L 7 B 130/09 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 7/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 B 130/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 20.02.2009, mit dem ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung des verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwaltes abgelehnt worden ist, aufgehoben. Den Antragstellern wird für die Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht Aachen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus E ab Antragstellung bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 20.02.2009, mit dem ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens abgelehnt worden ist, ist zulässig und begründet. Das SG Aachen hat ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht ab gelehnt.

Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) eines Beteiligten, der die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Antragsteller sind nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten ihrer Rechtsverfolgung aufzubringen. Ihre Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn ihrer Rechtsverfolgung fehlt es nicht von vornherein an jeglicher Erfolgsaussicht.

1. Soweit die Antragsteller sinngemäß begehren, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 11.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2008 anzuordnen, ist dieses Rechtsschutzbegehren - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - als Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auszulegen.

a) Nach dieser Regelung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Mit Sanktionsbescheid vom 11.11.2008 senkte der Antragsgegner die Regelleistung des Antragstellers zu 2) um 30 v.H. für den Zeitraum von Dezember 2008 bis Februar 2009 ab. Widerspruch und Anfechtungsklage des Klägers haben hiergegen gemäß § 39 Nr. 1 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.2008, BGBl I S.2917, mit Wirkung vom 01.01.2009) keine aufschiebende Wirkung. Denn der Sanktionsbescheid setzt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende herab gemäß § 39 Nr. 1 SGB II.

b) Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung war es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuches nicht von vornherein auszuschließen, dass die Antragsteller mit ihrem Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG möglicherweise Erfolg haben konnten.

aa) Denn im Verwaltungsverfahren hat der Antragsteller zu 2) vorgetragen, er habe einen wichtigen Grund gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dafür gehabt, warum er sich bei der S GmbH nicht als Lkw-Fahrer vorgestellt hat. Er hat insoweit vorgetragen, dass man ihm dort keine Einstellungszusage habe geben können, sondern zunächst ein zweiwöchiges Praktikum zu absolvieren sei. In der Zwischenzeit habe er als Fahrer einen Minijob gefunden mit der Aussicht, diesen zu einer Vollzeitstelle auszubauen. Dass dieser Vortrag möglicherweise dem tatsächlichen Geschehensablauf entspricht, ist nicht von vornherein auszuschließen. Im sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren wird ggfs. durch eine Beweisaufnahme zu klären sein, ob der Antragsteller zu 2) bei der Spedition, bei der er im Rahmen eines Minijobs tätig geworden war, zu diesem Zeitpunkt tatsächlich die realistische Aussicht hatte, den Minijob zu einem Vollzeitarbeitsverhältnis auszubauen.

bb) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sankionsbescheides vom 11.11.2008 bestehen zudem deshalb, weil sich die mit diesem Sanktionsbescheid angeordnete Absenkung der Regelleistung für den Zeitraum von Dezember 2008 bis Februar 2009 mit dem Absenkungszeitraum überschneidet, den der Antragsgegner mit dem vorangegangenen (und offenbar bestandskräftigen) Sanktionsbescheid vom 24.10.2008 bereits angeordnet hatte (November 2008 bis Januar 2009). Der Antragsgegner hat die Regelleistung des Antragstellers zu 2) in den Monaten Dezember 2008 sowie Januar 2009 damit im Ergebnis um 40 v.H. abgesenkt (10 v.H. durch den ersten Sanktionsbescheid zzgl. 30 v.H. durch zweiten Sanktionsbescheid).

(1) Ungeklärt ist zunächst, ob eine zeitliche Überschneidung der Sanktionszeiträume zulässig ist (bejahend Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 31 Rn. 154; im Erg. auch Berlit in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007 § 31 Rn. 99; verneinend Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 60a). Für die Zulässigkeit einer Überschneidung der Sanktionszeiträume spricht die Gesetzesbegründung. Denn in BT-Drucks. 15/1516, Seite 61 heißt es: "Bei einer zwischenzeitlich erneut begangenen Pflichtverletzung beginnt ein neuer dreimonatiger Zeitraum, der sich, je nach dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung, an die ersten drei Monaten anschließen oder sich teilweise mit ihnen überschneiden kann."

(2) Es ist ferner weder obergerichtlich noch höchstrichterlich geklärt, ob eine Addition bzw. Kumulation der Sanktionswirkungen den Wertungen des § 31 SGB II widerspricht. Denn dort hat die Gesetzgebung ein nach Wertigkeit und Häufigkeit der Obliegenheitsverletzung gestaffeltes Sanktionensystem normiert. Dieses könnte durch die seitens des Antragsgegners ausgesprochene "Sanktionskumulierung" im Ergebnis konterkariert worden sein könnte. Allerdings dürfte die Gesetzgebung einen Fall wie den vorliegenden, in dem sich unterschiedliche Obliegenheitsverletzungen und Sanktionstatbestände zeitlich überschneiden, möglicherweise von vornherein gar nicht bedacht haben.

2. Soweit die Antragsteller im Ergebnis des Weiteren begehren,die aufschiebende Klage gegen den weiteren Sanktionsbescheid vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2009 anzuordnen, entspricht diesem Rechtsschutzbegehren wieder ein Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG als statthafte Rechtsschutzform.

a) Es bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit auch dieses Sanktionsbescheides vom 23.12.2008. Denn mit diesem dritten Sanktionsbescheid hat der Antragsgegner im Ergebnis wieder eine Überschneidung der verschiedenen Absenkungszeiträume angeordnet. Dies führt hier sogar zu dem Ergebnis, dass die Regelleistung des Antragstellers zu 2) im Januar 2009 um 100 v.H. und im Februar 2009 um 90 v.H. abgesenkt worden ist. Ob dies zu Recht erfolgte, ist aus den vorgenannten Gründen jedenfalls zweifelhaft.

b) Bei Erlass des Sanktionsbescheides vom 23.12.2008 hat der Antragsgegner zudem - ebenso wie bei Erlass des zweiten Sanktionsbescheides vom 11.11.2008 - nicht geprüft, ob er ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zu erbringen hat.

aa) Dies ordnet die Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II jedoch an. Denn danach kann bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 v.H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung der zuständige Grundsicherungsträger im angemessenen Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistung erbringen (§ 31 Abs. 3 Satz 6). Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 7 verdichtet sich diese Ermessensentscheidung zu einer "Sollentscheidung", wenn der Hilfebdürftige mit minderjährigen Kindern in der Bedarfsgemeinschaft lebt. Dies ist bei den Antragstellern der Fall, weil der Antragsteller zu 2) mit den zum Teil minderjährigen Antragstellern zu 3) bis 6) in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Die Regelungen des § 31 Abs. 6 und 7 SGB II dürften hier entsprechend anzuwenden sein. Entsprechend deshalb, weil die Regelungen unmittelbar nur die wiederholte Verletzung der selben Obliegenheit normieren, während es hier wie oben dargelegt um die Nichterfüllung unterschiedlicher Obliegenheiten geht.

bb) Es ist nicht zu erkennen, dass der Antragsgegner bei Erlass des Sanktionsbescheides vom 11.11.2008, der zusammen mit dem Sanktionsbescheid vom 24.10.2008 für die Monate Dezember 2008 und Januar 2009 zu einer Absenkung der Regelleistung des Antragstellers zu 2) um 40 v.H. geführt hat, und bei Erlass des weiteren Sanktionsbescheides vom 23.12.2008 eine Entscheidung darüber getroffen hat, ob den Antragstellern ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gemäß § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II zu erbringen sind. Bei dieser Entscheidung wäre zudem zu berücksichtigen gewesen, dass der Antragsgegner mit Bescheid vom 11.09.2008 eine monatliche Aufrechung (beginnend ab 01.10.2008) in Höhe von 70 Euro gegenüber den Antragstellern ausgesprochen hat. Darüber hinaus nimmt der Antragsgegner eine weitere Aufrechung in Höhe von 50 Euro monatlich vor, wobei bei summarischer Prüfung nicht zu erkennen ist, dass der Antragsgegner zuvor (ausdrücklich) eine entsprechende Aufrechnungserklärung ausgesprochen hätte. Aufgrund der monatlichen Reduzierung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Antragsteller um 120 Euro (70 Euro zzgl. 50 Euro) war der Antragsgegner in besonderer Weise zur Prüfung gehalten, ob den Antragstellern ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gemäß § 31 Abs. 3 Satz 6 und 7 SGB II zu erbringen waren.

3. Am Rande weist der Senat darauf hin, dass zweifelhaft ist, ob der Antragsgegner die monatlichen "Abzüge" in Höhe von 70 bzw. 50 Euro zu Recht vornimmt.

a) Die Aufrechnung in Höhe von 70 Euro monatlich hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 11.09.2008, der ebenfalls offenbar bestandskräftig geworden ist, verlaubart. Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob die Antragsteller mit ihrem weiteren Vorbringen sinngemäß einen diesbezüglichen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestellt haben.

aa) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 11.09.2008 ausgesprochenen Aufrechnungserklärung bestehen nicht nur angesichts der gewählten Handlungsform des Verwaltungsaktes, wie dies das SG in seinem Beschluss vom 20.02.2009 zu Recht dargelegt hat. Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen auch deshalb, weil nicht zu erkennen ist, dass der Antragsgegner insoweit sein Ermessen ausgeübt hat. Gemäß § 43 Satz 1 SGB II können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes jedoch bis zu einem Betrag in Höhe von 30 v.H. der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder Schadensersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässige unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat.

bb) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufrechnungserklärung vom 11.09.2008 sind auch deshalb gegeben, weil der Antragsgegner mit dem Rückforderungsanspruch gegenüber dem Antragsteller zu 2) gegen den Leistungsanspruch aller Antragsteller aufgerechnet hat. Es ist jedoch fraglich, ob der Antragstellerin zu 1) sowie den Antragstellern zu 3) bis 6) ein etwaiges Verschulden bzw. eine etwaige Kenntnis des Antragstellers zu 2) von der Rechtswidrigkeit des früherern Bewilligungsbescheides zuzurechnen ist. Als maßgebliche Zurechnungsnormen könnten - jeweils in entsprechender Anwendung - hinsichtlich des Verschuldens § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und hinsichtlich einer Kenntnis § 166 BGB in Betracht kommen.

cc) Zu klären ist insoweit ferner, ob der von dem Antragsgegner ausgesprochenen Aufrechnung nicht möglicherweise die Regelung des § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entgegensteht.

Nach dieser Regelung kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistung bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird. Hierbei ist zu klären, ob die Regelung des § 43 SGB II diese allgemeine Regelung des § 51 Abs. 2 SGB I im Sinne einer speziellen Regelung verdrängt oder nicht (vgl. Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 43 RdNr. 11).

b) Soweit der Antragsgegner von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ferner einen weiteren Betrag von 50 Euro abzieht, dürfte dies rechtswidrig sein. Denn gemäß § 65e Satz 2 SGB II ist die Aufrechnung wegen eines Anspruches nach § 65e Satz 1 SGB II auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach diesem Buch beschränkt. Die 2-Jahresfrist des § 65 e SGB II dürfte am 01.08.2006 zu laufen begonnen haben (vgl. Eicher a.a.O, § 65e RdNr. 23 mit Nachweisen zum streitigen Beginn und streitigen Dauer der 2-Jahres-Verrechnungshöchstfrist).

4. Ungeachtet der dargelegten hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung der Antragsteller war ihnen Prozesskostenhilfe auch deshalb zu bewilligen, weil ihre Rechtsverfolgung - wie ausgeführt - eine Reihe von höchstrichterlich ungeklärten und nicht einfachen Rechtsfragen aufwirft. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe dient hier der Herstellung der erforderlichen "Waffengleichheit" zwischen den Beteiligten.

5. Eine Kostenerstattung findet im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht statt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

6. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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