L 1 KR 325/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 1768/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 325/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2011 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 21.131,36 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst auf die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Bezug, deren Gründe er sich zu Eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Zu Recht hat es das SG abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 22. März 2010, vom 7. Oktober 2010, vom 19. Juli 2011 und vom 8. August 2011 anzuordnen.

Sein Beschluss ist zunächst verfahrensfehlerfrei ergangen. Er stellt keine so genannte Überraschungsentscheidung dar. Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 13. September 2011 entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine prozessbeendende Erklärung abgegeben, sondern lediglich erklärt, von Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig abzusehen. Eine Sachentscheidung hatte deshalb zu ergehen.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen wie hier, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung, wobei zu beachten ist, dass ein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten des Vollzuges vorliegt, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist, wobei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach dem Gesetz eine mit gewichtigen Argumenten begründende Ausnahme bleiben soll. Zur Prüfung des Interesses der Beteiligten ist § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG heranzuziehen, wonach die Aussetzung der Vollziehung erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache zu prüfen, die dann bejaht werden müssen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies folgt daraus, dass das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden - oder den anderen Verwaltungsakten nach § 86 a Abs. 2 SGG - bewusst auf den Adressaten verlagert worden ist, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Nach der vorherrschenden Rechtsprechung bestehen nur dann ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher sei als ein Misserfolg. Im Zweifel seien Beiträge zunächst zu erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, treffe nach dieser Wertung den Zahlungspflichtigen. Ob dem uneingeschränkt gefolgt werden kann, erscheint zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betont, der aufgrund Art. 19 IV GG gebotene effektive Rechtsschutz gebiete eine Interessenabwägung, bei der es nicht entscheidend darauf ankomme, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringe (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 10. April 2001 - 1 BvR 1577/00 - mit Bezug auf BVerfGE 69, 220, 228f; ständige Rechtsprechung des Senats).

In jedem Fall aber würde die gesetzliche Risikoverteilung unterlaufen, wenn bei summarischer Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers unwahrscheinlich ist.

So liegt der Fall hier:

Die Erfolgschancen sind nur als gering zu bezeichnen.

Grundlegende Zweifel an der Annahme der Antragsgegnerin, der ehemalige Mitarbeiter der Antragstellerin Lars Peter Bork, sei abhängig beschäftigt gewesen, bestehen nicht. Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer anderen rechtlichen Bewertung keinen Anlass:

Aus dem Umstand, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin vorhält, über die eingelegten Widersprüche nicht zu entscheiden, folgt nichts Gegenteiliges. Ihr bleibt insoweit unbenommen, Untätigkeitsklage zu erheben.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urt. v. 23.06.1994 -12 RK 72/92- NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG Beschluss vom 23. Februar 1995 -12 BK 98/94- juris; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urt. v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 RdNr 17; Urteil vom 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R, Die Beiträge, Beil 2006, 149; jeweils m. w. N.) zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht aber der formellen Vereinbarung regelmäßig vor. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen (so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urt. v. 24.1.2007, a. a. O., RdNr 22, m. w. N.). Maßgeblich ist also die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urt. v. 28.05.2008 –B 12 KR 13/07 R "Freelancer" Rdnr. 17). Unter Anwendung dieses Maßstabes ist hier nach der alleine möglichen summarischen Prüfung nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Antragstellerin den Mitarbeiter Bork auch in der Zeit, indem dieser nicht mehr aufgrund eines Anstellungsvertrages, sondern eines Dienstvertrages tätig war, wie einen Mitarbeiter behandelt hat. Selbst wenn dieser ursprünglich selbst den Wunsch nach freier Mitarbeit geäußerte hatte, war er nach wie vor in den Betriebsablauf integriert und erhielt von seiner Chefin konkrete Anweisungen. Dass diese oft per Email an eine private Email-Adresse erfolgten, ist dabei nicht von entscheidender Relevanz. Nach Aktenlage ist ferner auch davon auszugehen, dass Her Bork jedenfalls im Wesentlichen nur für die Antragstellerin tätig war, auch wenn die Einsatzorte unterschiedlich waren.

Eine besondere Härte im Hinblick auf die Höhe der Nachforderungen ist nicht ersichtlich. Zutreffend verweist das SG darauf, dass sich die Antragstellerin längst auf die Zahlungsverpflichtung hätte einstellen können und müssen. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass sich die Antragsgegnerin Ratenzahlungsangeboten oder Ähnlichem verschlossen hätte oder dies grundlos ablehnen würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG entsprechend iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Zum Streitwert wird auf den Beschluss des SG verwiesen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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