L 13 SB 118/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 3041/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 118/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Der 1932 geborene Kläger ist verheiratet und war bis Ende 1995 als Berufsschullehrer tätig. Seitdem bezieht er eine Altersrente.

Aufgrund einer bösartigen Tumorerkrankung wurde dem Kläger am 01. August 2008 in der Klinik für Urologie der C B die Harnblase entfernt und eine künstliche Harnblase mit künstlicher Harnableitung nach außen angelegt. Auf den daraufhin gestellten Antrag des Klägers auf Neufeststellung seines bis dahin festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 30 stellte der Beklagte der gutachtlichen Einschätzung des Dr. S vom 16. Januar 2009 folgend mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. Januar 2009 einen Gesamt-GdB von 80 fest, dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde liegen:

Harnblasenerkrankung, Heilungsbewährung, Verlust der Harnblase, künstliche Harnableitung nach außen (Einzel-GdB 80),

Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule mit Funktionsminderung und Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte (Einzel-GdB 30),

Hypertonus (Einzel-GdB 10),

Auf den weiteren Neufeststellungsantrag des Klägers vom 04. Mai 2009, mit dem er auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" geltend machte, holte der Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Orthopädie Dr. K vom 08. Mai 2009 ein und lehnte den Antrag der gutachtlichen Einschätzung des Dr. H vom 01. Juli 2009 folgend mit Bescheid vom 10. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 ab.

Der Kläger hat am 06. November 2009 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" begehrt hat.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, des Privatdozenten Dr. K des Medizinischen Versorgungszentrums F vom 25. Februar 2010, des Facharztes für Urologie R vom 22. März 2010 und des Facharztes für Orthopädie Dr. K vom 22. März 2010 eingeholt und sodann den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. R mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangte nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 17. November 2010 in seinem Gutachten vom 09. Dezember 2010 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen mit 80 zu bewerten sei:

Verlust der Harnblase mit künstlicher Harnableitung nach außen im Stadium der Heilungsbewährung bei Blasenkrebs (Einzel-GdB 80),

fortgeschrittene degenerative LWS-Veränderungen mit anhaltenden schmerzhaften Funktionsstörungen und Bewegungseinschränkungen (Einzel-GdB 30),

Teillähmung des Nervus peroneus links (Einzel-GdB 10),

beginnende Hüft- und Kniegelenksabnutzung bei leichteren Knorpelschäden und Senk-Spreiz-Fußfehlbildung (Einzel-GdB 10),

endgradige Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der Schultergelenke bei beginnenden degenerativen Veränderungen (Einzel-GdB 10).

Zu den gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hat der Sachverständige ausgeführt, dass unter Berücksichtigung des Lendenwirbelsäulenleidens und der Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten von einem mobilitätsbedingten GdB von 40 auszugehen sei. Das Gehvermögen des Klägers sei eingeschränkt. Er sei jedoch noch in der Lage, ohne Gefahren für sich oder andere kürzere Wegstrecken im Ortsverkehr sicher zurückzulegen. Unter Benutzung des vorhandenen Gehstocks und der Einhaltung kürzerer Pausen sei er in der Lage, Wegstrecken von 2000 m innerhalb von 30 bis 40 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Die bestehende Gehbehinderung resultiere allein aus den orthopädischen Leiden. Urologische Leiden würden sich nicht auf das Gang- und Standverhalten auswirken. Die Gehfähigkeit des Klägers sei derart vermindert, dass er auf unebenem Gelände, stark rutschigem Untergrund und in Dunkelheit aufgrund des möglichen Hängenbleibens mit dem linken Fuß und der damit verbundenen Stolpergefahr eingeschränkt sei. Zur Abwendung dieser Gefahr sei die Versorgung mit einer Peroneusfeder bzw. eines Heidelberger Winkels möglich.

Mit Gerichtsbescheid vom 09. Juni 2011 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 80 noch auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Der Gesamt-GdB sei in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. R zutreffend mit 80 bewertet worden. Ausgehend von dem führenden, mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewertenden Leiden der Funktionseinschränkungen der Harnorgane führe das mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertende Lendenwirbelsäulenleiden und die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden weiteren Funktionseinschränkungen nicht dazu, dass sich das Ausmaß der Behinderung insgesamt erhöhe. Auch lägen in Auswertung der Feststellungen, wie sie durch den Sachverständigen Dr. R getroffen worden seien, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach §§ 69 Abs. 4, 146 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und der versorgungsmedizinischen Grundsätze nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) nicht vor (vgl. Teil D Nr. 1 der Anlage zu § 2 VersMedV). Ein mobilitätsbedingter GdB von 50 sei nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. R nicht gegeben. Soweit mit diesem von dem Vorliegen eines mobilitätsbedingten GdB von 40 auszugehen sein sollte, führe dies nicht zur Anerkennung des Merkzeichens "G", weil sich die bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen auf die Gehfähigkeit nicht besonders ungünstig auswirken würden, wie z. B. bei einer Versteifung des Hüftgelenkes oder einer Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung.

Gegen das ihm am 15. Juni 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Juli 2011 Berufung eingelegt, mit der noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" begehrt.

Zur Begründung führt er aus, dass sich seine Gehfähigkeit weiter verschlechtert habe. Durch die Feststellungen des Sachverständigen Dr. R sei sein Gesundheitszustand und die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht zutreffend wiedergegeben worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 zu verpflichten, für den Kläger ab dem 04. Mai 2009 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 10. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des mit der Berufung nur noch geltend gemachten Merkzeichen "G". Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht gemäß § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von einer weiteren Darlegung in den Entscheidungsgründen ab. Zutreffend hat das Sozialgericht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach §§ 69 Abs. 4, 146 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und den versorgungsmedizinischen Grundsätze nach Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV, S 139 f. verneint. Es hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse und in Auswertung des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. R sich bei dem Kläger keine auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße und/oder Lendenwirbelsäule feststellen lassen, die einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Es liegt auch kein in diesem Sinne mobilitätsbedingter GdB von unter 50 vor, bei dem sich die Behinderungen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, wie z. b. bei einer Versteifung des Hüftgelenks, einer Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R, dem der Senat hinsichtlich der getroffenen Feststellungen folgt, lässt sich allerdings ein mobilitätsbedingter GdB von allenfalls 30 im Falle des Klägers feststellen, der allein aus dem mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertenden Lendenwirbelsäulenleiden resultiert. Die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Leiden der Teillähmung des Nervus peroneus links sowie der beginnenden Hüft- und Kniegelenksabnutzungen bei leichteren Knorpelschäden und Senk- und Spreiz-Fußfehlbildung führen als leichte Gesundheitsstörungen entsprechend den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 23) nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung des GdB zu berücksichtigen ist. Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. R zum Vorliegen eines mobilitätsbedingten Gesamt-GdB von 40 ist daher unter Berücksichtigung dieser Bewertungskriterien nach den von dem Sachverständigen getroffenen eigenen Feststellungen nicht zu folgen. Angesichts eines lediglich mit 30 zu bewertenden mobilitätsbedingten GdB rechtfertigt sich eine Vergleichbarkeit mit der Gruppe derjenigen, bei der sich die Behinderung auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, wie etwa bei einer Versteifung des Hüfgelenks oder des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung nicht. Auch liegen keine sonstigen Leiden, etwa auf urologischem Gebiet vor, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würden, wie der Sachverständige Dr. R zutreffend dargelegt hat. Besondere Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen, ergeben sich zur Überzeugung des Senats nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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