Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 V 163/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 V 75/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kriegsopferversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Bei dem 1941 geborenen Kläger ist mit Wirkung ab Juni 2002 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt (Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2003). Der Feststellung liegen unter anderem Einzel-GdB von 40 für eine psychische Störung sowie 20 für eine Sehminderung zugrunde. Am 10. Februar 2005 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Versorgung nach dem BVG. Er gab an, dass aufgrund einer Kopfverletzung linksseitig in Augennervhöhe die Sehfähigkeit des linken Auges nur noch zehn Prozent betrage. Die Kopfverletzung beruhe darauf, dass im Januar 1945 in einem Luftschutzbunker in B ein Koffer auf ihn herabgestürzt sei. Der Kläger legte im Laufe des weiteren Verfahrens eine Erklärung des 1942 geborenen P G vom 16. Juni 2005 vor, der erklärte, dass die Eltern des Klägers mehrmals das Ereignis in dem Luftschutzbunker ihm gegenüber geäußert hätten. Im Januar 1945 sei dem Kläger im Luftschutzbunker ein Koffer auf den Kopf gefallen; daher habe er sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen. Nach Behandlungen im Krankenhaus habe sich herausgestellt, dass der Sehnerv verletzt worden sei; seitdem habe der Kläger auf dem linken Auge nur eine Sehfähigkeit von zehn Prozent.
Der Beklagte zog einen Befundbericht der Fachärztin für Augenheilkunde P (später P) vom 18. Juni 2002 bei, den diese im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstellt hatte. Diese hatte mitgeteilt, den Kläger seit Dezember 1991 zu behandeln. Der Kläger leide an einem Glaukom beidseits, einem Zustand nach Glaukomanfall links 1995 sowie einem Zustand nach YAG-Iridotomie beidseits 1995. Die Fernsicht betrage ohne Glas links wie rechts 0,05, mit Glas rechts 0,9 und links 0,16, die Fernsicht binocular betrage 0,5.
Mit Bescheid vom 10. November 2005 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung ab, weil die Augenschädigung links durch die Glaukomerkrankung 1995 verursacht worden sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und eine schriftliche Bestätigung des 1935 geborenen H K vom 8. Juni 2006 vor. Hierin bestätigte H K, dass dem Kläger im Januar 1945 im Luftschutzbunker ein Koffer auf den Kopf gefallen sei. Dabei sei ihm das linke Auge beschädigt worden. Seitdem habe der Kläger auf dem verletzten Auge nur noch eine Sehfähigkeit von ca. zehn Prozent. Er, H K, könne sich noch sehr gut erinnern, dass der Kläger nach dem Vorfall noch lange Zeit mit einem Kopfverband habe umherlaufen müssen. Durch
Widerspruchsbescheid vom 3. August 2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 28. August 2006 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei der Fachärztin für Augenheilkunde P vom 28. Juni 2007 eingeholt. Diese hat auch über die Behandlungen ihres Praxisvorgängers Dr. H seit April 1982 berichtet, bei dem sich der Kläger wegen eines Sehtests für den Führerschein vorgestellt habe. Die Ärztin P hat als Diagnosen mitgeteilt eine Amblyopie links bei Zustand nach Verletzung links als Kind, eine Opticusatrophie links, eine zentrale Netzhautnarbe links sowie einen hohen Astigmatismus rechts. Unterlagen über die klinische Behandlung des Klägers im Krankenhaus B im Janu-ar 1945 habe sie nicht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sehschwäche links und dem vom Kläger vorgetragenen Ereignis im Januar 1945 sei grundsätzlich möglich. Der Sehnerv könne durch Druckeinwirkung, die massiv auf den Schädel eingewirkt habe, geschädigt worden sein. Die Glaukomerkrankung sei erstmalig 1995 diagnostiziert worden und stehe mit Wahrscheinlichkeit nicht im Zusammenhang mit der oben genannten Vorerkrankung.
Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine augenärztliche Stellungnahme der Augenärztin L vom 14. September 2007 übermittelt. Diese hat erklärt, die Verletzung des Kopfes sei zwar glaubhaft belegt. Auch sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der erlittenen Schädelprellung und einer Opticusatrophie durchaus möglich; der Sehnerv werde durch andauernde Kompression (durch Blutung oder Schwellung = Ödem) so geschädigt, dass die Sehnervenfasern teilweise oder vollständig absterben (partielle oder totale Opticusatrophie). Diese Schädigung durch intracerebrale Blutung und/oder Ödem könne nur durch ein erhebliches Schädelhirntrauma verursacht werden. Es würden aber durch die Zeugenaussagen keine Symptome einer solchen schweren Verletzung angegeben, z. B. Bewusstlosigkeit. Andere neurologische Defizite (Amnesie, Verwirrtheit) würden ebenfalls nicht angegeben. Bezeugt werde das Tragen eines Kopfverbandes, was am ehesten für das Vorliegen einer im B Krankenhaus versorgten Kopfplatzwunde spreche, denn ein stumpfes Schädelhirntrauma werde nicht mittels Verband behandelt. Zusätzlich zeige das linke Auge eine zentrale Netzhautnarbe; hier sei ein Zusammenhang nur möglich, wenn durch einen schädigenden Vorgang nicht nur eine Schädelhirnverletzung, son-dern auch eine stumpfe Verletzung des linken Augapfels stattgefunden habe. Die zentrale Netzhautnarbe wäre dann die Folge einer stattgehabten intraokularen Blutung beim stumpfen Trauma. Die direkte Schädigung des Auges sei aber nicht belegt, es sei nie die Rede von einem Augenverband, einem Hämatom oder einer Schwellung im Gesichtsbereich. Zudem könne es sich sowohl bei der Opticusatrophie als auch bei der zentralen Netzhautnarbe um eine angeborene Schädigung handeln, z. B. durch intrauterine Infektion bei Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang des schädigenden Ereignisses mit der geltend gemachten Schädigung spreche auch, dass über einen Zeitraum von 37 Jahren keine Brückensymptomatik belegt sei. Zusammenfassend sprächen mehr Gründe gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die auf Feststellung der Augenverletzung als Schädigungsfolge und auf Gewährung einer entsprechenden Versorgung nach dem BVG gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2008 abgewiesen. Es sei schon zweifelhaft, ob die Verletzung durch einen herabfallenden Koffer im Luftschutzbunker eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchstabe a BVG darstelle. Aber auch, wenn dies so sei, fehle es an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Sehminderung des linken Auges und der beim Unfall erlittenen Kopfverletzung des Klägers. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme der Augenärztin L vom 14. September 2007 sowie dem Befundbericht der Augenärztin P vom 28. Juni 2007. Aus der Stellungnahme der Erstgenannten ergebe sich, dass die Opticusatrophie links nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Fall des Koffers auf den Kopf des Klägers verursacht worden sei. Die grundsätzlich mögliche Schädigung des Sehnervs sei nur bei einem erheblichen Schädelhirntrauma vorstellbar, dessen Vorliegen hier nicht festgestellt werden könne. Auch die zentrale Netzhautnarbe sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Fall des Koffers auf den Kopf des Klägers verursacht worden. Denn Anhaltspunkte für eine insoweit erforderliche stumpfe Verletzung des linken Augapfels gebe es nicht.
Gegen den ihm am 31. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. November 2008 Berufung eingelegt. Es sei ein Hämatom über dem Auge vorgefunden worden; die Narbe am Kopf liege genau über dem Sehnerv. Der Sehnerv sei infolge der
Kopfwunde verletzt worden. Die Einholung eines augenärztlichen Gutachtens sei erforderlich. Der Kläger hat ärztliche Stellungnahmen des Arztes und Psychotherapeuten Dr. W vom 20. Februar 2010 und vom 17. Oktober 2010 sowie eine "Richtigstellung" zu den Zeugenaussagen von H K und P G vom 22. Februar 2010 übermittelt. In einer Stellungnahme vom 1. November 2010 hat der Kläger mitgeteilt, dass am Tag des vorliegend streitigen Ereignisses Fliegeralarm gewesen sei. Als er und seine Eltern im Bunker gewesen seien, habe es eine gewaltige Detonation gegeben; der Bunker habe vibriert und es seien Gegenstände durch die Luft geflogen. Ein Koffer sei ihm auf den Kopf gefallen, so dass er zu verbluten gedroht habe. Bei dem Aufprall des Koffers auf seinen Hinterkopf sei der Sehnerv seines linken Auges beschädigt worden.
Der Senat hat ein augenärztliches Gutachten des Chefarztes a. D. der Klinik für Augenheilkunde des Klinikums Dr. S vom 20. Oktober 2011 eingeholt, der den Kläger am 2. August 2011 ambulant untersucht hat und zu folgendem Ergebnis gelangt ist: Bei dem Kläger lägen folgen-de das Sehorgan betreffende Gesundheitsstörungen vor: Zum einen liege ein seit 1994 bekanntes Glaukom (Grüner Star) vor, das durch einen Anfall entdeckt worden sei und mittels Laseroperationen habe beherrscht werden können. Die seit 1990 beschriebenen Migräneanfälle müssten retrospektiv als unerkannte Glaukomanfälle gedeutet werden, wodurch sich die seit 1991 beschriebene Abblassung der Sehnerven erklären lasse. Diese Opticus¬atrophie sei un-zweifelhaft eine glaukomatöse, also durch die Schädigung durch den Grünen Star hervorgerufene. Diese zeichne sich durch die charakteristischen, bei dem Kläger vorliegenden und beschriebenen Veränderungen am Sehnervenkopf (Papille) aus. Eine Opticusatrophie, die durch eine zentrale Schädigung hervorgerufen werde, weise demgegenüber keine Merkmale wie bei einem Glaukom auf. Zum anderen finde sich bei dem Kläger am linken Auge eine zentrale große Netzhautnarbe, die die Stelle des schärfsten Sehens einnehme. Da das Glaukom erst 1994 bekannt geworden sei, müsse diese schwere Veränderung der Makula die Ursache der seit frühester Kindheit bestehenden hochgradigen Sehschwäche sein. Welcher Prozess diese monströse Narbe bewirkt habe, sei heute nicht mehr zu klären. Aus der klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Literatur sei jedoch bekannt, dass derartige Narben bei Kindern im Rahmen entzündlicher Prozesse, die unbemerkt blieben, aufträten. Drittens bestehe bei dem Kläger ein Zustand nach Operation eines Grauen Stars mit Einpflanzung einer Kunststofflinse beidseits. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Erkrankungen von Seiten der Sehorgane und dem Ereignis im Januar 1945 hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Opticusatrophie unverkennbar glaukomatösen Ursprungs sei. Dass vor Auftreten des Glaukoms schon eine Opticusatrophie infolge eines möglichen Schädelhirntraumas durch den herabfallenden Koffer bestanden haben soll und diese Form der so genannten absteigenden Opticusatrophie nach Auftreten des Glaukoms in eine glaukomatöse Opticusatrophie übergegangen sein soll, sei unwahrscheinlich. Die ausgeprägte Narbe der Makula könne nicht Folge der Kopfverletzung sein, sie wäre allerhöchstens nach einer schweren direkten Augapfelprellung möglich, für die hier jedoch keine Aussagen vorlägen. Opticusatrophie und Makulanarbe seien eher nicht durch die beschriebene Kopfverletzung bedingt. Das Ereignis im Januar 1945 sei
gegebenenfalls nur mögliche Ursache der Gesundheitsstörungen.
Der Berichterstatter des Senats hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27. Oktober 2011, zugestellt am 28. Oktober 2011, mitgeteilt, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nicht beabsichtigt sei. Es werde Gelegenheit zur Stellung eines Antrags auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) innerhalb eines Monats nach Erhalt des Schreibens gegeben; ein nach Ablauf der obigen Frist eingehender Antrag könne wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Mit Schreiben vom 25. November 2011 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers um Fristverlängerung zur Stellungnahme zu dem Gutachten von Dr. S bis zum 20. Dezember 2011 gebeten. Der Berichterstatter hat unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 27. Oktober 2011, mit Schreiben an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29. November 2011, zugestellt am 30. November 2011, die beantragte Fristverlängerung gewährt.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 hat der Berichterstatter des Senats bei den Beteiligten angefragt, ob diese sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären und zur Erklärung hierüber eine Frist von einem Monat eingeräumt.
Am 1. Februar 2012 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärt, dass der Kläger mit einer Entscheidung gemäß § 124 SGG nicht einverstanden sei, und die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei dem Facharzt für Augenheilkunde F beantragt. Der Antrag habe "aufgrund von Fehlleitungen der Rechtsschutzversicherung hinsichtlich der Deckungszusage [ ...] erst jetzt [ ] gestellt werden" können. Weiter haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers ausgeführt: "Die Rechtsschutzversicherung hatte mitgeteilt, dass die Kostenzusage an das Sozialgericht direkt geschickt wurde, nicht jedoch an den Bevollmächtigten. Aus diesem Grunde wurde die Angelegenheit nun nochmals geprüft und die Kostenzusage wurde an den Bevollmächtigten gesandt."
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Feststellung einer Augenverletzung links als Schädigungsfolge dem Kläger ab 1. Februar 2005 eine Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren,
hilfsweise,
ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes bei dem Facharzt für Augenheilkunde , einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist im Übrigen auf die dem Senat vorgelegte nervenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie Dr. W vom 13. April 2010 sowie die augenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Augenheilkunde L vom 31. Mai 2010.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin , die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten sowie den Versorgungsvorgang des Beklagten (Az. ) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist zutreffend. Der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Augenverletzung links als Schädigungsfolge nach dem BVG und eine hieraus folgende Versorgung.
Der Versorgungsanspruch setzt voraus, dass durch eine - hier allein in Betracht kommende - unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe a i. V. m. § 5 BVG) eine gesundheitliche (Primär-)schädigung eingetreten ist und Gesundheitsstörungen feststellbar sind, die als (Spät-)folgen dieser Schädigung zu beurteilen sind (so genannte Schädigungsfolgen). Der schädigende Vorgang, die (Primär-)schädigung und die Schädigungsfolgen müssen nachgewiesen sein. Erforderlich ist insoweit eine an Sicherheit grenzende ernste, vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit. Demgegenüber genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigung und Schädigungsfolgen die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 3 BVG). Die Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher
Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben (vgl. Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 - L 11 VK 5/09 – juris).
Ausgehend von dem durch schriftliche Zeugenerklärungen untermauerten Sachvortrag des Klägers über das Herabfallen eines Koffers im Luftschutzbunker auf seien Kopf im Januar 1945 ist hier kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schädigung - Kopfverletzung - und Schädigungsfolgen - Sehminderung vor allem des linken Auges - wahrscheinlich. Denn es spricht nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kopfverletzung und den Gesundheitsstörungen der Augen. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, wobei insbesondere das Gutachten des Sachverständigen Dr. S vom 20. Oktober 2011 zu beachten ist. Dieser hat den Kläger ambulant untersucht und ist in Kenntnis der Aktenlage für den Senat schlüssig und nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gesundheitsstörungen des linken Auges – für das rechte Auge gibt es erkennbar keine Anhaltspunkte für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs – nicht auf einer im Januar 1945 infolge des
herabfallenden Koffers erlittenen Kopfverletzung beruhen. Dies gilt zum einen für die Opticusatrophie, die nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S durch einen Grünen Star bei dem Kläger hervorgerufen worden ist. Dr. Sc erläutert nachvollziehbar den Unterschied einer Opticusatrophie, die glaukomatösen Ursprungs ist, zu einer solchen, die auf einer zentralen Schädigung beruht, und kommt ebenso nachvollziehbar zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege eine Opticusatrophie glaukomatösen Ursprungs vor. Den Übergang einer auf einem Schädelhirntrauma beruhenden Opticusatrophie in die jetzt bestehende Opticusatrophie
glaukomatösen Ursprungs bezeichnet der Sachverständige als unwahrscheinlich. Geht man mit der Augenärztin L (Stellungnahme vom 14. September 2007) davon aus, die Sehminderung infolge einer Opticusatrophie habe bereits vor der Glaukomerkrankung 1995 bestanden, so würde auch eine solche Opticusatrophie nicht glaukomatösen Ursprungs nicht wahrscheinlich auf dem Ereignis im Januar 1945 beruhen. Denn die Augenärztin L erläutert nachvollziehbar, dass ein solcher Zusammenhang nur bestehen könne, wenn die Schädigung durch ein erhebliches Schädelhirntrauma hervorgerufen werde, wofür sich indes nach ihrer nachvollziehbaren Einschätzung keine Anhaltspunkte ergeben und wogegen spricht, dass – so die Aussage des Zeugen K – der Kläger im Januar 1945 mit einem Kopfverband versorgt worden ist, wohingegen ein stumpfes Schädelhirntrauma nicht mittels Verband versorgt wird.
Auch die ausgeprägte Narbe der Macula ist nicht wahrscheinlich die Folge der vom Kläger geschilderten Kopfverletzung. Denn ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis im Januar 1945 und der zentralen Netzhautnarbe ist nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Augenärztin L und des Sachverständigen Dr. S nur herstellbar, wenn eine direkte Verletzung des linken Augapfels stattgefunden hat, wofür es aber keine Anhaltspunkte gibt, und was angesichts der Tatsache, dass der Koffer nach den Angaben des Klägers (vgl. nur Schreiben vom 1. November 2010) auf seinen Hinterkopf gefallen ist, sogar eher unwahrscheinlich sein dürfte.
Der Sachverhalt ist medizinisch aufgeklärt, weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht vorzunehmen, zumal selbst die behandelnde Augenärztin P in ihrem Befundbericht vom 28. Juni 2007 nur die grundsätzliche Möglichkeit des hier streitigen ursächlichen
Zusammenhangs beschreibt und sich aus den fachfremden Stellungnahmen des Psychotherapeuten und Psychoanalytikers Dr. W keine Anhaltspunkte für weiteren Ermittlungsbedarf ergeben.
Dem Antrag des Klägers, den Facharzt für Augenheilkunde F gutachtlich zu hören, war nach § 109 Abs. 2 SGG nicht nachzukommen.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss ein vom Versorgungsberechtigten bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Das Gericht kann jedoch den Antrag gemäß § 109 Abs. 2 SGG
ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Der am 1. Februar 2012 gestellte Antrag hätte hier bei Zulassung der weiteren Beweiserhebung die Erledigung des Berufungsverfahrens verzögert. Der Antrag ist aus grober Nachlässigkeit des Klägers nicht früher gestellt worden. Denn bei sorgfältiger Prozessführung hätte der Kläger den Antrag, einen Arzt seines Vertrauens zu hören, spätestens am 20. Dezember 2011 stellen müssen. Bereits mit Richterbrief vom 27. Oktober 2011 hat der Berichterstatter auf die Möglichkeit zur Stellung eines Antrags nach § 109 Abs. 1 SGG hingewiesen, hierfür eine Frist eingeräumt und auf die Möglichkeit der Ablehnung eines verspäteten Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG hingewiesen; die vom Kläger beantragte Fristverlängerung bis zum 20. Dezember 2011 – eine weitergehende Fristverlängerung durch das gerichtliche Schreiben vom 30. Dezember 2011 ist ersichtlich nicht eingeräumt worden - hat der Berichterstatter gewährt. Diese Frist hat der Bevollmächtigte des Klägers kommentarlos und jedenfalls aus grober Nachlässigkeit ver-streichen lassen. Verspätung aus grober Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, wenn nicht getan wird, was jedem einleuchten müsste (vgl. BSGE 7, 221). Setzt das Gericht von sich aus eine Frist, kann der Beteiligte diese ausnutzen; wenn sie nicht ausreicht, hat er Fristverlängerung zu beantragen. Hat der Antragsteller die Frist ohne eigenes Verschulden versäumt, ist dem Antrag stattzugeben. Lässt der Beteiligte eine zumutbare Frist ohne hinreichenden Grund verstreichen, kann der Antrag abgelehnt werden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 109, Rn. 11). Letztgenannter Fall liegt hier vor, weil nicht erkennbar ist, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz gewährter Fristverlängerung nicht in der Lage gewesen ist, einen Antrag nach § 109 SGG bis zum 20. Dezember 2011 zu stellen. Sein Hinweis auf eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung steht, soweit verständlich, der Annahme grober Nachlässigkeit nicht entgegen, weil der Antrag nach § 109 SGG auch ohne Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung gestellt werden kann und gegebenenfalls auch muss.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kriegsopferversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Bei dem 1941 geborenen Kläger ist mit Wirkung ab Juni 2002 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt (Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2003). Der Feststellung liegen unter anderem Einzel-GdB von 40 für eine psychische Störung sowie 20 für eine Sehminderung zugrunde. Am 10. Februar 2005 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Versorgung nach dem BVG. Er gab an, dass aufgrund einer Kopfverletzung linksseitig in Augennervhöhe die Sehfähigkeit des linken Auges nur noch zehn Prozent betrage. Die Kopfverletzung beruhe darauf, dass im Januar 1945 in einem Luftschutzbunker in B ein Koffer auf ihn herabgestürzt sei. Der Kläger legte im Laufe des weiteren Verfahrens eine Erklärung des 1942 geborenen P G vom 16. Juni 2005 vor, der erklärte, dass die Eltern des Klägers mehrmals das Ereignis in dem Luftschutzbunker ihm gegenüber geäußert hätten. Im Januar 1945 sei dem Kläger im Luftschutzbunker ein Koffer auf den Kopf gefallen; daher habe er sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen. Nach Behandlungen im Krankenhaus habe sich herausgestellt, dass der Sehnerv verletzt worden sei; seitdem habe der Kläger auf dem linken Auge nur eine Sehfähigkeit von zehn Prozent.
Der Beklagte zog einen Befundbericht der Fachärztin für Augenheilkunde P (später P) vom 18. Juni 2002 bei, den diese im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstellt hatte. Diese hatte mitgeteilt, den Kläger seit Dezember 1991 zu behandeln. Der Kläger leide an einem Glaukom beidseits, einem Zustand nach Glaukomanfall links 1995 sowie einem Zustand nach YAG-Iridotomie beidseits 1995. Die Fernsicht betrage ohne Glas links wie rechts 0,05, mit Glas rechts 0,9 und links 0,16, die Fernsicht binocular betrage 0,5.
Mit Bescheid vom 10. November 2005 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung ab, weil die Augenschädigung links durch die Glaukomerkrankung 1995 verursacht worden sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und eine schriftliche Bestätigung des 1935 geborenen H K vom 8. Juni 2006 vor. Hierin bestätigte H K, dass dem Kläger im Januar 1945 im Luftschutzbunker ein Koffer auf den Kopf gefallen sei. Dabei sei ihm das linke Auge beschädigt worden. Seitdem habe der Kläger auf dem verletzten Auge nur noch eine Sehfähigkeit von ca. zehn Prozent. Er, H K, könne sich noch sehr gut erinnern, dass der Kläger nach dem Vorfall noch lange Zeit mit einem Kopfverband habe umherlaufen müssen. Durch
Widerspruchsbescheid vom 3. August 2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 28. August 2006 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei der Fachärztin für Augenheilkunde P vom 28. Juni 2007 eingeholt. Diese hat auch über die Behandlungen ihres Praxisvorgängers Dr. H seit April 1982 berichtet, bei dem sich der Kläger wegen eines Sehtests für den Führerschein vorgestellt habe. Die Ärztin P hat als Diagnosen mitgeteilt eine Amblyopie links bei Zustand nach Verletzung links als Kind, eine Opticusatrophie links, eine zentrale Netzhautnarbe links sowie einen hohen Astigmatismus rechts. Unterlagen über die klinische Behandlung des Klägers im Krankenhaus B im Janu-ar 1945 habe sie nicht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sehschwäche links und dem vom Kläger vorgetragenen Ereignis im Januar 1945 sei grundsätzlich möglich. Der Sehnerv könne durch Druckeinwirkung, die massiv auf den Schädel eingewirkt habe, geschädigt worden sein. Die Glaukomerkrankung sei erstmalig 1995 diagnostiziert worden und stehe mit Wahrscheinlichkeit nicht im Zusammenhang mit der oben genannten Vorerkrankung.
Der Beklagte hat dem Sozialgericht eine augenärztliche Stellungnahme der Augenärztin L vom 14. September 2007 übermittelt. Diese hat erklärt, die Verletzung des Kopfes sei zwar glaubhaft belegt. Auch sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der erlittenen Schädelprellung und einer Opticusatrophie durchaus möglich; der Sehnerv werde durch andauernde Kompression (durch Blutung oder Schwellung = Ödem) so geschädigt, dass die Sehnervenfasern teilweise oder vollständig absterben (partielle oder totale Opticusatrophie). Diese Schädigung durch intracerebrale Blutung und/oder Ödem könne nur durch ein erhebliches Schädelhirntrauma verursacht werden. Es würden aber durch die Zeugenaussagen keine Symptome einer solchen schweren Verletzung angegeben, z. B. Bewusstlosigkeit. Andere neurologische Defizite (Amnesie, Verwirrtheit) würden ebenfalls nicht angegeben. Bezeugt werde das Tragen eines Kopfverbandes, was am ehesten für das Vorliegen einer im B Krankenhaus versorgten Kopfplatzwunde spreche, denn ein stumpfes Schädelhirntrauma werde nicht mittels Verband behandelt. Zusätzlich zeige das linke Auge eine zentrale Netzhautnarbe; hier sei ein Zusammenhang nur möglich, wenn durch einen schädigenden Vorgang nicht nur eine Schädelhirnverletzung, son-dern auch eine stumpfe Verletzung des linken Augapfels stattgefunden habe. Die zentrale Netzhautnarbe wäre dann die Folge einer stattgehabten intraokularen Blutung beim stumpfen Trauma. Die direkte Schädigung des Auges sei aber nicht belegt, es sei nie die Rede von einem Augenverband, einem Hämatom oder einer Schwellung im Gesichtsbereich. Zudem könne es sich sowohl bei der Opticusatrophie als auch bei der zentralen Netzhautnarbe um eine angeborene Schädigung handeln, z. B. durch intrauterine Infektion bei Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang des schädigenden Ereignisses mit der geltend gemachten Schädigung spreche auch, dass über einen Zeitraum von 37 Jahren keine Brückensymptomatik belegt sei. Zusammenfassend sprächen mehr Gründe gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die auf Feststellung der Augenverletzung als Schädigungsfolge und auf Gewährung einer entsprechenden Versorgung nach dem BVG gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2008 abgewiesen. Es sei schon zweifelhaft, ob die Verletzung durch einen herabfallenden Koffer im Luftschutzbunker eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchstabe a BVG darstelle. Aber auch, wenn dies so sei, fehle es an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Sehminderung des linken Auges und der beim Unfall erlittenen Kopfverletzung des Klägers. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme der Augenärztin L vom 14. September 2007 sowie dem Befundbericht der Augenärztin P vom 28. Juni 2007. Aus der Stellungnahme der Erstgenannten ergebe sich, dass die Opticusatrophie links nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Fall des Koffers auf den Kopf des Klägers verursacht worden sei. Die grundsätzlich mögliche Schädigung des Sehnervs sei nur bei einem erheblichen Schädelhirntrauma vorstellbar, dessen Vorliegen hier nicht festgestellt werden könne. Auch die zentrale Netzhautnarbe sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Fall des Koffers auf den Kopf des Klägers verursacht worden. Denn Anhaltspunkte für eine insoweit erforderliche stumpfe Verletzung des linken Augapfels gebe es nicht.
Gegen den ihm am 31. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. November 2008 Berufung eingelegt. Es sei ein Hämatom über dem Auge vorgefunden worden; die Narbe am Kopf liege genau über dem Sehnerv. Der Sehnerv sei infolge der
Kopfwunde verletzt worden. Die Einholung eines augenärztlichen Gutachtens sei erforderlich. Der Kläger hat ärztliche Stellungnahmen des Arztes und Psychotherapeuten Dr. W vom 20. Februar 2010 und vom 17. Oktober 2010 sowie eine "Richtigstellung" zu den Zeugenaussagen von H K und P G vom 22. Februar 2010 übermittelt. In einer Stellungnahme vom 1. November 2010 hat der Kläger mitgeteilt, dass am Tag des vorliegend streitigen Ereignisses Fliegeralarm gewesen sei. Als er und seine Eltern im Bunker gewesen seien, habe es eine gewaltige Detonation gegeben; der Bunker habe vibriert und es seien Gegenstände durch die Luft geflogen. Ein Koffer sei ihm auf den Kopf gefallen, so dass er zu verbluten gedroht habe. Bei dem Aufprall des Koffers auf seinen Hinterkopf sei der Sehnerv seines linken Auges beschädigt worden.
Der Senat hat ein augenärztliches Gutachten des Chefarztes a. D. der Klinik für Augenheilkunde des Klinikums Dr. S vom 20. Oktober 2011 eingeholt, der den Kläger am 2. August 2011 ambulant untersucht hat und zu folgendem Ergebnis gelangt ist: Bei dem Kläger lägen folgen-de das Sehorgan betreffende Gesundheitsstörungen vor: Zum einen liege ein seit 1994 bekanntes Glaukom (Grüner Star) vor, das durch einen Anfall entdeckt worden sei und mittels Laseroperationen habe beherrscht werden können. Die seit 1990 beschriebenen Migräneanfälle müssten retrospektiv als unerkannte Glaukomanfälle gedeutet werden, wodurch sich die seit 1991 beschriebene Abblassung der Sehnerven erklären lasse. Diese Opticus¬atrophie sei un-zweifelhaft eine glaukomatöse, also durch die Schädigung durch den Grünen Star hervorgerufene. Diese zeichne sich durch die charakteristischen, bei dem Kläger vorliegenden und beschriebenen Veränderungen am Sehnervenkopf (Papille) aus. Eine Opticusatrophie, die durch eine zentrale Schädigung hervorgerufen werde, weise demgegenüber keine Merkmale wie bei einem Glaukom auf. Zum anderen finde sich bei dem Kläger am linken Auge eine zentrale große Netzhautnarbe, die die Stelle des schärfsten Sehens einnehme. Da das Glaukom erst 1994 bekannt geworden sei, müsse diese schwere Veränderung der Makula die Ursache der seit frühester Kindheit bestehenden hochgradigen Sehschwäche sein. Welcher Prozess diese monströse Narbe bewirkt habe, sei heute nicht mehr zu klären. Aus der klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Literatur sei jedoch bekannt, dass derartige Narben bei Kindern im Rahmen entzündlicher Prozesse, die unbemerkt blieben, aufträten. Drittens bestehe bei dem Kläger ein Zustand nach Operation eines Grauen Stars mit Einpflanzung einer Kunststofflinse beidseits. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Erkrankungen von Seiten der Sehorgane und dem Ereignis im Januar 1945 hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Opticusatrophie unverkennbar glaukomatösen Ursprungs sei. Dass vor Auftreten des Glaukoms schon eine Opticusatrophie infolge eines möglichen Schädelhirntraumas durch den herabfallenden Koffer bestanden haben soll und diese Form der so genannten absteigenden Opticusatrophie nach Auftreten des Glaukoms in eine glaukomatöse Opticusatrophie übergegangen sein soll, sei unwahrscheinlich. Die ausgeprägte Narbe der Makula könne nicht Folge der Kopfverletzung sein, sie wäre allerhöchstens nach einer schweren direkten Augapfelprellung möglich, für die hier jedoch keine Aussagen vorlägen. Opticusatrophie und Makulanarbe seien eher nicht durch die beschriebene Kopfverletzung bedingt. Das Ereignis im Januar 1945 sei
gegebenenfalls nur mögliche Ursache der Gesundheitsstörungen.
Der Berichterstatter des Senats hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27. Oktober 2011, zugestellt am 28. Oktober 2011, mitgeteilt, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nicht beabsichtigt sei. Es werde Gelegenheit zur Stellung eines Antrags auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) innerhalb eines Monats nach Erhalt des Schreibens gegeben; ein nach Ablauf der obigen Frist eingehender Antrag könne wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Mit Schreiben vom 25. November 2011 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers um Fristverlängerung zur Stellungnahme zu dem Gutachten von Dr. S bis zum 20. Dezember 2011 gebeten. Der Berichterstatter hat unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 27. Oktober 2011, mit Schreiben an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29. November 2011, zugestellt am 30. November 2011, die beantragte Fristverlängerung gewährt.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 hat der Berichterstatter des Senats bei den Beteiligten angefragt, ob diese sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären und zur Erklärung hierüber eine Frist von einem Monat eingeräumt.
Am 1. Februar 2012 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärt, dass der Kläger mit einer Entscheidung gemäß § 124 SGG nicht einverstanden sei, und die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei dem Facharzt für Augenheilkunde F beantragt. Der Antrag habe "aufgrund von Fehlleitungen der Rechtsschutzversicherung hinsichtlich der Deckungszusage [ ...] erst jetzt [ ] gestellt werden" können. Weiter haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers ausgeführt: "Die Rechtsschutzversicherung hatte mitgeteilt, dass die Kostenzusage an das Sozialgericht direkt geschickt wurde, nicht jedoch an den Bevollmächtigten. Aus diesem Grunde wurde die Angelegenheit nun nochmals geprüft und die Kostenzusage wurde an den Bevollmächtigten gesandt."
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Feststellung einer Augenverletzung links als Schädigungsfolge dem Kläger ab 1. Februar 2005 eine Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren,
hilfsweise,
ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes bei dem Facharzt für Augenheilkunde , einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist im Übrigen auf die dem Senat vorgelegte nervenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie Dr. W vom 13. April 2010 sowie die augenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Augenheilkunde L vom 31. Mai 2010.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin , die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten sowie den Versorgungsvorgang des Beklagten (Az. ) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist zutreffend. Der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Augenverletzung links als Schädigungsfolge nach dem BVG und eine hieraus folgende Versorgung.
Der Versorgungsanspruch setzt voraus, dass durch eine - hier allein in Betracht kommende - unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe a i. V. m. § 5 BVG) eine gesundheitliche (Primär-)schädigung eingetreten ist und Gesundheitsstörungen feststellbar sind, die als (Spät-)folgen dieser Schädigung zu beurteilen sind (so genannte Schädigungsfolgen). Der schädigende Vorgang, die (Primär-)schädigung und die Schädigungsfolgen müssen nachgewiesen sein. Erforderlich ist insoweit eine an Sicherheit grenzende ernste, vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit. Demgegenüber genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigung und Schädigungsfolgen die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 3 BVG). Die Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher
Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben (vgl. Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 - L 11 VK 5/09 – juris).
Ausgehend von dem durch schriftliche Zeugenerklärungen untermauerten Sachvortrag des Klägers über das Herabfallen eines Koffers im Luftschutzbunker auf seien Kopf im Januar 1945 ist hier kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schädigung - Kopfverletzung - und Schädigungsfolgen - Sehminderung vor allem des linken Auges - wahrscheinlich. Denn es spricht nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kopfverletzung und den Gesundheitsstörungen der Augen. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, wobei insbesondere das Gutachten des Sachverständigen Dr. S vom 20. Oktober 2011 zu beachten ist. Dieser hat den Kläger ambulant untersucht und ist in Kenntnis der Aktenlage für den Senat schlüssig und nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gesundheitsstörungen des linken Auges – für das rechte Auge gibt es erkennbar keine Anhaltspunkte für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs – nicht auf einer im Januar 1945 infolge des
herabfallenden Koffers erlittenen Kopfverletzung beruhen. Dies gilt zum einen für die Opticusatrophie, die nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S durch einen Grünen Star bei dem Kläger hervorgerufen worden ist. Dr. Sc erläutert nachvollziehbar den Unterschied einer Opticusatrophie, die glaukomatösen Ursprungs ist, zu einer solchen, die auf einer zentralen Schädigung beruht, und kommt ebenso nachvollziehbar zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege eine Opticusatrophie glaukomatösen Ursprungs vor. Den Übergang einer auf einem Schädelhirntrauma beruhenden Opticusatrophie in die jetzt bestehende Opticusatrophie
glaukomatösen Ursprungs bezeichnet der Sachverständige als unwahrscheinlich. Geht man mit der Augenärztin L (Stellungnahme vom 14. September 2007) davon aus, die Sehminderung infolge einer Opticusatrophie habe bereits vor der Glaukomerkrankung 1995 bestanden, so würde auch eine solche Opticusatrophie nicht glaukomatösen Ursprungs nicht wahrscheinlich auf dem Ereignis im Januar 1945 beruhen. Denn die Augenärztin L erläutert nachvollziehbar, dass ein solcher Zusammenhang nur bestehen könne, wenn die Schädigung durch ein erhebliches Schädelhirntrauma hervorgerufen werde, wofür sich indes nach ihrer nachvollziehbaren Einschätzung keine Anhaltspunkte ergeben und wogegen spricht, dass – so die Aussage des Zeugen K – der Kläger im Januar 1945 mit einem Kopfverband versorgt worden ist, wohingegen ein stumpfes Schädelhirntrauma nicht mittels Verband versorgt wird.
Auch die ausgeprägte Narbe der Macula ist nicht wahrscheinlich die Folge der vom Kläger geschilderten Kopfverletzung. Denn ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis im Januar 1945 und der zentralen Netzhautnarbe ist nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Augenärztin L und des Sachverständigen Dr. S nur herstellbar, wenn eine direkte Verletzung des linken Augapfels stattgefunden hat, wofür es aber keine Anhaltspunkte gibt, und was angesichts der Tatsache, dass der Koffer nach den Angaben des Klägers (vgl. nur Schreiben vom 1. November 2010) auf seinen Hinterkopf gefallen ist, sogar eher unwahrscheinlich sein dürfte.
Der Sachverhalt ist medizinisch aufgeklärt, weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht vorzunehmen, zumal selbst die behandelnde Augenärztin P in ihrem Befundbericht vom 28. Juni 2007 nur die grundsätzliche Möglichkeit des hier streitigen ursächlichen
Zusammenhangs beschreibt und sich aus den fachfremden Stellungnahmen des Psychotherapeuten und Psychoanalytikers Dr. W keine Anhaltspunkte für weiteren Ermittlungsbedarf ergeben.
Dem Antrag des Klägers, den Facharzt für Augenheilkunde F gutachtlich zu hören, war nach § 109 Abs. 2 SGG nicht nachzukommen.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss ein vom Versorgungsberechtigten bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Das Gericht kann jedoch den Antrag gemäß § 109 Abs. 2 SGG
ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Der am 1. Februar 2012 gestellte Antrag hätte hier bei Zulassung der weiteren Beweiserhebung die Erledigung des Berufungsverfahrens verzögert. Der Antrag ist aus grober Nachlässigkeit des Klägers nicht früher gestellt worden. Denn bei sorgfältiger Prozessführung hätte der Kläger den Antrag, einen Arzt seines Vertrauens zu hören, spätestens am 20. Dezember 2011 stellen müssen. Bereits mit Richterbrief vom 27. Oktober 2011 hat der Berichterstatter auf die Möglichkeit zur Stellung eines Antrags nach § 109 Abs. 1 SGG hingewiesen, hierfür eine Frist eingeräumt und auf die Möglichkeit der Ablehnung eines verspäteten Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG hingewiesen; die vom Kläger beantragte Fristverlängerung bis zum 20. Dezember 2011 – eine weitergehende Fristverlängerung durch das gerichtliche Schreiben vom 30. Dezember 2011 ist ersichtlich nicht eingeräumt worden - hat der Berichterstatter gewährt. Diese Frist hat der Bevollmächtigte des Klägers kommentarlos und jedenfalls aus grober Nachlässigkeit ver-streichen lassen. Verspätung aus grober Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, wenn nicht getan wird, was jedem einleuchten müsste (vgl. BSGE 7, 221). Setzt das Gericht von sich aus eine Frist, kann der Beteiligte diese ausnutzen; wenn sie nicht ausreicht, hat er Fristverlängerung zu beantragen. Hat der Antragsteller die Frist ohne eigenes Verschulden versäumt, ist dem Antrag stattzugeben. Lässt der Beteiligte eine zumutbare Frist ohne hinreichenden Grund verstreichen, kann der Antrag abgelehnt werden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 109, Rn. 11). Letztgenannter Fall liegt hier vor, weil nicht erkennbar ist, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz gewährter Fristverlängerung nicht in der Lage gewesen ist, einen Antrag nach § 109 SGG bis zum 20. Dezember 2011 zu stellen. Sein Hinweis auf eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung steht, soweit verständlich, der Annahme grober Nachlässigkeit nicht entgegen, weil der Antrag nach § 109 SGG auch ohne Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung gestellt werden kann und gegebenenfalls auch muss.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
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