L 7 AS 294/09 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AS 1576/09 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 294/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichender Erfolgsaussicht ist die Beschwerde auch in den Fällen gegeben, in denen das Rechtsmittel in der Hauptsache nicht zulässig wäre.
2. zum Bekleidungsbedarf bei heranwachsenden Kindern
Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. Mai 2009 wird zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin zu 2 wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. Mai 2009 geändert. Der Antragstellerin zu 2 wird für das Verfahren S 2 AS 1576/09 ER vor dem Sozialgericht Chemnitz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin X ,., beigeordnet.

Gründe:

Die Antragstellerinnen und Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: Antragstellerinnen) wenden sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz, mit dem dieses die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das auf die Übernahme der Kosten für neue Kleidung für die Antragstellerin zu 2 gerichtete Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen fehlender Aussicht auf Erfolg abgelehnt hat.

Die Beschwerde ist statthaft. § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab dem 01.04.2008 geltenden Fassung schließt die Beschwerde nicht aus, weil das Sozialgericht nicht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe verneint hat. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, wonach die Beschwerde in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, ist auf die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren weder direkt noch entsprechend anwendbar (so schon Beschluss des Senats vom 18.03.2009 – L 7 B 446/08 AS-PKH mit einer Übersicht zum Streitstand; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2009 – L 28 B 1379/08 AS PKH; zitiert nach Juris).

Der gegenteiligen Auffassung folgt der Senat auch nach der inzwischen ergangenen weiteren Rechtsprechung (SächsLSG, Beschlüsse vom 18.08.2009 – L 2 AS 321/09 B PKH und L 2 AS 352/09 B PKH; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18.08.2009 – L 8 258/08 AS-PKH; HessLSG, Beschluss vom 08.07.2009 – L 6 AS 1754/09 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.09.2009 – L 20 B 2247/08 B PKH) nicht. Dem steht aus Sicht des erkennenden Senats der ausdrückliche Wortlaut der speziell für das sozialgerichtliche Verfahren getroffenen Regelungen in § 172 Abs. 1 und Abs. 3 SGG entgegen. Über die allgemeine Verweisungsnorm des § 73a SGG auf die Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) Rückgriff zu nehmen, verbietet sich aufgrund dieser Spezialvorschrift. Der Senat sieht hierin auch keinen Wertungswiderspruch, da auf diese Weise gewährleistet ist, dass ein unbemittelter Rechtsschutzsuchender mit staatlicher Unterstützung und rechtskundiger Hilfe zumindest ein gerichtliches Verfahren als (vollständiges) Hauptsacheverfahren führen kann. Da über die Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nach summarischer Prüfung vorab zu entscheiden ist, also bevor weitere Ermittlungen veranlasst oder angestellt bzw. Beweise erhoben werden (vgl. § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO), dient die Beschwerdemöglichkeit gegen mangels Erfolgsaussicht ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidungen der Sozialgerichte so der Verwirklichung des Anspruchs Unbemittelter auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz. Die gleichzeitige Geltung von § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG einerseits und § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO in entsprechender Anwendung andererseits würde indes im Anwendungsbereich des SGG zum völligen Ausschluss der Prozesskostenhilfebeschwerde führen, wenn der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht ist.

Auch unter Berücksichtigung des Gesetzgebungsprozesses (vgl. hierzu im Einzelnen: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.05.2008 – L 6 B 48/08) erlaubt die eindeutige und abschließende Neuregelung des § 172 SGG zum 01.04.2008 eine entsprechende Anwendung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG nicht. Dagegen spricht im Übrigen auch der 3. Halbsatz jener Vorschrift, der – anders als § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG eine Beschwerde auch beim Unterschreiten des Beschwerdewertes zulässt, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint hat. Einen völligen Ausschluss der Prozesskostenhilfebeschwerde bei Nichterreichen des Beschwerdewertes sieht also auch die ZPO nicht vor.

Da in der Rechtsprechung bereits vor der jüngsten Änderung des Sozialgerichtsgesetzes mit dem zum 01.04.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGB. I S. 444) unterschiedliche Auffassungen zur Rechtsmittelfähigkeit bei Prozesskostenhilfebeschwerden vertreten wurden, war dem Gesetzgeber die insoweit bestehende Diskrepanz bekannt. Da er dennoch insoweit keine Anpassung vorgenommen hat, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdemöglichkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit zumindest im Prozesskostenhilfeverfahren erhalten bleiben sollte, selbst wenn oder gerade weil im Hauptsacheverfahren kein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung gegeben ist (vgl. z.B. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.05.2008, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2008 – L 29 B 1004/08 AS). Die Beschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten bedarf wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003, – 1 PBvU 1/02 , NJW 2003, 1924, 1926, und Nichtannahmebeschluss vom 16.01.2007 1 BvR 2803/06 –, NJW 2007, 2538 f.) in jedem Fall einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die hier fehlt.

Daher kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes im Hauptsacheverfahren mehr als 750,00 EUR betragen würde, was angesichts der hier streitigen Kosten für Kleidung zweifelhaft erscheint. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 ist unbegründet, die der Antragstellerin zu 2 begründet.

Gemäß § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Gericht kann sich mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussichten begnügen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.1997, NJW 1997, 2745; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Auflage, § 114 Rdnr. 80). Der Erfolg braucht also nicht gewiss zu sein, er muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist zu verneinen, wenn sich aus den Verfahrensunterlagen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung ergeben. Wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich sind, ist die Erfolgsaussicht häufig, aber nicht immer gegeben. Prozesskostenhilfe kann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19, SächsLSG, Beschluss vom 30.04.1998 – L 3 AL 47/98 –).

Gemessen hieran lagen hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 bereits zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe keine Erfolgsaussichten bezüglich des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie selbst nicht aktivlegitimiert ist, weil sie keine eigenen Rechte geltend macht. Sie beansprucht weder ausdrücklich noch konkludent Leistungen für sich selbst und ist allenfalls als gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin zu 2 am Verfahren beteiligt. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hatte, kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren nicht in Betracht.

Soweit die am 1996 geborene Antragstellerin zu 2 für sich selbst wegen wachstumsbedingten Bekleidungsbedarfs einen Bedarf für Erstausstattung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II begehrt hat, sind derzeit hinreichende Erfolgsaussichten i.S.d. § 114 Satz 1 ZPO gegeben. Denn angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken, die das Bundessozialgericht (BSG) bezüglich des Bedarfs bzw. abweichender Bedarfe von unter 14jährigen Kindern von Empfängern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zur Vorlage einer konkreten Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht veranlasst hat (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 27.01.2009 – B 14 AS 5/08 R), durfte das Sozialgericht die Erfolgsaussichten des Verfahrens nicht ohne Weiteres verneinen. Ob ein Anspruch auf "Erstausstattung" nach jener Vorschrift wegen der Berücksichtigung eines Bekleidungsanteils bei der Regelleistung von vornherein ausscheidet, ist in Anbetracht der Bedenken des BSG zweifelhaft. Die Erfolgaussichten konnten hinsichtlich eines Anordnungsanspruchs also durchaus als offen betrachtet werden.

Gleiches gilt für den Anordnungsgrund. Dabei war zu berücksichtigen, dass die zuständige ARGE im Bescheid vom 06.02.2009 und im Widerspruchsbescheid vom 03.03.2009 auch die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 1 SGB II abgelehnt hatte. Obwohl nur pauschal behauptet wurde, dass die Antragstellerin zu 2 nichts mehr zum Anziehen habe bzw. in ihren inzwischen zu klein gewordenen Kleidern zur Schule gehen müsste, kann z. B. beim Übergang der Jahreszeiten – wie derzeit ein akuter Bekleidungsbedarf nicht von vornherein verneint werden. Es besteht allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass der Anordnungsgrund, d. h. die besondere Dringlichkeit für die begehrte einstweilige Anordnung entfallen könnte, wenn die Antragstellerin zu 2 insoweit ein von der ARGE angebotenes Darlehen ablehnen würde.

Die Antragstellerin zu 2 ist nach der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den hierzu überreichten Belegen auch bedürftig.

Die Beiordnung ist auszusprechen, weil eine Rechtsvertretung erforderlich erscheint (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§§ 177, 183 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved