L 1 KR 111/11 ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 3222/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 111/11 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Versorgung der Klägerin mit einem "Einkaufs-Fuchs" der S (Hilfsmittelverzeichnis Nr. 07.99.03.0001), der ca. 3.000 EUR kostet.

Die 1959 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich versichert. Sie leidet an Erblindung durch Lebersche Optikus Atrophie. Sie konnte noch vor noch einigen Jahren nahezu normal sehen. Mittlerweile ist sie jedoch nahezu blind und als schwerbehindert im Sinne des Gesetzes anerkannt. Die Restsehfähigkeit beträgt 2 % links und rechts. Die Klägerin kann mit dem noch vorhandenen Restsehvermögen (Hell/Dunkelwahrnehmung, grobe Kontrastwahrnehmung) weder lesen, noch Gegenstände anhand ihrer optisch wahrnehmbaren Beschaffenheit zu identifizieren. Sie geht nach wie vor einer beruflichen Tätigkeit nach und führt ihren Haushalt. In diesem lebt sie mit ihrem (normal sehenden) Lebensgefährten. Dieser ist jedoch aus beruflichen Gründen häufig nicht zu Hause. Die Klägerin führt den Haushalt deshalb im Wesentlichen. Ihr steht eine ständig verfügbare Hilfsperson nicht zur Verfügung.

Unter Einreichung einer ärztlichen "Verordnung von vergrößerten Sehhilfen" ihrer Augenärztin Dipl. med. S vom 20. Februar 2007 beantragte der Hersteller für die Klägerin mit Schreiben vom 01. März 2007 die Gewährung eines Einkaufs-Fuchses bestehend aus einem ergonomischen omnidirektionalen Strichcode-Handscanner, einem Sprachausgabegerät, einer austauschbaren Speicherkarte mit aktuellem Datenbestand sowie einem hochwertigen Akku. Der Kostenvoranschlag belief sich auf 3.094,00 EUR. Mit dem Einkaufs-Fuchs können die Strichcodes, die sich auf den meisten der im Handel befindlichen Produkten finden, erfasst und dem Benutzer durch Vorlesen der wichtigsten Produktinformationen verfügbar gemacht werden. Das System erkennt derzeit rund 900.000 verschiedene Waren. Über das eingebaute Mikrophon lassen sich auch neue Daten selbst eingeben. So können auch Lebensmittelvorräte oder andere Gebrauchsgegenstände am Arbeitsplatz wie zu Hause (Aktenordner, CDs oder ähnliches) mit selbstklebenden Strichcode-Etiketten versehen werden. Die Klägerin kann bzw. könnte das Geräte bedienen und wiederholt täglich einsetzen. Sie verspricht sich davon, es hauptsächlich zu Hause einzusetzen. So könne sie z. B. Haarshampoo und Haarspülung unterscheiden, unterschiedliche Schuhcreme oder beispielsweise Back- von Tortengusspulver, Tetrapackgetränke, Joghurt- von Schmandbechern. Auch könnte sie (Papier-) Dokument, die im Rechtsverkehr benötigt werden, etwa Versicherungsscheine, Bescheide oder Ausweisdokumente, zuverlässig finden und identifizieren.

Da die Klägerin schrittweise erblindet ist, hatte sie sich an visuelle Zuordnungskriterien gewöhnt. Sie stößt immer wieder an ihre Grenzen, wenn ihre selbst auferlegten Ordnungsprinzipien nur geringfügig durcheinander geraten oder wenn sie mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Putzmitteln oder etwa Dokumenten konfrontiert ist, die sich allein über den Tast- oder Geruchssinn nicht voneinander unterscheiden lassen. Hier kann bzw. könnte ihr das Barcodelesegerät helfen. Die Klägerin ist bemüht und kann ihren verbliebenen minimalen Restsinn (hell/dunkel Wahrnehmung, grobe Kontrastwahrnehmung) einsetzen, um etwa beim Einkauf im Supermarkt die Regale zu finden, in denen bestimmte Waren einsortiert sind, um vor Ort das Lesegerät einzusetzen. Das Vorlesegerät, das die Klägerin besitzt, ist aufgrund seiner Größe nicht geeignet, zum Einkaufen mitgeführt zu werden.

Dem gleichen Anwendungsbereich wie der Einkaufs-Fuchs dient auch das Produkt P. Dabei handelt es sich um ein Zusatzgerät für bestimmte N-Handys, welche noch über das N-eigene Betriebssystem S verfügen. Mit diesen kann es über Bluetooth® Daten austauschen. Auch bei diesem Produkt handelt sich um eine Kombination aus Barcode-Scanner und Strichcode-Etikettendrucker. Sollen allerdings Informationen vorgelesen werden, bedarf es zusätzlich einer Sprachsoftware für das Handy. Mit dieser Software kostet der Pocket-Shopper ca. 2.280,00 EUR, mit Handy ca. 2.430,00 EUR. Auf die Preisrecherche der Beklagten wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis führe nicht automatisch zu einer Leistungsverpflichtung. Die Kosten für Hilfsmittel dürften nur dann übernommen werden, wenn diese den speziellen Bedürfnissen bzw. der Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens kranker oder behinderter Menschen dienten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in mehren Urteilen entschieden, dass das Erreichen von Einkaufsmöglichkeiten zu dem Grundbedürfnis Mobilität zu rechnen sei. Hier gehe es jedoch nicht um die Tätigkeit des Einkaufes selbst.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch (Schreiben vom 16. Juli 2007, eingegangen 25. Juli 2007). Der Einkaufs-Fuchs ermögliche ihr ähnlich wie bei Gehörlosen das Hörgerät, sich ihre Umwelt in einem besseren Maße zu erschließen. Es helfe ihr, ein sicheres und selbstbestimmteres Leben als Blinde zu führen. Es diene auch der Abwehr von Gefahren im Haushalt, so durch Verwechslungen bei Medikamenten und Haushaltschemikalien.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2007 zurück. Zur Begründung führte sie zusätzlich aus, Aufwendungen für hauswirtschaftliche Hilfen, worunter auch das Einkaufen falle, seien durch die pauschalen und nicht zweckgebunden Zahlungen des Blindengeldes nach den Landesblindengeldgesetzen bzw. der Blindenhilfe nach § 72 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgegolten. Die Klägerin sei mit einem Vorlesegerät mit Braillezeile ausgestattet, welches ihr eine Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraumes ermögliche. Die Ausstattung mit dem Einkaufs-Fuchs gehe über den Basisausgleich hinaus und falle nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 30. November 2007 vor dem Sozialgericht Berlin (SG). Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, der Einkaufs-Fuchs sei in seiner Funktion als Hilfsmittel für Blinde einem Farberkennungsgerät vergleichbar, welches das BSG im Urteil vom 17. Januar 1997 (3 RK 38/94) als ein im Einzelfall medizinisch notwendiges und wirtschaftliches Hilfsmittel anerkannt habe. Auch bei dieser Hilfe stehe nicht das Erkennen der Farben als solches im Vordergrund, sondern die Möglichkeit für Blinde, mit ihm Gegenstände im Haushalt und anderswo unterscheiden und identifizieren zu können, die sich anhand der zu ertastenden Form oder Oberfläche nicht unterscheiden ließen. Beim Einkaufs-Fuchs erfolge diese Unterscheidung anhand des aufgedruckten Strichcodes. Während die GKV-Spitzenverbände die Aufnahme des Farberkennungsgeräts ins Hilfsmittel-Verzeichnis ungeachtet des BSG-Urteils ausdrücklich abgelehnt hätten, hätten sie der Aufnahme des Einkaufs-Fuchses zugestimmt. Zur Wirtschaftlichkeit habe das BSG (im Jahr 1991) u. a. ausgeführt, der Preis von rund 1.500,00 DM sei angemessen, wenn – wie dort vorgetragen worden sei, dass Gerät fünf bis zehn Mal täglich eingesetzt werde. Der Preis für den Einkaufs-Fuchs sei zwar deutlich höher. Dem stehe jedoch eine noch häufigere und bessere Nutzung gegenüber.

Das SG hat Befundberichte eingeholt, auf die ergänzend verwiesen wird.

Es hat sodann die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2009 unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verurteilt, der Klägerin einen Einkaufs-Fuchs der S als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Der Klägerin stehe ein Anspruch gemäß § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu. Danach hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich seien, um u. a. eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen seien. Der Einkaufs-Fuchs fördere im konkreten Einzelfall den Ausgleich der durch ärztliche Untersuchung zweifelsfrei nachgewiesenen Blindheit bei der Klägerin sowie den dadurch eingetretenen Funktionsverlust. Das Gerät sei erforderlich, um ihr die Lebensbetätigung im Rahmen der elementaren Grundbedürfnisse zu ermöglichen und deutlich zu erleichtern. Zu diesen elementaren Grundbedürfnissen zählten etwa Ernährung, Körperpflege sowie die Schaffung eines körperlichen und geistigen Freiraumes. Zu diesem Freiraum zähle auch die Möglichkeit, den Haushalt zu führen sowie sich selbstständig im eigenen Umfeld zurecht zu finden und orientieren zu können. Ein blinder Mensch sei dabei auf sekundäre Sinneswahrnehmungen wie Hören, Riechen und Tasten angewiesen, um sich zu bewegen und orientieren zu können. Der Einkaufs-Fuchs diene dem zumindest teilweisen Ausgleich des Sehens bei der Erfüllung der all-täglichen Grundbedürfnisse und ermögliche durch seine Funktionsweise vielerlei Erleichterungen in der Bewältigung des alltäglichen Haushaltes und bei der Orientierung im eigenen, der Natur der Sache nach ohnehin schon begrenzten, Lebensbereich. Im Gegensatz zu dem von der Rechtssprechung schon als Hilfsmittel anerkannten Farbenerkennungsgerät (Urteil des BSG vom 17.01.1996, a.a.O.; SG Düsseldorf, Urt. vom 18.01.2007 – S 4 KR 171/05) würden durch den Scanner über die eine Information Farbe hinaus auch viele weitere Produktinformationen fühlbar gemacht. Dadurch diene das Gerät als technische Verbesserung unmittelbar bei der Befriedigung elementarer Bedürfnisse in der Haushaltsführung sowie mittelbar bei der Orientierung in weiteren grundlegenden Alltagshandlungen, etwa bei der Auswahl der Lebensmittel oder auch bei der Körperhygiene durch Erkennen der notwendigen Hygienemittel. Ob darüber hinaus auch das Einkaufen zu den elementaren Grundbedürfnissen zähle, könne deshalb dahingestellt bleiben. Da aber anerkannt sei, dass die Schaffung eines körperlichen Freiraumes und einer gewissen Mobilität die Erreichbarkeit von Orten einschließe, die zur Tätigung von Alltagsgeschäften aufgesucht werden müssen, erscheine es als eine künstliche Trennung eines einheitlichen Lebensvorganges, das Einkaufen selbst nicht als elementares Grundbedürfnis anzusehen. Der Einkaufs-Fuchs sei auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Er diene nur dem Ausgleich von Sehschwäche bzw. Blindheit und werde nicht auch sonst von einer größeren Anzahl Menschen im täglichen Leben genutzt. Die Beklagte könne die Klägerin schließlich auch nicht darauf verweisen, ihr eine Braillezeile zur Verfügung zu stellen. Diese diene nicht der Orientierung im eigenen Wohnbereich. Zuletzt stelle auch die Aufnahme des Einkaufs-Fuchs in das Hilfsmittelverzeichnis ein gewichtiges Indiz dar und sei zu berücksichtigen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 16.04.1998 – B 3 KR 9/97 R). Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V stehe einer Verordnung des Einkaufs-Fuchs nicht entgegen. Dieser koste zwar über 3.000,00 EUR. Allerdings sei mit ihm ein zum hohen Preis in Relation stehender Mehrnutzen verbunden, der sich vor allem in der vielseitigen Einsetzbarkeit äußere.

Gegen den ihr am 08. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Beklagten vom 17. Juni 2009. Das SG habe eine Trennung des Grundbedürfnisses nach Mobilität, welches das Erreichen von Einkaufsmöglichkeiten beinhalte, und der Tätigkeit des Einkaufes selbst für künstlich gehalten. Sie erfolge aber völlig zu Recht und ergebe sich aus der Leistungsabgrenzung zwischen den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und den Aufgaben und Zuständigkeiten anderer Sozialleistungsträger. Der Einkaufs-Fuchs sei unwirtschaftlich. Barcodelesegeräte würden bereits zu Preisen um die 100,00 EUR angeboten.

Mit Urteil vom 16. Juli 2010 (L 1 KR 188/09) hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid verwiesen, ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11.11.2009 (L 4 KR 17/08). Die Kosten-Nutzen-Relation sei beim Einkaufs-Fuchs nicht unangemessen, so dass die Versorgung mit diesem Gerät als Hilfsmittel nicht dem aus § 12 Abs. 1 SGB V folgenden Wirtschaftlichkeitsgebot zu wider laufe. Die Klägerin müsse sich auch nicht auf Leistungen nach dem Landespflegegeldgesetz Berlin verweisen lassen. Dessen Leistungen seien im Übrigen subsidiär. Auch die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sei nachrangig. Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werde blinden Menschen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhielten. Hier habe die Klägerin einen Anspruch aus einer anderen Rechtsvorschrift, § 33 SGB V.

Auf die zugelassene Revision der Beklagten hin hat das BSG mit Urteil vom 10. März 2011 das vor genannte Urteil des Senats aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen (Az. B 3 KR 9/10 R). Der Anspruch auf Versorgung betreffe hier das Versorgungsziel des Behinderungsausgleichs (§ 31 Abs. 1 S. 1, 3. Var. SGB V). Es diene dem mittelbaren Behinderungsausgleich als Ziel der medizinischen Rehabilitation, also einer möglichst weitgehenden Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Speziell bei einem Hilfsmittel, das hauswirtschaftliche Verrichtungen ermöglichen solle, muss dieses notwendig sein, um ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens sicher zu stellen. Dies sei beim Einkaufs-Fuchs grundsätzlich der Fall. Für das selbständige Haushalten sei eine uneingeschränkte visuelle Wahrnehmbarkeit erforderlich. Durch ein Barcode-Lesegerät könnten Einschränkungen von Blinden bzw. von Sehbehinderten ausgeglichen bzw. gemildert werden. Das Gerät ermögliche auch Erleichterungen bei der Bewältigung von Alltagsgeschäften, in dem es Informationen über Lebensmittel und sonstige Gegenstände des täglichen Bedarfs beschaffe. Diese generelle Eignung eines Barcode-Lesegerätes zur Verwirklichung selbständigen Wohnens werde weder durch mögliche Hilfe Dritter noch durch die dem sehbehinderten Menschen möglichen sekundären Sinneswahrnehmungen in Frage gestellt. Ein behinderter Mensch müsse sich nicht auf die Hilfe Dritter verweisen lassen. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung solle ein eigenständiges Leben ermöglichen. Auch seien die Kompensationsmöglichkeiten von Blinden bzw. Sehbehinderten jedenfalls beschränkt.

Das Barcode-Lesegerät sei auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Sachleistungspflicht ausgenommen. Es fehlten hier jedoch Feststellungen zur persönlichen Lebensführung und zur bisherigen Organisation des Alltages, zur etwaigen Kompensationsfähigkeit der Sehbehinderung gerade auch in der Benutzung der bereits vorhandenen Hilfsmittel. Ferner sei bislang ungeklärt, ob die Klägerin den Einkaufs-Fuchs überhaupt bedienen könne sowie ob sie die durch das Barcode-Lesegerät nicht gewährleistete Orientierung im Ladengeschäft anderweitig bewältigen könne. Auch müsse sowohl der Umfang der konkreten Nutzung des Gerätes durch die Klägerin unter Berücksichtigung seiner Einsatzmöglichkeiten als auch die vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse näher ermittelt werden. Es bedürfe einer relativ häufigen Nutzung des Gerätes pro Tag, um dessen Wirtschaftlichkeit bejahen zu können. Ferner müsse ermittelt werden, ob es Alternativen gäbe, beispielsweise der Kopplung des der Klägerin bereits gewährten Vorlesegerätes mit einem Barcode-Modul.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der begehrte Einkaufs-Fuchs gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoße. Als Alternative stünde das Produkt Pocket-Shopper für 1.190 EUR zur Verfügung. Sie stellt allerdings unstreitig mittlerweile anderen Versicherten den Einkaufs-Fuchs zur Verfügung.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juli 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wendet gegen die Versorgung mit einem Pocket-Shopper ein, dass dessen Strichcode-Erfassung schlechter funktioniere und einen hohen Stromverbrauch habe. Das einzusetzende Mobiltelefon verfüge zudem nur über eine geringe Akkulaufzeit. Auch sei die einzusetzende Bluetooth®-Verbindung sehr störanfällig: Zur zuverlässigen Datenübertragung müssten beide Geräte gleichzeitig in der Hand gehalten werden, zudem der einzuscannende Gegenstand und regelmäßig der Blindenstock.

Zudem bedürfe das System eines weitaus größeren Schulungs- und Einweisungsbedarf. Neben dem Umgang mit dem P selbst, müsste in die Verwendung des Mobiltelefons sowie in die Verwendung der Sprachsoftware eingeführt werden. Im EDV-Hilfsmittelbereich koste der Schulungstag ca. 700,00 Euro. Bei einem technisch versiert Versicherten, der schon über ein taugliches Mobiltelefon verfüge und dieses sicher bedienen könne, möge die Versorgung mit einem Pocket-Shopper im Einzelfall sinnvoll und auch wirtschaftlich geboten sein. Dies gelte nicht für die Klägerin, die diese technischen Vorkenntnisse nicht mit sich bringe.

Mit Verfügung vom 26. Januar 2012 hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine Alternative für den Einkaufs-Fuchs wohl nur das Produkt P sei. Die Ermittlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis aller Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Leistung des begehrten Hilfsmittels verurteilt. Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Ergänzend nimmt der Senat auf sein Urteil vom 16. Juli 2010 sowie zu den rechtlichen Voraussetzungen auf das dargestellte Urteil des BSG Bezug.

Die Klägerin benötigt den Einkaufs-Fuchs als mittelbaren Behinderungsausgleich, weil dieser ihr effektiv bei der Haushaltsführung und beim Einkaufen hilft. Sie lebt zwar nicht alleine. Da ihr Lebensgefährte aber häufig außer Haus ist, muss sie im Wesentlichen den Haushalt führen. Aufgrund ihres Restsehvermögens kann sie sich insoweit räumlich orientieren, dass sie im Supermarkt das gewünschte Regal findet. Es gab und gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass sie das Gerät nicht bedienen kann bzw. könnte. Es war und ist unstreitig, dass sie das Gerät täglich mehrfach einsetzen wird, da es nicht nur bei der Nahrungszubereitung, der Körperpflege, der Haushaltsreinigung und bei der Ablage bzw. dem Wiederfinden von Dokumenten zu Hause zum Einsatz kommen kann, sondern darüber hinaus zu seinem primären Zweck, beim Einkaufen zu helfen.

Nach dem jetzigen entscheidungserheblichen Zeitpunkt gibt es für das Gerät keine wirtschaftlichere Alternative. Es gibt am Markt derzeit nur ein Alternativprodukt, den Pocket-Shopper, ein Zusatzgerät zu N-Handys mit dem N-Betriebssystem, von dem nicht gewährleistet ist, dass es auch künftig angeboten wird. Da die Klägerin zutreffend und unwidersprochen darauf verweist, dass mit dem Alternativprodukt für eine Person wie sie, welche nicht selbstverständlich mit einem Smartphone umgehen kann, ein erheblicher Schulungsaufwand besteht, weil jedenfalls sie sich nicht ohne solche mit dem benötigten Handy und der zusätzlich erforderlichen Vorlesesoftware zu Recht findet. "Unter dem Strich" ist deshalb von einem entscheidungserheblichen Wirtschaftlichkeitsvorteil des Alternativsystems nicht auszugehen. Unabhängig hiervon geht die Beklagte mittlerweile selbst jedenfalls grundsätzlich von Wirtschaftlichkeit aus, indem sie andere Versicherte mit dem Gerät ausstattet. Soweit sie im vorliegenden Rechtsstreit Wirtschaftlichkeit verneint, verletzt dies die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), da diese unstreitig das Gerät benutzen kann bzw. könnte, ihre Behinderung nicht selbst kompensieren kann und auf das Hilfsmittel angewiesen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Letztlich ist auch die Revision der Beklagten erfolglos geblieben.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht mehr vor.
Rechtskraft
Aus
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