L 7 KA 112/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 382/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 112/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Sofern ein Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab ab dem 1. April 2005 noch die Bildung eines Individualbudgets vorsieht, verstößt dies gegen § 85 Abs. 4 SGB V und die Vorgaben des Bewertungsausschusses; Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 03. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Honorar der Klägerin für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Beklagte zu 1/3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um die Festsetzung eines höheren Individualbudgets für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007.

Die Klägerin nimmt seit 1991 als Ärztin für Allgemeinmedizin im Verwaltungsbezirk M an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Wirkung vom 1. Juli 2003 ermittelte die Beklagte entsprechend den Regelungen im seinerzeit geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) für die Klägerin folgendes Individualbudget:

Primärkassen Ersatzkassen Quartalsumsatz 21.481,65 Euro 10.461,23 Euro IB-Punkte je Quartal 420.144 204.604 IB-Punkte je Quartal, Fachgruppengrenzwert 324.004 243.005

Hiermit gab die Klägerin sich für die Jahre 2003 bis 2005 zufrieden.

Mit Schreiben vom 2. April 2006, 2. Juli 2006 und 1. Oktober 2006 beantragte die Klägerin eine Neufestsetzung ihres Individualbudgets. Aufgrund der Schließung der in der Nähe befindlichen Arztpraxis von Frau Dr. M habe sie von dort rund 150 Patienten übernommen. Gegenüber dem Bemessungsjahr habe sich ihre Fallzahl damit erheblich, nämlich um etwa 16 Prozent, erhöht. Zum Nachweis legte sie Listen der von Frau Dr. M übernommenen Patienten vor.

Mit Bescheid vom 3. November 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007, lehnte die Beklagte den Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets ab. Die Patientenübernahme sei nicht hinreichend dokumentiert, um für die Höhe des Individualbudgets Relevanz entfalten zu können. Zudem seien die Fallzahlen der Klägerin relativ konstant und aktuell nur 3,29 Prozent höher als im Bemessungsjahr 2002, so dass die Erheblichkeitsschwelle von 10 Prozent nicht erreicht sei:

- Basiszeitraum 2002: durchschnittlich 844 Patienten pro Quartal, - III/2003 bis II/2004: durchschnittlich 829 Patienten pro Quartal, - III/2004 bis II/2005: durchschnittlich 793 Patienten pro Quartal, - III/2005 bis II/2006: durchschnittlich 871 Patienten pro Quartal.

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage, gerichtet auf eine Neufestsetzung des Individualbudgets ab dem Quartal II/2006, hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt: Die Patientenübernahme sei hinreichend dokumentiert und habe zu einer 16-prozentigen Steigerung der Fallzahlen geführt. Zudem begegne der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten rechtlichen Bedenken, weil er entgegen höherinstanzlicher Rechtsprechung und entgegen den in § 85 SGB V getroffenen Regelungen über¬haupt die Bildung eines Individualbudgets vorsehe.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2009 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Neufestsetzung bzw. Erweiterung des Individualbudgets infolge der Übernahme von Patienten aus einer umgezogenen Praxis lägen nicht vor. Das Wachstum der Fallzahlen nach Umzug der Praxis M gegenüber dem Bemessungsjahr 2002 sei nicht hinreichend signifikant. So habe die Klägerin im Jahre 2002 durchschnittlich 844 Patienten pro Quartal behandelt, im Jahre 2006 dagegen im Schnitt 931 Patienten. Die Steigerung betrage nur 10,3 Prozent.

Gegen das ihr am 6. Juli 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. Juli 2009 Berufung eingelegt. Ergänzend bringt sie vor: Die Fallzahlsteigerung 2002 gegenüber 2006 sei mit 10,3 Prozent durchaus erheblich.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren mitgeteilt, dass die Honorarbescheide der Klägerin für die Quartale II/2006 bis I/2007 nicht bestandskräftig seien, anders als diejenigen für die Quartale II/2007 bis IV/2008.

Hierauf hat die Klägerin ihr Begehren auf die Quartale II/2006 bis I/2007 beschränkt und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchs¬bescheides vom 27. März 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in dem Umfange, in dem sie noch aufrechterhalten wird – für die Quartale II/2006 bis I/2007 – auch Erfolg. Insoweit waren die erstinstanzliche Entscheidung sowie der entgegen stehende Bescheid der Beklagten aufzuheben, verbunden mit der Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Honorar der Klägerin für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

I. Zulässig ist die Klage damit zum einen als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides, der den Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets ablehnte und auf der Annahme beruhte, dass für den ursprünglich streitigen Zeitraum ab dem Quartal II/2006 noch ein Individualbudget festgesetzt werden dürfe. Effektivem Rechtsschutz entspricht es aus Sicht der Klägerin, diesen Bescheid nicht bestandskräftig werden zu lassen. Sachgerecht kombiniert ist diese Anfechtungsklage mit einer Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG); das streitige Rechtsverhältnis besteht insoweit in der Frage, ob die Beklagte überhaupt berechtigt war, das Honorar der Klägerin für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen. An einer derartigen Feststellung hat die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 55 Abs. 1, letzter Halbs. SGG. Die so verstandene Feststellungsklage ist auch nicht unter dem Aspekt der Subsidiarität unzulässig (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 19 ff. zu § 55); die mit der Anfechtungsklage kombinierte Verpflichtungsklage, gerichtet auf Neufestsetzung eines Individualbudgets für den streitigen Zeitraum, wäre – was weiter unten (II. 2.) zu zeigen sein wird – offensichtlich unbegründet, denn ab dem Quartal II/2005 war die Beklagte kraft bundesgesetzlicher Regelungen grundsätzlich gehindert, überhaupt vertragsärztliches Honorar durch ein Individualbudget zu begrenzen. Es kann der Klägerin nicht zugemutet werden, mit einer statthaften Anfechtungs-/Verpflichtungsklage kostenpflichtig zu unterliegen, während sie mit einer Anfechtungs-/Feststellungsklage – wie hier – obsiegen würde. Die im Berufungsverfahren auf Anraten des Senats (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGG) vorgenommene Änderung des Klageantrags wäre damit auch sachdienlich im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG.

II. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Im streitigen Zeitraum durfte die Beklagte das Honorar der Klägerin nicht (mehr) durch ein Individualbudget begrenzen.

1. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Beklagte die gegebenenfalls infolge einer Praxisschließung erhöhten Fallzahlen der Klägerin unzutreffend bewertet bzw. ihren Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab (HVV) falsch gehandhabt hat. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob die Klägerin, gemessen an den konkreten Regelungen des im fraglichen Zeitraum – ab dem Quartal II/2006 – geltenden HVV der Beklagten, einen Anspruch auf Erweiterung ihres Individualbudgets hatte.

2. Grundsätzlich steht einem Anspruch auf Erhöhung des Individualbudgets nämlich entgegen, dass das Regelungskonzept der Individualbudgets in dem HVV der Beklagten rechtswidrig ist. Die für die streitigen Quartale maßgeblichen Honorarverteilungsregelungen entsprechen weder den gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs. 4 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) (unten a) noch der am 29. Oktober 2004 beschlossenen Übergangsregelung des Bewertungsausschusses (unten b). Dementsprechend gibt es (ab dem Quartal II/2005) keine gesetzliche Grundlage mehr, aufgrund derer eine Erhöhung des Individualbudgets beansprucht werden kann.

a) Gemäß § 85 Abs. 4 SGB V in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. November 2003 (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG, BGBl. I S. 2190) verteilt die Beklagte die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte, und zwar getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (Satz 1). Sie wendet dabei ab dem 1. Juli 2004 den mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen erstmalig bis zum 30. April 2004 gemeinsam und einheitlich zu vereinbarenden Verteilungsmaßstab an. Bei der Verteilung der Gesamtvergütungen sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragsärzte zugrunde zu legen; dabei ist jeweils für die von den Krankenkassen einer Kassenart gezahlten Vergütungsbeträge ein Punktwert in gleicher Höhe zugrunde zu legen (Satz 3, 1. Halbsatz). Der Verteilungsmaßstab hat Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes entsprechend seinem Versorgungsauftrag nach § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorzusehen (Satz 6). Insbesondere sind arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina [RLV], Satz 7). Im Fall der Überschreitung der Grenzwerte ist die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten zu vergüten (Satz 8). Nach § 85 Abs. 4 a Satz 1 SGB V bestimmt der Bewertungsausschuss Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütungen nach § 85 Abs. 4 SGB V, unter anderem erstmalig bis zum 29. Februar 2004 auch den Inhalt der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen. Die nach § 85 Abs. 4 a SGB V zu beschließenden bundeseinheitlichen Vorgaben für die regionalen Honorarverteilungsmaßstäbe sind nach § 85 Abs. 4 Satz 10 SGB V Bestandteil der an die Stelle der bisherigen Beschlussfassung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen tretenden HVM-Verein¬barungen nach § 85 Abs. 4 Satz 2 SGB V, was in seiner rechtlichen Bindungswirkung der Vereinbarung des Bundesmanteltarifvertrages als "allgemeiner Inhalt der Gesamtverträge" nach § 82 Abs. 1 SGB V entspricht.

Der Bewertungsausschuss ist seinen Regelungsverpflichtungen nach § 85 Abs. 4 a SGB V u. a. durch den Beschluss vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 46 vom 12. November 2004, Seite A-3129) nachgekommen (im Folgenden: BRLV). Darin bestimmt er, dass Regelleistungsvolumen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V arztgruppenspezifische Grenzwerte sind, bis zu denen die von einer Arztpraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum (Arzt-Abrechnungsnummer) im jeweiligen Kalendervierteljahr (Quartal) erbrachten ärztlichen Leistungen mit einem von den Vertragspartnern des Honorarverteilungsvertrages (ggf. jeweils) vereinbarten, festen Punktwert (Regelleistungspunktwert) zu vergüten sind. Für den Fall der Überschreitung der Regelleistungsvolumen ist vorzusehen, dass die das Regelleistungsvolumen überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten (Restpunktwerten) zu vergüten ist (III. 2.1 BRLV). Für die Arztpraxis oder das medizinische Versorgungszentrum, die bzw. das mit mindestens einer der in Anlage 1 genannten Arztgruppen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, sind im Honorarverteilungsvertrag nachfolgende Regelleistungsvolumen zu vereinbaren, für die dieser Beschluss die Inhalte der Regelungen vorgibt (III. 3.1 Abs. 1 BRLV). Die in 4. aufgeführten Leistungen, Leistungsarten und Kostenerstattungen unterliegen nicht den Regelleistungsvolumen (III. 3.1 Abs. 4 BRLV).

Diesen Vorgaben wird der im streitigen Zeitraum geltende HVV der Beklagten nicht gerecht, weil er das Honorar der Vertragsärzte wie die schon seit dem 1. Juli 2003 geltenden Honorarverteilungsmaßstäbe durch ein Individualbudget begrenzt; hierin liegt ein Verstoß gegen das nach § 85 Abs. 4 SGB V verbindlich vorgegebenen System der Regelleistungsvolumen.

Grundsätzlich steht den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen bei der Vereinbarung der Honorarverteilungsverträge Gestaltungsfreiheit zu, dies jedoch nur, soweit und solange ein höherrangiger Normgeber – insbesondere der Gesetzgeber, aber auch der Bewertungsausschuss – innerhalb der ihm übertragenen Kompetenzen die Materie nicht selbst geregelt hat (vgl. Urteil des BSG vom 18. August 2010, B 6 KA 27/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Im vorliegenden Fall wird der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner bei den Honorarverteilungsregelungen durch die genannten gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V und ferner dadurch maßgeblich eingeschränkt, dass der Bewertungsausschuss durch Beschluss vom 29. Oktober 2004 nach § 85 Abs. 4 a Satz 1, 2. Halbs. SGB V in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung Vorgaben zum Inhalt der Regelungen nach § 85 Abs. 4 Satz 6 bis 8 SGB V getroffen hat. Mit dem GMG hat der Gesetzgeber die bisher als Soll-Vorschrift ausgestaltete Regelung zu den Regelleistungsvolumina (§ 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V a.F.) verbindlich vorgegeben (nunmehr: " sind Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind "). Dadurch soll erreicht werden, dass die von den Ärzten erbrachten Leistungen bis zu einem bestimmten Grenzwert mit festen Punktwerten vergütet werden und ihnen dadurch Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und Einkommen gewährt wird. Leistungen, die den Grenzwert überschreiten, sollen mit abgestaffelten Punktwerten vergütet werden; damit soll zum einen der Kostendegression bei steigender Leistungsmenge Rechnung getragen werden und zum anderen soll der ökonomische Anreiz zur übermäßigen Mengenausweitung begrenzt werden (vgl. BT-Drs. 15/1170, S. 79).

Die Honorarverteilungsregelungen, die die Beklagte und die Krankenkassen für den hier streitbefangenen Zeitraum vereinbart haben, berücksichtigen die zwingenden gesetzlichen Vorgaben in ihren "Kernpunkten" (so Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 40) nicht, denn sie sehen weder die Festlegung von arztgruppenspezifischen Grenzwerten vor, bis zu denen die von einer Arztgruppe erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind, noch sehen sie vor, dass die darüber hinaus abgerechneten Punktmengen mit abgestaffelten Punktwerten zu vergüten sind. Die Regelungen des hier angewandten HVV sowie auch die Vorgängerregelungen des HVM sehen vielmehr für alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten die Bildung eines individuellen Punktzahlvolumens (Individualbudget) vor, innerhalb dessen die Leistungen mit einem im HVV festgelegten Punktwert vergütet werden sollen, vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 HVV vom 10. April 2006.

Das Individualbudget wird bei einer Praxis, die wie die der Klägerin als Altpraxis einzustufen ist, nach Abzug bestimmter Leistungen aus den individuellen Umsätzen des Durchschnitts des Bemessungszeitraums (Quartale I/02 bis IV/02) und getrennt nach Primär- und Ersatzkassen gebildet. Die um diese Leistungen geminderten Umsätze werden mit dem Faktor 10/0,0511292 multipliziert. Daraus ergibt sich, nach Division durch die Anzahl der Quartale, ein Individualbudget je Arzt bzw. Praxis und Quartal. Dieses durchschnittliche Individualbudget je Quartal wird zum Ausgleich der Quartalsschwankungen der pauschalierten Gesamtvergütung mit einem Gewichtungsfaktor (Anlage 1 des HVV) versehen. Im Ergebnis erhält jeder Arzt bzw. jede Praxis ein quartalsbezogenes Individualbudget für all jene Leistungen, die – vorbehaltlich der Regelungen in § 9 Abs. 3 HVV – mit einem festen Punktwert zu vergüten sind, der im HVV als Individualbudgetpunktwert von 4,15 Cent genannt wird, vgl. § 9 Abs. 1 Satz 3 HVV. Nach § 9 Abs. 4 HVV wird ferner eine Fachgruppenquote ermittelt, die Auswirkungen auf die Vergütung der im Individualbudget erbrachten Leistungen hat. Zur Ermittlung der je Fachgruppe maximal zu einem festen Punktwert zu vergütenden Leistungen (Abs. 2) werden die nach Abs. 3 verringerten Honorarfonds der Fachgruppen durch den Faktor 0,0415 dividiert. Somit ergibt sich je Fachgruppe das maximal zu 4,15 Cent zu vergütende Punktvolumen. Dieses Punktvolumen je Fachgruppe wird durch die Summe der nach Abs. 2 gebildeten Individualbudgets je Fachgruppe dividiert. Der daraus resultierende Quotient ist die Fachgruppenquote. Die vom Arzt angeforderten Punkte – maximal bis zur Höhe des ermittelten Individualbudgets – werden mit der jeweiligen Fachgruppenquote multipliziert. Das so ermittelte Punktvolumen wird mit 4,15 Cent vergütet, vgl. § 9 Abs. 5 HVV. Die über dieses Punktvolumen hinaus abgerechneten Leistungen werden mit einem floatenden Punktwert vergütet.

Aufgrund dieser HVV-Regelungen ist es grundsätzlich möglich, dass für die Vergütung der Leistungen mit einem Punktwert von 4,15 Cent nicht allein das nach § 9 Abs. 2 HVV ermittelte individuelle Punktzahlvolumen des Arztes maßgeblich war, sondern das Abrechnungsverhalten der übrigen Ärzte der Fachgruppe. Daraus ergibt sich, dass anders als bei den Regelungen über RLV, bei denen ein zuvor festgelegter Punktwert bis zu einer bestimmten oder bestimmbaren Obergrenze der vom Arzt erbrachten Leistungen gilt, bei den Honorarregelungen der Beklagten nicht im Vorfeld bestimmbar ist, welches Punktzahlvolumen mit einem festen Punktwert vergütet wird. Zudem sieht der HVV der Beklagen auch keine Abstaffelung des Punktwertes für die über das Budget hinaus erbrachten Leistungen vor, wie dies § 85 Abs. 4 Satz 8 SGB V vorgibt. Die Abstaffelung von Vergütungen, die ihr Vorbild in den Maßnahmen zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der Kassenpraxis hat, trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Arztpraxis wesentlich auf der fachlichen Qualifikation und Leistungsfähigkeit des freiberuflich tätigen Vertragsarztes beruht und daher in ihrer Kapazität ohne Qualitätseinbußen nicht erweiterungsfähig ist, wobei auch gleichzeitig der Einspareffekt berücksichtigt wird, der durch eine starke Auslastung der medizinisch-technischen Geräte genutzt wird (vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand II/10, § 85 RdNr. 262 b). Schließlich fehlt es in dem HVV der Beklagten auch an arztgruppenspezifischen Festlegungen. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 17. März 2010 (B 6 KA 43/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17) ausgeführt hat, erfordert das Merkmal der arztgruppenspezifischen Grenzwerte (§ 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V n.F.), dass in die Regelung jedenfalls auch ein Element arztgruppeneinheitlicher Festlegung einfließt, wobei es nicht ausreicht, dass jeder Arztgruppe ein gemeinschaftliches Honorarkontingent ("Honorartopf") zugeordnet ist. Vielmehr müsse die Regelung z. B. jedenfalls auf arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen aufbauen. Der den in dem streitbefangenen Zeitraum gebildeten Individualbudgets zugrunde gelegte HVV der Beklagten enthält indessen keine Elemente arztgruppeneinheitlicher Festlegung, sondern legt der Honorarabrechnung Punktzahlgrenzen zugrunde, die für jede Arztpraxis individuell ausgehend von dem Umsätzen des Jahres 2002 gebildet wurden. Die mit arztgruppenspezifischen Grenzwerten beabsichtige Nivellierung vertragsärztlicher Honorare wird durch Individualbudgets, die in erster Linie an den praxisindividuellen Leistungsumfang in einem Referenzzeitraum anknüpfen, gerade nicht erreicht. Der HVV der Beklagten verstößt daher gegen § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V.

b) Die Bestimmungen des HVV über das Individualbudget widersprechen auch der Übergangsregelung in Teil III Nr. 2. 2. des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004. Dort ist folgendes geregelt:

"Sofern in einer Kassenärztlichen Vereinigung zum 31. März 2005 bereits Steuerungselemente vorhanden sind, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 3 SGB V vergleichbar sind, können diese bis zum 31. Dezember 2005 fortgeführt werden, wenn die Verbände der Krankenkassen auf Landesebene das Einvernehmen hierzu herstellen. Wird kein Einvernehmen durch die Verbände der Krankenkassen auf Landesebene hergestellt oder sind solche Steuerungselemente, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 4 SGB V vergleichbar sind, nicht vorhanden, finden Regelleistungsvolumen gemäß 3. mit Wirkung zum 1. April 2005 Anwendung".

Die Fortgeltung dieser Regelung, deren Rechtmäßigkeit das Bundessozialgericht bestätigt hat (vgl. Urteil vom 17. März 2010, B 6 KA 43/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 21), bis zum 31. Dezember 2006 bzw. im Jahr 2007 ergibt sich aus Teil IV des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses vom 16. Dezember 2005, für das Jahr 2007 aus Teil II des Beschlusses des Bewertungsausschusses aus der 117. Sitzung und für das Jahr 2008 aus der 139. Sitzung, Teil A Nr. 2.1 des Beschlusses. Mit der Bezugnahme auf "vorhandene Steuerungselemente" erlaubt der Beschluss des Bewertungsausschusses von den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V (arztgruppenspezifische Grenzwerte, Vergütung mit festen Punktwerten, abgestaffelte Punktwerte bei Überschreitung der Grenzwerte) nur dann eine Ausnahme, wenn bereits Steuerungselemente vorhanden sind, deren Auswirkungen mit den Vorgaben der gesetzlichen Regelung vergleichbar sind, und diese Instrumente fortgeführt werden. Hieran fehlt es allerdings (anders noch Urteil des Senats vom 24. November 2010, L 7 KA 162/07); Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist. Eine andere Sichtweise hätte eine weitgehende Suspendierung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben zur Folge, zu der auch der Bewertungsausschuss nicht berechtigt war.

Den Regelungen über RLV liegt die Vorstellung zugrunde, dass für jeden Arzt ein Leistungsvolumen festgelegt werden soll, das den im Regelfall anfallenden Versorgungs- und Behandlungsbedarf abdecken soll. Dafür ist vorgesehen, dass aus dem Versorgungsumfang der Arztgruppe ein entsprechender Gesamtbehandlungsbedarf ermittelt wird, aus dem sich die arztgruppenbezogenen Regelleistungsvolumina für jede Arztgruppe (§ 85 a SGB V) und für jeden einzelnen Arzt ergeben. Im Rahmen dieser Volumina erfolgt eine Vergütung mit festen Punktwerten. Nur soweit ein spezieller weiterer Behandlungsbedarf besteht, soll der Arzt zusätzliches Honorar erhalten können. Das Honorar für Leistungen, die über das RLV hinaus erbracht werden, wird abgestaffelt. Ziel der Regelungen ist es zum einen, dem Vertragsarzt Kalkulationssicherheit bei der Vergütung seiner Leistungen bis zu einer bestimmten Obergrenze zu gewährleisten; zum anderen soll damit die Kostendegression bei steigender Leistungsmenge durch die Abstaffelung des Vergütungspunktwertes bei den das RLV übersteigenden Leistungen verringert werden (vgl. Engelhard a.a.O., § 85 RdNr. 258 a mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Zwar zielen auch die Regelungen über Individualbudgets darauf ab, den Ärzten Kalkulationssicherheit zu verschaffen und den Anreiz zur Leistungsausweitung zu vermindern. Allein die Zielsetzung einer Regelung ist jedoch nicht ausreichend, die in § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V genannten Vorgaben zu erfüllen. Maßgeblich kommt es auf die Auswirkungen des jeweiligen Steuerungsinstruments an; diese sind – wie gezeigt – beim Regelleistungsvolumen einerseits und beim Individualbudget andererseits verschieden (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. September 2010, L 11 KA 23/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 95).

c) Vor diesem Hintergrund kommt der Senat ebenso wie das Sozialgericht Berlin in seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011, S 79 KA 198/08) und ebenso wie das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das über ähnliche HVV-Regelungen zu entscheiden hatte (a.a.O., anhängig beim Bundessozialgericht zum Aktenzeichen B 6 KA 3/11 R, Revisionsentscheidung erwartet für den 14. Dezember 2011) zu dem Ergebnis, dass der HVV der Beklagten in dem hier streitbefangenen Zeitraum keine Steuerungselemente enthielt, deren Auswirkungen mit den Vorgaben der gesetzlichen Regelung vergleichbar sind. Die mit dem System der Vergütung nach Regelleistungsvolumina für die Vertragsärzte gegebenenfalls verbundenen Vorteile dürfen aber nicht ohne normative Grundlage im Bundesrecht durch die Partner der HVV so begrenzt werden, dass anstelle der Regelleistungsvolumina faktisch praxisindividuelle Budgets zur Anwendung kommen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. August 2010, B 6 KA 27/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 39). Da die Regelungen des HVV über die Bildung von Individualbudgets somit gegen höherrangiges Recht verstoßen, sind sie rechtswidrig.

Nach alldem hatte die Klägerin Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Sie berücksichtigt, dass die Klage für die Quartale II/2006 bis I/2007 Erfolg hatte und dass die Klägerin für die Quartale II/2007 bis IV/2008, für die die Honorarbescheide bestandskräftig sind, von der Weiterverfolgung ihres Begehrens Abstand genommen hat.Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved