Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 193 AS 12411/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 500/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Januar 2012 aufgehoben. Ihnen wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht ab dem 13. Oktober 2011 Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwalt M W bewilligt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kläger gegen den den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist zulässig und begründet. Sie haben Anspruch auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist auf den für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag zu beziehen. Hieran anknüpfend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Kläger aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. A. 2012, § 73a RdNr. 7a). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht ist unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beachten, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung nicht dazu führen darf, die Klärung der Tatsachen und Rechtsfragen selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, weil Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, auch wenn der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden braucht, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG, 1. Senat, 2. Kammer, Beschluss vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR 71/07 -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – L 25 AS 435/08 AS PKH -; jeweils zitiert nach juris). Dementsprechend dürfen schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG a. a. O.).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die hinreichende Erfolgsaussicht hier zu bejahen. Die Kläger fechten in der Hauptsache den Bescheid vom 03. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 an, mit dem der Beklagte den Antrag der Kläger vom 01. Dezember 2010 auf Rücknahme des bindend gewordenen Bescheids vom 15. Juni 2010 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelehnt hat, und begehren sinngemäß die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 15. Juni 2010 insoweit, als damit die in dem Bescheid vom 04. Juni 2010 erfolgte Zusicherung auf die darlehensweise Übernahme der Mietkaution für die aktuell bewohnte Wohnung gemäß § 47 SGB X widerrufen wurde. Mit dem Bescheid vom 04. Juni 2010 hatte der Beklagte jedenfalls den Klägern zu 1), 3) und 4) unter Nebenbestimmungen die Kosten für die neue Wohnung und den damit verbundenen Wohnungswechsel anerkannt sowie die notwendige Mietkaution in Form eines Darlehens zugesichert. Den Widerruf begründete der Beklagte mit dem Eintritt des Vorbehalts zu Ziffer 3 dieses Bescheids ("nur zeitlich befristeter Mietnachlass").
Rechtsgrundlage des Überprüfungsantrags ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Zwar werden durch den zu überprüfenden Widerrufsbescheid Sozialleistungen, zu denen die Mietkaution als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gehört, nicht unmittelbar abgelehnt. Nach der vom Bundessozialgericht (BSG) ergangenen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf Rücknahmebescheide (vgl. Übersicht in Waschull in LPK, 3. A. 2011, § 44 SGB X, RdNr. 22 ff) ist § 44 Abs. 1 SGB X zumindest aber analog auf Bescheide, mit denen ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt zurückgenommen, die Leistung eingestellt und/oder die überzahlte Leistung zurückgefordert worden ist, anwendbar (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 44 RdNr. 16 m. w. N.; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand 2012, § 44 RdNrn. 4, 5 m. w. N.; BSG in SozR 3 – 4100 § 101 Nr. 10 m. w. N.). Die Auffassung des ehemaligen 4b-Senats des BSG, die Entziehung einer Sozialleistung falle in den Anwendungsbereich von Abs. 2, wenn sie nicht mit der Rückforderung überzahlter Leistungen verbunden ist (BSG in SozR 1300 § 44 Nr. 22), ist als überholt anzusehen (so BSG in SozR 3 – 4100 § 101 Nr. 10).
Es ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats davon auszugehen, dass der Widerruf des Bescheids vom 04. Juni 2010, der ein rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakt ist, seinerseits nicht rechtmäßig ergangen ist. Der Überprüfung nach § 44 SGB X liegt das Gebot zugrunde, der materiellen Gerechtigkeit zum Erfolg zu verhelfen. Das bedeutet, dass im Zugunstenverfahren einem Betroffenen (nur, aber auch) diejenige Leistung zu gewähren ist bzw. – bei Ermessensentscheidungen – gewährt werden kann, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte (vgl. BSG in SozR 3 – 1300 § 44 Nr. 21). Bei der Überprüfung einer Rücknahmeentscheidung besteht daher dementsprechend eine Pflicht zur umfassenden Prüfung der Rücknahmevoraussetzungen. Dazu gehören auch die Vertrauensschutzvorschriften und die Ermessensausübung. Nicht anderes gilt für den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts.
Zwar ist der Widerruf ohne vorherige Anhörung der Kläger gemäß § 24 SGB X erfolgt. Dies ist jedoch im Überprüfungsverfahren ohne Belang, denn § 44 SGB X dient nicht der Korrektur reiner Formverstöße wie der unterlassenen Anhörung (vgl. BSG in SozR 3 – 1300 § 44 Nr. 21; Waschull, a. a. O., § 44 RdNr. 29). Allerdings hat es der Beklagte unterlassen, bei der Ausübung des Widerrufs sein Ermessen auszuüben. Gemäß § 47 SGB X darf der Widerruf sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit nur unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgen (vgl. dazu Schütze, a. a. O., § 47 RdNr. 11; Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, § 47 RdNr. 12). Hier liegt jedoch ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor, denn der Widerrufsbescheid vom 15. Juni 2010 enthält keine Ermessenserwägungen. Es ist ihm nicht einmal zu entnehmen, dass dem Beklagten überhaupt bewusst war, dass er Ermessen auszuüben hatte. Gesichtspunkte, die eine Ermessensreduzierung auf Null nahe legen, drängen sich dem Senat nicht auf.
Bezüglich der Klägerin zu 2) ist überhaupt zweifelhaft, ob ein Widerrufsbescheid in formeller Hinsicht vorliegt, der dem Bestimmtheitsgrundsatz (§ 33 Abs. 1 SGB X) genügt. Die Klägerin zu 2) hat zum 15. Juni 2010 offenbar noch die Wohnung Allee , B inne gehabt. Während seinem Verfügungssatz nach der Widerrufsbescheid vom 15. Juni 2010 gegenüber den Klägern zu 1), 3) und 4) (damals wohnhaft P Straße , B) eindeutig ist, ist das Schreiben, welches jedenfalls vom Beklagten ebenfalls unter dem 15. Juni 2010 an die Klägerin zu 2) ergangen ist, insoweit unergiebig: Es enthält keinen diesbezüglichen Verfügungssatz. Im Rahmen der hier nur summarischen Prüfung kann unaufgeklärt bleiben, ob gegenüber der Klägerin zu 2), die erst mit Wirkung zum 01. Juli 2010 in die Bedarfsgemeinschaft unter der Adresse Estraße , B aufgenommen worden ist, überhaupt eine Zusicherung ergangen ist, welche Gegenstand eines Widerrufs hätte sein können. Es ist nicht auszuschließen, dass der erst am 30. März 2011 erlassene Widerspruchsbescheid auch gegenüber der Klägerin zu 2) eine formelle Beschwer enthält. Dies wird das Sozialgericht zu klären haben.
Da die Prozesskostenhilfebedürftigkeit der Kläger mit der am 13. Oktober 2011 zu den Gerichtsakten gelangten Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden und mithin ab diesem Zeitpunkt Bewilligungsreife gegeben gewesen ist, war Prozesskostenhilfe ab diesem Zeitpunkt zu bewilligen. Der Senat hat keine Zweifel, dass sie auch weiterhin nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.
Gründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kläger gegen den den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist zulässig und begründet. Sie haben Anspruch auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist auf den für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag zu beziehen. Hieran anknüpfend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Kläger aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. A. 2012, § 73a RdNr. 7a). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht ist unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beachten, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung nicht dazu führen darf, die Klärung der Tatsachen und Rechtsfragen selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, weil Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, auch wenn der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden braucht, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG, 1. Senat, 2. Kammer, Beschluss vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR 71/07 -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – L 25 AS 435/08 AS PKH -; jeweils zitiert nach juris). Dementsprechend dürfen schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG a. a. O.).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die hinreichende Erfolgsaussicht hier zu bejahen. Die Kläger fechten in der Hauptsache den Bescheid vom 03. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 an, mit dem der Beklagte den Antrag der Kläger vom 01. Dezember 2010 auf Rücknahme des bindend gewordenen Bescheids vom 15. Juni 2010 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelehnt hat, und begehren sinngemäß die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 15. Juni 2010 insoweit, als damit die in dem Bescheid vom 04. Juni 2010 erfolgte Zusicherung auf die darlehensweise Übernahme der Mietkaution für die aktuell bewohnte Wohnung gemäß § 47 SGB X widerrufen wurde. Mit dem Bescheid vom 04. Juni 2010 hatte der Beklagte jedenfalls den Klägern zu 1), 3) und 4) unter Nebenbestimmungen die Kosten für die neue Wohnung und den damit verbundenen Wohnungswechsel anerkannt sowie die notwendige Mietkaution in Form eines Darlehens zugesichert. Den Widerruf begründete der Beklagte mit dem Eintritt des Vorbehalts zu Ziffer 3 dieses Bescheids ("nur zeitlich befristeter Mietnachlass").
Rechtsgrundlage des Überprüfungsantrags ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Zwar werden durch den zu überprüfenden Widerrufsbescheid Sozialleistungen, zu denen die Mietkaution als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gehört, nicht unmittelbar abgelehnt. Nach der vom Bundessozialgericht (BSG) ergangenen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf Rücknahmebescheide (vgl. Übersicht in Waschull in LPK, 3. A. 2011, § 44 SGB X, RdNr. 22 ff) ist § 44 Abs. 1 SGB X zumindest aber analog auf Bescheide, mit denen ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt zurückgenommen, die Leistung eingestellt und/oder die überzahlte Leistung zurückgefordert worden ist, anwendbar (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 44 RdNr. 16 m. w. N.; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand 2012, § 44 RdNrn. 4, 5 m. w. N.; BSG in SozR 3 – 4100 § 101 Nr. 10 m. w. N.). Die Auffassung des ehemaligen 4b-Senats des BSG, die Entziehung einer Sozialleistung falle in den Anwendungsbereich von Abs. 2, wenn sie nicht mit der Rückforderung überzahlter Leistungen verbunden ist (BSG in SozR 1300 § 44 Nr. 22), ist als überholt anzusehen (so BSG in SozR 3 – 4100 § 101 Nr. 10).
Es ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats davon auszugehen, dass der Widerruf des Bescheids vom 04. Juni 2010, der ein rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakt ist, seinerseits nicht rechtmäßig ergangen ist. Der Überprüfung nach § 44 SGB X liegt das Gebot zugrunde, der materiellen Gerechtigkeit zum Erfolg zu verhelfen. Das bedeutet, dass im Zugunstenverfahren einem Betroffenen (nur, aber auch) diejenige Leistung zu gewähren ist bzw. – bei Ermessensentscheidungen – gewährt werden kann, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte (vgl. BSG in SozR 3 – 1300 § 44 Nr. 21). Bei der Überprüfung einer Rücknahmeentscheidung besteht daher dementsprechend eine Pflicht zur umfassenden Prüfung der Rücknahmevoraussetzungen. Dazu gehören auch die Vertrauensschutzvorschriften und die Ermessensausübung. Nicht anderes gilt für den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts.
Zwar ist der Widerruf ohne vorherige Anhörung der Kläger gemäß § 24 SGB X erfolgt. Dies ist jedoch im Überprüfungsverfahren ohne Belang, denn § 44 SGB X dient nicht der Korrektur reiner Formverstöße wie der unterlassenen Anhörung (vgl. BSG in SozR 3 – 1300 § 44 Nr. 21; Waschull, a. a. O., § 44 RdNr. 29). Allerdings hat es der Beklagte unterlassen, bei der Ausübung des Widerrufs sein Ermessen auszuüben. Gemäß § 47 SGB X darf der Widerruf sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit nur unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgen (vgl. dazu Schütze, a. a. O., § 47 RdNr. 11; Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, § 47 RdNr. 12). Hier liegt jedoch ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor, denn der Widerrufsbescheid vom 15. Juni 2010 enthält keine Ermessenserwägungen. Es ist ihm nicht einmal zu entnehmen, dass dem Beklagten überhaupt bewusst war, dass er Ermessen auszuüben hatte. Gesichtspunkte, die eine Ermessensreduzierung auf Null nahe legen, drängen sich dem Senat nicht auf.
Bezüglich der Klägerin zu 2) ist überhaupt zweifelhaft, ob ein Widerrufsbescheid in formeller Hinsicht vorliegt, der dem Bestimmtheitsgrundsatz (§ 33 Abs. 1 SGB X) genügt. Die Klägerin zu 2) hat zum 15. Juni 2010 offenbar noch die Wohnung Allee , B inne gehabt. Während seinem Verfügungssatz nach der Widerrufsbescheid vom 15. Juni 2010 gegenüber den Klägern zu 1), 3) und 4) (damals wohnhaft P Straße , B) eindeutig ist, ist das Schreiben, welches jedenfalls vom Beklagten ebenfalls unter dem 15. Juni 2010 an die Klägerin zu 2) ergangen ist, insoweit unergiebig: Es enthält keinen diesbezüglichen Verfügungssatz. Im Rahmen der hier nur summarischen Prüfung kann unaufgeklärt bleiben, ob gegenüber der Klägerin zu 2), die erst mit Wirkung zum 01. Juli 2010 in die Bedarfsgemeinschaft unter der Adresse Estraße , B aufgenommen worden ist, überhaupt eine Zusicherung ergangen ist, welche Gegenstand eines Widerrufs hätte sein können. Es ist nicht auszuschließen, dass der erst am 30. März 2011 erlassene Widerspruchsbescheid auch gegenüber der Klägerin zu 2) eine formelle Beschwer enthält. Dies wird das Sozialgericht zu klären haben.
Da die Prozesskostenhilfebedürftigkeit der Kläger mit der am 13. Oktober 2011 zu den Gerichtsakten gelangten Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden und mithin ab diesem Zeitpunkt Bewilligungsreife gegeben gewesen ist, war Prozesskostenhilfe ab diesem Zeitpunkt zu bewilligen. Der Senat hat keine Zweifel, dass sie auch weiterhin nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.
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