L 23 SO 106/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 78 SO 730/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 106/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin des gesamten Verfahrens findet nicht statt. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung - noch - gegen die erstinstanzliche Aufhebung seines Rückforderungsbescheides, soweit er mit diesem von der Klägerin die Zahlung von Zinsen wegen eines im Jahre 2002 bewilligten Darlehens verlangt.

Die Klägerin stand im Jahre 2002 beim Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem damals geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Infolge eines Erbfalles wurde sie zu 1/3 Miteigentümerin eines Grundstückes in der Astraße in B.

Mit Bescheid vom 20. September 2002 bewilligte der Beklagte der Klägerin daraufhin ab dem 1. Oktober 2002 Sozialhilfe als Darlehen nach § 89 BSHG und führte im Darlehensbescheid folgendes aus: "Das Darlehen ist von dem Zeitpunkt an, zu dem Ihnen jeweils Sozialhilfe ausgezahlt wird, mit 4 v.H. zu verzinsen. Die Zinsen werden bis zur Fälligkeit der Darlehensschuld gestundet. Sie sind Miteigentümerin eines Grundstückes in B, Astraße. Der Wert des Grundstückes einschließlich der Bebauungen ist schätzen zu lassen. Die darlehensweise gewährte Sozialhilfe ist für das Bezirksamt Reinickendorf von Berlin mittels eines Pfandrechts abzusichern. Bitte wenden Sie sich an einen Notar. Der Notar soll zum Vollzug der Urkunde die Vormerkung und Eintragung ins Grundbuch veranlassen. Die Rückzahlung des Darlehens wird vorläufig gestundet. Sie wird jedoch sofort fällig: bei Ihrem Tode - wenn das oben genannte Grundstück - - zwangsverwaltet oder zwangsversteigert wird, - - nicht mehr Ihr Eigentum ist - wenn Sie in anderer Weise zu Vermögen gelangen - wenn die Hilfebedürftigkeit endet. Sobald das Darlehen fällig wird, ist die Schuld mit 5 v.H. über dem Basiszinssatz der Europäi-schen Zentralbank —höchstens aber mit 10 v.H. — zu verzinsen. Kosten müssen Sie selbst tragen für - die Schätzung des Grundstückes - die Eintragung des Pfandrechts - die Beurkundungen." Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 8. Oktober 2002 Widerspruch, mit dem sie die Gewährung eines verlorenen Zuschusses statt eines Darlehens erstrebte. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 teilte der damalige Anwalt der Klägerin dem Beklagten mit, dass die Klägerin nunmehr insgesamt 93.315,41 EUR Verkaufserlös aus dem Verkauf des Miteigentumsanteils erzielt habe und dass hinsichtlich des Widerspruchs vom 8. Oktober 2002 eine Entscheidung noch immer ausstehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2004 wies der Beklagte den am 8. Oktober 2002 eingegangenen Widerspruch gegen den Darlehensbewilligungsbescheid vom 20. September 2002 als unbegründet zurück und teilte mit, dass wegen der Höhe der Rückforderung eine gesonderte Mitteilung erfolgen werde.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Berlin (S 50 SO 215/05).

Mit Datum vom 14. Januar 2005 machte der Beklagte eine Rückforderung aus dem Darlehen in Höhe von 21.975,45 EUR geltend. Mit Verfügung vom 6. Mai 2005 ordnete er die sofortige Vollziehung seines Bescheides vom 20. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10. Dezember 2004 an und forderte nunmehr einschließlich aufgelaufener Zinsen 23.767,76 EUR von der Klägerin. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 folgte eine Mahnung, über 23.932,58 "Eur inklusive Mahngebühren und eventuelle Verzugszinsen". Eingerechnet war eine Mahngebühr von 51,10 EUR.

Mit Schreiben vom 2. August 2005 teilte der Anwalt der Klägerin dem Beklagten mit, seine Mandantin habe unter Vorbehalt der Rückforderung zur Vermeidung einer zwangsweisen Beitreibung einen Betrag von 21.975,45 EUR überwiesen. Eine Verzinsung sei unzulässig.

Mit Schreiben vom 19. August 2005 teilte der Beklagte mit, er halte an der Restforderung von weiteren 2.070,18 EUR Zinsen und Mahngebühren fest. Die Klägerin zahlte daraufhin diesen weiteren Betrag am 1. September 2005.

Am 13. Dezember 2006 fand in dem anhängigen Sozialgerichtsverfahren S 50 SO 215/05 Termin zur mündlichen Verhandlung statt.

In diesem Termin wurde folgendes auszugsweise protokolliert: "Der Klägervertreter erklärt für den Fall, dass sich der Beklagte verpflichtet in dem zwischen den Beteiligten unstreitig nunmehr zu ergehenden Rückforderungsbescheid die Zinsforderung dem Grunde nach erneut zu prüfen, die Klage zurückzunehmen. Die Beklagtenvertreter erklären sich bereit in dem Rückforderungsbescheid erneut eine Entscheidung hinsichtlich der Zinsforderung aus dem Darlehensbescheid vom 20. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 dem Grunde nach zu treffen. laut diktiert, vorgespielt und genehmigt Darauf erklärt der Klägervertreter Ich nehme die Klage zurück. laut diktiert, vorgespielt und genehmigt".

Hierauf erließ der Beklagte am 21. Dezember 2006 den hier streitgegenständlichen Rückforderungsbescheid, mit dem er eine Hauptforderung in Höhe von 21.975,45 EUR und eine Nebenforderung in Höhe von 2.070,18 EUR (Zinsen 2019,08 EUR‚ Mahngebühren 51,10 EUR) erhob und die Erfüllung der gesamten Forderung feststellte.

Am 25. Januar 2007 legte die Klägerin gegen den am 27. Dezember 2006 zugegangenen Bescheid Widerspruch hinsichtlich der Erhebung der unter Vorbehalt gezahlten Nebenforderungen in Höhe von 2.070,18 EUR mit der Begründung ein, dass für eine Zinsverpflichtung keine Rechtsgrundlage erkennbar sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die neuerliche Prüfung hinsichtlich der Zinsforderung habe ergeben, dass die Nebenforderung zu Recht erhoben werde. Zu den allgemeinen Grundsätzen öffentlich- rechtlicher Forderungen gehöre es nach ständiger Rechtsprechung, dass die Vorschriften des BGB analoge Anwendung fänden, wenn das einschlägige Fachgesetz keine gegenteilige Regelung treffe. Weder das Bundessozialhilfegesetz in seiner Geltung noch das Sozialgesetzbuch X und XII sähen vor, dass Darlehenszinsen grundsätzlich nicht zu erheben sind. Die Verzinsung ergebe sich demnach grundsätzlich aus § 89 BSHG und § 61 SGB X in Verbindung mit § 488 BGB. Es sei rechtlich unerheblich, ob das Darlehen durch Vertrag oder mittels Bescheides gewährt werde. Auch die Ausführungsvorschriften über den Einsatz des Vermögens nach dem BSHG Nr. 23 hätten eine grundsätzliche Verzinsung vorgesehen, nur ausnahmsweise bei einer unbilligen Härte wäre ein Absehen möglich gewesen, was hier allerdings nicht angenommen werden könne. Wegen der Einzelheiten der Zinsberechnung wird auf die Anlage des Widerspruchsbescheides (Bl. 55 – 57 des Verwaltungsvorgangs) Bezug genommen. Hiergegen hat die Klägerin am 18. März 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie beantragt hat, den Bescheid vom 21. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Zinsen i.H.v. 2019,08 EUR und Mahngebühren i.H.v. 51,10 EUR, insgesamt 2070,18 EUR, zu erstatten, hilfsweise festzustellen, dass die Darlehensforderung in Höhe von 2070,18 EUR rechtswidrig sei.

Mit Urteil vom 26. April 2010 hat das SG den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, den Darlehensbescheid vom 20. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 insoweit zurückzunehmen, als eine Verzinsung der Darlehensschuld angeordnet wurde. Ferner hat das SG den Rückforderungsbescheid vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008 insoweit aufgehoben, als der Beklagte Mahngebühren in Höhe von 51,10 EUR erhoben hat und den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu Unrecht erhobene und vereinnahmte 2.070,18 EUR zurückzuzahlen, sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Der angefochtene Rückforderungsbescheid des Beklagten sei insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als der Beklagte Zinsen und Mahngebühren erhebe.

Gegenstand des Rückforderungsbescheides vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008 sei der im gerichtlichen Verfahren S 50 SO 215/05 am 13.12.2006 protokollierte Überprüfungsantrag des Prozessbevollmächtigten nach § 44
Sozialgesetzbuch X gewesen, der sich auf die Erhebung von Zinsen in dem Darlehensbescheid des Beklagten vom 20. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 bezogen habe.

Die Voraussetzungen des § 44 Absatz 2 Satz 1 SGB X lägen vor. Der Darlehensbescheid enthalte abteilbare Regelungen - so die Festlegung der Zinsverpflichtung, die selbständig anfecht-bar sei und einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt darstelle. Dieser nicht begünstigende Teil sei mit der Klagerücknahme am 13. Dezember 2006 unanfechtbar geworden. Die Erhebung einer Zinsverpflichtung - wie in dem Darlehensbescheid des Beklagten vom 20. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 geregelt - sei rechtswidrig, sie könne auf eine einfachgesetzliche Grundlage, der es bedürfe, nicht gestützt werden. Das Bundessozialhilfegesetz regle eine derartige Erhebung von Zinsen an keiner Stelle. Auch § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder Zinserhebungen nach dem
vierten Buch des Sozialgesetzbuches bildeten keine Rechtsgrundlage. Da der Beklagte ohne Not mit Verwaltungsakt über die Bewilligung des Darlehens entschieden und nicht die rechtlich unumstrittene Möglichkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages gewählt habe, könne der
Zinsanspruch auch nicht auf § 61 SGB X in Verbindung mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches gestützt werden. Eine analoge Anwendung des § 61 SGB X im Recht des Verwaltungsaktes käme nicht in Betracht, denn es bestehe, wie sich aus der nachträglichen Einführung des § 50 Absatz 2 a SGB X zeige, keine ungewollte Regelungslücke im Recht des Verwaltungsaktes. Die Möglichkeit der Erhebung von Zinsen sei ausschließlich im Recht des
öffentlich-rechtlichen Vertrages eröffnet. Das Rücknahmeermessen sei nach § 44 Absatz 2 Satz 2 SGB X reduziert, weil der Beklagte offensichtlich rechtswidrig ohne jegliche gesetzliche Befugnisnorm gehandelt habe, obschon er andere Gestaltungsmöglichkeiten gehabt hätte, die er nicht einmal in Erwägung gezogen habe. Auch hinsichtlich der Erhebung der Mahngebühren bestehe keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die insoweit erhobene Anfechtungsklage in Bezug auf den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008 sei begründet. Mahngebühren hätten nach § 19 Absatz 2 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) in Verbindung mit § 3 Absatz 3 VwVG erst ab Fälligkeit der Leistung erhoben werden dürfen. Fälligkeit sei aber erst mit der Bestandskraft des Darlehensbescheides vom 20. September 2002 durch die Klagerücknahme des Klägervertreters im Verfahren 5 50 SO 215/05 am 13. Dezember 2006 eingetreten.

Der Beklagte hat am 24. Juni 2010 gegen das ihm am 1. Juni 2010 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben als mit diesem Mahngebühren in Höhe von 51,10 EUR gefordert worden waren. Hinsichtlich der Entscheidung über die Geltendmachung von Zinsen hat er die Berufung aufrecht erhalten.

Er macht im Wesentlichen geltend, dass die Bestimmungen des BSHG und des SGB XII eine ausreichende spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Verzinsung des Darlehens böten. Für die Prüfung, ob die inhaltliche Ausgestaltung der Darlehensbewilligung rechtmäßig gewesen sei, müsse auf die Bestimmungen des BGB abgestellt werden. Gemäß § 488 BGB sei die Zahlung von Zinsen eine Hauptpflicht des Darlehensnehmers und der gesetzliche Regelfall. Der Gesetzgeber habe in keiner der gesetzlichen Bestimmung des BSHG und des SGB XII festgelegt, dass die Darlehensgewährung nur zinslos zu erfolgen habe. Der Hilfeträger müsse im Rahmen der Ermessensausübung jedoch den Besonderheiten des Sozialhilferechts Rechnung tragen. Anders als in den Fällen der §§ 15a Abs. 1, 15b BSHG, bei denen Zinsforderungen ausgeschlossen seien, bestünde im Fall des § 89 BSHG an sich keine Notlage, denn die um ein Darlehen Nachsuchenden verfügten über einzusetzendes Vermögen, nur eben nicht sofort oder zu für sie ungünstigen Konditionen. Hier springe der Hilfeträger, also letztlich die Allgemeinheit, ein. Den um ein Darlehen Nachsuchenden bleibe somit die Aufnahme eines Kredits mit hinausgeschobenem Tilgungsbeginn zu weitaus ungünstigeren Konditionen oder eine verlustreiche vorzeitige Auflösung von Vermögenswerten erspart. Im Hinblick darauf sei nicht einzusehen, warum der – eigentlich vermögende – Hilfesuchende auf Kosten der Allgemeinheit von den typischen Pflichten eines Darlehensnehmers befreit werden solle. Der Beklagte habe ein Darlehen auf der Grundlage des § 89 BSHG gewährt. Die Zinsforderung sei daher rechtmäßig.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat das Teilanerkenntnis hinsichtlich der nicht mehr geltend gemachten Mahngebühren angenommen und hält die Entscheidung des SG auch im Übrigen für zutreffend. Für die Erhebung von Zinsen durch Verwaltungsakt bestehe keine Rechtsgrundlage. Die rechtliche Natur sozialhilferechtlicher Leistungen schränke das Ermessen des Hilfeträgers grundsätzlich dahin ein, keine Zinsen zu verlangen, Zinsen seien mit dem Ausnahmecharakter der Darlehensvergabe grundsätzlich nicht vereinbar. Daher empfehle es sich auch einen Darlehensvertrag abzuschließen. Erst wenn der Abschluss des Darlehensvertrages abgelehnt werde, solle der Träger der Sozialhilfe berechtigt sein, die Darlehensbedingungen einseitig durch Verwaltungsakt festzusetzen. Da hier der Träger der Sozialhilfe der Klägerin kein Vertragsangebot unterbreitet habe, wäre der einseitige Verwaltungsakt ohnehin ermessensfehlerhaft ergangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Rückforderungsbescheid des Beklagten hinsichtlich der erhobenen Zinsen zu Unrecht aufgehoben und den Beklagten zur Rückzahlung der vereinnahmten 2019,08 EUR verurteilt.

Streitgegenstand ist nach teilweiser Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch Annahme des Teilanerkenntnisses des Beklagten (§ 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008, soweit der Beklagte mit diesem eine neue Entscheidung über die Geltendmachung von Zinsen bezüglich des mit Bescheid vom 20. September 2002 gewährten Darlehens getroffen hat.

Bei dem streitgegenständlichen Bescheid handelt es sich nicht um einen Überprüfungsbescheid i.S.v. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X -, sondern um eine Neuregelung der
Verzinsung des mit Bescheid vom 20. September 2002 gewährten Darlehens. Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht im Verfahren S 50 SO 215/05 nicht zur Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheides bereit erklärt, sondern zu einer Neuentscheidung über die Erhebung von Zinsen dem Grunde nach. Insoweit heißt es wörtlich: "Die Beklagtenvertreter erklären sich bereit in dem Rückforderungsbescheid erneut eine Entscheidung hinsichtlich der Zinsforderung aus dem Darlehensbescheid vom 20. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 dem Grunde nach zu treffen."

Zuvor hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, er werde die Klage für den Fall zurücknehmen, dass der Beklagte sich verpflichte, in dem neu zu ergehenden Rückforderungsbescheid die Zinsforderung dem Grunde nach erneut zu prüfen. Die Klägerin hatte sich zuletzt in dem sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich noch gegen die Zinspflicht sowie gegen weitere Auflagen des ursprünglichen Darlehensbescheides, nicht aber mehr gegen die darlehensweise Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt als solche gewandt. Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung der Klägerin im Hinblick auf die angefochtenen Auflagen entgegengekommen war, hätte für die Klägerin eine Klagerücknahme gegen bloße Stellung eines – ihr jederzeit noch möglichen – Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X keinen Sinn ergeben. Interesse der Klägerin war vielmehr eine völlig neue Behördenentscheidung darüber, ob das ihr gewährte Darlehen verzinslich oder unverzinslich gewährt wird. Zu dieser Neuentscheidung hatten sich die Vertreterinnen des Beklagten auch uneingeschränkt verpflichtet. Mit ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG im Verfahren S 50 SO 215/05, eine erneute Entscheidung über die Zinsforderung aus dem Darlehensbescheid vom 20. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 dem Grunde nach zu treffen, haben die Vertreterinnen des Beklagten zugleich die ursprüngliche Entscheidung über die Erhebung von Zinsen in dem Darlehensbescheid vom 20. September 2002 konkludent aufgehoben.

Richtige Klageart des vorliegenden Verfahrens ist daher nicht die auf Erlass eines für die Klägerin positiven Überprüfungsbescheides gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern die Anfechtungsklage gemäß 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Diese ist jedoch unbegründet. Der Rückforderungsbescheid vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2008 ist hinsichtlich der Entscheidung über die Verzinsung des Darlehens rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Zinsforderung in dem angefochtenen Bescheid ist § 89 BSHG in Verbindung mit § 488 BGB.

Zutreffend geht das Sozialgericht davon aus, dass Zinsen durch Verwaltungsakt nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage verlangt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1991, 9a RV 3/90; BVerwGE 37, 239, 240f.; 80, 334,335, jeweils m.w.N., zitiert nach Juris). Ebenfalls zutreffend stellt das Sozialgericht fest, dass das BSHG keine ausdrückliche spezialgesetzliche Regelung bezüglich der Erhebung von Zinsen bei der Ausreichung eines Darlehens enthält. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Behörde nur bei der Vergabe eines
Darlehens durch öffentlich-rechtlichen Darlehensvertrag eine Zinszahlung vereinbaren kann. Insoweit gilt vielmehr grundsätzlich, dass sich eine Behörde Gegenleistungen, für deren Erhebung es keine Rechtsgrundlage gibt, auch nicht in einem Vertrag versprechen lassen dürfte (vgl. §§ 55 Abs. Satz 2, 53 Abs. 1 Satz. 2, Abs. 2 SGB X).

Der angefochtene Bescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Grundsätzlich steht es der Behörde frei, ob sie ein sozialhilferechtliches Darlehen in Form eines Verwaltungsaktes oder durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (oder nach Maßgabe der Zwei-Stufen-Theorie durch Entscheidung über das Ob mittels Verwaltungsakts und der Regelung des Wie durch öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag) vergibt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 28. April 1999 – 4 L 2827/98 – Juris; OVG Berlin, Urteil v. 14. Mai 1987 – 6 B 34.86, NDV 87, 455; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage, § 91 Rn. 13; Knopp/Fichtner, BSHG, 7. Auflage, § 8 Rn. 5 f.). Der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass erst wenn der Abschluss eines Darlehensvertrages abgelehnt werde, der Träger der Sozialhilfe berechtigt sei, die Darlehensbedingungen einseitig durch Verwaltungsakt festzusetzen, und im vorliegenden Fall bereits mangels Abgabe eines Vertragsangebotes der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei, kann nicht gefolgt werden.

Im Übrigen bestehen auch keine rechtlichen Bedenken, im Sozialhilfebewilligungsbescheid nicht nur die Rückzahlungsmodalitäten zu regeln, sondern darin - statt durch einen gesonderten Leistungsbescheid - bereits die Rückforderung selbst verbindlich anzuordnen. Dass eine derartige Verknüpfung hergestellt werden kann, ist in der Rechtsprechung wiederholt anerkannt oder doch jedenfalls stillschweigend zugrunde gelegt worden (vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2000 – 16 B 941/00; Beschluss vom 22. Januar 1996 - 24 B 3329/95 - jeweils Juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 20. Januar 1992 - 7 TM 1902/89 -, FEVS 44, 10; OVG Lüneburg, Urteil vom 28. Juli 1993 - 4 L 3368/92 -, FEVS 44, 403, 405 f.).

Rechtlich unbestritten ist auch, dass ein durch Verwaltungsakt gewährtes Darlehen auch durch Verwaltungsakt - und nicht (wie möglicherweise bei Abschluss eines Darlehensvertrages) im Wege einer Leistungsklage - zurückgefordert werden kann (vgl. OVG NRW a.a.O.; VG Augsburg Urteil vom 23.3.2004 - Au 9 K 04.136; OVG Niedersachsen, Urteil vom 28.7.1993 - 4 L 3368/92; OVG NRW, Beschluss vom 6.9.200 - 16 B 941/00 m.w.N.; vgl. etwa auch die
Kommentierung von Behrend in jurisPK-SGB XII, § 38 SGB XII Rn. 42).

Die grundsätzliche Möglichkeit, im Einzelfall Zinsen zu erheben, ist in der gesetzlichen Regelung des § 89 BSHG, (nunmehr in der Nachfolgevorschrift des § 91 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII) begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Gesetzgeber keine Regelungen hinsichtlich der Ausgestaltung von Darlehen im Sozialhilferecht vorgenommen hat. Durch die Verwendung des nicht weiter eingeschränkten Rechtsbegriffs "Darlehen" hat der Gesetzgeber jedoch auf die Regelungen in § 488 BGB Bezug genommen, die eine Verzinsung ermöglichen.

Zwar setzt das Darlehen nach § 488 BGB – entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht schon begrifflich voraus, dass eine Zinszahlung verlangt wird. Anders als noch die bis zum 31. Dezember 2001 geltende gesetzliche Regelung der §§ 607 ff. BGB, die eine Verzinslichkeit des Darlehens nur aufgrund besonderer Vereinbarung (§ 608 BGB) und grundsätzlich Unverzinslichkeit (§ 607 BGB) annahm, geht die durch die Schuldrechtsreform geänderte, seit Januar 2002 bestehende Vorschrift des § 488 BGB jedoch davon aus, dass das Darlehen im Zweifel entgeltlich gewährt wird (BT-Drucks. 14/6040 Seite 253; Münchkomm BGB/Berger § 488 Rn. 55; Palandt/Weidenkauff, BGB, 71. Aufl., § 488 Rn. 18, mw.N.). Zwar ist begrifflich nicht ausgeschlossen, dass es auch unentgeltliche "Gefälligkeitsdarlehen" gibt (Münchkomm BGB/ Berger, a.a.O.), grundsätzlich ist aber die Zahlung von Zinsen eine Hauptpflicht des Darlehensnehmers und der gesetzliche Regelfall. Eine abweichend vom gesetzlichen Regelfall beabsichtigte Unverzinslichkeit des Darlehens muss nunmehr ausdrücklich erklärt oder zumindest durch Auslegung des Vertrags ermittelbar sein (s. ausführlich Palandt a.a.O. m.w.N.).

Somit eröffnet die Verwendung des Begriffs und Bezugnahme auf das Rechtsinstitut "Darlehen" grundsätzlich sowohl die Möglichkeit, ein entgeltliches als auch ein unentgeltliches Darlehen zu vergeben. Allein mit der Verwendung des Begriffs "Darlehen" ist damit jedoch nicht schon stets eine Ermächtigung zur verzinslichen Leistungserbringung verbunden. Die Möglichkeit der Verzinsung darlehensweise erbrachter Leistungen hat vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der sozialhilferechtlichen Grundentscheidungen des BSHG (bzw. nunmehr des SGB XII) zu erfolgen (so ausdrücklich auch Niedersächsisches OVG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 L 2827/98 – Juris).

Diese Auffassung wird auch von der absolut überwiegenden Literaturmeinung vertreten: Lediglich Geiger in LPK-SGB XII, 9. Auflage, § 91 Rn. 6 (und zuvor Birk in LPK-BSHG, 5. Auflage, 1998, § 15b Rn. 23) vertritt, dass Leistungen nach § 91 SGB XII (d.h. zuvor § 89 BSHG) eine besondere Form der Sozialhilfe darstellten, deren Inanspruchnahme nicht an zusätzliche, im Gesetz nicht vorgesehene Bedingungen geknüpft werden dürfe und dass der Regelung des § 50 Abs. 2a SGB X zu entnehmen sei, dass im Sozialrecht Zinsen grundsätzlich nur im Fall von Leistungsstörungen verlangt werden könnten. Diese Auffassung ist jedoch nicht zwingend. Sie übersieht vor allem, dass die Zinspflicht beim Darlehen keine im Gesetz nicht vorgesehene zusätzliche Bedingung, sondern jedenfalls beim gesetzlichen Regelfall eine im vertraglichen Synallagma stehende Hauptpflicht des Darlehensnehmers ist.

Überwiegend wird eine Verzinsung daher auch für möglich gehalten (Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 91 Rn. 19; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII 4. Auflage § 91 Rn. 12, 16 m.w.N.; Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Auflage § 30 Rn 15, § 89 Rn. 10 = Hohm in Schellhorn/Schellhorn/ Hohm, SGB XII, 18. Auflage, § 91 Rn. 17; Knopp/Fichtner, a.a.O.; Mergler/Zink, BSHG, § 89, 16). Insbesondere wird im Rahmen der Darlehensgewährung nach § 89 BSHG/§ 91 SGB XII in solchen Fällen das Verlangen nach einer angemessenen Verzinsung für gerechtfertigt gehalten, in denen das Darlehen deshalb gewährt wird, um dem Hilfeempfänger später einen besseren Ertrag aus der Verwertung seines Vermögensgegenstandes sicherzustellen (vgl. Hohm a.a.O.; Lücking a.a.O.).

Bezogen auf den vorliegenden Fall, ist eine Verzinsung des Darlehens mit 4% bzw. 5% über dem Basiszinssatz und sind insbesondere die Erwägungen des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid nicht zu beanstanden. Der Beklagte ist in dem Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2008 von der Frage ausgegangen, ob die Erhebung von Zinsen für die Klägerin eine unbillige Härte bedeuten würde und hat ausgeführt, es könne nicht erkannt werden, dass bei einem erzielten Verkaufserlös von insgesamt 93.115,41 EUR die erhobenen Zinsen von 2019,08 EUR eine unangemessene wirtschaftliche Schwächung der Klägerin darstellen könnten. Gründe, die in der Person der Klägerin begründet lägen und eine unbillige Härte darstellten, seien nicht erkennbar.

Ob § 89 BSHG mit der Bezugnahme auf den Begriff des Darlehens i.S.v. § 488 BGB der Behörde pflichtgemäßes Ermessen hinsichtlich der Frage eröffnet, ob das zu gewährende Darlehen verzinst wird oder nicht, so dass bei Nichtanstellen von Ermessenserwägungen eine
Entscheidung über die Verzinslichkeit wegen Ermessensausfalls als ermessensfehlerhaft aufzuheben wäre, oder ob die Zulässigkeit der Verzinslichkeit eines konkreten Darlehens ein vom Gericht in vollem Umfang im Rahmen der Prüfung des Rechtsbegriffs "Darlehen" zu prüfender Umstand ist, so dass es auf die tatsächlich von der Behörde angestellten Erwägungen nicht ankommt, konnte der Senat offen lassen. Denn im vorliegenden Fall kann die Entscheidung dieser Frage dahinstehen, weil der Beklagte jedenfalls ausreichende Ermessenserwägungen durchgeführt hat.

Auch unter Berücksichtigung der sozialhilferechtlichen Grundentscheidungen, ist eine Verzinsung des der Klägerin gewährten Darlehens nicht zu beanstanden. Die Klägerin verfügte über ausreichendes Vermögen, das für sie lediglich nicht sofort verwertbar war. Die Argumentation des Beklagten, er habe der Klägerin die Aufnahme eines Kredits mit hinausgeschobenen Tilgungsbeginn zu weitaus ungünstigeren Konditionen erspart und im Hinblick darauf sei nicht einzusehen, warum die eigentlich vermögende Hilfesuchende auf Kosten der Allgemeinheit von den typischen Pflichten eines Darlehensnehmers befreit werden solle, ist nicht zu beanstanden.

Die vom Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid erhobenen – von der Klägerin im Übrigen auch nicht gerügten – Zinssätze von 4% über dem Basiszinssatz bis zur Fälligkeit der Rückzahlung und 5% über dem Basiszinssatz ab dem Tag der Fälligkeit entsprechen den
gesetzlichen Zinssätzen in §§ 246, 288 BGB und sind nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die Klägerin ist mit ihrer Anfechtungsklage im Wesentlichen unterlegen, es entspricht daher billigem Ermessen (§ 193 SGG), dem Beklagten nicht die außergerichtlichen Kosten der
Klägerin aufzuerlegen. Soweit der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid hinsichtlich der erhobenen Mahngebühr von 51,10 EUR aufgehoben und damit die Klageforderung teilweise anerkannt hat, fällt dieser Betrag gegenüber der Zinsforderung von 2019,08 EUR nicht maßgeblich und kostensteigernd ins Gewicht, und war daher bei der Kostenentscheidung nicht gesondert zu berücksichtigen.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen, weil eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der Ermächtigung der Behörde zur Erhebung von Zinsen durch Verwaltungsakt bei der sozialhilferechtlichen Darlehensgewährung nicht vorliegt. Zwar betrifft der vorliegende Rechtsstreit mit § 89 BSHG ausgelaufenes Recht, die Vorschrift des § 89 BSHG ist aber wortidentisch mit der Regelung des § 91 SGB XII, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, so dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage weiterhin in gleicher Weise stellt und trotz des Auslaufens des alten Rechts eine richtungweisende Klärung zu erwarten ist, wie die neue Vorschrift anzuwenden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2010 - 5 B 48/09 - Juris m.w.N.).
Rechtskraft
Aus
Saved