Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 VU 107/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VU 47/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2008 abgeändert und wie folgt gefasst:
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 2. Mai 2000 als Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz im Sinne einer Verschlimmerung eine depressive Störung, eine soziale Phobie und eine Agoraphobie mit dem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 15 (= 20) (v. H.) festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu einem Viertel zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch über die Bewertung von Schädigungsfolgen infolge erlittener Haft in der ehemaligen DDR auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1953 geborene Kläger absolvierte in der ehemaligen DDR zwischen 1968 und 1970 eine Lehre zum Tiefbauteilfacharbeiter, die er nach eigenen Angaben 1972 oder 1973 abschloss. Der Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er war in der ehemaligen DDR mehrfach inhaftiert. Für die Haftzeiten vom
- 27. August 1971 bis zum 8. September 1971, - 20. August 1975 bis zum 4. April 1977 und - 29. April 1981 bis zum 28. Januar 1982
wurde durch Beschlüsse des Landgerichts B vom 1. März 2002 (erste Haftzeit; Geschäftsnummer), vom 28. Juni 1993 (zweite Haftzeit; Geschäftsnummer) und vom 19. Mai 1995 (dritte Haftzeit; Geschäftsnummer) jeweils festgestellt, dass der Kläger insoweit zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten habe. In Bezug auf die erstgenannte Haftzeit wurden ein von der Staatsanwaltschaft des Stadtbezirks B im Jahr 1971 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Passvergehens sowie der gegen den Kläger erlassene Haftbefehl des Stadtbezirks B für rechtsstaatswidrig erklärt. In Bezug auf die zweitgenannte Haftzeit wurden ein Urteil des Stadtbezirksgerichts B vom 25. November 1975 (Geschäftszeichen), durch das der Kläger wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten verurteilt sowie staatlicher Kontroll- und Erziehungsaufsicht unterstellt worden war, und ein Beschluss des Stadtgerichts B vom 16. Dezember 1975 (Geschäftszeichen ), mit dem die hiergegen gerichtete Berufung als offensichtlich unbegründet verworfen worden war, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. In Bezug auf die drittgenannte Haftzeit wurde ein Urteil des Stadtbezirksge-richts B vom 24. Dezember 1981 (Az. ), mit dem der Kläger wegen Beeinträchtigung der öf-fentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden war, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Schließlich wurden mit Beschluss des Landgerichts B vom 10. November 1999 (Geschäftsnummer) Urteile des Stadtbezirksgerichts B vom 20. Juni 1974 (Az.: ) und vom 13. Oktober 1978 (Az.: ) für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, wobei dies für das letztgenannte Urteil nur für den Strafausspruch gilt, soweit die verhängte Freiheitsstrafe vier Monate übersteigt. Aufgrund des letztgenannten Urteils habe der Kläger vom 1. Mai 1978 bis zum 28. Dezember 1978 Freiheits-strafe verbüßt, wovon er die vier Monate übersteigende Zeit der Freiheitsentziehung zu Unrecht erlitten habe.
Mit Rehabilitierungsbescheiden nach § 17 in Verbindung mit § 22 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) vom 14. Dezember 1995 stellte der Beklagte unter anderem fest, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerRehaG ist, wobei die Verfolgungszeit vom 20. August 1975 bis zum 21. Januar 1985 gedauert habe. Infolge der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung aufgrund des Urteils des Stadtbezirksgerichts B vom 25. November 1975 habe der Kläger seinen erlernten Beruf als Bauarbeiter (Teilfacharbeiter) nicht ausüben können. Die Haftzeiten vom 20. August 1975 bis zum 4. April 1977 und 29. April 1981 bis zum 28. Januar 1982 seien als Verfolgungszeit anzuerkennen. Daneben seien auch die Zeiträume vom 5. April 1977 bis zum 28. April 1981 sowie vom 29. Januar 1982 bis zum 21. Januar 1985 als Verfolgungszeiten anzuerkennen. Denn jeweils habe der Kläger Einkommens-einbußen hinnehmen müssen, weil er nicht entsprechend seiner Ausbildung eingesetzt worden sei. Dazu habe er jeweils den Auflagen des Amtes für Arbeit des Stadtbezirks B unterlegen. Die Verfolgungszeit ende am 21. Januar 1985, denn ab da habe der Kläger eine Tätigkeit als Hilfsheizer aufgenommen, die seiner beruflichen Ausbildung gleichwertig gewesen sei und infolgedessen er auch keine finanzielle Benachteiligung mehr gehabt habe.
Am 2. Mai 2000 ging bei dem Beklagten ein Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem BVG und dem Häftlingshilfegesetz ein. Der Beklagte richtete Anfragen an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und an die Justizvollzugsanstalten P und L und holte Befundberichte bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 3. September 2000 und der Ärztin für Ortho-pädie S vom 16. Mai 2001 ein. Des Weiteren holte der Beklagte ein versorgungsärztlich-chirurgisches Gutachten bei dem Arzt für Chirurgie Dr. O vom 4. Juli 2003 ein, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers keine Schädigungsfolgen für sein Fachgebiet feststellen konnte.
Der Beklagte gab schließlich ein Gutachten bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Sozialmedizinerin Dr. W in Auftrag, die Befundberichte bei dem Diplom-Psychologen M vom 29. August 2003, dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K vom 25. Juli 2003 sowie der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 16. September 2003 einholte und ärztliche Gutachten für die Landesversicherungsanstalt B des Facharztes für Chirurgie und Sozialmediziners P vom 8. August 2002 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie B vom 28. Januar 2003 beizog, und die nach mehreren ambulanten Untersuchungen des Klägers in ihrem Gutachten vom 5. November 2003 zu dem Ergebnis gelangte, Schädigungsfolgen seien nicht festzustellen. Bei dem Kläger sei von einem psychischen Vorschaden im Sinne einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung auszugehen. Eine Verschlimmerung dieses Vorschadens sei zwar nicht völlig auszuschließen, aber nicht wahrscheinlich zu machen. Für den schwerbehindertenrechtlichen Bereich sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ausgehend von den Einzel-GdB von 40 für eine psychische Störung, 20 für Narbenkontrakturen beider Oberschenkel mit Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke, Fußfehlform mit beiderseitiger Ballenbildung und 10 für eine Belastungsminderung des rechten Armes.
Mit Bescheid vom 20. November 2003 lehnte der Beklagte den Versorgungsantrag des Klägers vom 2. Mai 2000 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte nach Einholung einer psychiatrisch-neurologischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 24. August 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004 zurückwies.
Hiergegen hat der Kläger am 12. Oktober 2004 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 1. Februar 2005 eingeholt. Es hat schließlich ein Gutachten bei der Diplom-Psychologin Dr. phil. D vom 1. Juni 2007 eingeholt, die den Kläger zwei Mal ambulant untersucht hat und zu dem Ergebnis gelangt ist, bei diesem lägen eine soziale Phobie und eine rezidivierende depressive Störung vor, die im Sinne einer Verschlimmerung als Schädigungsfolgen anzuerkennen und jeweils mit einem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. zu bewerten seien. Der Gesamt-Grad einer MdE sei mit 40 v. H. zu bemessen.
Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine psychiatrisch-neurologische Stellungnahme sowie eine psychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 16. Februar 2005 und vom 10. September 2007 und eine fachchirurgische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 23. Juli 2007 übermittelt. Zu der Stellungnahme von Dr. S vom 10. September 2007 hat die Sachverständige Dr. D unter dem 19. Oktober 2007 ergänzend Stellung genommen.
Durch Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2008 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 verurteilt, bei dem Kläger eine soziale Phobie und eine rezidivierende depressive Störung als Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG im Sinne einer Verschlimmerung anzuerkennen mit einem daraus resultierenden Grad einer MdE von 40 v. H. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In Bezug auf die psychischen Schädigungsfolgen ist das Sozialgericht dem Gutachten der Sachverständigen Dr. D gefolgt. Schädigungsfolgen für eine Belastungsminderung des rechten Armes seien nicht anzuerkennen. Das Sozialgericht hat den Beklagten weiter verurteilt, dem Kläger 4/5 von dessen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gegen den ihm am 8. Februar 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 25. Februar 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung psychiatrische Stellungnahmen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 18. Februar 2008 sowie des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 9. Oktober 2008 und vom 7. September 2009 vorgelegt.
Der vormals für die Bearbeitung des Falles zuständige 13. Senat hat ein psychiatrisches Gutachten bei dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 12. August 2008 eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers eine Persönlichkeitsstörung in symptomatischer Ausprägung einer sozialen Phobie und eines rezidivierend depressiv-dysthymen Syndroms diagnostiziert hat. Diese Störungen seien als richtungsgebend wesentliche Verschlimmerung der schädigungsunabhängigen Disposition einer früh angelegten Persönlichkeitsstörung auf die Haftzeiten zurückzuführen, für die der Kläger rehabilitiert worden sei. Die Schädigungsfolgen seien mit dem Grad einer MdE von 40 v. H. zu bewerten.
Der Senat hat ein psychiatrisches und neurologisches Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie Dr. L vom 15. Juli 2009 eingeholt, das dieser aufgrund zwei ambulanter Untersuchungen erstellt hat und in dem er zu dem Ergebnis gelangt ist, bei dem Kläger lägen eine depressive Störung (Dysthymie, neurotische Depression; bis mittelschwer ausgeprägt, chronifiziert) und eine soziale Phobie, Agoraphobie (leichtere Ausprägung) vor. Anteile der depressiven und der Angststörung seien auf die Haftzeiten zu-rückzuführen; die Ereignisse der Haft seien annähernd gleichwertige Ursachen für die Entwicklung der Gesundheitsstörungen gewesen. Der Grad einer MdE/GdB sei insgesamt mit 30 v. H. zu bewerten, der schädigungsbedingte Anteil des Grades der MdE betrage nur 15 v. H.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. September 2009 erklärt, als Schädigungsfolge im Sinne einer Verschlimmerung nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG ab Antragstellung eine depressive Störung, soziale Phobie, Agoraphobie mit dem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 15 = 20 festzustellen. Die Berufung werde dahingehend zurückgenommen, als ein GdS von 15 = 20 festgestellt werde.
Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. S vom 22. August 2011 auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt. In diesem Gutachten, das der Sachverständige nach ambulanter Untersu-chung des Klägers erstellt hat, hat Prof. Dr. S für sein Fachgebiet diagnostiziert eine komplexe Persönlichkeitsstörung, die mit erheblichem dysfunktionalen Verhalten im beruflichen und privaten Bereich einhergehe, eine wiederkehrende depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymia, eine soziale Phobie, die mit einem Vermeidungsverhalten einhergehe, ohne dass eingreifende Behinderungen des Alltagslebens bestünden und einen Zustand nach Alkoholab-hängigkeit mit Entzugssymptomen, auch einen Zustand nach Benzodiazepinmissbrauch sowie eine Spielsucht unbekannten Ausmaßes. Die psychischen Störungen seien nicht auf die vom Kläger erlittenen Haftzeiten zurückzuführen.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2008 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als das Sozialgericht den Beklagten dazu verurteilt hat, für die Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz einen höheren Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit/einen höheren Grad der Schädigungsfolgen als 15 (=20) (v. H.) anzuerkennen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er stützt sich auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. L überzeuge nicht, soweit dieser nur vom Grad einer MdE von 30 v. H., schädigungsbedingt sogar nur 15 v. H., ausgehe. Insbesondere beachte das Gutachten nicht hinreichend die bei dem Kläger bestehende haftbedingte Vulnerabilität.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. Januar 2012 hat der Kläger das in dem Schriftsatz des Beklagten vom 24. September 2009 zum Ausdruck gebrachte Teilanerkenntnis angenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im aufrecht erhaltenen Umfang begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist jedenfalls in seinem angegriffenen Umfang unzutreffend. Zu Unrecht hat das Sozialgericht unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 den Beklagten dazu verurteilt, für nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG anerkannten Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung einen Grad einer MdE/GdS von 40 (v. H.) anzuerkennen.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die
Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich
herbeigeführt haben.
Der Kläger hat unstreitig mehrere Freiheitsentziehungen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Im Grundsatz unstreitig ist nach der Berufungsrücknahme durch den Beklagten zwischen den Beteiligten auch, dass er infolge der Freiheitsentziehungen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Streitig ist das Ausmaß der Schädigungsfolgen.
Gemäß § 30 Abs. 1 BVG in der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I Seite 21) war die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb ge-richteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der
Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der Grad der MdE/der GdS ist nach Zehnergraden – in Bezug auf den Grad der MdE als v. H. - von 10 bis 100 zu bemessen. Dabei erhalten Beschädigte nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine monatliche Grundrente erst ab einem Grad der MdE/GdS von 30 (v. H.), wobei wegen § 31 Abs. 2 BVG in der bis zum 20. Dezember 2007 geltenden Fassung und wegen § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG in der ab dem 21. Dezember 2007 geltenden Fassung insoweit bereits der Grad der MdE/GdS von 25 (v. H.) ausreichend ist.
Bei der Beurteilung des Grades der MdE/des GdS sind vorliegend für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz " in ihrer am 2. Mai 2000 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 – AHP 1996 – und nachfolgend – die "Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) zu beachten, die für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 - auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 BVG hinsichtlich der ärztlichen Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht - durch die An-lage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) in ihrer jeweils geltenden Fassung abgelöst worden sind. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R -; für das Schwerbehindertenrecht bestätigt durch Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R -; für das gesamte soziale Ent-schädigungsrecht Beschluss vom 24. April 2008 - B 9 VJ 7/07 B -; alle bei juris), weshalb sich der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab 1. Januar 2009 ist für die Verwaltung und die Gerichte die Anlage zu § 2 VersMedV
maßgeblich.
Wie sich aus § 30 Abs. 1 BVG alter und neuer Fassung ergibt, sind bei der Beurteilung des Grades der MdE/des GdS die von dem Versorgungsträger als Schädigungsfolgen bestandskräftig anerkannten Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen; an diese rechtlich selbständigen Feststellungen (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 2/98 R – juris) ist der Beklagte ebenso gebunden wie der Senat; auf deren Rechtmäßigkeit kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu u. a. BSG, Urteil vom 29. August 1990 – 9a/9 RV 32/88 – und Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 26/98 R –; jeweils juris). Hier ist zwar kein bestandskräftiger Bescheid erlassen worden. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist aber nach der teilweisen Berufungsrücknahme des Beklagten rechtskräftig geworden, soweit bei dem Kläger als Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung eine depressive Störung und eine soziale Phobie anzuerkennen sind. Daneben ist nach dem auch insoweit vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis die von dem Beklagten anerkannte Agoraphobie als Schädigungsfolge zugrunde zu legen. Andere als psychische Leiden sind vom Senat nicht in den Blick zu nehmen. Denn abgesehen davon, dass für andere – namentlich orthopädische – Leiden keine durchgreifenden Anhaltspunkte bestehen, ist das Nichtvorliegen anderer als psychischer Leiden - soweit Streitgegenstand - vom Sozialgericht rechtskräftig, da vom Kläger nicht angefochten, festgestellt worden.
Somit ist der Grad der MdE/der GdS des Klägers für den Zeitraum ab dem 2. Mai 2000 anhand folgender Schädigungsfolgen zu beurteilen:
- depressive Störung,
- soziale Phobie,
- Agoraphobie.
Für die Bewertung der psychischen Leiden ist auf Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 27, und Teil A Nr. 26.3 AHP 1996, Seite 60, Teil A Nr. 26.3 AHP 2004, 2005, 2008, Seite 48, und AHP 1996, Seite 60, zurückzugreifen. Danach sind
- leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit dem Grad einer MdE von 0 bis 20 v. H. (einem GdS von 0 bis 20),
- stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit dem Grad einer MdE von 30 bis 40 v. H. (einem GdS von 30 bis 40),
- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 50 bis 70 v. H. (einem GdS von 50 bis 70) und
- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 80 bis 100 v. H. (einem GdS von 80 bis 100)
zu bewerten.
Für die Schädigungsfolgen kann hier zur Überzeugung des Senats jedenfalls kein höherer als der nach Berufungsrücknahme unstreitige Grad der MdE/GdS von 15 = 20 (v. H.) festgestellt werden. Dabei folgt der Senat - teilweise zumindest im Ergebnis - den Gutachten von Dr. W, Dr. L und Prof. Dr. S, nicht aber den Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B.
Die vom Beklagten festgestellten und vom Senat daher zugrunde zu legenden Schädigungsfolgen – soziale Phobie, depressive Störung, Agoraphobie – sind mit keinem höheren Grad einer MdE/GdS als 15 (v. H.) zu bewerten. Denn die diesen Erkrankungsbildern gegebenenfalls zuzuordnenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen nur die Annahme leichterer psychove-getativer und psychischer Störungen. Alle Gutachter haben einen bewusstseinsklaren und wachen Kläger erlebt, der zu allen Qualitäten orientiert gewesen ist und bei dem sich keine Störungen der Wahrnehmung, Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit haben feststellen lassen. Auf das Alltagsleben wirken sich aus die durchgehend vorgetragene Schwierigkeit, sich in Menschenmengen aufzuhalten, hier insbesondere Ängste in öffentlichen Verkehrsmitteln, jedenfalls wenn diese zu voll sind, und die häufig vorgetragenen Durchschlafstörungen. Hieraus ergeben sich für den Senat aber keine schädigungsbedingt stärker behindernden Stö-rungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Namentlich Versagensängste sind zwar verschiedentlich - etwa gegenüber Dr. D - geäußert worden; worin sich diese im Alltagsleben niederschlagen sollen, bleibt aber unklar. Antriebslosigkeit ist von dem Kläger zwar gegenüber Dr. W, Dr. D und Dr. B beklagt worden, Dr. L hat jedoch keine Auffälligkeiten im Antriebsverhalten erkennen können. Aus den Schilderungen des Alltages des Klägers kann der Senat indes keine nennenswerten Anzeichen für eine Antriebslosigkeit und auch nicht für einen sozialen Rückzug erkennen. Dabei fällt in dem Gutachten der Sachverständigen Dr. D eine nur sehr knappe Alltagsschilderung auf. Den übrigen Gutachten lässt sich in einer Gesamtschau entnehmen, dass der Kläger nicht nur in der Lage ist, seinen Alltag selbständig zu gestalten, namentlich seinen Haushalt zu führen, sondern durchaus auch weiteren Interessen – außer dem stets vorgetragenen Fernsehen – nachgeht. So liest er viel (auch wissenschaftliche Fachbücher), löst Schachrätsel und spielt auch Schach, fährt Fahrrad, sam-melt Pilze, kümmert sich um seine zwei Katzen und geht mit einem Bekannten auch mal ins Kino. Bei dieser Sachlage sei exemplarisch auf den vom Sachverständigen Dr. B geschilderten psychischen Befund verwiesen, der zur Überzeugung des Senats keine durchgreifenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bietet. Dr. B schildert lediglich eine bis zu
mittelgradig ausgeprägte gedrückte Stimmung sowie ein bis zu mittelgradig ausgeprägtes vegetatives Syndrom, kann aber keine hirnorganische Leistungsschwäche, keine psychotischen
Erlebnisweisen und keine Wahrnehmungsstörungen erkennen. Auch die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen auf psychiatrischem Gebiet deuten auf keinen besonderen Leidensdruck und demgemäß auch auf keine stärker behindernden Störungen hin, worauf auch der Sachverständige Prof. Dr. S mit Recht hinweist. Denn der Kläger ist ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S nur "etwa einmal im Vierteljahr" bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B in Behandlung. Das von ihr beschriebene Antidepressivum Doxepin nimmt er "wie ein Beruhigungsmittel ab und zu ein[ ...]".
Bei dieser Sachlage kann der Senat offen lassen, ob der GdB für die seelischen Leiden bei dem Kläger wirklich – wie fast alle Gutachter meinen – mit 40 zu bewerten ist (nur Dr. L geht in-soweit von einem GdB von lediglich 30 aus). Denn sollte dies so sein, wäre der schädigungs-bedingte Anteil davon gleichwohl nicht mit einem höheren Grad einer MdE/einem höheren GdS als 15 (v. H.) zu bemessen. Denn anders als die Sachverständigen Dr. D und Dr. B mei-nen, wären der Grad der Minderung der MdE/GdS und GdB nicht deckungsgleich.
Dabei ist das Gutachten der Sachverständigen Dr. D bereits deshalb nicht überzeugend, weil ihm nicht deutlich zu entnehmen ist, ob die psychischen Beschwerden auf den Hafterfahrungen oder einer Gesamtheit von staatlichen Repressalien beruhen sollen. Nur die erstgenannten Er-lebnisse kämen aber zulässig als nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG zu rehabilitieren in Betracht. Dass die Sachverständige aber offensichtlich von mehreren möglichen Ursachen ausgeht, wird an verschiedenen Stellen ihres Gutachtens deutlich, etwa wenn die Sachverständige ausführt, ursächlich für die seelischen Leiden seien "nicht die singulären Einzelbelastungen während den Haftzeiten und am Arbeitsplatz, sondern vielmehr das Zusammenspiel von sich wiederholenden Inhaftierungen, der andauernden Beschränkung der persönlichen Entwick-lungsfreiheit und den mannigfachen Repressalien" (Seite 23 des Gutachtens), oder wenn es an anderer Stelle heißt, die psychischen Symptome stünden "in einem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den rehabilitierten Inhaftierungen, der beruflichen Verfolgungszeit und den damit zusammenhängenden Repressalien" (Seite 30 des Gutachtens). Bei dieser Einschätzung wäre es notwendig gewesen, dass die Sachverständige genau darlegt, welche Schädigungsfolgen auf den Inhaftierungen beruhen.
Ob Dr. B Haft und sonstige staatliche Repressalien als mögliche Ursachen für Schädigungen des Klägers trennt, geht aus seinem Gutachten nicht immer eindeutig hervor, etwa wenn er nach Benennung der Haftzeiten erklärt, "das Bild vervollständig[e] sich nur unter Berücksich-tigung der zwischen den Haftstrafen greifenden Kontrollmaßnahmen, Schikanen und einer Aufsichtsführung durch die "Abteilung Innere" ohne rechtsstaatliche Kontrolle" (Seite 17 des Gutachtens), und wenn er ausführt, die "Bedeutung und Unterminierungskraft der Haft erklärt sich weiterhin aus deren – mit vermeintlich weichen Mitteln – planvoll zur Geltung kommen-den Störung bis Zerstörung von Persönlichkeit im Sinne der "Zersetzung". In diese Bewertung sind neben den rehabilitierten Haftzeiten die zwischenzeitigen Kontroll- und Verunsicherungsmaßnahmen einzubeziehen" (Seite 24 des Gutachtens). Gegen das Gutachten von Dr. B spricht auch, dass er die ursächliche Wirkung der Haftstrafen als wesentliche Bedingung nicht zuletzt darauf zurückführt, dass die erste Inhaftierung mit 18 Jahren erfolgte, zu einem Zeitpunkt also, als die Persönlichkeit des Klägers noch nicht als "fertig" und feststehend betrachtet werden könne (Seiten 20, 23 f., 27). Die Umstände und die Erlebnisse des Klägers während der ersten Haft vom 27. August bis zum 8. September 1971 sind zur Überzeugung des Senats aber schon im Ansatz nicht geeignet gewesen, zu dauerhaften Gesundheitsstörungen zu führen. Zwar nimmt der Senat die Schilderungen des Klägers gegenüber den Sachverständigen über seine erste Haft zur Kenntnis (etwa gegenüber der Sachverständigen Dr. D: eingesperrt in 16-Mann-Zelle, nur halbe Stunde Freigang täglich, hygienische Verhältnisse seien belastend ge-wesen, mehrfach sei er zu Verhören abgeholt worden), stellt aber auch fest, dass der Kläger auch gegenüber der Sachverständigen Dr. D erklärt hat, die erste Haft relativ schnell wieder vergessen zu haben. Auch gegenüber Dr. W hat der Kläger erklärt, in der ersten Haft keine seelischen Beschwerden gehabt zu haben und zwischen der ersten und der zweiten Haft nicht an Beschwerden gelitten zu haben.
Gegen die Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B spricht schließlich, dass die ange-nommenen Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten sein sollen, obgleich Vorschäden nicht bestanden hätten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich beide Sachverständigen bemühen, diesen Widerspruch aufzulösen. Dr. D legt in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2007 dar, dass jedenfalls "keine klinisch manifesten Vorschä-den und vergleichbaren Beschwerden vor der Inhaftierung bestanden" hätten. Bei dem Kläger werde infolge seiner erschwerten psychosozialen Entwicklungsbedingungen eine "angelegte Persönlichkeitsakzentuierung vermutet", die "zum Zeitpunkt des Eintritts des zu beurteilenden schädigenden Ereignisses als psychisches Geschehen [ ...] zwar vorhanden [gewesen sei], aber noch nicht in Form klinisch manifester Symptome [vorgelegen habe]". Dr. B erklärt bei dem Kläger die auch von ihm angenommenen Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung bei grundsätzlich nicht bestehenden Vorschäden so, dass bei dem Kläger eine Persönlichkeits-störung im Sinne einer Disposition vorgelegen habe, die erst bei Belastung – hier die Haftzeiten – symptomatisch und damit einschränkend geworden sei (Seite 24 des Gutachtens).
Zur Überzeugung des Senats können aber weder Dr. D noch Dr. B nachvollziehbar erklären, dass und warum bei dem Kläger die "außerordentlichen Belastungen seiner Entwicklung" und die "besonders belastete[n] frühe[n] Entwicklung" (jeweils Seite 19 des Gutachtens von Dr. B) überhaupt keine psychischen Leiden hervorgerufen haben sollen, demgegenüber die erlittenen Haftzeiten (wobei Dr. D auch in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2007 unzulässigerweise neben den Inhaftierungen die politische Verfolgung als schädigendes Ereignis einbezieht) für einen angenommenen GdB von 40 allein verantwortlich sein sollen, GdB und Grad der MdE/GdS für den psychischen Bereich also deckungsgleich sein sollen. Vielmehr geht der Senat mit Dr. W und Prof. Dr. S davon aus, dass - wenn man von einem GdB für die seelischen Leiden von 40 ausgehen möchte - die auch von Dr. B und Dr. D erkannten schweren Belastungen in der frühen Entwicklung des Klägers für den so bestimmten GdB in Bezug auf die seelischen Leiden in hohem Maße ursächlich sind.
Diese schweren Belastungen in der frühen Entwicklung des Klägers stellen sich dabei wie folgt dar: Der Kläger musste schon als Kleinkind wegen schwerer Verbrühungen eineinhalb Jahre in einem Krankenhaus zubringen und lebte zwischen 1957 und 1963 bei seiner Großmutter, nachdem sich seine Mutter in den Westen abgesetzt hatte. Nach deren Rückkehr heiratete seine Mutter 1966 seinen "zweiten Stiefvater", welcher viel trank; neben ehelichen - auch handgreiflichen - Auseinandersetzungen erlebte der zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Kläger mit, wie seine Mutter 1968 aus nicht politischen Gründen für acht Monate inhaftiert wurde, weswegen er zwischen Januar und September 1968 in ein "Zeitdauerheim" kam. Nach dem Scheitern der Ehe erlebte der Kläger weiter, dass seine Mutter kurz nach ihrer Haftentlassung erneut – abermals aus nicht politischen Gründen – zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Zwar hat der Kläger gegenüber der Sachverständigen Dr. D eine weitgehend problemlose Zeit im Zeitdauerheim geschildert, zugleich aber auch erklärt, seine Erzieherin beschimpft zu haben, weswegen er die letzten zwei Monate von den Mitschülern getrennt worden sei und an Gruppenaktivitäten nicht mehr habe teilnehmen dürfen. Schließlich verbrachte der Kläger vier Wochen in einem Durchgangsheim für Ausreißer, wo sich der Kläger laut Angaben gegenüber Dr. D "wie der letzte Dreck behandelt gefühlt" hat.
Die Brüche im Leben des Klägers setzen sich fort in der Tatsache, dass er die Schule nach der siebten Klasse ohne Abschluss beendete. Eine Lehre zum Teilfacharbeiter im Tiefbau absolvierte er zwischen 1968 und 1970; da er jedoch aus dem FDGB ausgetreten war und er - wie auch andere Lehrlinge - wegen der Ereignisse anlässlich des Prager Frühlings – seinen FDGB-Ausweis öffentlich verbrannt hatte, wurde ihm der Abschluss verwehrt, den er erst 1972 oder 1973 nachholen konnte. Gegenüber der Sachverständigen Dr. D hat der Kläger erklärt, er habe sich gegen seinen Lehrmeister und die anderen Lehrlinge nicht durchsetzen können.
Da – wie bereits dargelegt – die erste Haftzeit keine dauernden Gesundheitsstörungen hervor-gerufen hat, sind auch die Ereignisse nach der ersten Haft bis zum Beginn der zweiten Haft am 20. August 1975 Ausdruck und gegebenenfalls auch Ursache nicht haftbedingter Vorschäden, wobei der Senat nicht verkennt, dass der Kläger mindestens seit 1971 staatlichen Repressalien ausgesetzt gewesen ist, die aber – soweit es sich nicht um Inhaftierungen gehandelt hat – nach dem StrRehaG nicht zu entschädigen sind. Somit sind als nicht haftbedingt nach 1971 zu be-rücksichtigen Ereignisse am Arbeitsplatz des Klägers, der gegenüber Dr. W eingeräumt hat, als junger Mensch öfter zu spät zur Arbeit erschienen zu sein, was bei einer Arbeitsstelle auf dem Bau zu Streit und schließlich zur fristlosen Kündigung geführt habe. Neben den Fehlzeiten fällt auch die Vielzahl wechselnder Arbeitsverhältnisse auf (Angaben des Klägers gegenüber Dr. W: Arbeiten als Küchenhelfer, in einer Brauerei, im Tiefbau, in einer Medizintechnikfirma, dann – mit Arbeitsplatzbindung – in einer Baustoffversorgungsfirma), bei denen es über die Verspätungen und Fehltage hinaus auch zu weiteren Vorfällen gekommen ist. So hat der Klä-ger gegenüber Dr. W erklärt, dass es auf dem Bau infolge seiner Verspätungen zu Streit gekommen sei, in dessen Verlauf er seine Kollegen beschimpft (als "sozialistischen Sauhaufen" und "blöd und faul") habe, weswegen ihm fristlos gekündigt worden sei.
Vor dem Hintergrund der genannten Ereignisse steht für den Senat fest, dass bei dem Kläger – wie von dem Sachverständigen Prof. Dr. S nachvollziehbar dargelegt – bereits in jungen Jahren gravierende Verhaltensauffälligkeiten im Sinne sozialer Dysfunktion vorlagen, die nicht als haftbedingte Schädigungsfolgen angesehen werden können und zwar auch dann nicht, wenn man beachtet, dass sie unter Umständen auch durch staatliche Repressalien mitbedingt gewesen sein könnten, weil es – worauf der Senat nochmals hinweist – hier nur um die Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen geht. Insoweit ist auch der Einwand der Sachverständigen Dr. D ausgeräumt, die darauf hinweist, dass von der bloßen Existenz potentiell schädigender Ereignisse nicht auf das Vorliegen einer Gesundheitsstörung geschlossen werden könne (Seite 3 ihrer ergänzenden Stellungnahme). Dies trifft zwar – wie auch der Sachverständige Prof. Dr. S einräumt (Seite 22 seines Gutachtens) – grundsätzlich zu. Wenn sie aber ausführt, "Beeinträchtigungen wie das Fehlen eines stabilen Selbst, eines positiven Selbstwertgefühls, von Lernen sozialer Normen sowie eine zu geringe Ich-Stärke, die verhindert, dass sich eine Frustrationstoleranz entwickelt und Spannungen ausgehalten und Impulse kontrolliert werden können", würden nur theoretisch als Folge potentiell schädigender Ereignisse abgeleitet, aber nicht durch klinisch manifeste Symptome belegt, kann der Senat dem vor dem Hintergrund der oben dargestellten Ereignisse und Verhaltensweisen des Klägers nicht folgen. Vielmehr ist mit Prof. Dr. S davon auszugehen, dass bei dem Kläger schädigungsunabhängig eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die sich unter anderem in dem Unvermögen zeigt (und haftunabhängig zeigte), stabile und dauerhafte berufliche und private Bindungen aufzubauen bei wiederkehrenden Verletzungen sozialer Normen und Regeln. Gerade die letztgenannte Feststellung lässt sich auch an weiteren Beispielen dokumentieren, etwa, wenn der Kläger 1978 betrunken in eine Schule eingestiegen war, weswegen er im Mai 1978 wegen Diebstahls inhaftiert worden und insoweit auch nur teilweise in Bezug auf das Strafmaß rehabilitiert worden ist, oder wenn er 1989 seinen Führerschein wegen Trunkenheit beim Fahren verlor.
Nach dem oben Gesagten geht der Senat demnach mit Prof. Dr. S davon aus, dass - wenn man das seelische Leiden des Klägers mit einem GdB von 40 bewerten möchte - bei dem Kläger im Vordergrund eine schädigungsunabhängige Persönlichkeitsstörung steht, die nicht wahrschein-lich auf den Freiheitsentziehungen beruht, sondern bereits vor den Haftzeiten vorhanden gewe-sen und jedenfalls nicht durch diese verursacht worden ist und die auch schon vor den Haftzeiten mit dysfunktionalem Verhalten im beruflichen wie auch privaten Bereich einhergegangen ist. Das auf den rehabilitierten Freiheitsentziehungen beruhende seelische Leiden ist hingegen – wie dargelegt – nicht mit einem höheren Grad einer MdE/GdS als 15 (v. H.) zu bewerten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Dabei ist der teilweise Klageerfolg des Klägers nach Berufungsrücknahme des Beklagten angemessen zu berücksichtigen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 2. Mai 2000 als Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz im Sinne einer Verschlimmerung eine depressive Störung, eine soziale Phobie und eine Agoraphobie mit dem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 15 (= 20) (v. H.) festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu einem Viertel zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch über die Bewertung von Schädigungsfolgen infolge erlittener Haft in der ehemaligen DDR auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1953 geborene Kläger absolvierte in der ehemaligen DDR zwischen 1968 und 1970 eine Lehre zum Tiefbauteilfacharbeiter, die er nach eigenen Angaben 1972 oder 1973 abschloss. Der Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er war in der ehemaligen DDR mehrfach inhaftiert. Für die Haftzeiten vom
- 27. August 1971 bis zum 8. September 1971, - 20. August 1975 bis zum 4. April 1977 und - 29. April 1981 bis zum 28. Januar 1982
wurde durch Beschlüsse des Landgerichts B vom 1. März 2002 (erste Haftzeit; Geschäftsnummer), vom 28. Juni 1993 (zweite Haftzeit; Geschäftsnummer) und vom 19. Mai 1995 (dritte Haftzeit; Geschäftsnummer) jeweils festgestellt, dass der Kläger insoweit zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten habe. In Bezug auf die erstgenannte Haftzeit wurden ein von der Staatsanwaltschaft des Stadtbezirks B im Jahr 1971 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Passvergehens sowie der gegen den Kläger erlassene Haftbefehl des Stadtbezirks B für rechtsstaatswidrig erklärt. In Bezug auf die zweitgenannte Haftzeit wurden ein Urteil des Stadtbezirksgerichts B vom 25. November 1975 (Geschäftszeichen), durch das der Kläger wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten verurteilt sowie staatlicher Kontroll- und Erziehungsaufsicht unterstellt worden war, und ein Beschluss des Stadtgerichts B vom 16. Dezember 1975 (Geschäftszeichen ), mit dem die hiergegen gerichtete Berufung als offensichtlich unbegründet verworfen worden war, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. In Bezug auf die drittgenannte Haftzeit wurde ein Urteil des Stadtbezirksge-richts B vom 24. Dezember 1981 (Az. ), mit dem der Kläger wegen Beeinträchtigung der öf-fentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden war, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Schließlich wurden mit Beschluss des Landgerichts B vom 10. November 1999 (Geschäftsnummer) Urteile des Stadtbezirksgerichts B vom 20. Juni 1974 (Az.: ) und vom 13. Oktober 1978 (Az.: ) für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, wobei dies für das letztgenannte Urteil nur für den Strafausspruch gilt, soweit die verhängte Freiheitsstrafe vier Monate übersteigt. Aufgrund des letztgenannten Urteils habe der Kläger vom 1. Mai 1978 bis zum 28. Dezember 1978 Freiheits-strafe verbüßt, wovon er die vier Monate übersteigende Zeit der Freiheitsentziehung zu Unrecht erlitten habe.
Mit Rehabilitierungsbescheiden nach § 17 in Verbindung mit § 22 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) vom 14. Dezember 1995 stellte der Beklagte unter anderem fest, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerRehaG ist, wobei die Verfolgungszeit vom 20. August 1975 bis zum 21. Januar 1985 gedauert habe. Infolge der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung aufgrund des Urteils des Stadtbezirksgerichts B vom 25. November 1975 habe der Kläger seinen erlernten Beruf als Bauarbeiter (Teilfacharbeiter) nicht ausüben können. Die Haftzeiten vom 20. August 1975 bis zum 4. April 1977 und 29. April 1981 bis zum 28. Januar 1982 seien als Verfolgungszeit anzuerkennen. Daneben seien auch die Zeiträume vom 5. April 1977 bis zum 28. April 1981 sowie vom 29. Januar 1982 bis zum 21. Januar 1985 als Verfolgungszeiten anzuerkennen. Denn jeweils habe der Kläger Einkommens-einbußen hinnehmen müssen, weil er nicht entsprechend seiner Ausbildung eingesetzt worden sei. Dazu habe er jeweils den Auflagen des Amtes für Arbeit des Stadtbezirks B unterlegen. Die Verfolgungszeit ende am 21. Januar 1985, denn ab da habe der Kläger eine Tätigkeit als Hilfsheizer aufgenommen, die seiner beruflichen Ausbildung gleichwertig gewesen sei und infolgedessen er auch keine finanzielle Benachteiligung mehr gehabt habe.
Am 2. Mai 2000 ging bei dem Beklagten ein Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem BVG und dem Häftlingshilfegesetz ein. Der Beklagte richtete Anfragen an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und an die Justizvollzugsanstalten P und L und holte Befundberichte bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 3. September 2000 und der Ärztin für Ortho-pädie S vom 16. Mai 2001 ein. Des Weiteren holte der Beklagte ein versorgungsärztlich-chirurgisches Gutachten bei dem Arzt für Chirurgie Dr. O vom 4. Juli 2003 ein, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers keine Schädigungsfolgen für sein Fachgebiet feststellen konnte.
Der Beklagte gab schließlich ein Gutachten bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Sozialmedizinerin Dr. W in Auftrag, die Befundberichte bei dem Diplom-Psychologen M vom 29. August 2003, dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K vom 25. Juli 2003 sowie der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 16. September 2003 einholte und ärztliche Gutachten für die Landesversicherungsanstalt B des Facharztes für Chirurgie und Sozialmediziners P vom 8. August 2002 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie B vom 28. Januar 2003 beizog, und die nach mehreren ambulanten Untersuchungen des Klägers in ihrem Gutachten vom 5. November 2003 zu dem Ergebnis gelangte, Schädigungsfolgen seien nicht festzustellen. Bei dem Kläger sei von einem psychischen Vorschaden im Sinne einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung auszugehen. Eine Verschlimmerung dieses Vorschadens sei zwar nicht völlig auszuschließen, aber nicht wahrscheinlich zu machen. Für den schwerbehindertenrechtlichen Bereich sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ausgehend von den Einzel-GdB von 40 für eine psychische Störung, 20 für Narbenkontrakturen beider Oberschenkel mit Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke, Fußfehlform mit beiderseitiger Ballenbildung und 10 für eine Belastungsminderung des rechten Armes.
Mit Bescheid vom 20. November 2003 lehnte der Beklagte den Versorgungsantrag des Klägers vom 2. Mai 2000 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte nach Einholung einer psychiatrisch-neurologischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 24. August 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 2004 zurückwies.
Hiergegen hat der Kläger am 12. Oktober 2004 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 1. Februar 2005 eingeholt. Es hat schließlich ein Gutachten bei der Diplom-Psychologin Dr. phil. D vom 1. Juni 2007 eingeholt, die den Kläger zwei Mal ambulant untersucht hat und zu dem Ergebnis gelangt ist, bei diesem lägen eine soziale Phobie und eine rezidivierende depressive Störung vor, die im Sinne einer Verschlimmerung als Schädigungsfolgen anzuerkennen und jeweils mit einem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. zu bewerten seien. Der Gesamt-Grad einer MdE sei mit 40 v. H. zu bemessen.
Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine psychiatrisch-neurologische Stellungnahme sowie eine psychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 16. Februar 2005 und vom 10. September 2007 und eine fachchirurgische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 23. Juli 2007 übermittelt. Zu der Stellungnahme von Dr. S vom 10. September 2007 hat die Sachverständige Dr. D unter dem 19. Oktober 2007 ergänzend Stellung genommen.
Durch Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2008 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 verurteilt, bei dem Kläger eine soziale Phobie und eine rezidivierende depressive Störung als Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG im Sinne einer Verschlimmerung anzuerkennen mit einem daraus resultierenden Grad einer MdE von 40 v. H. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In Bezug auf die psychischen Schädigungsfolgen ist das Sozialgericht dem Gutachten der Sachverständigen Dr. D gefolgt. Schädigungsfolgen für eine Belastungsminderung des rechten Armes seien nicht anzuerkennen. Das Sozialgericht hat den Beklagten weiter verurteilt, dem Kläger 4/5 von dessen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gegen den ihm am 8. Februar 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 25. Februar 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung psychiatrische Stellungnahmen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 18. Februar 2008 sowie des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 9. Oktober 2008 und vom 7. September 2009 vorgelegt.
Der vormals für die Bearbeitung des Falles zuständige 13. Senat hat ein psychiatrisches Gutachten bei dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 12. August 2008 eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers eine Persönlichkeitsstörung in symptomatischer Ausprägung einer sozialen Phobie und eines rezidivierend depressiv-dysthymen Syndroms diagnostiziert hat. Diese Störungen seien als richtungsgebend wesentliche Verschlimmerung der schädigungsunabhängigen Disposition einer früh angelegten Persönlichkeitsstörung auf die Haftzeiten zurückzuführen, für die der Kläger rehabilitiert worden sei. Die Schädigungsfolgen seien mit dem Grad einer MdE von 40 v. H. zu bewerten.
Der Senat hat ein psychiatrisches und neurologisches Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie Dr. L vom 15. Juli 2009 eingeholt, das dieser aufgrund zwei ambulanter Untersuchungen erstellt hat und in dem er zu dem Ergebnis gelangt ist, bei dem Kläger lägen eine depressive Störung (Dysthymie, neurotische Depression; bis mittelschwer ausgeprägt, chronifiziert) und eine soziale Phobie, Agoraphobie (leichtere Ausprägung) vor. Anteile der depressiven und der Angststörung seien auf die Haftzeiten zu-rückzuführen; die Ereignisse der Haft seien annähernd gleichwertige Ursachen für die Entwicklung der Gesundheitsstörungen gewesen. Der Grad einer MdE/GdB sei insgesamt mit 30 v. H. zu bewerten, der schädigungsbedingte Anteil des Grades der MdE betrage nur 15 v. H.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. September 2009 erklärt, als Schädigungsfolge im Sinne einer Verschlimmerung nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG ab Antragstellung eine depressive Störung, soziale Phobie, Agoraphobie mit dem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 15 = 20 festzustellen. Die Berufung werde dahingehend zurückgenommen, als ein GdS von 15 = 20 festgestellt werde.
Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. S vom 22. August 2011 auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt. In diesem Gutachten, das der Sachverständige nach ambulanter Untersu-chung des Klägers erstellt hat, hat Prof. Dr. S für sein Fachgebiet diagnostiziert eine komplexe Persönlichkeitsstörung, die mit erheblichem dysfunktionalen Verhalten im beruflichen und privaten Bereich einhergehe, eine wiederkehrende depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymia, eine soziale Phobie, die mit einem Vermeidungsverhalten einhergehe, ohne dass eingreifende Behinderungen des Alltagslebens bestünden und einen Zustand nach Alkoholab-hängigkeit mit Entzugssymptomen, auch einen Zustand nach Benzodiazepinmissbrauch sowie eine Spielsucht unbekannten Ausmaßes. Die psychischen Störungen seien nicht auf die vom Kläger erlittenen Haftzeiten zurückzuführen.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2008 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als das Sozialgericht den Beklagten dazu verurteilt hat, für die Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz einen höheren Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit/einen höheren Grad der Schädigungsfolgen als 15 (=20) (v. H.) anzuerkennen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er stützt sich auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. L überzeuge nicht, soweit dieser nur vom Grad einer MdE von 30 v. H., schädigungsbedingt sogar nur 15 v. H., ausgehe. Insbesondere beachte das Gutachten nicht hinreichend die bei dem Kläger bestehende haftbedingte Vulnerabilität.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. Januar 2012 hat der Kläger das in dem Schriftsatz des Beklagten vom 24. September 2009 zum Ausdruck gebrachte Teilanerkenntnis angenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im aufrecht erhaltenen Umfang begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist jedenfalls in seinem angegriffenen Umfang unzutreffend. Zu Unrecht hat das Sozialgericht unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2004 den Beklagten dazu verurteilt, für nach dem StrRehaG in Verbindung mit dem BVG anerkannten Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung einen Grad einer MdE/GdS von 40 (v. H.) anzuerkennen.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die
Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich
herbeigeführt haben.
Der Kläger hat unstreitig mehrere Freiheitsentziehungen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Im Grundsatz unstreitig ist nach der Berufungsrücknahme durch den Beklagten zwischen den Beteiligten auch, dass er infolge der Freiheitsentziehungen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Streitig ist das Ausmaß der Schädigungsfolgen.
Gemäß § 30 Abs. 1 BVG in der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I Seite 21) war die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb ge-richteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der
Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der Grad der MdE/der GdS ist nach Zehnergraden – in Bezug auf den Grad der MdE als v. H. - von 10 bis 100 zu bemessen. Dabei erhalten Beschädigte nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine monatliche Grundrente erst ab einem Grad der MdE/GdS von 30 (v. H.), wobei wegen § 31 Abs. 2 BVG in der bis zum 20. Dezember 2007 geltenden Fassung und wegen § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG in der ab dem 21. Dezember 2007 geltenden Fassung insoweit bereits der Grad der MdE/GdS von 25 (v. H.) ausreichend ist.
Bei der Beurteilung des Grades der MdE/des GdS sind vorliegend für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz " in ihrer am 2. Mai 2000 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 – AHP 1996 – und nachfolgend – die "Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) zu beachten, die für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 - auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 BVG hinsichtlich der ärztlichen Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht - durch die An-lage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) in ihrer jeweils geltenden Fassung abgelöst worden sind. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R -; für das Schwerbehindertenrecht bestätigt durch Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R -; für das gesamte soziale Ent-schädigungsrecht Beschluss vom 24. April 2008 - B 9 VJ 7/07 B -; alle bei juris), weshalb sich der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab 1. Januar 2009 ist für die Verwaltung und die Gerichte die Anlage zu § 2 VersMedV
maßgeblich.
Wie sich aus § 30 Abs. 1 BVG alter und neuer Fassung ergibt, sind bei der Beurteilung des Grades der MdE/des GdS die von dem Versorgungsträger als Schädigungsfolgen bestandskräftig anerkannten Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen; an diese rechtlich selbständigen Feststellungen (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 2/98 R – juris) ist der Beklagte ebenso gebunden wie der Senat; auf deren Rechtmäßigkeit kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu u. a. BSG, Urteil vom 29. August 1990 – 9a/9 RV 32/88 – und Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 26/98 R –; jeweils juris). Hier ist zwar kein bestandskräftiger Bescheid erlassen worden. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist aber nach der teilweisen Berufungsrücknahme des Beklagten rechtskräftig geworden, soweit bei dem Kläger als Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung eine depressive Störung und eine soziale Phobie anzuerkennen sind. Daneben ist nach dem auch insoweit vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis die von dem Beklagten anerkannte Agoraphobie als Schädigungsfolge zugrunde zu legen. Andere als psychische Leiden sind vom Senat nicht in den Blick zu nehmen. Denn abgesehen davon, dass für andere – namentlich orthopädische – Leiden keine durchgreifenden Anhaltspunkte bestehen, ist das Nichtvorliegen anderer als psychischer Leiden - soweit Streitgegenstand - vom Sozialgericht rechtskräftig, da vom Kläger nicht angefochten, festgestellt worden.
Somit ist der Grad der MdE/der GdS des Klägers für den Zeitraum ab dem 2. Mai 2000 anhand folgender Schädigungsfolgen zu beurteilen:
- depressive Störung,
- soziale Phobie,
- Agoraphobie.
Für die Bewertung der psychischen Leiden ist auf Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 27, und Teil A Nr. 26.3 AHP 1996, Seite 60, Teil A Nr. 26.3 AHP 2004, 2005, 2008, Seite 48, und AHP 1996, Seite 60, zurückzugreifen. Danach sind
- leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit dem Grad einer MdE von 0 bis 20 v. H. (einem GdS von 0 bis 20),
- stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit dem Grad einer MdE von 30 bis 40 v. H. (einem GdS von 30 bis 40),
- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 50 bis 70 v. H. (einem GdS von 50 bis 70) und
- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 80 bis 100 v. H. (einem GdS von 80 bis 100)
zu bewerten.
Für die Schädigungsfolgen kann hier zur Überzeugung des Senats jedenfalls kein höherer als der nach Berufungsrücknahme unstreitige Grad der MdE/GdS von 15 = 20 (v. H.) festgestellt werden. Dabei folgt der Senat - teilweise zumindest im Ergebnis - den Gutachten von Dr. W, Dr. L und Prof. Dr. S, nicht aber den Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B.
Die vom Beklagten festgestellten und vom Senat daher zugrunde zu legenden Schädigungsfolgen – soziale Phobie, depressive Störung, Agoraphobie – sind mit keinem höheren Grad einer MdE/GdS als 15 (v. H.) zu bewerten. Denn die diesen Erkrankungsbildern gegebenenfalls zuzuordnenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen nur die Annahme leichterer psychove-getativer und psychischer Störungen. Alle Gutachter haben einen bewusstseinsklaren und wachen Kläger erlebt, der zu allen Qualitäten orientiert gewesen ist und bei dem sich keine Störungen der Wahrnehmung, Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit haben feststellen lassen. Auf das Alltagsleben wirken sich aus die durchgehend vorgetragene Schwierigkeit, sich in Menschenmengen aufzuhalten, hier insbesondere Ängste in öffentlichen Verkehrsmitteln, jedenfalls wenn diese zu voll sind, und die häufig vorgetragenen Durchschlafstörungen. Hieraus ergeben sich für den Senat aber keine schädigungsbedingt stärker behindernden Stö-rungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Namentlich Versagensängste sind zwar verschiedentlich - etwa gegenüber Dr. D - geäußert worden; worin sich diese im Alltagsleben niederschlagen sollen, bleibt aber unklar. Antriebslosigkeit ist von dem Kläger zwar gegenüber Dr. W, Dr. D und Dr. B beklagt worden, Dr. L hat jedoch keine Auffälligkeiten im Antriebsverhalten erkennen können. Aus den Schilderungen des Alltages des Klägers kann der Senat indes keine nennenswerten Anzeichen für eine Antriebslosigkeit und auch nicht für einen sozialen Rückzug erkennen. Dabei fällt in dem Gutachten der Sachverständigen Dr. D eine nur sehr knappe Alltagsschilderung auf. Den übrigen Gutachten lässt sich in einer Gesamtschau entnehmen, dass der Kläger nicht nur in der Lage ist, seinen Alltag selbständig zu gestalten, namentlich seinen Haushalt zu führen, sondern durchaus auch weiteren Interessen – außer dem stets vorgetragenen Fernsehen – nachgeht. So liest er viel (auch wissenschaftliche Fachbücher), löst Schachrätsel und spielt auch Schach, fährt Fahrrad, sam-melt Pilze, kümmert sich um seine zwei Katzen und geht mit einem Bekannten auch mal ins Kino. Bei dieser Sachlage sei exemplarisch auf den vom Sachverständigen Dr. B geschilderten psychischen Befund verwiesen, der zur Überzeugung des Senats keine durchgreifenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bietet. Dr. B schildert lediglich eine bis zu
mittelgradig ausgeprägte gedrückte Stimmung sowie ein bis zu mittelgradig ausgeprägtes vegetatives Syndrom, kann aber keine hirnorganische Leistungsschwäche, keine psychotischen
Erlebnisweisen und keine Wahrnehmungsstörungen erkennen. Auch die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen auf psychiatrischem Gebiet deuten auf keinen besonderen Leidensdruck und demgemäß auch auf keine stärker behindernden Störungen hin, worauf auch der Sachverständige Prof. Dr. S mit Recht hinweist. Denn der Kläger ist ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S nur "etwa einmal im Vierteljahr" bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B in Behandlung. Das von ihr beschriebene Antidepressivum Doxepin nimmt er "wie ein Beruhigungsmittel ab und zu ein[ ...]".
Bei dieser Sachlage kann der Senat offen lassen, ob der GdB für die seelischen Leiden bei dem Kläger wirklich – wie fast alle Gutachter meinen – mit 40 zu bewerten ist (nur Dr. L geht in-soweit von einem GdB von lediglich 30 aus). Denn sollte dies so sein, wäre der schädigungs-bedingte Anteil davon gleichwohl nicht mit einem höheren Grad einer MdE/einem höheren GdS als 15 (v. H.) zu bemessen. Denn anders als die Sachverständigen Dr. D und Dr. B mei-nen, wären der Grad der Minderung der MdE/GdS und GdB nicht deckungsgleich.
Dabei ist das Gutachten der Sachverständigen Dr. D bereits deshalb nicht überzeugend, weil ihm nicht deutlich zu entnehmen ist, ob die psychischen Beschwerden auf den Hafterfahrungen oder einer Gesamtheit von staatlichen Repressalien beruhen sollen. Nur die erstgenannten Er-lebnisse kämen aber zulässig als nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG zu rehabilitieren in Betracht. Dass die Sachverständige aber offensichtlich von mehreren möglichen Ursachen ausgeht, wird an verschiedenen Stellen ihres Gutachtens deutlich, etwa wenn die Sachverständige ausführt, ursächlich für die seelischen Leiden seien "nicht die singulären Einzelbelastungen während den Haftzeiten und am Arbeitsplatz, sondern vielmehr das Zusammenspiel von sich wiederholenden Inhaftierungen, der andauernden Beschränkung der persönlichen Entwick-lungsfreiheit und den mannigfachen Repressalien" (Seite 23 des Gutachtens), oder wenn es an anderer Stelle heißt, die psychischen Symptome stünden "in einem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den rehabilitierten Inhaftierungen, der beruflichen Verfolgungszeit und den damit zusammenhängenden Repressalien" (Seite 30 des Gutachtens). Bei dieser Einschätzung wäre es notwendig gewesen, dass die Sachverständige genau darlegt, welche Schädigungsfolgen auf den Inhaftierungen beruhen.
Ob Dr. B Haft und sonstige staatliche Repressalien als mögliche Ursachen für Schädigungen des Klägers trennt, geht aus seinem Gutachten nicht immer eindeutig hervor, etwa wenn er nach Benennung der Haftzeiten erklärt, "das Bild vervollständig[e] sich nur unter Berücksich-tigung der zwischen den Haftstrafen greifenden Kontrollmaßnahmen, Schikanen und einer Aufsichtsführung durch die "Abteilung Innere" ohne rechtsstaatliche Kontrolle" (Seite 17 des Gutachtens), und wenn er ausführt, die "Bedeutung und Unterminierungskraft der Haft erklärt sich weiterhin aus deren – mit vermeintlich weichen Mitteln – planvoll zur Geltung kommen-den Störung bis Zerstörung von Persönlichkeit im Sinne der "Zersetzung". In diese Bewertung sind neben den rehabilitierten Haftzeiten die zwischenzeitigen Kontroll- und Verunsicherungsmaßnahmen einzubeziehen" (Seite 24 des Gutachtens). Gegen das Gutachten von Dr. B spricht auch, dass er die ursächliche Wirkung der Haftstrafen als wesentliche Bedingung nicht zuletzt darauf zurückführt, dass die erste Inhaftierung mit 18 Jahren erfolgte, zu einem Zeitpunkt also, als die Persönlichkeit des Klägers noch nicht als "fertig" und feststehend betrachtet werden könne (Seiten 20, 23 f., 27). Die Umstände und die Erlebnisse des Klägers während der ersten Haft vom 27. August bis zum 8. September 1971 sind zur Überzeugung des Senats aber schon im Ansatz nicht geeignet gewesen, zu dauerhaften Gesundheitsstörungen zu führen. Zwar nimmt der Senat die Schilderungen des Klägers gegenüber den Sachverständigen über seine erste Haft zur Kenntnis (etwa gegenüber der Sachverständigen Dr. D: eingesperrt in 16-Mann-Zelle, nur halbe Stunde Freigang täglich, hygienische Verhältnisse seien belastend ge-wesen, mehrfach sei er zu Verhören abgeholt worden), stellt aber auch fest, dass der Kläger auch gegenüber der Sachverständigen Dr. D erklärt hat, die erste Haft relativ schnell wieder vergessen zu haben. Auch gegenüber Dr. W hat der Kläger erklärt, in der ersten Haft keine seelischen Beschwerden gehabt zu haben und zwischen der ersten und der zweiten Haft nicht an Beschwerden gelitten zu haben.
Gegen die Gutachten der Sachverständigen Dr. D und Dr. B spricht schließlich, dass die ange-nommenen Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten sein sollen, obgleich Vorschäden nicht bestanden hätten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich beide Sachverständigen bemühen, diesen Widerspruch aufzulösen. Dr. D legt in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2007 dar, dass jedenfalls "keine klinisch manifesten Vorschä-den und vergleichbaren Beschwerden vor der Inhaftierung bestanden" hätten. Bei dem Kläger werde infolge seiner erschwerten psychosozialen Entwicklungsbedingungen eine "angelegte Persönlichkeitsakzentuierung vermutet", die "zum Zeitpunkt des Eintritts des zu beurteilenden schädigenden Ereignisses als psychisches Geschehen [ ...] zwar vorhanden [gewesen sei], aber noch nicht in Form klinisch manifester Symptome [vorgelegen habe]". Dr. B erklärt bei dem Kläger die auch von ihm angenommenen Schädigungsfolgen im Sinne einer Verschlimmerung bei grundsätzlich nicht bestehenden Vorschäden so, dass bei dem Kläger eine Persönlichkeits-störung im Sinne einer Disposition vorgelegen habe, die erst bei Belastung – hier die Haftzeiten – symptomatisch und damit einschränkend geworden sei (Seite 24 des Gutachtens).
Zur Überzeugung des Senats können aber weder Dr. D noch Dr. B nachvollziehbar erklären, dass und warum bei dem Kläger die "außerordentlichen Belastungen seiner Entwicklung" und die "besonders belastete[n] frühe[n] Entwicklung" (jeweils Seite 19 des Gutachtens von Dr. B) überhaupt keine psychischen Leiden hervorgerufen haben sollen, demgegenüber die erlittenen Haftzeiten (wobei Dr. D auch in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2007 unzulässigerweise neben den Inhaftierungen die politische Verfolgung als schädigendes Ereignis einbezieht) für einen angenommenen GdB von 40 allein verantwortlich sein sollen, GdB und Grad der MdE/GdS für den psychischen Bereich also deckungsgleich sein sollen. Vielmehr geht der Senat mit Dr. W und Prof. Dr. S davon aus, dass - wenn man von einem GdB für die seelischen Leiden von 40 ausgehen möchte - die auch von Dr. B und Dr. D erkannten schweren Belastungen in der frühen Entwicklung des Klägers für den so bestimmten GdB in Bezug auf die seelischen Leiden in hohem Maße ursächlich sind.
Diese schweren Belastungen in der frühen Entwicklung des Klägers stellen sich dabei wie folgt dar: Der Kläger musste schon als Kleinkind wegen schwerer Verbrühungen eineinhalb Jahre in einem Krankenhaus zubringen und lebte zwischen 1957 und 1963 bei seiner Großmutter, nachdem sich seine Mutter in den Westen abgesetzt hatte. Nach deren Rückkehr heiratete seine Mutter 1966 seinen "zweiten Stiefvater", welcher viel trank; neben ehelichen - auch handgreiflichen - Auseinandersetzungen erlebte der zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Kläger mit, wie seine Mutter 1968 aus nicht politischen Gründen für acht Monate inhaftiert wurde, weswegen er zwischen Januar und September 1968 in ein "Zeitdauerheim" kam. Nach dem Scheitern der Ehe erlebte der Kläger weiter, dass seine Mutter kurz nach ihrer Haftentlassung erneut – abermals aus nicht politischen Gründen – zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Zwar hat der Kläger gegenüber der Sachverständigen Dr. D eine weitgehend problemlose Zeit im Zeitdauerheim geschildert, zugleich aber auch erklärt, seine Erzieherin beschimpft zu haben, weswegen er die letzten zwei Monate von den Mitschülern getrennt worden sei und an Gruppenaktivitäten nicht mehr habe teilnehmen dürfen. Schließlich verbrachte der Kläger vier Wochen in einem Durchgangsheim für Ausreißer, wo sich der Kläger laut Angaben gegenüber Dr. D "wie der letzte Dreck behandelt gefühlt" hat.
Die Brüche im Leben des Klägers setzen sich fort in der Tatsache, dass er die Schule nach der siebten Klasse ohne Abschluss beendete. Eine Lehre zum Teilfacharbeiter im Tiefbau absolvierte er zwischen 1968 und 1970; da er jedoch aus dem FDGB ausgetreten war und er - wie auch andere Lehrlinge - wegen der Ereignisse anlässlich des Prager Frühlings – seinen FDGB-Ausweis öffentlich verbrannt hatte, wurde ihm der Abschluss verwehrt, den er erst 1972 oder 1973 nachholen konnte. Gegenüber der Sachverständigen Dr. D hat der Kläger erklärt, er habe sich gegen seinen Lehrmeister und die anderen Lehrlinge nicht durchsetzen können.
Da – wie bereits dargelegt – die erste Haftzeit keine dauernden Gesundheitsstörungen hervor-gerufen hat, sind auch die Ereignisse nach der ersten Haft bis zum Beginn der zweiten Haft am 20. August 1975 Ausdruck und gegebenenfalls auch Ursache nicht haftbedingter Vorschäden, wobei der Senat nicht verkennt, dass der Kläger mindestens seit 1971 staatlichen Repressalien ausgesetzt gewesen ist, die aber – soweit es sich nicht um Inhaftierungen gehandelt hat – nach dem StrRehaG nicht zu entschädigen sind. Somit sind als nicht haftbedingt nach 1971 zu be-rücksichtigen Ereignisse am Arbeitsplatz des Klägers, der gegenüber Dr. W eingeräumt hat, als junger Mensch öfter zu spät zur Arbeit erschienen zu sein, was bei einer Arbeitsstelle auf dem Bau zu Streit und schließlich zur fristlosen Kündigung geführt habe. Neben den Fehlzeiten fällt auch die Vielzahl wechselnder Arbeitsverhältnisse auf (Angaben des Klägers gegenüber Dr. W: Arbeiten als Küchenhelfer, in einer Brauerei, im Tiefbau, in einer Medizintechnikfirma, dann – mit Arbeitsplatzbindung – in einer Baustoffversorgungsfirma), bei denen es über die Verspätungen und Fehltage hinaus auch zu weiteren Vorfällen gekommen ist. So hat der Klä-ger gegenüber Dr. W erklärt, dass es auf dem Bau infolge seiner Verspätungen zu Streit gekommen sei, in dessen Verlauf er seine Kollegen beschimpft (als "sozialistischen Sauhaufen" und "blöd und faul") habe, weswegen ihm fristlos gekündigt worden sei.
Vor dem Hintergrund der genannten Ereignisse steht für den Senat fest, dass bei dem Kläger – wie von dem Sachverständigen Prof. Dr. S nachvollziehbar dargelegt – bereits in jungen Jahren gravierende Verhaltensauffälligkeiten im Sinne sozialer Dysfunktion vorlagen, die nicht als haftbedingte Schädigungsfolgen angesehen werden können und zwar auch dann nicht, wenn man beachtet, dass sie unter Umständen auch durch staatliche Repressalien mitbedingt gewesen sein könnten, weil es – worauf der Senat nochmals hinweist – hier nur um die Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen geht. Insoweit ist auch der Einwand der Sachverständigen Dr. D ausgeräumt, die darauf hinweist, dass von der bloßen Existenz potentiell schädigender Ereignisse nicht auf das Vorliegen einer Gesundheitsstörung geschlossen werden könne (Seite 3 ihrer ergänzenden Stellungnahme). Dies trifft zwar – wie auch der Sachverständige Prof. Dr. S einräumt (Seite 22 seines Gutachtens) – grundsätzlich zu. Wenn sie aber ausführt, "Beeinträchtigungen wie das Fehlen eines stabilen Selbst, eines positiven Selbstwertgefühls, von Lernen sozialer Normen sowie eine zu geringe Ich-Stärke, die verhindert, dass sich eine Frustrationstoleranz entwickelt und Spannungen ausgehalten und Impulse kontrolliert werden können", würden nur theoretisch als Folge potentiell schädigender Ereignisse abgeleitet, aber nicht durch klinisch manifeste Symptome belegt, kann der Senat dem vor dem Hintergrund der oben dargestellten Ereignisse und Verhaltensweisen des Klägers nicht folgen. Vielmehr ist mit Prof. Dr. S davon auszugehen, dass bei dem Kläger schädigungsunabhängig eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die sich unter anderem in dem Unvermögen zeigt (und haftunabhängig zeigte), stabile und dauerhafte berufliche und private Bindungen aufzubauen bei wiederkehrenden Verletzungen sozialer Normen und Regeln. Gerade die letztgenannte Feststellung lässt sich auch an weiteren Beispielen dokumentieren, etwa, wenn der Kläger 1978 betrunken in eine Schule eingestiegen war, weswegen er im Mai 1978 wegen Diebstahls inhaftiert worden und insoweit auch nur teilweise in Bezug auf das Strafmaß rehabilitiert worden ist, oder wenn er 1989 seinen Führerschein wegen Trunkenheit beim Fahren verlor.
Nach dem oben Gesagten geht der Senat demnach mit Prof. Dr. S davon aus, dass - wenn man das seelische Leiden des Klägers mit einem GdB von 40 bewerten möchte - bei dem Kläger im Vordergrund eine schädigungsunabhängige Persönlichkeitsstörung steht, die nicht wahrschein-lich auf den Freiheitsentziehungen beruht, sondern bereits vor den Haftzeiten vorhanden gewe-sen und jedenfalls nicht durch diese verursacht worden ist und die auch schon vor den Haftzeiten mit dysfunktionalem Verhalten im beruflichen wie auch privaten Bereich einhergegangen ist. Das auf den rehabilitierten Freiheitsentziehungen beruhende seelische Leiden ist hingegen – wie dargelegt – nicht mit einem höheren Grad einer MdE/GdS als 15 (v. H.) zu bewerten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Dabei ist der teilweise Klageerfolg des Klägers nach Berufungsrücknahme des Beklagten angemessen zu berücksichtigen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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