L 18 AS 1626/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AS 7833/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1626/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2012 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vom Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31. Oktober 2012, Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 337,- EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte von S Partnerschaftsgesellschaft bewilligt.

Gründe:

Über die Beschwerde und den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) hat der Vorsitzende und Berichterstatter in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist das Rechtsmittel nicht begründet und war zurückzuweisen.

Soweit die Antragstellerin mit ihrem erstinstanzlich gestellten (vgl Antragsschrift vom 23. März 2012) und bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) mit der Beschwerde weiter verfolgten Antrag auch Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab 23. März 2012 ("ab sofort") geltend macht, fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin lebt noch immer mit Rechtsanwalt S (im Folgenden: S.) in einer gemeinsamen Unterkunft, so dass eine Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit – trotz der Kündigung vom 27. April 2012 – jedenfalls derzeit nicht zu besorgen ist. Mit einem Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache sind insoweit für die Antragstellerin nicht mehr rückgängig zu machende Nachteile zur Zeit nicht verbunden. Im Fall einer Räumungsklage enthält § 22 Abs. 8 und 9 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) eine Regelung zur Sicherung der Unterkunft. An einem unaufschiebbar eiligen Regelungsbedürfnis fehlt es darüber hinaus auch, soweit – bezogen auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts – Leistungen für die Vergangenheit insgesamt in Rede stehen. Denn diesbezüglich kommt eine einstweilige Anordnung regelmäßig nicht in Betracht.

Indes war der Antragsgegner im Ergebnis einer verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung (vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris) durch eine Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, der Antragstellerin im tenorierten zeitlichen Umfang einstweilen Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anwendung von § 20 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 SGB II iHv 337,- EUR monatlich zu gewähren. Denn die Antragstellerin lebt mit S. – und zeitweise auch mit ihren leiblichen Kindern aus der Ehe mit G G – seit Dezember 2011 in einer gemeinsamen Wohnung, ohne dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abschließend zu klären war, ob insoweit eine Bedarfsgemeinschaft iSv § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II vorliegt. Zwar hat das Sozialgericht S. angehört. Es bedarf aber im Hinblick auf das etwaige Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Einstandsgemeinschaft (nicht nur einer Haushaltsgemeinschaft) auch der persönlichen Anhörung der Antragstellerin zu den Umständen ihres Zusammenlebens mit S. Dies bleibt – mit den sich hieraus gegebenenfalls ergebenden rechtlichen Folgen der etwaigen Anrechnung von ebenfalls noch zu ermittelndem Einkommen und Vermögen des S. – ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wie die abschließende Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinblick darauf, ob der Antragstellerin ggfs. Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Ehemann zustehen. Zudem liegt auch keiner der Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II vor.

Die Folgenabwägung ergeht im dargelegten Umfang zugunsten der Antragstellerin, weil im Falle einer Ablehnung des Antrags die Gefahr bestünde, dass ihre Existenz zeitweise nicht gesichert wäre. Dieser Nachteil wiegt im Verhältnis zu den der Antragsgegnerin bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren drohenden Nachteilen ungleich schwerer. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat wiederholt klargestellt, dass sich die Fachgerichte bei einer derartigen Folgenabwägung schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen haben, zumal wenn sie – wie hier – der Existenzsicherung dienen (vgl zuletzt BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 – veröffentlicht in juris). Eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen, auch wenn diese – wie vorliegend – nur möglich erscheint, haben die Gerichte zu verhindern (vgl BVerfG aaO). Die einstweilige Anordnung war bis längstens 31. Oktober 2012 zu befristen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Antragstellerin war angesichts der teilweisen Erfolgsaussicht auch für das Beschwerdeverfahren PKH unter Beiordnung ihrer bevollmächtigten Rechtsanwaltsgesellschaft zu bewilligen (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Insoweit kann auch eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet werden (vgl BGH, Beschluss vom 17. September 2008 – IV ZR 343/07 – juris).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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