L 27 P 89/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 P 280/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 89/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des So-zialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2010 sowie der Bescheid der Be-klagten vom 26. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 3. Juli 2008 aufgehoben. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung von Leistungen aus der Pflegeversicherung.

Die Beklagte hatte der 1944 geborenen Klägerin auf der Grundlage des MDK-Gutachtens vom 28. November 2002, in welchem der Arzt B einen Zeitaufwand in der Grundpflege von 60 Minuten am Tag ermittelte hatte, mit Bescheid vom 16. Dezember 2002 Leistungen der Pflegestufe I ab 1. Oktober 2002 gewährt.

In dem von der Beklagten eingeholten MDK-Gutachten vom 10. Dezember 2007 gelangte die Pflegefachkraft N zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege nur noch 14 Minuten am Tag betrage. Es sei eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin festzustellen. Der im ersten Gutachten aufgeführte Hilfebedarf sei aufgrund der aktuell vorhandenen Fähigkeiten der Klägerin pflegerisch nicht mehr nachvollziehbar. Dieser Einschätzung folgend hob die Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2008 den Bewilligungsbescheid zum 31. März 2008 auf.

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin sich gegen die Aufhebung gewandt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens der Chirurgin Dr. H vom 1. November 2008, die den Zeitaufwand in der Grundpflege auf 48 Minuten am Tag eingeschätzt hat.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides sei rechtmäßig, da die Klägerin seit dem 1. April 2008 keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe I habe. Denn aus dem MDK-Gutachten vom 10. Dezember 2007 ergebe sich ein Grundpflegebedarf von lediglich 14 Minuten am Tag. Dem hiervon abweichenden Gutachten der Sachverständigen H werde nicht gefolgt.

Gegen den sozialgerichtlichen Gerichtsbescheid hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie vorbringt, dass die gerichtliche Sachverständige sie untersucht habe, die MDK-Gutachterin N hingegen nicht.

Die Klägerin beantragt ihrem Vorbringen zufolge,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin verhandeln und entscheiden (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2010 die Anfechtungsklage der Klägerin zu Unrecht abgewiesen, da der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 26. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2008 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist. Hierbei sind die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung vorhanden gewesen sind, zu vergleichen.

Die von der Beklagten mit dem hier angefochtenen Bescheid aufgehobene Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist im Vergleich zu den im Zeitpunkt im Bewilligungsbescheid vom 28. November 2002 bestehenden Verhältnissen keine wesentliche Änderung eingetreten.

Voraussetzung ist nach § 37 Abs. 1 SGB XI u. a., dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der ei-genständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist in Fällen der vorliegenden Art, in denen um die Aberkennung einer Pflegestufe im Pflegeversicherungsrecht gestritten wird, nicht bereits dann eingetreten, wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachtens der Zeitaufwand in der Grundpflege maßgeblich geringer eingeschätzt wurde als in dem der Bewilligung zu Grunde liegendem Erstgutachten. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand des Betroffenen Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang dessen Hilfebedarfs vermindert haben. Für das Vorliegen dieser Änderung trifft den Beklagten, der sich in dem Aberkennungsbescheid hierauf beruft, die materielle Beweislast.

Der Senat kann vorliegend aus den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten gutachterlichen Äußerungen nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Verhältnisse sich tatsächlich wesentlich geändert hätten. In ihrem MDK-Gutachten vom 10. Dezember 2007 kam die Pflegefachkraft N zu dem Schluss, dass im Vergleich zu dem Erstgutachten vom 28. November 2002 eine Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Diese Einschätzung ist nicht nachvollziehbar. Zur Begründung führte die Gutachterin aus, dass die Klägerin wesentlich stärker bewegungseingeschränkt gewesen sei; sie habe beispielsweise beide Arme nicht anheben können. Dies ist unzutreffend, da der Arzt B im MDK-Gutachten vom 28. November 2002 berichtet hatte, dass der Klägerin der Nackengriff bis zum Ohr möglich sei. Auch ist aus dem MDK-Gutachten vom 10. Dezember 2007 nicht erkennbar, worauf die Gutachterin N ihre Einschätzung gründete, die Klägerin sei seinerzeit sturzgefährdeter gewesen. Wie ihr Vorgutachter B berichtete sie von Schwindelgefühlen der Klägerin. Angaben darüber, ob die Klägerin stürze, und gegebenenfalls, wie oft, fehlen im Gutachten. Insgesamt ergibt sich aus dem Gutachten nicht mit der erforderlichen Sicherheit, dass der Gesundheitszustand der Klägerin sich gebessert hätte.

Hiergegen sprechen auch die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen H im Gutachten vom 1. November 2011, wonach im Gegenteil von einer Verschlechterung des Zustandes der Klägerin seit der Erstbegutachtung am 28. November 2002 auszugehen ist. Überzeugend hat sie darauf verwiesen, dass die Pflegebedürftigkeit der Klägerin durch die von ihr festgestellten degenerativen Veränderungen bedingt sei, die sich im Laufe der Zeit nicht bessern, sondern fortschreitend sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Saved