L 20 AS 201/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 46 AS 359/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 201/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. September 2009 aufgehoben und die Klage abge-wiesen. Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung ihrer Kosten im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin bezieht von der Beklagten laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Abhilfebescheid vom 26. November 2008 hatte die Beklagte dem vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. September 2008 erhobenen Widerspruch (W4341/08) gegen einen ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 12. August 2008 abgeholfen und hierbei folgende Kostenentscheidung getroffen: " Die Ihnen im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten werde ich auf Antrag erstatten, soweit sie notwendig waren und nachge-wiesen sind".

Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2008 erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in deren Namen Widerspruch gegen die Kostenentscheidung in Abhilfebescheid vom 26. November 2008. Zur Begründung gab er an, die Hinzuziehung des Anwaltes sei für erforderlich zu erklä-ren gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2008 (W 5905/08) verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Zur Begründung heißt es, der Widerspruch gegen eine noch nicht getroffene Entscheidung sei nicht zulässig. Mit dem angefochtenen Widerspruchsbescheid sei eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht getroffen worden. Die Notwendigkeit sei weder bestätigt noch abgelehnt worden. Die Kostengrundentscheidung könne, insoweit sie unvollständig gewesen sei, nachträglich nachgeholt werden.

Mit weiterem Schreiben vom 29. Dezember 2008 ergänzte die Beklagte den Abhilfebescheid vom 26. November 2008 und erklärte die Zuziehung des Bevollmächtigten als notwendig.

Die Klägerin hat am 29. Januar 2009 Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben, mit der sie die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, ihre Kosten im Widerspruchsverfahren W 5905/08 zu erstatten. Der Widerspruch sei erfolgreich gewesen, dem Begehren der Klägerin sei mit Bescheid vom 29. Dezember 2008 stattgegeben worden, mit dem die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren W 4341/08 für notwendig erklärt wurde. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig gewesen, da die Beklagte fehlerhaft die Hinzuziehung des Anwaltes nicht für notwendig erklärt habe. Eines gesonderten Antrages hierzu habe es nicht bedurft. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe seine Verwaltungspraxis, seine Kostennote bei der Beklagten auch ohne eine Erklärung der Beklagten über die Zuziehung des Bevollmächtigten in der Kostengrundentscheidung einzureichen, worauf diese von der Beklagten ausgeglichen worden sei, im Jahr 2008 geändert. Seit diesem Zeitpunkt verlange er von der Beklagten eine eindeutige Erklärung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmäch-tigten. In der Einlegung des Widerspruchs durch den Bevollmächtigten sei bereits ein Antrag auf Erklärung der Notwendigkeit von dessen Zuziehung zu sehen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeiten Zuziehung eines Bevollmächtigten um einen weiteren Verwaltungsakt handele, über dessen Antrag im Abhilfebescheid nicht entschieden worden sei.

Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 8. September 2009 den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2008 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte die Kosten der Klägerin im Widerspruchsverfahren W 5905/08 zu tragen hat und hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin des gerichtlichen Verfahrens der Beklagten auferlegt. Zur Begründung heißt es, treffe im Abhilfebescheid die Behörde entgegen der ihr nach § 63 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht keine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten, so stehe dies einer Ablehnung gleich, denn bereits nach dem Wortlaut des § 63 Abs. 3 S. 2 SGB X habe die Behörde im Rahmen der Kostengrundentscheidung sich zu der Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten zu erklären. Eines weiteren Antrags bedürfe es nicht.

Die Beklagte hat gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 2. Oktober 2009 zugestellten Urteil am 8. Oktober 2009 Beschwerde erhoben. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 25. Januar 2010 zugelassen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei ein eigener Verwaltungsakt. Sei ein Verwaltungsakt nicht vorhanden, könne dieser auch nicht mit einem Anfechtungswiderspruch angegriffen werden. Das Widerspruchsverfahren gegen die Kostenentscheidung im Abhilfebescheid vom 26. November 2008 stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, da die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt über die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Amts wegen noch nicht entschieden gehabt hätte. Die fehlende Entscheidung über die Notwendigkeiten Hinzuziehung eines Bevollmächtigten mache die Kostengrundentscheidung oder die Kostenentscheidung nicht rechtswidrig, die fehlende Entscheidung können nachgeholt werden. Aufgrund der dem Prozessbevollmächtigten bekannten Verwaltungspraxis der Beklagten in der Zeit von 2005 bis Anfang 2009, eine ausdrückliche Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nur dann zutreffen, wenn diese abzulehnen war, habe das Fehlen einer Entscheidung über die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren auch nicht als Ablehnung verstanden werden können. Aufgrund der ihm bekannten Verwaltungspraxis habe der Bevollmächtigte das ausdrückliche Unterlassen der Entscheidung nur als Aufforderung zur Einreichung seiner Kostennote verstehen können.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. September 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend an, die Kosten des Widerspruchsverfahrens seien schon deswegen zu erstatten, weil der Widerspruch erfolgreich gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben der Beklagten vom 2. September 2010, Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 27. Oktober 2010).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Band II) Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Beratung und Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung den Rechtsstreit beraten und entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 So-zialgerichtsgesetz – SGG).

Die vom Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zugelassene Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die der Klägerin im Wi-derspruchsverfahren W 5905/08 entstandenen Kosten zu tragen. Der angefochtene Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zu Recht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Widerspruchsbescheid den Widerspruch der Klägerin vom 13. September 2008 gegen die fehlende Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren im Abhilfebescheid vom 26. November 2008 als unzulässig verworfen.

Denn die Zulässigkeit eines Widerspruchs setzt voraus, dass dieser sich gegen einen Verwaltungsakt richtet. An einem solchen fehlt es vorliegend.

Ein Verwaltungsakt liegt (nur) insoweit vor, als eine hoheitliche Maßnahme eine Regelung i.S. des § 31 Satz 1 SGB X enthält. Eine Regelung ist eine Entscheidung, die auf die Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. BVerwGE 77, 268, 271; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, Anhang § 54 Rn. 2). Sie ist insbesondere gegeben, wenn und soweit Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt wird ( BVerwGE 80, 355, 364 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 238 S 16 f = NJW 1989, 1495, 1497 ). Dass es sich bei der Entscheidung darüber, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 3 Satz 2 iVm § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X), um einen - von der Kostengrundentscheidung als auch von der Kostenfestsetzungsentscheidung gesonderten - Verwaltungsakt handelt, der im Weg der Verpflichtungsklage nach § 54 SGG eingeklagt werden kann, ist anerkannt (st. Rspr. BVerwG zu § 80 VwVfG, vgl. BVerwGE 77, 268-276, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr 33 m.w.N.; ausdrücklich ebenso: BSG Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 59/04 R [obiter dic-tum], Juris). Der Bescheid vom 26. November 2008 enthält indes weder eine positive Feststellung der Not-wendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren noch lehnt er diese ab; er enthält vielmehr insoweit keinerlei Aussage. Eine Regelung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten liegt damit nicht vor.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts folgt aus dem Umstand, dass die Behörde entgegen der ihr nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X obliegenden Pflicht keine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten getroffen hat, nicht bereits, dass eine insoweit fehlende Entscheidung einer Ablehnung gleichsteht. Das bloße Schweigen enthält grundsätzlich weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung (vgl. BSG Urteil vom 17. Oktober 2006 - B 5 RJ 66/04 R - Juris und vom 4. April 1963 - 8 RV 961/60; BGHZ 152, 63, 68 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ein bestimmtes, unmissverständliches, konkludentes Verhalten ergibt (vgl. BSG vom 17. Oktober 2006 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies ist hier nicht der Fall.

Insbesondere vor dem Hintergrund der im vorliegenden Fall von der Beklagten geschilderten Verwaltungspraxis, wonach sie in der Zeit von 2005 bis Anfang 2009 eine ausdrückliche Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nur dann getroffen habe, wenn diese abgelehnt wurde, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die es rechtfertigen, das Unterlassen der Entscheidung als Ablehnung auszulegen. Dass die von der Beklagten geschilderten Verwaltungspraxis tatsächlich ausgeübt wurde, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht mittelbar bestätigt, indem er dort angegeben hat, er selbst habe diese Verwaltungspraxis beendet und ab dem Jahr 2008 eine ausdrückliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten von der Beklagten verlangt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die fehlende Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten auch nicht zur Rechtswidrigkeit der Kostengrund-entscheidung im Übrigen. Die Behörde, die über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens zu entscheiden hat, hat drei Entscheidungen zu treffen (dazu BSG SozR 3-1300 § 63 Nr. 12 S 41; BSG SozR 3-1500 § 63 Nr. 7 S 10 f; Roos in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 63 RdNr 31 ff), nämlich neben der hier nicht interessierenden Kostenfestsetzungsentscheidung (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X) die Kosten(grund)entscheidung (§ 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 iVm § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X) und in der Kosten(grund)entscheidung die Entscheidung darüber, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 3 Satz 2 iVm § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X). Diese drei Entscheidungen bilden nicht etwa gemeinsam einen einheitlichen Verwaltungsakt, sodass das Feh-len der Entscheidung nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X nicht unmittelbar zur Rechtswidrigkeit und Anfechtbarkeit der Kostengrundentscheidung im Übrigen führt. Die fehlende Entscheidung ist vielmehr von der Behörde nachzuholen und gegebenenfalls mit einer gesonderten Ver-pflichtungsklage zu erstreiten (vgl. BSG aaO).

Der Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2008 ist auch insoweit rechtmäßig, als er eine Erstattung der der Klägerin durch den Widerspruch vom 13. September 2008 entstandenen Kosten ablehnt. Die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Widerspruch der Klägerin vom 13. September 2008 war jedoch nicht "erfolgreich". Ein Widerspruch hat dann "Erfolg" im Sinne des Gesetzes, wenn die Behörde ihm stattgibt. Dabei kommt es einzig auf das Stattgeben an ( BSG SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 mit Hinweis auf BVerwG NVwZ 1983, 544 = Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 12; vgl. auch BVerwG NVwZ 1988, 249; BVerwGE 101, 64 = NVwZ 1997, 272; BVerwG Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr 10 = NJW 1982, 1827 ). Dem Widerspruch der Klägerin wurde indes nicht stattgegeben; dieser wurde vielmehr mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2008 zurückgewiesen.

Eine Stattgabe des Widerspruchs kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 29. Dezember 2008 die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren festgestellt hat. Es fehlt insoweit an der erforderlichen Kausalität zwischen Widerspruch und Feststellung. Der Widerspruch ist nur dann erfolgreich im Sinne des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X, wenn zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Ent-scheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht ( vgl. BSG SozR 3-1300 § 63 Nr. 3; SozR 4-1300 § 63 Nr. 1; SozR 3-1500 § 144 Nr. 13 S 34; BSG vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 42/00 R - USK 2001-61, 377 ). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Beklagte hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Widerspruch als unzulässige Rechtsausübung erachtet. Dementsprechend hat sie den Widerspruch wegen Unstatthaftigkeit zurückgewiesen, ihn aber in einen Ergänzungsantrag umgedeutet, dem sie nachgekommen ist (vgl. Insoweit ausführlich Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 14. Januar 1983 - 8 C 80/80 NVwZ 1983, 544).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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