L 18 AS 2526/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 158 AS 11856/12 ER I
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2526/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2012 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, im Wege eines Darlehens Mietschulden der Antragstellerinnen in Höhe von 1.935,70 EUR zu übernehmen und den Betrag auf ein Konto des Vermieters zu überweisen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Über die Beschwerde und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat der Vorsitzende und Berichterstatter wegen der Dringlichkeit der Sache (drohender Fristablauf nach § 569 Abs. 3 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB - am 17. Oktober 2012) zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Eingang der Beschwerdeerwiderung des Antragsgegners vom 11. Oktober 2012 in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden. Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen (Zuschussgewährung und Gerichtskosten) ist sie nicht begründet und war zurückzuweisen. Der Zulässigkeit des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes steht insbesondere nicht die vom Antragsgegner vorgebrachte angebliche Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 23. August 2012 entgegen. Denn jedenfalls der Rechtsschutzantrag vom 3. September 2012 ist insoweit als – fristgerecht – eingegangener Widerspruch der Antragsteller anzusehen. Der Antrag ist im tenorierten Umfang auch begründet. Den Anordnungsgrund für die gerichtliche Anordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz SGG sieht das Gericht hier aufgrund des glaubhaften Vortrags der Antragstellerinnen als gegeben an, dass zwischenzeitlich Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs erhoben worden ist. Auch ein Anordnungsanspruch im tenorierten Umfang ist gegeben. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in Betracht. Nach Satz 1 der Vorschrift können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen nach Satz 2 übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen übernommen werden. Dem Anordnungsanspruch steht zumindest für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen, und zwar im Ergebnis einer hier verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung. Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des 25. Senats in dem Beschluss vom 24. Juli 2012 (– L 25 AS 1659/12 B ER -) wird Bezug genommen.

Im konkreten Fall ist davon auszugehen, dass die in § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Antragstellerinnen beziehen aufgrund der einstweiligen Anordnung vom 24. Juli 2012 (- L 25 AS 1659/12 B ER -) seit 24. Juli 2012 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, auch für die (anteiligen) Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Eine Schuldenübernahme für die vor dem 24. Juli 2012 aufgelaufenen Mietschulden ist zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt. Vorliegend ist die Schuldenübernahme auch zur Behebung der Notlage gerechtfertigt. Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist Tatbestandsvoraussetzung für eine – auch darlehensweise - Verpflichtung des Grundsicherungsträgers. Zu prüfen ist zum einen die objektive Eignung der Schuldenübernahme zur Behebung der Notlage und zum anderen, ob der Betroffene ihm grundsätzlich zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Die objektive Eignung der Schuldenübernahme zur Behebung der Notlage wird im konkreten Fall schon dadurch indiziert, dass die fristlose Kündigung unwirksam wird, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs befriedigt wird (vgl § 569 Abs. 3 Nr 2 BGB) oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Das Gericht sieht es für dieses Verfahren auch als glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerinnen jedenfalls derzeit keine andere Möglichkeit mehr haben, die Mietschulden ohne Inanspruchnahme einer darlehensweisen Schuldenübernahme zu tilgen. Sie selbst verfügen zumindest derzeit über kein Vermögen, auf das sie zurückgreifen könnten. Die Zahlungen vom Sozialhilfeträger sind verbraucht. Auch wenn der Antragstellerin zu 1) insoweit ein Verstoß gegen die ihr obliegende Selbsthilfepflicht angelastet werden könnte, ändert dies nichts an der tatsächlichen aktuellen Mittellosigkeit. Zu berücksichtigen ist zudem, dass im Haushalt ein kleines Kind – die Antragstellerin zu 2) - lebt. Eine Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist hier zudem nicht wegen einer den Antragstellerinnen vorzuwerfenden missbräuchlichen Herbeiführung ihrer Notlage ausgeschlossen. Es kann hier dahinstehen, ob ein missbräuchliches Verhalten bereits die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ausschließen kann oder ob es erst auf der Rechtsfolgenseite bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, wenn die Notlage auf einem missbräuchlichen Verhalten des Leistungsberechtigten beruht. Jedenfalls sieht es auch das Gericht als gewichtiges, gegen eine Verpflichtung des Trägers der Grundsicherungsleistungen zur darlehensweisen Schuldenübernahme sprechendes Argument an, wenn der Leistungsberechtigte seine Lage zurechenbar missbräuchlich herbeigeführt hat. Eine solche Missbräuchlichkeit wird in der Regel anzunehmen sein, wenn der Leistungsberechtigte seine Mietzahlungen bewusst nicht leistet, weil er Schulden in dem Vertrauen darauf auflaufen lässt, der Träger der Grundsicherungsleistungen werde diese schon darlehensweise übernehmen (vgl dazu LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. August 2011 - L 5 AS 328/11 B ER – juris). Ein solcher Fall liegt aber nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht vor. Denn die monatlichen Mietzahlungen leisten die Antragstellerinnen nach der zusprechenden einstweiligen Anordnung seit August 2012 wohl wieder regelmäßig. Dass sie mit der vorrangigen privaten Schuldentilgung ihre Notlage vorsätzlich herbeiführen wollten, ist nicht ersichtlich. Einer Verpflichtung des Antragsgegners steht auch nicht entgegen, dass die Übernahme der Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 8 Satz 1 vor, so "können" Schulden übernommen werden. In einem solchen Fall hat der Betroffene in der Regel lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I), nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung. Die gerichtliche Kontrolle ist dann auf die Frage beschränkt, ob die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt und dabei den gesetzlich eingeräumten Rahmen weder unter- noch überschritten hat. Das Gericht sieht aber im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine nur eingeschränkte, "intendierte" Ermessensausübung im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II für gegeben an, da ansonsten faktisch ein Verlust der Wohnung droht. Im Ergebnis ist somit hier eine zumindest entsprechende Anwendung des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II geboten, wonach ein "intendiertes Ermessen" zur Verpflichtung zur Leistungsgewährung führt, soweit nicht ein atypischer Fall gegeben ist. Im konkreten Fall geht das Gericht von einer sich im Rahmen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II ergebenden Ermessensreduzierung dahingehend aus, dass nur die darlehensweise Übernahme der Mietschulden im tenorierten Umfang rechtmäßig ist. Soweit die Antragstellerinnen die Übernahme der Mietschulden als Zuschuss geltend gemacht haben, unterliegt ihr Rechtsschutzantrag indes der Abweisung. Gleiches gilt für die beanspruchte Übernahme von Gerichtskosten, für die jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Eine Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren kommt nicht in Betracht, weil im Hinblick auf den ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner die Antragstellerinnen insoweit nicht bedürftig sind (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung). Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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