an diesem Tag bei seinem Prozessbevollmächtigten eingegangen, son-dern er hat geltend gemacht, dass dieser Bescheid – entgegen der Behauptung des Beklagten - schon deshalb nicht am 11. Juli 2008 abgesandt worden sein könne, weil der "Poststempel" (gemeint war der Freistempler-Aufdruck des Beklagten) auf dem Briefumschlag, mit dem die-ser Bescheid seinem Prozessbevollmächtigten übermittelt worden sei, vom 18. Juli 2008 stamme. Zu Gunsten des Klägers ist daher davon auszugehen, dass die Widerspruchsfrist am 19. August 2008 jedenfalls noch nicht abgelaufen war (vgl BSG, Urteil vom 28. November 2006, aaO). Deshalb kann dahin stehen, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers überhaupt der richtige Bekanntgabe-Adressat (im Gegensatz zum Inhalts-Adressat; vgl zu den beiden Begriffen: Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd 2, Stand April 2011, RdNr 13 zu § 39 SGB X mwN) war, was vorausgesetzt hätte, dass er vor Einlegung des Widerspruchs von diesem bereits bevollmächtigt war (§ 37 Abs 1 Satz 2 SGB X) oder ob eine wirksame Bekanntgabe der den Kläger betreffenden Entscheidungen im Bescheid vom 11. Juli 2008 nur durch Bekanntgabe an seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin möglich war (vgl BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 2/08 R, juris = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 21), so dass erst in dem Moment, in dem diese den Bescheid vom 11. Juli 2008 erhalten hat, die Bekanntgabe der hier streitigen Verwaltungsakte bewirkt worden wäre.
Der hier in Rede stehende Widerspruch des Klägers war auch nicht etwa im Hinblick auf § 86 SGG unstatthaft und damit unzulässig. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten konnte der mit dem Widerspruch angefochtene Teil des Bescheides vom 11. Juli 2008 schon deshalb nicht Gegenstand des den Bescheid vom 14. November 2007 betreffenden Widerspruchsver-fahrens werden, weil alleiniger Inhaltsadressat des zuletzt genannten Bescheides die Mutter des Klägers war, während alleiniger Inhaltsadressat des streitigen Teils des zuerst genannten Be-scheides der Kläger ist, so dass dieser den Bescheid vom 14. November 2007 nicht ändern konnte.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen aber auch gemäß § 159 Abs 1 Nr 2 SGG vor. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Dies ist hier der Fall.
Das SG hätte nicht durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden entscheiden dürfen. Of-fen bleiben kann, ob die ihm (ausnahmsweise) zustehende Kompetenz, als Einzelrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, bereits deshalb fehlte, weil die Sache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, so dass es an den tat-bestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG fehlen würde. Besondere Schwie-rigkeiten rechtlicher Art iS dieser Bestimmung weist eine Streitsache regelmäßig dann auf, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs 2 Nr 1 SGG; vgl dazu BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R, juris = SozR 4-1500 § 105 Nr 1, jeweils RdNr 19 zum Fall der Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, RdNr 6 zu § 105 mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vermag der Senat auf den ersten Blick jedenfalls nicht zu erkennen, insbesondere ist nicht ersichtlich, welche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Norm des § 37 Abs 2 SGB X höchstrichterlich noch nicht geklärt sind. Zwar hat das SG der Rechtssache offenbar allein we-gen der von ihm zumindest sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage, was genau der Empfänger eines Verwaltungsaktes vortragen bzw ggf beweisen muss, um Zweifel an der Dreitagesvermu-tung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X zu begründen, grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Be-ruht aber die Klageabweisung - so wie hier - auf zwei selbständig tragenden Gründen (so ge-nannte Mehrfachbegründung), hätte das SG die Berufung (wegen grundsätzlicher Bedeutung) nur zulassen dürfen, wenn hinsichtlich jedes dieser beiden Gründe ein Zulassungsgrund be-standen hätte (vgl nur BSG, Beschluss vom 07. Dezember 2010 - B 11 AL 74/10 B, juris RdNr 7 mwN). Dies war aber offensichtlich auch nach Meinung des SG nicht der Fall. Da es sich bei der Klageabweisung im Hinblick auf den unterstellten Bekanntgabezeitpunkt am 18. Juli 2008 und den Widerspruchseingang am 19. August 2008 um einen rechtlich selbständigen Abwei-sungsgrund und insoweit sicherlich auch nicht aus Sicht des SG um eine klärungsbedürftige, die erfolgte Zulassung rechtfertigende Rechtsfrage handelt, kam es auf die erste Begründungs-alternative des SG (nicht erschütterte Dreitagesvermutung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X) nicht mehr an. Zwar wird es für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG als ausreichend erachtet, wenn der Kammervorsitzende des SG – subjektiv – einer zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst (BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 – B 7 AL 43/08 R, juris RdNr 11). Ob dies aber auch für den Fall gelten kann, dass die aufgeworfene Rechtsfrage nach der eigenen Ansicht des SG gar nicht zu entscheiden ist, er-scheint zweifelhaft, was nichts daran ändert, dass das SG aus seiner Sicht nicht durch Ge-richtsbescheid hätte entscheiden dürfen.
Jedenfalls erlaubt § 105 Abs 1 Satz 2 SGG die Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur, wenn die Beteiligten hierzu gehört worden sind. Daran fehlt es hier. Die gegenteilige Auffassung des Kammervorsitzenden des SG, dem Anhörungserfordernis sei bereits damit Genüge getan, dass er die Beteiligten davon unterrichtet hat, eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG zu erwä-gen, ist nicht vertretbar. Denn aus der Anhörungsmitteilung muss hinreichend zum Ausdruck kommen, dass das SG durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung beabsichtigt zu entscheiden. Bittet das SG aber lediglich um Mitteilung der Beteiligten, ob sie mit einer Ent-scheidung nach § 124 Abs 2 SGG und damit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, aber unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter einverstanden sind, gibt es dadurch weder zu erkennen, in jedem Fall ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wol-len, noch dass dies durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden und damit ohne Mitwir-kung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGG) geschehen soll. Reagiert wie im vorliegenden Fall ein Beteiligter auf eine solche Anhörungsmitteilung, indem er einer Ent-scheidung nach § 124 Abs 2 SGG "widerspricht", kann er nicht damit rechnen, dass gleichwohl ohne mündliche Verhandlung und damit unter Abschneidung der Möglichkeit zu weiterem Vortrag in einer solchen Verhandlung und durch den Kammervorsitzenden allein entschieden werden wird. Deshalb vermag sogar ein nach § 124 Abs 2 SGG erteiltes Einverständnis eine Anhörung nach § 105 Abs 1 Satz 2 SGG nicht zu ersetzten. Die vom SG für seine Auffassung in Anspruch genommene Kommentarstelle, wonach es wesentlich ist, dass die Beteiligten er-kennen können, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden möchte (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 10 zu § 105), ist willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen, was sich schon aus dem nachfolgenden Satz ergibt, der wie folgt lautet: "Ebenso wie bei § 153 Abs 4 (dort Rn 19, 20) wird deswegen genügen, dass Gericht mitteilt, es erwäge eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid."
Der dem SG unterlaufenen Verfahrensmangel ist auch wesentlich iS des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG. Wesentlich ist ein Mangel immer dann, wenn die Entscheidung auf ihm beruhen kann (Keller, aaO, RdNr 3 zu § 159). Bei absoluten Revisionsgründen (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) wird dies unwiderlegbar vermutet (Lüdke in Lüdke, SGG, 3. Aufl 2009, RdNr 6 zu § 159). Die Verletzung des § 105 Abs 1 Satz 2 SGG führt zur unvor-schriftsmäßigen Besetzung des SG nur mit dem als Kammervorsitzenden fungierenden Berufs-richter statt mit der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 125 SGG) und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (vgl BSG, Beschluss vom 09. Dezem-ber 2008 - B 8 SO 17/08 B, juris RdNr 8 und Hauck in Hennig, SGG, Stand April 2010, RdNr 56 zu § 105). Auf diesem Mangel kann die Entscheidung daher auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das SG in voller Besetzung eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Der Senat macht von seinem in § 159 Abs 1 SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch, den Rechtsstreit nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern ihn stattdessen an das SG zu-rückzuverweisen. Ermessensleitend ist dabei der Gesichtspunkt, dass über den vorliegend er-hobenen Aufhebungsanspruch nach den Wertungen des Berufungsrechts abschließend durch das SG zu entscheiden ist. Das Landessozialgericht hat sich nämlich wegen des geringen Wer-tes des Beschwerdegegenstandes (750,00 EUR nicht übersteigend) bei einem ordnungsgemä-ßen Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens wegen des in §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG geregelten Berufungsausschlusses grundsätzlich nicht mit einem solchen Rechtsstreit in der Sache zu befassen. Es wäre sachwidrig, das Landessozialgericht nur deshalb einen Rechtsstreit entscheiden zu lassen, weil das SG dem Kläger eine mündliche Verhandlung verwehrt hat, auf deren Durchführung er gegenüber dem SG auch nicht verzichten wollte und die er – hätte das SG nicht die Berufung zugelassen – auch nach § 105 Abs 2 Satz 2 SGG hätte erzwingen kön-nen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger bereits das Rechtsschutzinteresse für die Klage fehlt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die streitigen Entscheidungen im Bescheid vom 11. Juli 2008 eben nicht bereits am 01. September 2010 zurückgenommen wor-den, sondern nach wie vor existent.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen; sie bleibt der Entscheidung des SG vorbehalten (Keller, aaO, RdNr 5f zu § 159).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
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