L 13 SB 119/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 1041/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 119/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2012 wird zurückgewiesen. Kosten werden auch für das Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt noch die Festsetzung eines Grades der Behinderung (GdB) von 40.

Der Beklagte hatte bei der 1953 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 18. Februar 2004 einen GdB von 30 festgestellt. Dem hatte er folgende (mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde gelegt:

a) Depression, Angststörung (30), b) Scheuermann Residuen, Lendenwirbelsäulensyndrom, Wirbelsäulenverbiegung (10), c) Gelenkverschleiß (10).

Am 13. März 2009 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag, mit dem sie auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) begehrte. Nach Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23. Juni 2009 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie verschiedene Atteste der sie behandelnden Ärzte einreichte, holte der Beklagte das Gutachten des Orthopäden Dr. W vom 9. Februar 2010 ein, der auf der Grundlage folgender Funktionsbeeinträchtigungen

a) Depression, Angststörung (30), b) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Wirbelsäulenverformung (10), c) Bluthochdruck (10)

den Gesamt-GdB von 30 bestätigte. Die Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen verneinte er. Dem Gutachten folgend wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2010 zurück.

Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihre Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, u.a. des Nervenarztes Dr. N vom 20. Dezember 2010, und das Gutachten des Arztes Dr. A vom 22. Juli 2011 eingeholt, der folgende Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt hat:

a) Depression mit Somatisierungsstörung (30), b) Überlastungsbeschwerden der Wirbelsäule (10), c) Bluthochdruck (10), d) Harninkontinenz Grad I (10).

Den Gesamt-GdB hat der Gutachter mit 30 eingeschätzt und die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" verneint.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. Mai 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Festsetzung eines höheren GdB als 30 noch einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G". Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten Arztes des Dr. A gestützt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie bringt unter Vorlage des Attests des Nervenarztes Dr. N vom 17. Juli 2012 insbesondere vor, dass ihre psychischen Störungen an der Grenze zu einer Erkrankung mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen, so dass eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 30, also im unteren Bereich des Bewertungsspielraums, nicht ausreichend sei. Hinsichtlich des Merkzeichens "G" hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2012 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 23. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2010 zu verpflichten, bei ihr ab dem 13. März 2009 einen Grad der Behinderung von 40 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, bei der Klägerin keinen höheren GdB als 30 festzustellen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da sie hierauf keinen Anspruch hat.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines GdB von 40.

Die bei ihr bestehende Depression mit Somatisierungsstörung ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu würdigen. Sowohl der behandelnde Nervenarzt Dr. N in dem Befundbericht vom 20. Dezember 2010 als auch der Sachverständige Dr. A in dem von dem Sozialgericht eingeholten Gutachten vom 22. Juli 2011 haben die psychischen Leiden der Klägerin als stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gewertet, für die nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ein Rahmen von 30 bis 40 vorgesehen ist. Der Senat folgt der Einschätzung durch den Gutachter Dr. A, der einen Einzel-GdB von 30, also eine Einstufung im unteren Rahmen einer stärker behindernden Störung, vorgeschlägt. Eine Höherbewertung lässt sich nicht rechtfertigen, da das Leiden der Klägerin, wie der Sachverständige dargelegt hat, nicht an der Grenze zu einer Erkrankung mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten steht. Diese Begründung ist überzeugend, denn ein Einzel-GdB ab 50 wird erst für schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vergeben.

Der Senat vermag sich der Bewertung des behandelnden Nervenarztes Dr. N in dem von der Klägerin vorgelegten Attest vom 17. Juli 2012 nicht anzuschließen, der einen Einzel-GdB von 30 für deutlich zu niedrig gehalten hat. Denn dessen Ausführungen lassen sich keine Argumente für eine Einstufung im oberen Rahmen einer stärker behindernden Störung entnehmen. Der Hinweis des Nervenarztes, dass es "in den letzten Jahren im Hinblick auf die berufliche Leistungsfähigkeit und auf das soziale Funktionsniveau zu einer deutlichen Beeinträchtigung gekommen" sei, reicht nicht aus, da hieraus nicht deutlich wird, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin konkret bestanden haben.

Die weiteren Behinderungen der Klägerin, nämlich Überlastungsbeschwerden der Wirbelsäule, Bluthochdruck und Harninkontinenz Grad I, sind nach den nachvollziehbaren Feststellungen des Gutachters jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Danach ist der Einzel-GdB von 30 für die psychischen Leiden nicht anzuheben. Denn die übrigen, mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Funktionseinschränkungen wirken sich nicht weiter erhöhend aus, da von – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nach Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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