Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 49 AY 9/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 AY 4/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 und die Bescheide des Beklagten vom 1. Juni 2006 und 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20. Dezember 2007 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 1. Juni 2006 bis zum 27. August 2007 ungekürzte Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu zwei Dritteln.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum 1. Juni 2006 bis 31. März 2008.
Der Kläger ist 1942 in B geboren worden. Im Dezember 2001 reiste er - nach seinen Angaben auf dem Luftweg nach H - in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Im Asylverfahren gab er an, aserbaidschanischer Staatsangehöriger armenischer Volkszugehörigkeit zu sein und sich zuletzt vor seiner Ausreise in M aufgehalten zu haben. Er habe sich dort nicht anmelden können, da er weder Geld noch ein Haus besessen habe. In Aserbaidschan habe er noch seinen alten sowjetischen Inlandspass besessen, der dort nicht mehr gültig sei. Den Inlandspass habe der Schlepper an sich genommen und ihm nicht zurückgegeben. Er habe zwei Söhne, die 1970 und 1977 geboren seien. Den älteren Sohn habe er seit dessen Eintritt in die Armee 1988 nicht mehr gesehen, den jüngeren seit 1989, als seine Schwiegereltern ihn mitgenommen hätten, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er habe damals noch nicht mitfahren können. Aserbaidschan habe er verlassen, nachdem er und seine Frau 1989 von Aserbaidschanern in ihrer Wohnung geschlagen worden seien. Seine Frau sei 1994 in Russland gestorben. Bei seiner Rückkehr nach Aserbaidschan oder die Russische Förderation erwarte ihn der Tod. Er wolle nur zu seinen Kindern.
Durch Bescheid vom 21. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab. Während des Klageverfahrens (Az. VG Berlin VG 33 X 213.03) erteilte ihm das Land Berlin, vertreten durch das Landeseinwohneramt, regelmäßig verlängerte Duldungen. Die konsularische Vertretung Aserbaidschans lehnte es im Februar 2004 ab, dem Kläger und seinen Söhnen Reisepässe oder Passersatzpapiere auszustellen. Die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit lasse sich nicht feststellen. Die Echtheit eines vom Kläger vorgelegten Ausbildungsdiploms hatte sich unterdessen bestätigt (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Baku vom 31. Juli 2003).
Durch Urteil vom 2. November 2005 hob das Verwaltungsgericht Berlin den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Oktober 2002 hinsichtlich eines Tenorierungspunktes vollständig (Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nicht vorlägen) und hinsichtlich eines anderen Tenorierungspunktes teilweise auf (Abschiebungsandrohung, soweit sie sich auf die Russische Föderation bezieht).
Am 11. April 2006 erteilte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten dem Kläger eine zunächst bis zum 10. Oktober 2006 befristete Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit regelmäßig verlängert wurde. Im Dezember 2006 erhielt diese Behörde von der aserbaidschanischen Botschaft nochmals die Auskunft, dass der Kläger nicht als aserbaidschanischer Staatsangehöriger habe identifiziert werden können.
Ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin (VG 11 A 209.06) endete am 24. Januar 2008 mit einem Vergleich, durch den sich das Land Berlin verpflichtete, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausweisersatz und einen Reiseausweis für Staatenlose zu erteilen. Die Aufenthaltserlaubnis wird seither jeweils befristet erteilt, ein Reiseausweis wurde ausgestellt. Das Verwaltungsgericht wies darauf hin, dass im Hinblick auf das Urteil vom 2. November 2005 keine ernstlichen Zweifel an der Staatenlosigkeit des Klägers bestünden. Eine konkrete schriftliche Mitwirkungsaufforderung, der der Kläger nicht nachgekommen wäre, sei - abgesehen von der verweigerten Unterschrift unter dem Passantrag - nicht ersichtlich.
Vom Beklagten bezog der Kläger während der Zeit des Asylverfahrens beziehungsweise der Gültigkeit der genannten ausländerrechtlichen Akte laufend Leistungen nach dem AsylbLG, davon in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Mai 2006 so genannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG i.V. mit den Vorschriften des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII). Nachdem ihm der Beklagte mit Bescheid vom 1. Juni 2006 dann wieder - abgesenkte - Leistungen auf der Grundlage des AsylbLG bewilligt hatte, beantragte er im Juni 2006 ausdrücklich, ihm die Analogleistungen weiter zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 24. Januar 2007 mit der Begründung ab, dass der Kläger sich in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben habe, um Leistungen zu erlangen. Er sei illegal eingereist und habe unmittelbar danach Sozialhilfe beantragt. Sein Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass der Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei. Außerdem habe er im Klageverfahren gegen den Ablehnungsbescheid einen Teilerfolg erzielt. Es treffe ferner nicht zu, dass er eingereist sei, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Er sei aufgrund seiner Volkszugehörigkeit verfolgt worden und deshalb ausgereist. Eine Verfolgung gehe von Aserbaidschan oder der Russischen Föderation nur deshalb nicht mehr aus, weil keine verfolgungsfähige Rechtsbeziehung zu diesen Staaten mehr bestehe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Erfolg des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beruhe lediglich darauf, dass der in dem Bescheid des Bundesamtes genannte Zielstaat Abschiebungsbedrohte nicht aufnehmen werde. Eine dem russischen Staat zuzuordnende Verfolgung habe das Gericht nicht feststellen können. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, die von ihm behauptete Art der Einreise zu belegen. Es sei deshalb von einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat auszugehen. Angaben dazu, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten wolle, habe der Kläger nicht gemacht. Als Einreisegrund habe er genannt, dass seine Frau in Russland gestorben sei und er alt und einsam sei. Er habe deshalb zu seinen Söhnen gewollt. Dazu, wo diese sich aufhielten, habe er widersprüchliche Angaben gemacht. Bis heute wohne er außerdem nicht mit ihnen zusammen oder habe sich darum bemüht.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass es an der vom Beklagten gesehenen Kausalität zwischen Einreise und Leistungsbezug fehle. Angesichts seines Alters und seiner Krankheit bestünden unabhängig davon Abschiebungshindernisse, dass es für ihn als Staatenlosen keinen Aufnahmestaat gebe. Eine ausreichende Krankenversorgung sei in der vom Bundesamt in Aussicht genommenen Russischen Förderation nicht gewährleistet. Da eine Abschiebung ausländerrechtlich nicht zulässig sei, könne er nicht leistungsrechtlich auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise verwiesen werden. In Aserbaidschan habe er als armenischer Volkszugehöriger einer Gruppenverfolgung unterlegen, was durch Auskünfte des Auswärtigen Amtes belegt werde. In der Russischen Föderation habe er sich nicht rechtmäßig aufgehalten.
Nachdem der Kläger von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten hatte, hat ihm der Beklagte durch Bescheid vom 22. Mai 2008 Analogleistungen nach dem SGB XII bewilligt, jedoch auf der Grundlage des § 23 Abs. 3 SGB XII beschränkt. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2008) Klage (SG Berlin S 49 AY 135/08).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. Februar 2009 hat der Kläger ergänzende Ausführungen zu den Gründen gemacht, aus denen er Russland verlassen hatte.
Durch Urteil vom 16. Februar 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei nur der Bescheid vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2007, durch den der Antrag auf Leistungen nach § 2 AsylbLG abgelehnt worden sei, nicht dagegen der Bescheid vom 1. Juni 2006 über die Bewilligung von Leistungen auf der Grundlage des "§ 1a Nr. 1" i.V. mit § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG sowie der Bescheid vom 22. Mai 2008. Der Kläger habe keinen Anspruch auf ungekürzte Leistungen nach § 2 AsylbLG. Dem stehe die Vorschrift des § 1a Nr. 1 AsylbLG entgegen. Der Kläger habe sich in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Es reiche dafür aus, dass der Wille, Leistungen in Anspruch zu nehmen, der für die Entscheidung zur Einreise prägende Grund gewesen sei. Dies sei hier der Fall. Bei seiner Einreise habe er erklärt, dass er davon leben wolle, wovon auch die anderen Personen leben wollten, die mit ihm geflüchtet seien. Nach seinen weiteren Angaben könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Familienzusammenführung mit seinen Söhnen der Hauptgrund für seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gewesen sei. Er habe sich hierzu widersprüchlich geäußert und pflege auch nur sporadischen Kontakt mit ihnen. Gleiches gelte für die behauptete Verfolgung in Russland. Das Verwaltungsgericht habe in seinem rechtskräftigen Urteil vom 2. November 2005 festgestellt, dass der Kläger dort keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Den Angaben des Klägers sei vielmehr zu entnehmen, dass er angesichts seines illegalen Status in Russland keine Rentenansprüche habe erwarten können und ebenso wenig solche aus Aserbaidschan. Er habe angesichts dessen nach Deutschland reisen wollen, um im Alter versorgt zu sein, ohne arbeiten zu müssen. Einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG habe der Kläger im Übrigen deshalb nicht, weil er die seit 28. August 2007 erforderliche Vorbezugszeit von 48 Monaten nicht erfüllt habe. Er habe lediglich in der Zeit bis 31. Januar 2005 insgesamt 37 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Die danach bezogenen Leistungen auf der Grundlage des § 2 AsylbLG reichten nicht. § 2 Abs. 1 AsylbLG könne angesichts seines Zwecks nicht erweiternd ausgelegt werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Das Sozialgericht sei zunächst zu Unrecht davon ausgegangen, dass 48 Monate an Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG erforderlich seien, da ein Anspruch noch nach der bis 27. August 2007 geltenden Rechtslage verfolgt werde. Zu Unrecht sei es auch davon ausgegangen, dass ihm ab 1. Juni 2006 Leistungen gewährt worden seien, die nach § 1a AsylbLG gekürzt worden seien. Entgegen der Meinung des Sozialgerichts sei die Familienzusammenführung auch der Hauptgrund für die Einreise gewesen. Er habe sich zeitweilig bei seinen Söhnen aufgehalten, auch habe der Beklagte seinerseits versucht, die Söhne auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts habe das Sozialgericht offenbar nicht verstanden. Er berufe sich auch auf das Europäische Fürsorgeabkommen. Sein ihm für den fraglichen Zeitraum zustehender Bedarf sei weiterhin ungedeckt. Schließlich sei die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG verfassungswidrig.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. Dezember 2012 hat sich der Kläger nochmals selbst zur Sache geäußert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1. Juni 2006 bis zum 31. März 2008 ungekürzte Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren und etwaige dem entgegenstehende Leistungsbescheide für diesen Zeitraum ebenfalls entsprechend zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 erklärt, dass er für den Fall einer für den Kläger günstigen Entscheidung sämtliche Leistungsbewilligungen betreffend den streitigen Zeitraum entsprechend ändern werde.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 hat der Senat die Zeugen André und Pawel Sajan vernommen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Ausländerbehörde beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.
Richtige Klageart ist die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, 56 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die angefochtenen Bescheide haben keinen zuvor ergangenen Bescheid geändert, der Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Begrenzung auch für den hier streitigen Zeitraum bewilligt hatte.
In der Sache wird ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 24. Januar 2007 isoliert über die Ablehnung von Leistungen nach § 2 AsylbLG entschieden hat, über die Höhe der Leistungen gestritten, nicht über die Gewährung von (bestimmten) Leistungen dem Grunde nach (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist die im Juni 2006 vom Kläger beim Beklagten vorgetragene "Bitte", ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, nicht als Antrag auf Gewährung dieser Leistungen zu betrachten, sondern bei verständiger Würdigung als Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 1. Juni 2006 mit der Folge, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch dieser Bescheid mit der Klage anzufechten und der Bescheid vom 24. Januar 2007 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid geworden war.
Weitere Bescheide betreffend Leistungen nach dem AsylbLG für den streitigen Zeitraum wären deshalb ebenfalls nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens oder nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des bereits anhängig gewordenen Rechtsstreits geworden. Aufgrund der Erklärung, welche der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 abgegeben hat, mussten diese Bescheide jedoch nicht konkret mit der Klage angegriffen werden.
Ob der Bescheid vom 22. Mai 2008 gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens erster Instanz geworden war, kann dagegen offen bleiben, da er keine Regelung über den hier streitigen Zeitraum trifft.
Für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 27. August 2007 erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII.
Nach § 2 Abs 1 AsylbLG in der ab dem 1. Januar 2005 und bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Mit Wirkung ab dem 28. August 2007 (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl. I S. 1970) wurde die Dauer des Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG auf 48 Monate verlängert.
Der Kläger gehörte im gesamten streitigen Zeitraum zum Kreis der Leistungsberechtigten aufgrund von § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da er sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhielt und eine Duldung nach § 60a AufenthG besaß. Vom Anwendungsbereich des AsylbLG war er nicht deshalb ausgeschlossen, weil er (auch im streitigen Zeitraum) die Rechtsstellung eines Staatenlosen hatte, wie sich aus den aktenkundigen Unterlagen über die vom Kläger geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergibt. Der Geltung des Art. 23 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen, wonach die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, in bezug auf öffentliche Fürsorge und Unterstützung die gleiche Behandlung wie ihren Staatsangehörigen gewähren, hat die Bundesrepublik mit der Maßgabe zugestimmt, dass er uneingeschränkt nur auf Staatenlose angewandt wird, die zugleich Flüchtlinge im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1969 II S. 1293) sind, im übrigen jedoch nur in einem nach Maßgabe innerstaatlicher Gesetze eingeschränkten Umfange (Art. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 vom 12. April 1976, BGBl. I S. 473). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger zum Personenkreis derer gehört, auf die Art. 23 des Übereinkommens vom 28. September 1954 anwendbar wäre.
Die Vorbezugszeit, die ausschließlich durch Zeiten des Leistungsbezuges nach § 3 AsylbLG erfüllt werden kann (BSG a.a.O.), erfüllt der Kläger jedoch nur für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 27. August 2007 begründen. Denn vor dem 1. Juni 2006 hatte der Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG insgesamt 37 Monate lang (rechtmäßig) bezogen und damit lediglich die Vorbezugszeit von 36 Monaten zurückgelegt. Die Verlängerung der Vorbezugszeit auf 48 Monate, die nach Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. August 2007 am Tag nach der Verkündung (d.h. am 28. August 2007) ohne Übergangsregelung in Kraft getreten ist, hat zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt auch ein bis dahin bestehender Anspruch auf Analogleistungen entfällt, wenn der Ausländer die längere Vorbezugszeit nicht erfüllt hat (BSG a.a.O., auch zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung). Für die Zeit ab 28. August 2007 und bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums hätte der Kläger die verlängerte Vorbezugszeit somit nur dann erfüllen können, wenn der Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit vorher gerade nicht bestanden hätte.
Die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG im somit verbleibenden Zeitraum wird des Weiteren nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Tatbestand des § 1a AsylbLG erfüllt ist (s. auch dazu und zum folgenden BSG a.a.O.). Ob die Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG durch die vom Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 u.a., NvWZ 2012, 1024) festgestellte Verfassungswidrigkeit der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG beeinflusst wird, kann deshalb offenbleiben.
Nach § 1a AsylbLG erhalten unter anderem Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG Leistungen nach dem AsylblG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn sie (1.) sich in den Geltungsbereich des AsylbLG Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder (2.) bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.
Der erforderliche Nachweis, das heißt die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden leistungsbegrenzenden Tatbestände vorliegt, ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht erbracht.
§ 1 Nr. 1 AsylbLG erfordert einen finalen Zusammenhang zwischen der Einreise und dem Bezug von Leistungen. Es muss mit anderen Worten der bestimmende oder gar einzige Zweck der Einreise gewesen sein, Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Ungeachtet des Umstandes, dass der Vortrag des Klägers oder jedenfalls seines Prozessbevollmächtigten zeitweilig ausdrücklich anders lautete, ergibt sich nach Anhörung der Zeugen und vor allem der nochmaligen ausführlichen Befragung des Klägers für den Senat, dass vieles dafür spricht, dass für den Kläger der Wunsch, in räumlicher Nähe zu seinen Söhnen - den Zeugen - zu leben und von diesen (auch materielle) Unterstützung zu erhalten, ein wesentlicher Grund für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland war. Der Kläger hat dies bei seiner Befragung durch den Senat angegeben und damit der Sache nach das wiederholt, was er bereits bei seiner Befragung durch das Bundesamt im Februar 2002 mitgeteilt hat. Seine jetzigen Schilderungen waren detailreich und plastisch. Soweit er von früheren Ausführungen, im besonderen auch von denen, die er in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. Februar 2009 gemacht hat, abgewichen ist, ist dies kein Indiz dafür, dass seine jetzt gemachten Angaben zielgerichtet oder vorbereitet gewesen wären. Da der Kläger durch den Senat weitaus ausführlicher befragt worden ist, als es ausweislich des Sitzungsprotokolls des Sozialgerichts erstinstanzlich der Fall war, bieten die in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 gemachten Ausführungen eine höhere Richtigkeitsgewähr. Nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat anlässlich der Befragung vom Kläger gewinnen konnte, war dieser sich zu keinem Zeitpunkt bewusst, möglicherweise etwas zu sagen, was von dem abweicht, was er zu einem früheren Zeitpunkt aktenkundig mitgeteilt hatte, und damit seine eigene prozessuale Position zu schwächen. Er hatte zahlreiche Nachfragen seitens des Gerichts zu beantworten, die erst aufgrund seiner Aussagen entstanden und deshalb von ihm auch nur aus der Situation heraus beantwortet werden konnten. Bei Zahlenangaben bestätigte sich dabei das von seinem Prozessbevollmächtigten angegebene Unvermögen, ein gesprochenes Zahlwort auf Anhieb mit der richtigen geschriebenen Ziffernfolge zu verbinden.
Die Angaben der Zeugen sind für den Senat glaubhaft, an ihrer Glaubwürdigkeit ergaben sich ebenfalls keine Zweifel. Für zweckorientierte Aussagen, um die prozessuale Position ihres Vaters zu verbessern, ergab sich kein Anhaltspunkt. Im besonderen haben sie nichts vorgetragen, was hätte bestätigen können, dass der Kläger eingereist war, um in ihrer Nähe zu leben. Beide haben übereinstimmend angegeben, von seiner bevorstehenden Einreise nichts gewusst zu haben. Der Argumentation, es sei kein Versuch unternommen worden, die Familienmitglieder örtlich näher zusammenzuführen, sind sie mit der nachvollziehbaren Erklärung begegnet, dass dies bereits in ihrem eigenen Fall an der fehlenden Aufnahmebereitschaft der Gebietskörperschaften gescheitert sei, die dann auch etwaige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringen gehabt hätten.
Besteht somit wenigstens eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht der bestimmende Einreisegrund für den Kläger war, so wirkt sich die daraus folgende Nichterweislichkeit der Voraussetzungen des § 1a Nr. 1 AsylbLG nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast zum Nachteil des Beteiligten aus, der aus der Rechtsnorm eine für sich günstige Rechtsfolge herleiten will, hier also des Beklagten.
Nicht erfüllt sind auch die Voraussetzungen des § 1 Nr. 2 AsylbLG. Der Kläger hatte keinen Grund zu vertreten, aufgrund dessen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten. Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin in den dort anhängig gewesenen Verfahren zu folgen. Danach ist der Kläger staatenlos, so dass eine aufenthaltsbeende Maßnahme allenfalls in Betracht gekommen wäre, wenn eine Ausreisepflicht in einen aufnahmebereiten Staat statuiert werden könnte.
Schließlich ist der Anspruch auf Leistungen in entsprechender Anwendung des § 2 AsylbLlG auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätte.
In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Der Ausländer soll von der in § 2 AsylbLG vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sein, wenn er sie auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben hat. Angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG und der schwerwiegenden Folgen reicht nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Der Pflichtverletzung muss ein erhebliches Gewicht zukommen. Es muss sich um ein Verhalten handeln, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit). Die Gesetzesmaterialien nennen beispielhaft die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität (BT-Dr. 15/420, 121), es sei denn, diese Handlungen wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates, bei dem um Asyl nachgesucht wird - wie etwa eine rechtswidrige Zurückweisung bei der Einreise oder eine rechtswidrige Verweigerung der Einreise. Auf Rechtsmissbrauch kann sich der Staat somit dann nicht berufen, wenn er sich selbst rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich verhält.
Ausgehend von diesem Maßstab stellt sich nicht schon die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition als rechtsmissbräuchlich dar, die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt hat, wenn es ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen. Ein Rechtsmissbrauch liegt nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht (Duldung), sondern kann allenfalls auf den Gründen beruhen, die hierzu geführt haben. Der Tatbestand des § 1a Nr. 1 AsylbLG wird von § 2 AsylbLG von vornherein nicht erfasst. Das rechtlich missbilligte Verhalten muss außerdem mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes kausal verknüpft sein. Ein Rechtsmissbrauch kann deshalb nur vorliegen, wenn der Ausländer sowohl bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts Vorsatz besitzt.
Betreffend das Tatbestandsmerkmal "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" ist auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in Deutschland abzustellen. Ob der Rechtsmissbrauch selbst in diesen Zeitraum fällt, ist ebenso ohne Belang, wie, ob er aktuell andauert.
Ob eine kausale Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes besteht, beurteilt sich anhand einer typisierenden, generell-abstrakten Betrachtungsweise. Eine Ausnahme muss jedoch dann gemacht werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können, etwa weil die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte.
Ausgehend hiervon ist dem Kläger kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen. An einem vorsätzlichen Verhalten fehlt es bereits deshalb, weil sich kein Beleg dafür findet, dass er gewusst haben könnte, dass sich ein dauerhaftes Abschiebungshindernis aus seiner Staatenlosigkeit ergeben würde. Ob dem Kläger - wie von ihm vorgetragen - der dem Schlepper ausgehändigte sogenannte "Inlandspass" entgegen seiner Erwartung nicht wieder ausgehändigt worden ist oder ob er auf andere Weise abhandengekommen oder vernichtet worden sein könnte, kann offenbleiben. Die Existenz dieses Dokuments hätte sich nicht auf die Dauer des Aufenthaltes auswirken können, da der Kläger unstreitig nicht die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation erworben hat und ebenso außer Frage steht, dass die Republik Aserbaidschan eine Staatszugehörigkeit nicht bestätigt hat.
Die Leistungen nach dem SGB XII stehen dem Kläger in gesetzlicher Höhe als Anspruchsleistung zu. Den Nachweis, dass der geltend gemachte Bedarf fortbesteht, muss er nicht erbringen (s. BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 AY 1/10 R, SozR 4-1300 § 44 Nr. 22). Der Beklagte seinerseits ist nicht berechtigt, die Leistungen nach Maßgabe des § 23 Abs. 3 SGB XII im Ermessensweg zu beschränken. Hierbei kann offen bleiben, ob dies darauf beruht, dass § 2 Abs. 1 AsylbLG gegenüber dieser Vorschrift von vornherein eine spezialgesetzliche Regelung trifft. Jedenfalls ist die für den Kläger allein in Betracht kommende Tatbestandsalternative des § 23 Abs. 3 SGB XII (Satz 1, erster Teilsatz: Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen) aus denselben Gründen nicht erfüllt wie die des § 1a Nr. 1 AsylbLG, der - wie ausgeführt - die Anwendung des § 2 AsylbLG und damit des SGB XII insgesamt ausgeschlossen hätte (offen gelassen in BSG a.a.O., wobei das Gericht jedoch die für Anspruchsleistungen vorgesehene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG als "richtige" Klageart ansah).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 1. Juni 2006 bis zum 27. August 2007 ungekürzte Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu zwei Dritteln.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum 1. Juni 2006 bis 31. März 2008.
Der Kläger ist 1942 in B geboren worden. Im Dezember 2001 reiste er - nach seinen Angaben auf dem Luftweg nach H - in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Im Asylverfahren gab er an, aserbaidschanischer Staatsangehöriger armenischer Volkszugehörigkeit zu sein und sich zuletzt vor seiner Ausreise in M aufgehalten zu haben. Er habe sich dort nicht anmelden können, da er weder Geld noch ein Haus besessen habe. In Aserbaidschan habe er noch seinen alten sowjetischen Inlandspass besessen, der dort nicht mehr gültig sei. Den Inlandspass habe der Schlepper an sich genommen und ihm nicht zurückgegeben. Er habe zwei Söhne, die 1970 und 1977 geboren seien. Den älteren Sohn habe er seit dessen Eintritt in die Armee 1988 nicht mehr gesehen, den jüngeren seit 1989, als seine Schwiegereltern ihn mitgenommen hätten, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er habe damals noch nicht mitfahren können. Aserbaidschan habe er verlassen, nachdem er und seine Frau 1989 von Aserbaidschanern in ihrer Wohnung geschlagen worden seien. Seine Frau sei 1994 in Russland gestorben. Bei seiner Rückkehr nach Aserbaidschan oder die Russische Förderation erwarte ihn der Tod. Er wolle nur zu seinen Kindern.
Durch Bescheid vom 21. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab. Während des Klageverfahrens (Az. VG Berlin VG 33 X 213.03) erteilte ihm das Land Berlin, vertreten durch das Landeseinwohneramt, regelmäßig verlängerte Duldungen. Die konsularische Vertretung Aserbaidschans lehnte es im Februar 2004 ab, dem Kläger und seinen Söhnen Reisepässe oder Passersatzpapiere auszustellen. Die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit lasse sich nicht feststellen. Die Echtheit eines vom Kläger vorgelegten Ausbildungsdiploms hatte sich unterdessen bestätigt (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Baku vom 31. Juli 2003).
Durch Urteil vom 2. November 2005 hob das Verwaltungsgericht Berlin den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Oktober 2002 hinsichtlich eines Tenorierungspunktes vollständig (Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nicht vorlägen) und hinsichtlich eines anderen Tenorierungspunktes teilweise auf (Abschiebungsandrohung, soweit sie sich auf die Russische Föderation bezieht).
Am 11. April 2006 erteilte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten dem Kläger eine zunächst bis zum 10. Oktober 2006 befristete Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit regelmäßig verlängert wurde. Im Dezember 2006 erhielt diese Behörde von der aserbaidschanischen Botschaft nochmals die Auskunft, dass der Kläger nicht als aserbaidschanischer Staatsangehöriger habe identifiziert werden können.
Ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin (VG 11 A 209.06) endete am 24. Januar 2008 mit einem Vergleich, durch den sich das Land Berlin verpflichtete, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausweisersatz und einen Reiseausweis für Staatenlose zu erteilen. Die Aufenthaltserlaubnis wird seither jeweils befristet erteilt, ein Reiseausweis wurde ausgestellt. Das Verwaltungsgericht wies darauf hin, dass im Hinblick auf das Urteil vom 2. November 2005 keine ernstlichen Zweifel an der Staatenlosigkeit des Klägers bestünden. Eine konkrete schriftliche Mitwirkungsaufforderung, der der Kläger nicht nachgekommen wäre, sei - abgesehen von der verweigerten Unterschrift unter dem Passantrag - nicht ersichtlich.
Vom Beklagten bezog der Kläger während der Zeit des Asylverfahrens beziehungsweise der Gültigkeit der genannten ausländerrechtlichen Akte laufend Leistungen nach dem AsylbLG, davon in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Mai 2006 so genannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG i.V. mit den Vorschriften des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII). Nachdem ihm der Beklagte mit Bescheid vom 1. Juni 2006 dann wieder - abgesenkte - Leistungen auf der Grundlage des AsylbLG bewilligt hatte, beantragte er im Juni 2006 ausdrücklich, ihm die Analogleistungen weiter zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 24. Januar 2007 mit der Begründung ab, dass der Kläger sich in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben habe, um Leistungen zu erlangen. Er sei illegal eingereist und habe unmittelbar danach Sozialhilfe beantragt. Sein Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass der Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei. Außerdem habe er im Klageverfahren gegen den Ablehnungsbescheid einen Teilerfolg erzielt. Es treffe ferner nicht zu, dass er eingereist sei, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Er sei aufgrund seiner Volkszugehörigkeit verfolgt worden und deshalb ausgereist. Eine Verfolgung gehe von Aserbaidschan oder der Russischen Föderation nur deshalb nicht mehr aus, weil keine verfolgungsfähige Rechtsbeziehung zu diesen Staaten mehr bestehe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Erfolg des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beruhe lediglich darauf, dass der in dem Bescheid des Bundesamtes genannte Zielstaat Abschiebungsbedrohte nicht aufnehmen werde. Eine dem russischen Staat zuzuordnende Verfolgung habe das Gericht nicht feststellen können. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, die von ihm behauptete Art der Einreise zu belegen. Es sei deshalb von einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat auszugehen. Angaben dazu, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten wolle, habe der Kläger nicht gemacht. Als Einreisegrund habe er genannt, dass seine Frau in Russland gestorben sei und er alt und einsam sei. Er habe deshalb zu seinen Söhnen gewollt. Dazu, wo diese sich aufhielten, habe er widersprüchliche Angaben gemacht. Bis heute wohne er außerdem nicht mit ihnen zusammen oder habe sich darum bemüht.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass es an der vom Beklagten gesehenen Kausalität zwischen Einreise und Leistungsbezug fehle. Angesichts seines Alters und seiner Krankheit bestünden unabhängig davon Abschiebungshindernisse, dass es für ihn als Staatenlosen keinen Aufnahmestaat gebe. Eine ausreichende Krankenversorgung sei in der vom Bundesamt in Aussicht genommenen Russischen Förderation nicht gewährleistet. Da eine Abschiebung ausländerrechtlich nicht zulässig sei, könne er nicht leistungsrechtlich auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise verwiesen werden. In Aserbaidschan habe er als armenischer Volkszugehöriger einer Gruppenverfolgung unterlegen, was durch Auskünfte des Auswärtigen Amtes belegt werde. In der Russischen Föderation habe er sich nicht rechtmäßig aufgehalten.
Nachdem der Kläger von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten hatte, hat ihm der Beklagte durch Bescheid vom 22. Mai 2008 Analogleistungen nach dem SGB XII bewilligt, jedoch auf der Grundlage des § 23 Abs. 3 SGB XII beschränkt. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2008) Klage (SG Berlin S 49 AY 135/08).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. Februar 2009 hat der Kläger ergänzende Ausführungen zu den Gründen gemacht, aus denen er Russland verlassen hatte.
Durch Urteil vom 16. Februar 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei nur der Bescheid vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2007, durch den der Antrag auf Leistungen nach § 2 AsylbLG abgelehnt worden sei, nicht dagegen der Bescheid vom 1. Juni 2006 über die Bewilligung von Leistungen auf der Grundlage des "§ 1a Nr. 1" i.V. mit § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG sowie der Bescheid vom 22. Mai 2008. Der Kläger habe keinen Anspruch auf ungekürzte Leistungen nach § 2 AsylbLG. Dem stehe die Vorschrift des § 1a Nr. 1 AsylbLG entgegen. Der Kläger habe sich in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Es reiche dafür aus, dass der Wille, Leistungen in Anspruch zu nehmen, der für die Entscheidung zur Einreise prägende Grund gewesen sei. Dies sei hier der Fall. Bei seiner Einreise habe er erklärt, dass er davon leben wolle, wovon auch die anderen Personen leben wollten, die mit ihm geflüchtet seien. Nach seinen weiteren Angaben könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Familienzusammenführung mit seinen Söhnen der Hauptgrund für seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gewesen sei. Er habe sich hierzu widersprüchlich geäußert und pflege auch nur sporadischen Kontakt mit ihnen. Gleiches gelte für die behauptete Verfolgung in Russland. Das Verwaltungsgericht habe in seinem rechtskräftigen Urteil vom 2. November 2005 festgestellt, dass der Kläger dort keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Den Angaben des Klägers sei vielmehr zu entnehmen, dass er angesichts seines illegalen Status in Russland keine Rentenansprüche habe erwarten können und ebenso wenig solche aus Aserbaidschan. Er habe angesichts dessen nach Deutschland reisen wollen, um im Alter versorgt zu sein, ohne arbeiten zu müssen. Einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG habe der Kläger im Übrigen deshalb nicht, weil er die seit 28. August 2007 erforderliche Vorbezugszeit von 48 Monaten nicht erfüllt habe. Er habe lediglich in der Zeit bis 31. Januar 2005 insgesamt 37 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Die danach bezogenen Leistungen auf der Grundlage des § 2 AsylbLG reichten nicht. § 2 Abs. 1 AsylbLG könne angesichts seines Zwecks nicht erweiternd ausgelegt werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Das Sozialgericht sei zunächst zu Unrecht davon ausgegangen, dass 48 Monate an Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG erforderlich seien, da ein Anspruch noch nach der bis 27. August 2007 geltenden Rechtslage verfolgt werde. Zu Unrecht sei es auch davon ausgegangen, dass ihm ab 1. Juni 2006 Leistungen gewährt worden seien, die nach § 1a AsylbLG gekürzt worden seien. Entgegen der Meinung des Sozialgerichts sei die Familienzusammenführung auch der Hauptgrund für die Einreise gewesen. Er habe sich zeitweilig bei seinen Söhnen aufgehalten, auch habe der Beklagte seinerseits versucht, die Söhne auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts habe das Sozialgericht offenbar nicht verstanden. Er berufe sich auch auf das Europäische Fürsorgeabkommen. Sein ihm für den fraglichen Zeitraum zustehender Bedarf sei weiterhin ungedeckt. Schließlich sei die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG verfassungswidrig.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. Dezember 2012 hat sich der Kläger nochmals selbst zur Sache geäußert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1. Juni 2006 bis zum 31. März 2008 ungekürzte Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren und etwaige dem entgegenstehende Leistungsbescheide für diesen Zeitraum ebenfalls entsprechend zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 erklärt, dass er für den Fall einer für den Kläger günstigen Entscheidung sämtliche Leistungsbewilligungen betreffend den streitigen Zeitraum entsprechend ändern werde.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 hat der Senat die Zeugen André und Pawel Sajan vernommen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Ausländerbehörde beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.
Richtige Klageart ist die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, 56 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die angefochtenen Bescheide haben keinen zuvor ergangenen Bescheid geändert, der Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Begrenzung auch für den hier streitigen Zeitraum bewilligt hatte.
In der Sache wird ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 24. Januar 2007 isoliert über die Ablehnung von Leistungen nach § 2 AsylbLG entschieden hat, über die Höhe der Leistungen gestritten, nicht über die Gewährung von (bestimmten) Leistungen dem Grunde nach (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist die im Juni 2006 vom Kläger beim Beklagten vorgetragene "Bitte", ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, nicht als Antrag auf Gewährung dieser Leistungen zu betrachten, sondern bei verständiger Würdigung als Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 1. Juni 2006 mit der Folge, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch dieser Bescheid mit der Klage anzufechten und der Bescheid vom 24. Januar 2007 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid geworden war.
Weitere Bescheide betreffend Leistungen nach dem AsylbLG für den streitigen Zeitraum wären deshalb ebenfalls nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens oder nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des bereits anhängig gewordenen Rechtsstreits geworden. Aufgrund der Erklärung, welche der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 abgegeben hat, mussten diese Bescheide jedoch nicht konkret mit der Klage angegriffen werden.
Ob der Bescheid vom 22. Mai 2008 gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens erster Instanz geworden war, kann dagegen offen bleiben, da er keine Regelung über den hier streitigen Zeitraum trifft.
Für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 27. August 2007 erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII.
Nach § 2 Abs 1 AsylbLG in der ab dem 1. Januar 2005 und bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Mit Wirkung ab dem 28. August 2007 (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl. I S. 1970) wurde die Dauer des Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG auf 48 Monate verlängert.
Der Kläger gehörte im gesamten streitigen Zeitraum zum Kreis der Leistungsberechtigten aufgrund von § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da er sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhielt und eine Duldung nach § 60a AufenthG besaß. Vom Anwendungsbereich des AsylbLG war er nicht deshalb ausgeschlossen, weil er (auch im streitigen Zeitraum) die Rechtsstellung eines Staatenlosen hatte, wie sich aus den aktenkundigen Unterlagen über die vom Kläger geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergibt. Der Geltung des Art. 23 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen, wonach die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, in bezug auf öffentliche Fürsorge und Unterstützung die gleiche Behandlung wie ihren Staatsangehörigen gewähren, hat die Bundesrepublik mit der Maßgabe zugestimmt, dass er uneingeschränkt nur auf Staatenlose angewandt wird, die zugleich Flüchtlinge im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1969 II S. 1293) sind, im übrigen jedoch nur in einem nach Maßgabe innerstaatlicher Gesetze eingeschränkten Umfange (Art. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 vom 12. April 1976, BGBl. I S. 473). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger zum Personenkreis derer gehört, auf die Art. 23 des Übereinkommens vom 28. September 1954 anwendbar wäre.
Die Vorbezugszeit, die ausschließlich durch Zeiten des Leistungsbezuges nach § 3 AsylbLG erfüllt werden kann (BSG a.a.O.), erfüllt der Kläger jedoch nur für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 27. August 2007 begründen. Denn vor dem 1. Juni 2006 hatte der Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG insgesamt 37 Monate lang (rechtmäßig) bezogen und damit lediglich die Vorbezugszeit von 36 Monaten zurückgelegt. Die Verlängerung der Vorbezugszeit auf 48 Monate, die nach Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. August 2007 am Tag nach der Verkündung (d.h. am 28. August 2007) ohne Übergangsregelung in Kraft getreten ist, hat zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt auch ein bis dahin bestehender Anspruch auf Analogleistungen entfällt, wenn der Ausländer die längere Vorbezugszeit nicht erfüllt hat (BSG a.a.O., auch zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung). Für die Zeit ab 28. August 2007 und bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums hätte der Kläger die verlängerte Vorbezugszeit somit nur dann erfüllen können, wenn der Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit vorher gerade nicht bestanden hätte.
Die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG im somit verbleibenden Zeitraum wird des Weiteren nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Tatbestand des § 1a AsylbLG erfüllt ist (s. auch dazu und zum folgenden BSG a.a.O.). Ob die Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG durch die vom Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 u.a., NvWZ 2012, 1024) festgestellte Verfassungswidrigkeit der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG beeinflusst wird, kann deshalb offenbleiben.
Nach § 1a AsylbLG erhalten unter anderem Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG Leistungen nach dem AsylblG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn sie (1.) sich in den Geltungsbereich des AsylbLG Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder (2.) bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.
Der erforderliche Nachweis, das heißt die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden leistungsbegrenzenden Tatbestände vorliegt, ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht erbracht.
§ 1 Nr. 1 AsylbLG erfordert einen finalen Zusammenhang zwischen der Einreise und dem Bezug von Leistungen. Es muss mit anderen Worten der bestimmende oder gar einzige Zweck der Einreise gewesen sein, Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Ungeachtet des Umstandes, dass der Vortrag des Klägers oder jedenfalls seines Prozessbevollmächtigten zeitweilig ausdrücklich anders lautete, ergibt sich nach Anhörung der Zeugen und vor allem der nochmaligen ausführlichen Befragung des Klägers für den Senat, dass vieles dafür spricht, dass für den Kläger der Wunsch, in räumlicher Nähe zu seinen Söhnen - den Zeugen - zu leben und von diesen (auch materielle) Unterstützung zu erhalten, ein wesentlicher Grund für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland war. Der Kläger hat dies bei seiner Befragung durch den Senat angegeben und damit der Sache nach das wiederholt, was er bereits bei seiner Befragung durch das Bundesamt im Februar 2002 mitgeteilt hat. Seine jetzigen Schilderungen waren detailreich und plastisch. Soweit er von früheren Ausführungen, im besonderen auch von denen, die er in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 16. Februar 2009 gemacht hat, abgewichen ist, ist dies kein Indiz dafür, dass seine jetzt gemachten Angaben zielgerichtet oder vorbereitet gewesen wären. Da der Kläger durch den Senat weitaus ausführlicher befragt worden ist, als es ausweislich des Sitzungsprotokolls des Sozialgerichts erstinstanzlich der Fall war, bieten die in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2012 gemachten Ausführungen eine höhere Richtigkeitsgewähr. Nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat anlässlich der Befragung vom Kläger gewinnen konnte, war dieser sich zu keinem Zeitpunkt bewusst, möglicherweise etwas zu sagen, was von dem abweicht, was er zu einem früheren Zeitpunkt aktenkundig mitgeteilt hatte, und damit seine eigene prozessuale Position zu schwächen. Er hatte zahlreiche Nachfragen seitens des Gerichts zu beantworten, die erst aufgrund seiner Aussagen entstanden und deshalb von ihm auch nur aus der Situation heraus beantwortet werden konnten. Bei Zahlenangaben bestätigte sich dabei das von seinem Prozessbevollmächtigten angegebene Unvermögen, ein gesprochenes Zahlwort auf Anhieb mit der richtigen geschriebenen Ziffernfolge zu verbinden.
Die Angaben der Zeugen sind für den Senat glaubhaft, an ihrer Glaubwürdigkeit ergaben sich ebenfalls keine Zweifel. Für zweckorientierte Aussagen, um die prozessuale Position ihres Vaters zu verbessern, ergab sich kein Anhaltspunkt. Im besonderen haben sie nichts vorgetragen, was hätte bestätigen können, dass der Kläger eingereist war, um in ihrer Nähe zu leben. Beide haben übereinstimmend angegeben, von seiner bevorstehenden Einreise nichts gewusst zu haben. Der Argumentation, es sei kein Versuch unternommen worden, die Familienmitglieder örtlich näher zusammenzuführen, sind sie mit der nachvollziehbaren Erklärung begegnet, dass dies bereits in ihrem eigenen Fall an der fehlenden Aufnahmebereitschaft der Gebietskörperschaften gescheitert sei, die dann auch etwaige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringen gehabt hätten.
Besteht somit wenigstens eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht der bestimmende Einreisegrund für den Kläger war, so wirkt sich die daraus folgende Nichterweislichkeit der Voraussetzungen des § 1a Nr. 1 AsylbLG nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast zum Nachteil des Beteiligten aus, der aus der Rechtsnorm eine für sich günstige Rechtsfolge herleiten will, hier also des Beklagten.
Nicht erfüllt sind auch die Voraussetzungen des § 1 Nr. 2 AsylbLG. Der Kläger hatte keinen Grund zu vertreten, aufgrund dessen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten. Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin in den dort anhängig gewesenen Verfahren zu folgen. Danach ist der Kläger staatenlos, so dass eine aufenthaltsbeende Maßnahme allenfalls in Betracht gekommen wäre, wenn eine Ausreisepflicht in einen aufnahmebereiten Staat statuiert werden könnte.
Schließlich ist der Anspruch auf Leistungen in entsprechender Anwendung des § 2 AsylbLlG auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätte.
In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Der Ausländer soll von der in § 2 AsylbLG vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sein, wenn er sie auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben hat. Angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG und der schwerwiegenden Folgen reicht nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Der Pflichtverletzung muss ein erhebliches Gewicht zukommen. Es muss sich um ein Verhalten handeln, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit). Die Gesetzesmaterialien nennen beispielhaft die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität (BT-Dr. 15/420, 121), es sei denn, diese Handlungen wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates, bei dem um Asyl nachgesucht wird - wie etwa eine rechtswidrige Zurückweisung bei der Einreise oder eine rechtswidrige Verweigerung der Einreise. Auf Rechtsmissbrauch kann sich der Staat somit dann nicht berufen, wenn er sich selbst rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich verhält.
Ausgehend von diesem Maßstab stellt sich nicht schon die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition als rechtsmissbräuchlich dar, die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt hat, wenn es ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen. Ein Rechtsmissbrauch liegt nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht (Duldung), sondern kann allenfalls auf den Gründen beruhen, die hierzu geführt haben. Der Tatbestand des § 1a Nr. 1 AsylbLG wird von § 2 AsylbLG von vornherein nicht erfasst. Das rechtlich missbilligte Verhalten muss außerdem mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes kausal verknüpft sein. Ein Rechtsmissbrauch kann deshalb nur vorliegen, wenn der Ausländer sowohl bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts Vorsatz besitzt.
Betreffend das Tatbestandsmerkmal "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" ist auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in Deutschland abzustellen. Ob der Rechtsmissbrauch selbst in diesen Zeitraum fällt, ist ebenso ohne Belang, wie, ob er aktuell andauert.
Ob eine kausale Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes besteht, beurteilt sich anhand einer typisierenden, generell-abstrakten Betrachtungsweise. Eine Ausnahme muss jedoch dann gemacht werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können, etwa weil die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte.
Ausgehend hiervon ist dem Kläger kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen. An einem vorsätzlichen Verhalten fehlt es bereits deshalb, weil sich kein Beleg dafür findet, dass er gewusst haben könnte, dass sich ein dauerhaftes Abschiebungshindernis aus seiner Staatenlosigkeit ergeben würde. Ob dem Kläger - wie von ihm vorgetragen - der dem Schlepper ausgehändigte sogenannte "Inlandspass" entgegen seiner Erwartung nicht wieder ausgehändigt worden ist oder ob er auf andere Weise abhandengekommen oder vernichtet worden sein könnte, kann offenbleiben. Die Existenz dieses Dokuments hätte sich nicht auf die Dauer des Aufenthaltes auswirken können, da der Kläger unstreitig nicht die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation erworben hat und ebenso außer Frage steht, dass die Republik Aserbaidschan eine Staatszugehörigkeit nicht bestätigt hat.
Die Leistungen nach dem SGB XII stehen dem Kläger in gesetzlicher Höhe als Anspruchsleistung zu. Den Nachweis, dass der geltend gemachte Bedarf fortbesteht, muss er nicht erbringen (s. BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 AY 1/10 R, SozR 4-1300 § 44 Nr. 22). Der Beklagte seinerseits ist nicht berechtigt, die Leistungen nach Maßgabe des § 23 Abs. 3 SGB XII im Ermessensweg zu beschränken. Hierbei kann offen bleiben, ob dies darauf beruht, dass § 2 Abs. 1 AsylbLG gegenüber dieser Vorschrift von vornherein eine spezialgesetzliche Regelung trifft. Jedenfalls ist die für den Kläger allein in Betracht kommende Tatbestandsalternative des § 23 Abs. 3 SGB XII (Satz 1, erster Teilsatz: Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen) aus denselben Gründen nicht erfüllt wie die des § 1a Nr. 1 AsylbLG, der - wie ausgeführt - die Anwendung des § 2 AsylbLG und damit des SGB XII insgesamt ausgeschlossen hätte (offen gelassen in BSG a.a.O., wobei das Gericht jedoch die für Anspruchsleistungen vorgesehene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG als "richtige" Klageart ansah).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
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