S 12 SO 487/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 487/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist die hilfebedürftige Person dem Personenkreis des § 53 Abs. 1 SGB XII zuzuordnen, besteht ein Anspruch auf Eingliederungshilfe durch die Gewährung solcher Maßnahmen, die im Einzelfall geeignet und erforderlich sind. Dabei obliegt es grundsätzlich der Behörde, festzustellen, welche Hilfemaßnahmen im konkreten Einzelfall notwendig und geeignet sind. Die Entscheidung der Behörde über Art und Umfang der Hilfeleistung ist daher nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Die gerichtliche Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob allgemeingültige Maßstäbe beachtet worden sind, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind Die Verpflichtung der Behörde zu einer bestimmten Maßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Beurteilungsspielraum der Behörde dahingehend verdichtet, dass nur diese Maßnahme als erforderlich und geeignet in Betracht zu ziehen ist (hier bejaht).
1. Der Bescheid des Beklagten vom 09.10.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 10.01.2008 werden aufgehoben und der Beklagte verurteilt, die Kosten der heilpädagogischen Frühförderung im Umfang von einer Behandlungseinheit pro Woche auf Antrag der Klägerin vom 20.08.2007 bis einschließlich 31.12.2009 zu gewähren. 2. Die außergerichtlichen Kosten trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Frühförderung.

Die am 2003 geborene Klägerin ist mehrfach behindert. Sie ist in der 30. Schwangerschaftswoche mit einem Atemnotsyndrom, Muskelhypotonie, bronchopulmonale Dysplasie, Hydrocephalus und einem Herzfehler geboren worden. Sie leidet ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. med. B. vom 26.11.2008 an einer allgemeinen Entwicklungsstörung, Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, deutlichen Beeinträchtigung in der psychosozialen Anpassung, Hörminderung und einem Sehfehler sowie an einer psychischen Störung mit deutlichen Hinweisen auf das Vorliegen eines frühkindlichen Autismus. Sie ist mit Hörgeräten und Sehhilfen versorgt. Die Klägerin besucht seit 25.09.2007 den Schulkindergarten des in S.

Mit Bescheid vom 02.04.2004 gewährte der Beklagte erstmals ab dem 01.04.2004 die Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Behandlung im Umfang von 52 Behandlungseinheiten pro Jahr. Die Hilfegewährung wurde mit Bescheiden vom 14.06.2005, 05.07.2006 und 26.06.2007 bis einschließlich 24.09.2007 verlängert. Die Kostenzusage stand unter der wegfallenden Bedingung der Aufnahme der Klägerin in einen Schulkindergarten, in eine Sonderschule, in eine Grundschulförderklasse oder in eine Schule. Die Hilfegewährung wurde mit der Aufnahme der Klägerin in den Schulkindergarten eingestellt.

Am 20.08.2007 beantragte die Mutter der Klägerin die Weitergewährung der Kostenübernahme der heilpädagogischen Behandlung neben dem Besuch des Schulkindergartens.

Mit Bescheid vom 09.10.2007 lehnte der Beklagte die Hilfegewährung ab. Da dieser Bescheid der Klägerin wohl nicht zugegangen ist, erließ der Beklagte unter dem 12.11.2007 nochmals den Ablehnungsbescheid. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der heilpädagogische Bedarf der Klägerin mit dem Besuch des Schulkindergartens abgedeckt sei. Der am 19.11.2007 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchbescheid vom 10.01.2008 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.01.2008, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am 30.01.2008, hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 9.10.2007 i.d.F. des Bescheides vom 10.01.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der heilpädagogischen Frühförderung im Umfang von einer Behandlungseinheit pro Woche zu übernehmen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung einer individuellen Frühförderung bedürfe. Im Schulkindergarten sei sie zwar gut untergebracht, werde aber nicht ausreichend gefördert. Soweit der Beklagte meine, die heilpädagogische Maßnahme sei unverhältnismäßig teuer, könne dem nicht gefolgt werden. Die Krankenkasse würde eine Kostenübernahme auch im Hinblick auf den Verdacht einer Autismuserkrankung ablehnen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin im Schulkindergarten eine intensive Förderung erhalte, welche sinnvoll und angemessen sei. Dies habe auch das Schulamt festgestellt. Ein darüber hinausgehender Bedarf sei nicht glaubhaft gemacht worden. Soweit der Verdacht auf Autismus geäußert worden sei, seien therapeutische Maßnahmen, die durch die Krankenkassen zu tragen seien, vorrangig. Auf den Unterstützungsbedarf der Mutter komme es im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht an.

Mit Verfügung vom 06.10.2008 hat das Gericht die die Klägerin behandelnde Ärztin, Frau Dr. med. B., als sachverständige Zeugin zu den Behinderungen und dem Förderbedarf der Klägerin angehört. Mit Schreiben vom 26.11.2008 hat Frau Dr. med. B. ausgeführt, dass die Klägerin an einer allgemeinen Entwicklungsstörung, Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, deutlichen Beeinträchtigung in der psychosozialen Anpassung, Hörminderung und einem Sehfehler sowie an einer psychischen Störung mit deutlichen Hinweisen auf das Vorliegen eines frühkindlichen Autismus leiden würde. Die Klägerin werde medikamentös mit Risperidon behandelt. Sie bedürfe einer heilpädagogischen Frühförderung. Die Klägerin habe deutlich von der bisherigen Frühförderung profitiert. Ohne diese bestehe die Gefahr einer Zunahme impulsiver Verhaltensmuster bis dahin, dass ein Verbleib der Klägerin in der Ursprungsfamilie nicht mehr gewährleistet sein werde.

In der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 ist die Leiterin des Schulkindergartens als Zeugin zum Förderbedarf der Klägerin vernommen worden. Diesbezüglich wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 verwiesen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 eine fachärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums F. vom 30.01.2009 vorgelegt, wonach bei der Klägerin u.a. ein frühkindlicher Autismus (ICD-10: F 84.0) und eine Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung diagnostiziert worden sind. Des Weiteren wird ausgeführt, dass eine intensive Einzelförderung dringend zu empfehlen sei. Die Förderung sollte als Ziel die Verbesserung der Kommunikation sowie die Anleitung und Unterstützung der Mutter im häuslichen Bereich haben. Die Beschulung der Klägerin auf einer Sonderschule mit kleiner Klasse werde möglicherweise zunächst eine 1zu1-Betreuung in Anspruch nehmen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 09.10.2007 und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen durch Übernahme der Kosten der heilpädagogischen Frühförderung.

1. Gem. § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Ist die hilfebedürftige Person dem Personenkreis des § 53 Abs. 1 SGB XII zuzuordnen, besteht eine Anspruch auf Eingliederungshilfe durch die Gewährung solcher Maßnahmen, die im Einzelfall geeignet und erforderlich sind. Dabei obliegt es grundsätzlich der Behörde, festzustellen, welche Hilfemaßnahmen im konkreten Einzelfall notwendig und geeignet sind (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2008 - B 11b AS 19/07 R - zit. in Juris; LSG Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2008 - L 2 SO 1990/08 ER-B -, zit. in Juris; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 16.06.2008 - L 9 B 358/08 SO ER -, zit. in Juris; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 12.11.2008 - 6 K 1620/04 -, zit. in Juris; SG Gießen, Urt. v. 11.10.2007 - S 20 SO 36/06 -, zit. in Juris). Die Entscheidung der Behörde über Art und Umfang der Hilfeleistung ist daher nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Das Gericht kann nur prüfen, ob die Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der begehrten Hilfeleistung das Ergebnis eines kooperativen Entscheidungsprozesses ist, eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation darstellt und daher fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist. Die gerichtliche Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob allgemeingültige Maßstäbe beachtet worden sind, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.1999, BVerwGE 109, 155, 167 f. zu Leistungen nach § 35 a Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII -). Die Verpflichtung der Behörde zu einer bestimmten von der Klägerin gewählten Maßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Beurteilungsspielraum der Behörde dahingehend verdichtet, dass nur diese Maßnahme als erforderlich und geeignet in Betracht zu ziehen ist.

2. Ausgehend davon kommt die Kammer vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Klägerin ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der von ihr begehrten heilpädagogischen Frühförderung zusteht.

a. Die Klägerin gehört aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Behinderungen unstreitig zum berechtigten Personenkreis des § 53 Abs. 1 SGB XII. Sie hat daher einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe.

b. Die von der Klägerin begehrte Leistung ist eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Danach gehört zu den Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags im August 2007 bereits vier Jahre alt. Sie wird in diesem Jahr sechs Jahre alt und es ist geplant, dass sie die Sehbehinderten-Schule besuchen soll. Die begehrte heilpädagogische Behandlung soll eindeutig und wesentlich die Grundlage dafür schaffen, dass die Klägerin trotz ihrer erheblichen Behinderungen in die Lage versetzt wird, bei Eintritt der Schulpflicht dieser genügen zu können und sei es durch den Besuch einer Sonderschule. Dies Qualifizierung heilpädagogischer Maßnahmen als Hilfe zur angemessenen Schulbildung folgt im Übrigen auch aus § 12 Satz 1 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO, wonach Hilfen i.S.v. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher sind, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

c. Die begehrte heilpädagogische Behandlung ist auch geeignet und erforderlich, um den Hilfebedarf der Klägerin angemessen zu decken.

Ob eine Maßnahme der Eingliederungshilfe geeignet und erforderlich ist, setzt nicht ein prognostisches Urteil über die Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis voraus, nach dem zu erwarten wäre, dass durch die heilpädagogische Maßnahme eine drohende Behinderung oder eine bereits vorhandene Behinderung i.S.v. § 53 Abs. 1 SGB XII verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Behinderung beseitigt oder abgemildert werden könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.2002, FEVS 53, 499 ff.; Thür. LSG, Beschl. v. 30.03.2007 - L 8 SO 116/07 ER -, zit. in Juris; VG Göttingen, Urt. v. 09.02.2006 - 2 A 351/04 -, zit. in Juris). Es geht allein um die Frage, ob die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Die heilpädagogische Frühförderung setzt vor Beginn der allgemeinen Schulpflicht ein und soll einen späteren Schulbesuch erleichtern oder ermöglichen. Vorliegend hat der Beklagte auch anerkannt, dass die heilpädagogische Behandlung der Klägerin zur Deckung ihres Hilfebedarfs geeignet und erforderlich ist, denn er hat ab dem 01.04. 2004 bis zum Eintritt der Klägerin in den Schulkindergarten in Stegen die Kosten dieser Behandlung auch übernommen.

Die Kammer kann nicht erkennen, dass sich am Hilfebedarf der Klägerin seit dem Eintritt in den Schulkindergarten etwas geändert hat. Insbesondere steht zur Überzeugung des Gerichts nach den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 als Zeugin vernommenen Leiterin des Schulkindergartens, Frau T., und der eingeholten sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden Kinderärztin unter Berücksichtigung der fachärztlichen Stellungnahme des Universitätsklinikums F. vom 30.01.2009 fest, dass der Schulkindergarten nicht in der Lage ist, den Hilfebedarf der Klägerin angemessen zu decken.

Nach den in den Verwaltungsakten der Beklagten vorhandenen Therapieberichten der Therapeutin der Klägerin, Frau D., ist Ziel der heilpädagogischen Frühförderung, durch eine ganzheitliche Entwicklungsverzögerung die Klägerin in allen Entwicklungsbereichen unterstützend voranzubringen. Nach dem Entwicklungsbericht vom 21.06.2004 (Bl. 39, 41 der Verwaltungsakte des Beklagten) zeigte die Klägerin im Alltagsverhalten wie Nahrungsaufnahme, Sprache und Beweglichkeit teilweise Entwicklungsverzögerungen gegenüber gleichaltrigen Kleinkindern. Bereits in diesem Alter zeigte sich eine erhebliche sozial-emotionale Entwicklungsstörung, dass die Klägerin ihre Bezugspersonen nicht wahrnimmt und sich eher von diesen gestört fühlt. Den folgenden Entwicklungsberichten (vom 13.05.2005, Bl. 51, 53 der Verwaltungsakte des Beklagten, vom 29.05.2006, Bl. 83, 85 der Verwaltungsakte des Beklagten und vom 21.05.2007, Bl. 111 bis 114 der Verwaltungsakte des Beklagten) ist zu entnehmen, dass die sozial-emotionale Entwicklungsstörung sowie die Sprach- und Wahrnehmungsproblematik, verbunden mit der Intelligenzminderung, die das Erlernen auch alltäglicher Dinge erschwert, deutlich im Vordergrund stehen und diesbezüglich erhebliche Entwicklungsverzögerungen gegenüber gleichaltrigen Kindern bestehen. Im Entwicklungsbericht vom 21.05.2007 benennt die Therapeutin das Vorliegen autistischer Züge, die sich darin äußern, dass die Klägerin stereotype Verhaltensweisen zeigt, nicht in Kontakt gehen kann und auf Personen nur eingeschränkt reagiert. Den Therapieberichten ist zu entnehmen, dass sich die Therapeutin in einer 1zu1-Beziehung mit der Klägerin beschäftigt hat. Dabei ging es im letzten Jahr der Therapie vor allem darum, mit der Klägerin in Kontakt zu treten und in Interaktionen das Sozialverhalten der Klägerin zu trainieren.

Die in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeugin hat ausgesagt, dass der Schulkindergarten nur mit äußerster Mühe in der Lage sei, den Förderbedarf der Klägerin zu decken. Bei dem Schulkindergarten handelt es sich um einen Kindergarten für Hörgeschädigte. Nach den Aussagen der Zeugin sollen die Kinder in ihrem Hörvermögen und Kommunikationsvermögen gefördert werden. Die Hör- und Sprachproblematik stellt jedoch auch nach der Aussage der Zeugin nur ein Teil der Entwicklungsverzögerung dar. Auch im Schulkindergarten zeigen sich die psychosozialen Entwicklungsstörungen sowie die Intelligenzminderung und weist die Klägerin insbesondere in diesen Bereichen erhebliche Unterschiede zu den anderen dort betreuten Kindern auf. Bei Beschäftigungen wie Puzzle bedarf die Klägerin einer individuellen Betreuung. Zwar gibt es im Schulkindergarten und in der angegliederten Schule nach den Aussagen der Zeugin eine Erziehern mit einer speziellen heilpädagogischen Ausbildung. Sie ist jedoch nicht in der allgemeinen Betreuung und Erziehung der Kinder tätig, sondern bietet außerhalb der Gruppenbetreuung individuell heilpädagogische Frühförderung an. Die Klägerin hat jedoch dort keinen Platz bekommen. Die übrigen Erzieher haben keine derartige spezielle Ausbildung. Die Aussage der Zeugin wird unterstützt durch die Angaben der behandelnden Kinderärztin, Frau Dr. med. B., in der schriftlichen Aussage vom 26.11.2008. Sie hat ausgeführt aus, dass die Klägerin aufgrund der komplexen Entwicklungsstörung einer spezifischen Alltagsförderung im Rahmen einer Einzelbetreuung bedarf. Die Klägerin hat von der bisherigen heilpädagogischen Frühförderung deutlich profitiert. Ohne diese heilpädagogische Einzelförderung besteht die Gefahr der Zunahme impulsiver Verhaltensmuster, welche dazu führen könnten, dass die Klägerin nicht mehr in ihrer Familie verbleiben kann. Auch das Universitätsklinikum Freiburg spricht sich in der Stellungnahme vom 30.01.2009 für die Fortsetzung der heilpädagogischen Frühförderung aus. Es zeigt sich durch die Aussagen ihrer Mutter und der Zeugin T. deutlich, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, sich in einer Gruppe angemessen zu entwickeln, sondern einer zusätzlichen spezifischen Einzelbetreuung bedarf.

Die Aufgabe von Schulkindergärten ist es zwar, den sonderpädagogischen Förderbedarf behinderter Kinder bereits vor Beginn der Schulpflicht zu decken. Sie stellen ebenfalls Hilfen zur Schulbildung dar. Dies bedeutet aber nicht, dass der Besuch eines Schulkindergartens den Förderbedarf eines behinderten Kindes stets deckt. Es besteht auch keine etwaige Bindung an die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde zum Besuch des Schulkindergartens zur Vorbereitung auf die Schulpflicht eines behinderten Kindes dahingehend, dass daneben keine weiteren Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung in Betracht kommen würden. Auch schließt der Besuch eines Schulkindergartens die Inanspruchnahme weiterer Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nicht aus. Die Annahme eines derartigen Exklusivitätsverhältnisses entspricht weder den gesetzlichen Vorschriften noch ließe sie sich mit dem konkret zu ermittelnden Hilfebedarf eines behinderten Kindes in Einklang bringen. Es ist zudem nicht Aufgabe dieser Einrichtungen, dem zuständigen Sozialhilfeträger Kosten zu ersparen. Vielmehr ist anhand der konkreten Umstände im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob ein weiterer Hilfebedarf besteht und wie dieser zu decken ist. Vorliegend ist ein weiterer Hilfebedarf offensichtlich, denn die Klägerin scheint nach dem Abbruch der heilpädagogischen Frühförderung in ihrer psychosozialen Entwicklung keine Fortschritte gemacht zu haben. So führte auch die Zeugin in der mündlichen Verhandlung aus, dass gerade in diesem Bereich der Unterschied zu gleichaltrigen Kindern immer größer wird.

d. Eine Alternative, die der Klägerin eine angemessene Hilfe vermittelt, hat der Beklagte nicht angeboten.

Wenn der Beklagte allgemein darauf abstellt, dass die Klägerin ihren Hilfebedarf durch eine Verhaltenstherapie decken könne und damit auf die Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers - der Krankenkassen - verweist, genügt dies nicht. Ein solches Vorgehen widerspricht den in §§ 1 und 11 SGB XII festgehaltenen allgemeinen Pflichten des Sozialhilfeträgers zur Beratung und Unterstützung von Hilfebedürftigen. Insbesondere bei der Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Kinder geht es darum, diesen Kindern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dazu gehört auch, die Behinderungen bis zum Eintritt der Schulpflicht abzumildern oder gar ganz zu beseitigen, damit diese Kinder in die Lage versetzt werden können, eine Schule zu besuchen. Die Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entspricht dem Bedürfnis der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG -). Zu deren Achtung und Schutz ist der Beklagte gerade für den Bereich der Sozialhilfe auch einfachgesetzlich verpflichtet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Soweit - wie hier - ein Hilfebedarf feststeht und damit der Sozialhilfeträger zum Handeln verpflichtet ist, darf es nicht bei einer rein passiven Haltung bleiben. Vielmehr müssen alle Möglichkeiten der Beratung und Intervention ausgeschöpft werden. Dies ist die Kehrseite, wenn man - richtigerweise - nicht nur Zahlstelle sein will.

Im Übrigen kann die Kammer auch nicht erkennen, dass sich der Hilfebedarf der Klägerin durch den Eintritt in den Schulkindergarten derartig gewandelt haben soll, dass nunmehr nicht mehr die heilpädagogische Frühförderung die geeignete und erforderliche Maßnahme sein soll, sondern eine Verhaltenstherapie angezeigt sei. Wie die Beweisaufnahme gezeigt hat, ist der Schulkindergarten aufgrund seiner Ausrichtung nicht in der Lage, den Förderbedarf der Klägerin hinsichtlich ihrer psychosozialen Entwicklungsstörung und ihrer Intelligenzminderung angemessen zu decken. Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass diese Bereiche nunmehr von einer Verhaltenstherapie gedeckt werden können. Soweit der Beklagte jedenfalls nach den Äußerungen in der mündlichen Verhandlung eine solche Therapie im Hinblick auf den festgestellten frühkindlichen Autismus (vgl. fachärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums Freiburg vom 30.01.2009) für angemessen erachtet, ist darauf hinzuweisen, dass autistische Erkrankungen ein weites Spektrum aufweisen und diesbezüglich ganz verschiedene Therapien im Einzelfall anzuwenden sind (vgl. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, 3. Aufl. 2007, S. 225 ff.). Inwieweit und mit welchen Ansätzen eine Verhaltenstherapie angezeigt ist, vermochte der Beklagte allerdings nicht darzustellen.

e. Eine Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung erfolgt bis Ende Dezember 2009. Die Klägerin soll ab September 2009 die Sehbehinderten-Schule besuchen und es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sich der Behandlungsbedarf abhängig von Fördermöglichkeiten in der Schule tatsächlich ändern könnte. Dem Beklagten soll zudem die Möglichkeit gegeben werden, entsprechend seiner Aufgabe den weiteren Hilfebedarf - auch für die Familie der Klägerin, denn dort ist die Einleitung von Hilfemaßnahmen dringend indiziert - abzuklären. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, ob und inwieweit ein Wechsel der Therapeutin aufgrund der beschriebenen Kontaktstörung der Klägerin überhaupt als sinnvoll zu erachten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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