Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 30806/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 230/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 28 AS 231/12 B PKH
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2011 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 23. November 2011 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. November 2011 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 die diesem ohne Ansatz einer Sanktion ungekürzt zustehenden Leistungen abzgl. etwaiger in Form von Lebensmittelgutscheinen gewährter Leistungen auszuzahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt K wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2011 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Im Übrigen ist sie zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).
Auch ist die Beschwerde begründet, soweit das Sozialgericht Berlin es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die gegen ihn verhängte Sanktion anzuordnen (L 28 AS 230/12 B ER).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG und § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 23. November 2011 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 17. November 2011, mit dem dieser die dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012 ursprünglich in Höhe von insgesamt 672,17 EUR gewährten Leistungen auf den in Höhe von 308,17 EUR anerkannten Bedarf für die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt hat, anzuordnen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegt nicht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt eine sanktionierbare Pflichtverletzung nur dann vor, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einer der im Einzelnen aufgeführten Pflichten trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis nicht nachkommt. Zwar spricht hier viel dafür, dass der Antragsteller sich geweigert hat, eine ihm zumutbare Arbeit aufzunehmen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Ebenso deutet aber viel darauf hin, dass der Antragsgegner den Antragsteller nicht ausreichend über die deshalb letztlich gegen ihn verhängte Sanktion – den Wegfall der zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährten Leistungen im vollen Umfang - aufgeklärt hatte (vgl. § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II). Anders als das Sozialgericht hat der Senat erhebliche Zweifel, ob die in dem Vermittlungsvorschlag enthaltene Rechtsfolgenbelehrung ihrer Warn- und Steuerungsfunktion gerecht wurde. Denn in der das maßgebliche Vermittlungsangebot über eine Stelle als Textilreiniger beim K S Wäschedienst D -abschließenden Rechtsfolgenbelehrung heißt es:
" Die §§ 31 bis 31b SGB II sehen bei einer Weigerung eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach – auch mehrfach nacheinander – gemindert werden oder vollständig entfallen. Wenn Sie sich weigern, die Ihnen mit diesem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit aufzunehmen, wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II gemindert. Ein solcher Pflichtverstoß liegt auch vor, wenn Sie die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch negatives Bewerbungsverhalten vereiteln. "
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - die Rechtsfolgenbelehrung konkret, verständlich, richtig und vollständig sein (BSG, Urteile vom 16.12.2008 – B 4 AS 60/07 R – Rn. 36, vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R – Rn. 22, vom 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 – Rn. 19, vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R – Rn. 26 sowie vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R – Rn. 24, alle zitiert nach juris), da nur eine derartige Belehrung dem Zweck der Rechtsfolgenbelehrung – nämlich der Warn- und Steuerungsfunktion – zu genügen vermag. Allerdings ist weiter eine konkrete Umsetzung auf den jeweiligen Einzelfall erforderlich (BSG, Urteile vom 16.12.2008 – B 4 AS 60/07 R – Rn. 36 und vom 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 – Rn. 19, jeweils zitiert nach juris), die hier nicht ordnungsgemäß erfolgt sein dürfte. Der Antragsgegner hat zunächst die gesetzlich vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten grob umrissen. Im Folgenden hat er sich zwar um eine konkrete Umsetzung auf den Einzelfall bemüht, wie die Ansprache des Leistungsberechtigten ("Wenn Sie ") und die Bezugnahme auf das konkrete Vermittlungsangebot zeigen. Allerdings hat er dem Antragsteller in diesem Rahmen die Kürzung des Arbeitslosengeldes II allein im Umfang von 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs in Aussicht gestellt, nicht hingegen die letztlich vorgenommene 100 %ige Kürzung. Die tatsächlich verhängte Sanktion entspricht mithin nicht der angedrohten, sondern geht weit über diese hinaus. Mit ihr konnte und musste der Antragsteller auf der Grundlage der Rechtsfolgenbelehrung wohl nicht rechnen. Dass der Antragsgegner für die tatsächlich gewählte Sanktion selbst eine andere Rechtsfolgenbelehrung für erforderlich hält, zeigt im Übrigen der von ihm zu den Akten gereichte Vermittlungsvorschlag vom 15. Februar 2012, in dem es in der Rechtsfolgenbelehrung unter Bezugnahme nunmehr auf die vorangegangene Sanktion heißt, dass im Falle der Weigerung, die angebotene Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen, das Arbeitslosengeld II (erneut) vollständig entfalle.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller auf sonstige Weise Kenntnis von der drohenden Rechtsfolge hatte, sind nicht ersichtlich. Schließlich wird eine entsprechende Kenntnis vom Antragsgegner selbst, der inzwischen zwar erkannt hat, dass die Rechtsfolgenbelehrung fehlerhaft gewesen sein dürfte, nicht hingegen die daraus gebotenen Konsequenzen gezogen hat, nicht behauptet.
Soweit der Senat für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 die Auszahlung ungekürzter Leistungen an den Antragsteller angeordnet hat, stützt er sich auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Da der Bescheid vom 17. November 2011 zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung bereits vollständig vollzogen ist, hält es der Senat für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Der Antragsteller hat im Hinblick auf den Charakter der Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein sachliches Rückabwicklungsinteresse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und spiegelt die Entscheidung in der Sache wider.
Im Hinblick auf die getroffene Kostenentscheidung konnte der Antragsteller mit seiner Beschwerde gegen die Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren letztlich nicht durchdringen. Zwar hatte sein Begehren hinreichende Erfolgsaussicht. Ihm steht nunmehr jedoch ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner zu, sodass kein Bedarf mehr für die Bewilligung besteht. Gleiches gilt für die beantragte Gewährung der Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2011 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Im Übrigen ist sie zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).
Auch ist die Beschwerde begründet, soweit das Sozialgericht Berlin es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die gegen ihn verhängte Sanktion anzuordnen (L 28 AS 230/12 B ER).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG und § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 23. November 2011 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 17. November 2011, mit dem dieser die dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012 ursprünglich in Höhe von insgesamt 672,17 EUR gewährten Leistungen auf den in Höhe von 308,17 EUR anerkannten Bedarf für die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt hat, anzuordnen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegt nicht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt eine sanktionierbare Pflichtverletzung nur dann vor, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einer der im Einzelnen aufgeführten Pflichten trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis nicht nachkommt. Zwar spricht hier viel dafür, dass der Antragsteller sich geweigert hat, eine ihm zumutbare Arbeit aufzunehmen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Ebenso deutet aber viel darauf hin, dass der Antragsgegner den Antragsteller nicht ausreichend über die deshalb letztlich gegen ihn verhängte Sanktion – den Wegfall der zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährten Leistungen im vollen Umfang - aufgeklärt hatte (vgl. § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II). Anders als das Sozialgericht hat der Senat erhebliche Zweifel, ob die in dem Vermittlungsvorschlag enthaltene Rechtsfolgenbelehrung ihrer Warn- und Steuerungsfunktion gerecht wurde. Denn in der das maßgebliche Vermittlungsangebot über eine Stelle als Textilreiniger beim K S Wäschedienst D -abschließenden Rechtsfolgenbelehrung heißt es:
" Die §§ 31 bis 31b SGB II sehen bei einer Weigerung eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach – auch mehrfach nacheinander – gemindert werden oder vollständig entfallen. Wenn Sie sich weigern, die Ihnen mit diesem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit aufzunehmen, wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II gemindert. Ein solcher Pflichtverstoß liegt auch vor, wenn Sie die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch negatives Bewerbungsverhalten vereiteln. "
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - die Rechtsfolgenbelehrung konkret, verständlich, richtig und vollständig sein (BSG, Urteile vom 16.12.2008 – B 4 AS 60/07 R – Rn. 36, vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R – Rn. 22, vom 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 – Rn. 19, vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R – Rn. 26 sowie vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R – Rn. 24, alle zitiert nach juris), da nur eine derartige Belehrung dem Zweck der Rechtsfolgenbelehrung – nämlich der Warn- und Steuerungsfunktion – zu genügen vermag. Allerdings ist weiter eine konkrete Umsetzung auf den jeweiligen Einzelfall erforderlich (BSG, Urteile vom 16.12.2008 – B 4 AS 60/07 R – Rn. 36 und vom 18.02.2010 – B 14 AS 53/08 – Rn. 19, jeweils zitiert nach juris), die hier nicht ordnungsgemäß erfolgt sein dürfte. Der Antragsgegner hat zunächst die gesetzlich vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten grob umrissen. Im Folgenden hat er sich zwar um eine konkrete Umsetzung auf den Einzelfall bemüht, wie die Ansprache des Leistungsberechtigten ("Wenn Sie ") und die Bezugnahme auf das konkrete Vermittlungsangebot zeigen. Allerdings hat er dem Antragsteller in diesem Rahmen die Kürzung des Arbeitslosengeldes II allein im Umfang von 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs in Aussicht gestellt, nicht hingegen die letztlich vorgenommene 100 %ige Kürzung. Die tatsächlich verhängte Sanktion entspricht mithin nicht der angedrohten, sondern geht weit über diese hinaus. Mit ihr konnte und musste der Antragsteller auf der Grundlage der Rechtsfolgenbelehrung wohl nicht rechnen. Dass der Antragsgegner für die tatsächlich gewählte Sanktion selbst eine andere Rechtsfolgenbelehrung für erforderlich hält, zeigt im Übrigen der von ihm zu den Akten gereichte Vermittlungsvorschlag vom 15. Februar 2012, in dem es in der Rechtsfolgenbelehrung unter Bezugnahme nunmehr auf die vorangegangene Sanktion heißt, dass im Falle der Weigerung, die angebotene Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen, das Arbeitslosengeld II (erneut) vollständig entfalle.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller auf sonstige Weise Kenntnis von der drohenden Rechtsfolge hatte, sind nicht ersichtlich. Schließlich wird eine entsprechende Kenntnis vom Antragsgegner selbst, der inzwischen zwar erkannt hat, dass die Rechtsfolgenbelehrung fehlerhaft gewesen sein dürfte, nicht hingegen die daraus gebotenen Konsequenzen gezogen hat, nicht behauptet.
Soweit der Senat für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 die Auszahlung ungekürzter Leistungen an den Antragsteller angeordnet hat, stützt er sich auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Da der Bescheid vom 17. November 2011 zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung bereits vollständig vollzogen ist, hält es der Senat für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Der Antragsteller hat im Hinblick auf den Charakter der Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein sachliches Rückabwicklungsinteresse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und spiegelt die Entscheidung in der Sache wider.
Im Hinblick auf die getroffene Kostenentscheidung konnte der Antragsteller mit seiner Beschwerde gegen die Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren letztlich nicht durchdringen. Zwar hatte sein Begehren hinreichende Erfolgsaussicht. Ihm steht nunmehr jedoch ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner zu, sodass kein Bedarf mehr für die Bewilligung besteht. Gleiches gilt für die beantragte Gewährung der Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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