L 1 KR 18/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 516/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 18/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Im Streit stehen Ansprüche im Zusammenhang mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Die Klägerin leidet an amyotropher Lateralsklerose (ALS) und benötigt häusliche Krankenpflege (intensivpflegerische Betreuung).

Aufgrund eines Beschlusses des Senats im Eilverfahren vom 23. Dezember 2009 (AZ: L 1 B 283/08 KR ER) wurde der Klägerin für des erste Halbjahr 2010 die Gewährung eines persönlichen Budgets zu erkannt. Sie schloss mit der Beklagten eine Zielvereinbarung zur Umsetzung des persönlichen Budgets (Abdruck des Zielveinbarungsvertrages vom 29. Januar 2010/10. Februar 2010 in Kopie GA L 1 KR 145/10 B ER Blatt 2ff). Nach dieser war sie verpflichtet, vor Auszahlung der ersten Leistungsrate den Nachweis zu erbringen, dass ein zugelassener Pflegedienst die erforderlichen Leistungen erbringe. Für den Zeitraum ab 24. April 2010 erkannt die Beklagte die eingereichten Nachweise an und leistete die entsprechenden Zahlungen. Im Zeitraum zuvor hielt sich die Klägerin in Florida, also im außereuropäischen Ausland, auf.

Die Klägerin hat am 20. März 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben (AZ: S 73 KR 516/10) und beantragt,

1. Die Beklagte zu veranlassen, die Zielvereinbarung, gültig ab 1. Januar 2010, sofort umzusetzen und die Klägerin zur Ersatzvornahme zu ermächtigen gemäß § 198 SGG, § 887 ZPO, für den Fall, dass die zugesprochenen Zahlungen nicht fristgemäß eingehen,

2. den Tenor des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Dezember 2009 – L 1 B 283/08 KR ER - über das dort genannte Datum des Auslaufens der Anordnung des Beschlusses, den 30. Juli 2010, hinaus für weitere 12 Monate zu verlängern und die Klägerin zur Ersatzvornahme zu ermächtigen gemäß § 198 SGG, § 887 ZPO, für den Fall, dass die zugesprochenen Zahlungen nicht fristgemäß eingehen.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26. Mai 2010 ferner Klage beim SG (Aktenzeichen S 73 KR 906/10) erhoben, mit welcher sie die Vollstreckung einer Leistungsbewilligung für den Zeitraum von Januar 2010 bis 24. April 2010 betreiben will. Da die Vollstreckung in das Original der zu vollstreckenden Leistungen durch das vorsätzliche Verhalten der Beklagten unmöglich geworden sei, begehre sie ferner die Gewährung eines entsprechenden Surrogats nebst Zinsen.

Sie hat insoweit beantragt,

1. der Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung auszuhändigen des vollstreckbaren begünstigenden Verwaltungsaktes, dargestellt in der Verordnung von Dr. H für 24h häusliche Krankenpflege, Behandlungspflege und der entsprechenden Genehmigung, von der Beklagten genannt Bewilligung, für den Zeitraum vom 1. Januar bis 24. April 2010, 2. die Zahlung und Vollstreckung eines Betrages von 76.608,00 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen ab 1. Mai 2010 und die Vollstreckung dieses Betrages im Wege der Kontenpfändung, 3. die Aushändigung der Unterlagen, mit welchen der Gerichtsvollzieher tätig werden kann, um das Bankkonto der Beklagten zu pfänden.

Das SG hat mit Urteil vom 15. Dezember 2010 die am 20. März 2010 erhobenen Klagen (AZ: S 73 KR 516/10) abgewiesen. Die Klägerin könne die Auszahlung der in der Zielvereinbarung genannten Leistungen für die Zeit vor dem 24. April 2010 aus dem persönlichen Budget nicht verlangen, weil die vertraglich vereinbarten Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Nach Ziffer 8 der Zielvereinbarung sei die Klägerin verpflichtet gewesen, vor der erstmaligen Auszahlung des persönlichen Budgets die Inanspruchnahme von zugelassenen Pflegediensten nachzuweisen. Dies habe sie unterlassen und auch im Gerichtsverfahren nicht nachgeholt. Ermittlungen von Amts wegen hätten nicht erfolgen können. Sie habe nicht angegeben, welche Nachweise sie wann bei wem eingereicht haben will. Vielmehr habe sie auch in anderen Verfahren ausdrücklich mitgeteilt, dass sie im Ausland gewesen sei, also Leistungen eines zugelassenen Pflegedienstes, eines Vertragspartners der Beklagten, nicht in Anspruch habe nehmen können. Der Klageantrag zu 2) sei unzulässig. Das SG könne nicht die Geltung des Beschlusses des Landessozialgerichts verlängern und damit dessen Entscheidung verändern. Soweit hinter dem Begehren die Forderung nach Gewährung eines persönlichen Budgets auch für den Zeitraum ab 1. Juli 2010 stehe, sei die Klage unzulässig, weil zunächst ein Verwaltungsverfahren durchzuführen sei.

Das SG hat ferner die Klagen vom Mai 2010 mit weiterem Urteil vom 15. Dezember 2010 (AZ: S 73 KR 906/10) ebenfalls abgewiesen. Sie seien bereits unzulässig. Auch nach ihrem eigenen Vorbringen könne die Klägerin eine Vollstreckung der von ihr behaupteten unbedingten Bewilligung der Natur der Sache nach für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum nicht verlangen. Dafür bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage sei hinsichtlich des Zahlungsbegehrens unzulässig, weil diese Leistungsforderung bereits Gegenstand des älteren Klageverfahrens (S 73 KR 516/10) sei. Sofern die Klägerin eine andere Leistung, nämlich ein Surrogat geltend mache, sei die Klage unzulässig, weil die Klägerin vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes die Beklagte nicht mit dieser Forderung konfrontiert und eine Befassung nicht ermöglicht habe. Gerichtlicher Rechtsschutz dürfe jedoch erst dann in Anspruch genommen werden, wenn die dem Betroffenen rechtlich eingeräumten Möglichkeiten einer außergerichtlichen Klärung zunächst ausgeschöpft worden seien. Die Klage sei hinsichtlich des Antrages zu 3) unzulässig, weil es einen vollstreckbaren Titel für die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme nicht gäbe.

Gegen das Urteil des SG vom 15. Dezember 2010 (S 73 KR 516/10) richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. Januar 2011. Sie habe sehr wohl zu Händen von Frau S der Beklagten die Nachweise übersandt. Hätte das SG auch ihren Betreuer geladen, hätte dieser in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag gestellt, Frau Sals Zeugin zu hören und das Posteingangsbuch einzusehen. Ein zugelassener Pflegedienst sei nicht nur ein solcher, der Vertragspartner der Beklagten sei. Die Geldzahlungen des persönlichen Budgets nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - seien auch im Ausland zu zahlen, wenn dies medizinisch sinnvoll sei. Die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens erübrige sich, weil die Beklagte wiederholt und unmissverständlich alle Anträge ablehne.

Gegen das Urteil (zum AZ: S 73 KR 906/10) richtet sich die weitere Berufung der Klägerin vom selben Tag (- L 1 KR 20/11 -). Das Verfahren sei an das SG zurückzuverweisen, da eine Ladung ihres Betreuers unterblieben sei. Sie begehre in der Sache die Aushändigung einer vollstreckbaren Ausfertigung des begünstigenden Verwaltungsaktes. Ein begünstigender Verwaltungsakt sei vollstreckbar, ebenso das Surrogat. Im Übrigen sei die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens entbehrlich, weil die Beklagte den Antrag sowieso ablehne.

Mit Beschluss vom 15. September 2011 hat der Senat die beiden Berufungsverfahren verbunden.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2010 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

II.

Über die zulässigen Berufungen konnte der Senat durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 29. Dezember 2011 hingewiesen worden.

Die Berufungen bleiben ohne Erfolg. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Urteilen, § 153 Abs. 2 SGG.

Der Betreuer der Klägerin brauchte vom SG nicht zusätzlich geladen werden. Die Klägerin führt die Verfahren selbst: Ihr Betreuer ist nie für sie aufgetreten. Die Klägerin war und ist auch prozessfähig. Die Betreuung steht auch nicht unter einem Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 Bürgerliches Gesetzbuch (vgl. Kopie des Betreuungsbeschlusses GA Blatt 9).

Es kann nach wie vor nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 24. April 2010 Abrechnungen zugelassener Pflegedienste bei der Beklagten eingereicht hat, wobei dahingestellt bleiben kann, ob theoretisch auch ein in Florida vom dortigen Staat zugelassener Pflegedienst rechtlich von der zwischen den Beteiligten vereinbarten Zielvereinbarung umfasst sein könnte (vgl. Nr. 7 "die häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege darf nur durch qualifizierte Pflegefachkräfte von zugelassenen Pflegediensten erbracht werden"). Es ist nach wie vor unklar, wann die Klägerin welche Nachweise – also die konkreten Abrechnungen – eingereicht haben will.

Zutreffend hat das SG ferner ausgeführt, dass es kein prozessual zulässiger Weg ist, im Hinblick auf die Dauer des Hauptverfahrens einfach im Klagewege zu begehren, den Umfang einer erstrittenen einstweiligen Anordnung zeitlich zu verlängern. Das Hauptsacheverfahren ist durchzuführen, auch wenn die Klägerin der Auffassung ist, die Beklagte werde ihre Anträge auf jeden Fall abschlägig bescheiden.

Im Hinblick auf die Berufung zum Urteil in der Sache S 73 KR 906/10 ist nur noch ergänzend anzumerken, dass die Klägerin aus einem zu ihren Gunsten ergangenen Bewilligungsbescheid der Beklagten nicht direkt vollstrecken könnte. Die Klägerin verhält sich allerdings widersprüchlich: Einerseits beruft sie sich für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis 24. April 2010 auf eine angebliche Bewilligung von Sachleistungen durch die Beklagte. Andererseits macht sie für denselben Zeitraum per Klage Rechte aus der zwischen ihr und der Beklagten abgeschlossenen Zielvereinbarung (also nicht Sach-, sondern Geldleistung) geltend.

Die Vollstreckung aus Verwaltungsakten ohne Einschaltung der Gerichte ist nur den Behörden möglich. Ausschließlich diese sind Normadressaten des § 66 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X; vgl. Kasseler-Kommentar § 66 SGB X Rdnr. 2). Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt für die Vollstreckung zu Gunsten der Behörden auf Bundesebene das Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetz. Nach § 66 Abs. 3 SGB X gilt für die Vollstreckung zugunsten der übrigen Behörden das jeweilige Landesvollstreckungsrecht. Neben der Vollstreckung von Dienst- und Sachleistungen gilt dies auch für die angestrebte Vollstreckung einer angeblichen Geldforderung als dem geltend gemachten Surrogat für die unmöglich gewordenen Dienst- und Sachleistungen in Höhe von 76.608,00 Euro nebst Zinsen.

Die Kostensentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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