Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 1355/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 143/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Sozialgericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der Beklagte hatte bei dem 1946 geborenen Kläger 1982 einen GdB von 30 festgestellt. Am 4. März 2008 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten Befundberichte erhöhte der Beklagte durch Bescheid vom 8. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 den GdB auf 40. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Arbeitsunfallfolgen 1966 – Teilverlust von drei Fingern der linken Hand – (20), b) Arbeitsunfallfolgen 1980 – Verletzung des linken Auges – (20), c) degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (20), d) Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts (10), e) chronische Bronchitis (10), f) Schilddrüsenvergrößerung, Fettstoffwechselstörung (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger unter Vorlage diverser medizinischer Unterlagen einen GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. S vom 6. Juli 2010 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers zu dem Schluss gelangt ist, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger eingereichten ärztlichen Atteste und des von dem Sozialgericht eingeholten Befundberichts der Augenärztin Dr. Sa vom 21. November 2011, die eine schwankende Sehschärfe auf dem linken Auge mitgeteilt hat, ist der Sachverständige in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 10. August 2010, vom 18. Oktober 2010 und vom 22. Februar 2012 bei dieser Einschätzung geblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist im Wesentlichen dem Gutachten vom 26. August 2011 gefolgt:
Die Sehminderung nach dem Unfall von 1980 mit Kunstlinse und Erhöhung des Augeninnendrucks sei nach Teil B Nr. 4.2 und Nr. 4.3 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, da von der behandelnden Augenklinik für das linke Auge ein Visus von 0,5 ermittelt worden sei. Soweit die behandelnde Augenärztin auf der Grundlage eines einmaligen Befundes vom 13. Juli 2010 eine schwankende Sehschärfe des linken Auges von 0,2 bis 0,5 mitgeteilt habe, handele es sich nicht um einen dauerhaften Zustand.
Für den Teilverlust der Endglieder des zweiten bis vierten Fingers der linken Hand sei nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zur VersMedV ein GdB von 20 gerechtfertigt.
Die von dem Sachverständigen ermittelten Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten seien nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zur VersMedV mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen.
Bei dem Schultergelenkleiden rechts handele es sich nach den Feststellungen des Gutachters lediglich um leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zur VersMedV mit einem GdB von 10 bewertet werden könnten.
Die bei dem Kläger bestehende psychische Störung rechtfertige angesichts ihrer leichtgradigen Ausprägung nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zur VersMedV ebenfalls nur einen Einzel-GdB von 10.
Auch das Lungenleiden des Klägers, das von dem behandelnden Lungenarzt als chronische Bronchitis ohne Einschränkung der Lungenfunktion bezeichnet worden sei, bedinge nach Teil B Nr. 8.2 der Anlage zur VersMedV keinen höheren GdB als 10.
Die von dem Sachverständigen vorgenommene Bildung des Gesamt-GdB von 40 entspreche den Vorgaben in nach Teil A Nr. 3 der Anlage zur VersMedV: Da die Hauptleiden des Klägers, für die ein GdB von 30 bzw. jeweils von 20 anzusetzen sei, nebeneinander ständen und sich nicht wechselseitig verstärkten, sei eine signifikante Erhöhung des Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden nicht gerechtfertigt. Die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden leichten Gesundheitsstörungen seien nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er bringt vor, das Sozialgericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen. Auch hätte es den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung laden müssen. Ein Gesamt-GdB von 40 sei nicht angemessen. 1982 sei ihm ein GdB von 30 zuerkannt worden. Obwohl seitdem zahlreiche weitere Erkrankungen, insbesondere das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von nunmehr 30, hinzugetreten seien, sei der Gesamt-GdB lediglich um 10 auf 40 erhöht worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2012 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 8. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab 4. März 2008 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen,
weiter hilfsweise,
den Sachverständigen Dr. S zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Die Zurückverweisung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 8a des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2001 (BGBl. I. S. 3057). Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (I.) und – so die Neufassung des Gesetzes – auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (II.).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, Rn. 3a zu § 159 SGG). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es den Kläger entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz seinem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen.
Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Denn unter dem Tatbestandsmerkmal des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, dass der Sachverhalt geklärt sein muss, ist mehr zu verstehen als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Hier haben die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht vorgelegen, da das Sozialgericht bereits seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen hat (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind.
Für die Entscheidung über die streitige Höhe des Gesamt-GdB kam es nach eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen und wie die hieraus folgenden Teilhabeeinschränkungen einzuschätzen sind.
Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht (BSG) an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). In einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Auch berechtigen etwaige medizinische Grundkenntnisse, die im Zuge der richterlichen Tätigkeit in betreffenden Sparten erworben wurden, jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Den behandelnden Ärzten fehlt überdies in aller Regel eine sozialmedizinische Schulung und Erfahrung. Außerdem sollte die richterliche Sachaufklärung nicht (auch nicht ungewollt) dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, solange geeignetere Methoden der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). Dies ist im Verfahren des ersten Rechtszuges insoweit versäumt worden, als auch nach Einholung des Sachverständigengutachtens des Allgemeinmediziners Dr. S vom 6. Juli 2010 mit diversen ergänzenden Stellungnahmen weiterhin Unklarheit über verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers bestanden hat. Vielmehr hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen, welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen und welcher Gesamt-GdB zu bilden ist.
Das Sozialgericht hat seine Bewertung der Sehminderung nach dem Unfall von 1980 mit einem Einzel-GdB von 20 auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S gestützt, der sich allerdings in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2012 nicht hinreichend mit den Angaben der behandelnden Augenärztin S im Befundbericht vom 22. November 2011 auseinandergesetzt hat, wonach das linke Auge eine schwankende Sehschärfe aufweise. Offen bleibt, ob diese Schwankungen die Bewertung des Augenleidens mit einem höheren Einzel-GdB als 20 erforderlich machen. Auch sind die weiteren Darlegungen des Sachverständigen teilweise widersprüchlich: Während er im Gutachten vom 6. Juli 2010 den unfallbedingten Teilverlust der Endglieder des zweiten bis vierten Fingers der linken Hand mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, ist er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. Oktober 2010 davon ausgegangen, dass dem Kläger für diese Behinderung nur ein Einzel-GdB von 10 zuzuerkennen sei. Diese Diskrepanzen hätte das Sozialgericht durch weitere Ermittlungen ausräumen müssen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, ist der danach vorliegende Verfahrensmangel auch wesentlich.
II. Auf Grund der unvollständigen Sachverhaltsaufklärung bleibt eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig. Davon ist auszugehen, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. BT-Drucks. 17/6764, S. 27, zu Art. 8 Nr. 8). Dies ist hier der Fall. Denn vorliegend muss der Sachverhalt dadurch weiter aufgeklärt werden, dass zwei Gutachten gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG einzuholen sind, und zwar auf augenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet. Bereits mit der Einholung eines Gutachtens ist typischerweise der Einsatz erheblicher sächlicher und mit Blick auf die Auswertung und Bewertung des einzuholenden Gutachtens auch erheblicher personeller Mittel verbunden, das je nach der Sach- und Rechtslage ggf. auch weitere Ermittlungen nach sich ziehen kann (vgl. Urteil des Senats vom 27. Januar 2010, L 13 SB 212/11).
III. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen vollständigen Aufklärung des Sachverhalts praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 11. Juli 2012 bis zum Tag der Verkündung des Urteils ca. fünf Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Zudem hat der Kläger selbst die Zurückverweisung an das Sozialgericht beantragt.
Aufgrund des Erfolgs des Hauptantrags ist über die Hilfsanträge nicht mehr zu befinden.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der Beklagte hatte bei dem 1946 geborenen Kläger 1982 einen GdB von 30 festgestellt. Am 4. März 2008 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten Befundberichte erhöhte der Beklagte durch Bescheid vom 8. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 den GdB auf 40. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Arbeitsunfallfolgen 1966 – Teilverlust von drei Fingern der linken Hand – (20), b) Arbeitsunfallfolgen 1980 – Verletzung des linken Auges – (20), c) degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (20), d) Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts (10), e) chronische Bronchitis (10), f) Schilddrüsenvergrößerung, Fettstoffwechselstörung (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger unter Vorlage diverser medizinischer Unterlagen einen GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. S vom 6. Juli 2010 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers zu dem Schluss gelangt ist, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger eingereichten ärztlichen Atteste und des von dem Sozialgericht eingeholten Befundberichts der Augenärztin Dr. Sa vom 21. November 2011, die eine schwankende Sehschärfe auf dem linken Auge mitgeteilt hat, ist der Sachverständige in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 10. August 2010, vom 18. Oktober 2010 und vom 22. Februar 2012 bei dieser Einschätzung geblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist im Wesentlichen dem Gutachten vom 26. August 2011 gefolgt:
Die Sehminderung nach dem Unfall von 1980 mit Kunstlinse und Erhöhung des Augeninnendrucks sei nach Teil B Nr. 4.2 und Nr. 4.3 der Anlage zur VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, da von der behandelnden Augenklinik für das linke Auge ein Visus von 0,5 ermittelt worden sei. Soweit die behandelnde Augenärztin auf der Grundlage eines einmaligen Befundes vom 13. Juli 2010 eine schwankende Sehschärfe des linken Auges von 0,2 bis 0,5 mitgeteilt habe, handele es sich nicht um einen dauerhaften Zustand.
Für den Teilverlust der Endglieder des zweiten bis vierten Fingers der linken Hand sei nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zur VersMedV ein GdB von 20 gerechtfertigt.
Die von dem Sachverständigen ermittelten Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten seien nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zur VersMedV mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen.
Bei dem Schultergelenkleiden rechts handele es sich nach den Feststellungen des Gutachters lediglich um leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zur VersMedV mit einem GdB von 10 bewertet werden könnten.
Die bei dem Kläger bestehende psychische Störung rechtfertige angesichts ihrer leichtgradigen Ausprägung nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zur VersMedV ebenfalls nur einen Einzel-GdB von 10.
Auch das Lungenleiden des Klägers, das von dem behandelnden Lungenarzt als chronische Bronchitis ohne Einschränkung der Lungenfunktion bezeichnet worden sei, bedinge nach Teil B Nr. 8.2 der Anlage zur VersMedV keinen höheren GdB als 10.
Die von dem Sachverständigen vorgenommene Bildung des Gesamt-GdB von 40 entspreche den Vorgaben in nach Teil A Nr. 3 der Anlage zur VersMedV: Da die Hauptleiden des Klägers, für die ein GdB von 30 bzw. jeweils von 20 anzusetzen sei, nebeneinander ständen und sich nicht wechselseitig verstärkten, sei eine signifikante Erhöhung des Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden nicht gerechtfertigt. Die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden leichten Gesundheitsstörungen seien nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er bringt vor, das Sozialgericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen. Auch hätte es den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung laden müssen. Ein Gesamt-GdB von 40 sei nicht angemessen. 1982 sei ihm ein GdB von 30 zuerkannt worden. Obwohl seitdem zahlreiche weitere Erkrankungen, insbesondere das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von nunmehr 30, hinzugetreten seien, sei der Gesamt-GdB lediglich um 10 auf 40 erhöht worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juni 2012 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 8. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab 4. März 2008 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen,
weiter hilfsweise,
den Sachverständigen Dr. S zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Die Zurückverweisung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 8a des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2001 (BGBl. I. S. 3057). Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (I.) und – so die Neufassung des Gesetzes – auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (II.).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, Rn. 3a zu § 159 SGG). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es den Kläger entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz seinem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen.
Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Denn unter dem Tatbestandsmerkmal des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, dass der Sachverhalt geklärt sein muss, ist mehr zu verstehen als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Hier haben die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht vorgelegen, da das Sozialgericht bereits seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen hat (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind.
Für die Entscheidung über die streitige Höhe des Gesamt-GdB kam es nach eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen und wie die hieraus folgenden Teilhabeeinschränkungen einzuschätzen sind.
Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht (BSG) an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). In einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Auch berechtigen etwaige medizinische Grundkenntnisse, die im Zuge der richterlichen Tätigkeit in betreffenden Sparten erworben wurden, jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Den behandelnden Ärzten fehlt überdies in aller Regel eine sozialmedizinische Schulung und Erfahrung. Außerdem sollte die richterliche Sachaufklärung nicht (auch nicht ungewollt) dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, solange geeignetere Methoden der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). Dies ist im Verfahren des ersten Rechtszuges insoweit versäumt worden, als auch nach Einholung des Sachverständigengutachtens des Allgemeinmediziners Dr. S vom 6. Juli 2010 mit diversen ergänzenden Stellungnahmen weiterhin Unklarheit über verschiedene Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers bestanden hat. Vielmehr hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen, welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen und welcher Gesamt-GdB zu bilden ist.
Das Sozialgericht hat seine Bewertung der Sehminderung nach dem Unfall von 1980 mit einem Einzel-GdB von 20 auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S gestützt, der sich allerdings in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2012 nicht hinreichend mit den Angaben der behandelnden Augenärztin S im Befundbericht vom 22. November 2011 auseinandergesetzt hat, wonach das linke Auge eine schwankende Sehschärfe aufweise. Offen bleibt, ob diese Schwankungen die Bewertung des Augenleidens mit einem höheren Einzel-GdB als 20 erforderlich machen. Auch sind die weiteren Darlegungen des Sachverständigen teilweise widersprüchlich: Während er im Gutachten vom 6. Juli 2010 den unfallbedingten Teilverlust der Endglieder des zweiten bis vierten Fingers der linken Hand mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, ist er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. Oktober 2010 davon ausgegangen, dass dem Kläger für diese Behinderung nur ein Einzel-GdB von 10 zuzuerkennen sei. Diese Diskrepanzen hätte das Sozialgericht durch weitere Ermittlungen ausräumen müssen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, ist der danach vorliegende Verfahrensmangel auch wesentlich.
II. Auf Grund der unvollständigen Sachverhaltsaufklärung bleibt eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig. Davon ist auszugehen, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. BT-Drucks. 17/6764, S. 27, zu Art. 8 Nr. 8). Dies ist hier der Fall. Denn vorliegend muss der Sachverhalt dadurch weiter aufgeklärt werden, dass zwei Gutachten gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG einzuholen sind, und zwar auf augenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet. Bereits mit der Einholung eines Gutachtens ist typischerweise der Einsatz erheblicher sächlicher und mit Blick auf die Auswertung und Bewertung des einzuholenden Gutachtens auch erheblicher personeller Mittel verbunden, das je nach der Sach- und Rechtslage ggf. auch weitere Ermittlungen nach sich ziehen kann (vgl. Urteil des Senats vom 27. Januar 2010, L 13 SB 212/11).
III. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen vollständigen Aufklärung des Sachverhalts praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 11. Juli 2012 bis zum Tag der Verkündung des Urteils ca. fünf Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Zudem hat der Kläger selbst die Zurückverweisung an das Sozialgericht beantragt.
Aufgrund des Erfolgs des Hauptantrags ist über die Hilfsanträge nicht mehr zu befinden.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
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