L 18 AL 285/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 1080/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 285/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1960 geborene Kläger beantragte im Februar 2009 wegen "massiver beruflich bedingter chronischer Erschöpfung" eine Begutachtung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit. Die Beklagte veranlasste darauf hin eine Untersuchung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie/Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S, der in seinem Gutachten vom 12. März 2009 eine postraumatische Belastungsstörung, kompensiert, und eine Persönlichkeitsstörung, narzisstisch-gekränkt, bei dem Kläger feststellte und zu dem Ergebnis kam, dass dieser unter bestimmten qualitativen Einschränkungen seine bisherige Dozententätigkeit weiterhin vollschichtig ausführen könne. Der Ärztlicher Dienst der Beklagte (Dr. J) kam in einer nach Aktenlage erstellten Sozialmedizinischen Stellungnahme vom 28. März 2009 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kläger weiterhin vollschichtig als Dozent tätig sein könne, wobei eine Festanstellung angestrebt werden solle. Nachdem der Kläger sich gegen diese ärztlichen Feststellungen mit einer Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde gewandt hatte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 20. November 2009 mit, dass an der fachärztlichen Aussage von Dr. S nicht zu zweifeln und auch die gutachterliche Bewertung durch Dr. J sozialmedizinisch korrekt sei.

Mit seiner "Untätigkeitsklage" hat der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Gutachten der Dres. S und J und eine "Begründung" für die Beurteilung des Gutachtens von Dr. S durch die Beklagte als "medizinisch zutreffend" verlangt. Es sei sicherzustellen, dass die Standards für sozialmedizinische Gutachten der beruflichen Leistungsfähigkeit auch vom ärztlichen Dienst der Beklagten angewandt würden. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2011 abgewiesen: Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei unzulässig. Soweit der Kläger seine Klage als Untätigkeitsklage bezeichne, seien die Voraussetzungen des § 88 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erfüllt. Dem Vorbringen des Klägers sei nicht zu entnehmen, dass seine Klage auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gerichtet sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass eine andere Klageart für den Kläger, der sich anscheinend gegen den Inhalt eines ärztlichen Gutachten wende, zulässigerweise geeignet sei, seinem Anliegen gerecht zu werden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache müsse das Verfahren an den Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern zurück übertragen werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Bewertung des Gutachtens des Dr. S vom 12. März 2009 nachvollziehbar zu begründen durch Zugrundelegung der Standards der Beklagten durch einen vom Gericht bestimmten unabhängigen Gutachter.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 4. November 2011 gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung war durch die gemäß § 153 Abs. 5 SGG ordnungsgemäß berufenen Richter zu entscheiden. Eine Rückübernahme des Rechtsstreits durch den Senat in voller Besetzung bzw. eine Rückübertragung des Rechtstreits durch den Berichterstatter kam entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht, weil sie – anders als in anderen Prozessordnungen (vgl. § 526 Abs. 2 Zivilprozessordnung bzw. § 6 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung) – nicht ausdrücklich im SGG vorgesehen ist und der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz) eine eindeutige Regelung als Voraussetzung einer Rückübernahme bzw. –übertragung verlangt.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Die Klage, mit der der Kläger eine Begründung der Bewertung des Gutachtens von Dr. S vom 12. März 2009 durch die Beklagte begehrt, ist unzulässig.

Sie ist weder als Untätigkeitsklage nach § 88 SGG noch als (echte) Leistungsklage nach § 53 Abs. 5 SGG statthaft. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG kann Untätigkeitsklage erhoben werden, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist sachlich beschieden worden ist. Der Kläger begehrt indes nicht die Vornahme eines Verwaltungsaktes iSd § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -. Insbesondere geht es ihm nicht um die eines Einzelfalles. Er will, wie er in der mündlichen Verhandlung nochmals unmissverständlich verdeutlicht hat, lediglich wissen, wie die Beklagte zu ihrer Bewertung des Gutachtens von Dr. S gekommen ist. Dieses ausschließlich auf einen Realakt gerichtete Begehren kann nicht mit einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG verfolgt werden. Richtige Klageart für das Begehren des Klägers ist vielmehr die allgemeine (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) auf Verurteilung des Hoheitsträgers zur Vornahme einer (schlichten) Amtshandlung. Deren Zulässigkeit setzt freilich in entsprechender Anwendung des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG voraus, dass der Kläger sein Begehren auf eine in der Rechtsordnung objektiv vorhandene Anspruchsgrundlage stützen und durch die Ablehnung oder Unterlassung der begehrten Maßnahme in einem eigenen Recht verletzt sein kann (vgl. BSGE 75, 262, 265; BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7). Eine derartige Klagebefugnis steht ihm jedoch nicht zu, denn es ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, aus der der Kläger einen möglichen Anspruch auf Erläuterung bzw. Begründung der behördlichen Bewertung eines medizinischen Gutachtens unter Einschaltung eines weiteren Gutachters herleiten könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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