L 7 AS 7/08

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 403/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 7/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Titelzeile:
kein Mehrbedarf für erwerbsunfähige Kinder im Falle des § 28 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 SGB II

Kurztext:
1. Bei der Geltendmachung eines Mehrbedarfs nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II kann der Streitgegenstand hierauf begrenzt werden.
2. § 28 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 SGB II ist im Wege der teleologischen Reduktion dahin auszulegen, dass mit nicht erwerbsfähigen Personen nur solche Personen gemeint sind, die rechtlich überhaupt in der Lage sind, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
I. Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in Höhe von einem Zehntel zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nach Erledigterklärung des Rechtsstreits im Übrigen nur noch darüber, ob den Klägern zu 3) und 4) für die Zeit vom 27.04.2006 bis zum 06.06.2007 ein Zuschlag nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zusteht. Die am ...1967 geborene Klägerin zu 2) ist mit dem am ...1960 geborenen Kläger zu 1) verheiratet. In ihrem Haushalt leben die am ...1998 und ...1996 geborenen Kinder ...(F.) - Kläger zu 3) - und ... (D.) Klägerin zu 4). Bis zum 30.09.2006 lebte auch die am 1985 geborene Tochter M. im Haushalt. Diese hat anlässlich ihrer Arbeitsaufnahme zum 01.10.2006 den Haushalt verlassen. D. verfügt über einen seit 28.04.2004 gültigen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und den Merkzeichen G, H, und RF; F. verfügt über einen Schwerbehindertenausweis, gültig ab 07.04.2004 mit einem GdB von 90 und den Merkzeichen G und H. F. besucht eine Schule für geistig Behinderte in S. , D. die Sächsische Blindenschule in Chemnitz. Beide sind nicht stationär untergebracht. Für die Kinder wurden jeweils 154,00 EUR Kindergeld monatlich gezahlt. Nachdem zuvor bereits ein Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt worden war, stellten die Kläger am 27.04.2006 einen erneuten Antrag. Sie machten geltend, für die Kinder seien Mehrbedarfe zum Lebensunterhalt, wie Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens, Beziehung zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben in den Formularen nicht berücksichtigt, aber anzuerkennen. Die Versorgung mit Strom gehöre zum sozialen Mindeststandard. Ohne Stromversorgung könne Wohnungseigentum nicht bestimmungsgemäß genutzt werden. Eine ausreichende Beleuchtung sei bei hochgradig Sehbehinderten sehr wichtig. Auch das Beheizen erfordere Strom. Mit Bescheid vom 02.08.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil keine Hilfebedürftigkeit bestehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2007 wies die Beklagte den hiergegen gerichteten Widerspruch zurück. Die Kläger zu 1 und 2 hätten bis zum 30.06.2006 jeweils Anspruch auf eine Regelleistung in Höhe von jeweils 298,00 EUR und ab 01.07.2006 in Höhe von 311,00 EUR. Die beiden Kinder F. und D. hätten Anspruch auf Sozialgeld ab 01.07.2006 in Höhe von 207,00 EUR, für die Zeit bis zum 30.06.2006 auf 199,00 EUR monatlich. Mehrbedarfe stünden nicht zu. Die Kosten der Unterkunft betrügen insgesamt 715,73 EUR. Damit betrage der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft 1.742,95 EUR bis zum 30.06.2006 sowie ab 01.07.2006 1.784,95 EUR monatlich. Hierauf sei das zu mit 1.803,99 EUR berücksichtigende Einkommen anzurechnen, welches den Bedarf übersteige. Hiergegen haben die Kläger am 05.02.2007 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben. Dieses hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.12.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Im Übrigen hat es ausgeführt, dass selbst dann, wenn man einen Abzug für Warmwasserbereitung für unzulässig hielte, sich der Bedarf lediglich um monatlich 5,48 EUR erhöhen würde. Damit läge dieser immer noch unter dem anzurechnenden Einkommen. Ein Mehrbedarf für die behinderten Kinder habe nicht anerkannt werden können, weil § 21 Abs. 4 SGB II einen Mehrbedarf nur für erwerbsfähige Hilfebedürftige vorsehe, die Kinder der Kläger jedoch gerade nicht erwerbsfähig seien. Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 11.12.2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 11.01.2008 eingegangene Berufung. Zu deren Begründung wird auf den erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen. Die Warmwasserpauschale sei nicht abzuziehen. Zumindest ab dem 01.08.2006 sei auch ein Mehrbedarf für die beiden behinderten Kinder, die beide Schwerbehindertenausweise mit dem Merkzeichen G besäßen, gesetzlich geregelt. § 28 SGB II sehe in seiner ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung vor, dass nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft lebten, Sozialgeld erhielten. Nicht erwerbsfähige Personen, die Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit dem Merkzeichen G seien, erhielten nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 SGB II einen Mehrbedarf in Höhe von 17 v. H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung. Die Vorschrift sei durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 angefügt worden. Nach der Gesetzesbegründung sei es Ziel gewesen, die bestehende Mehrbedarfsregelung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ins SGB II zu übertragen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.12.2008 haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen und den Rechtsstreit für erledigt erklärt, soweit er nicht die Gewährung von Mehrbedarfszuschlägen nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB 11 betraf. Die Kläger beantragen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 06.12.2007 und den Bescheid vom 04.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2007 in der Fassung des Teilvergleichs vom 08.12.2008 dahin zu ändern, dass den Klägern zu 3) und 4) in der Zeit vom 27.04.2006 bis zum 06.06.2007 ein Zuschlag nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II gewährt wird. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend führt sie aus, dass für Kinder unter 15 Jahren kein Anspruch auf Mehrbedarf nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II bestehe. Diese Regelung folge den bestehenden sozialhilferechtlichen Regelungen für Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII. Danach könnten voll erwerbsgeminderte Personen unter 65 Jahren einen Mehrbedarf bekommen, wenn sie Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit Merkzeichen G seien. Voll erwerbsgemindert seien gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande seien, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierbei müsse es sich um Personen handeln, die vom Alter her gesehen einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten und die daran nur durch ihre Erwerbsunfähigkeit, d. h. infolge von körperlichen oder geistigen Mängeln, gehindert seien. Der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch einen Jugendlichen stehe nichts mehr im Wege, sobald für ihn die Pflicht zum Besuch einer Schule mit Vollzeitunterricht ihr Ende gefunden habe (§§ 2 und 7 Jugendarbeitsschutzgesetz). Da für den genannten Personenkreis der Kinder unter 15 Jahren die allgemeine Schulpflicht noch bestehe, sei eine Prüfung der (fiktiven) Erwerbsfähigkeit nicht erforderlich. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, denn streitig ist vorliegend ein Zeitraum von über einem Jahr. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid die begehrten Leistungen nicht bezogen auf einen bestimmten Zeitraum abgelehnt, sondern auf unbestimmte Zeit. Die Kläger haben erst am 07.06.2007 wieder einen Antrag gestellt. Damit ist vorliegend der Zeitraum zwischen den beiden Antragstellungen (27.04.2006 bis einschließlich 06.06.2007) streitgegenständlich. Die Berufung ist auch zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Streitig ist nach den Erledigterklärungen der Beteiligten nur noch die Frage, ob den Klägern zu 3 und 4 ein Mehrbedarf zusteht. Eine entsprechende Beschränkung des Streitgegenstandes war hier zulässig, denn der geltend gemachte Mehrbedarf hängt der Höhe nach nicht davon ab, wie hoch die konkret zu zahlende Leistung ist; vielmehr wird dieser Bedarf abstrakt in einem Prozentsatz der gesetzlichen Regelleistung bzw. des Sozialgeldes bemessen. Dementsprechend würde sich bei Zuerkennung des geltend gemachten Mehrbedarfs die etwa nach den nunmehrigen Berechnungen der Beklagten den Klägern zustehende Leistung lediglich um einen entsprechenden Betrag erhöhen. Ein Mehrbedarf der Kläger zu 3 und 4 ist jedoch nicht zu berücksichtigen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II haben nicht erwerbsfähige Personen einen Mehrbedarf von 17 v. H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G sind. Ziel dieser mit Wirkung zum 01.08.2006 eingefügten Vorschrift ist es ausweislich der Gesetzesbegründung, mit Blick auf Art. 3 Grundgesetz eine Gleichbehandlung der behinderten Menschen, bei denen das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt worden ist, im SGB XII und SGB II im Hinblick auf die Höhe der zu gewährenden Leistung (Mehrbedarf wegen der Auswirkung der Behinderung) zu erreichen (BT-Drs. 16/1410, S. 25; Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 2008, Rdnr. 33 zu § 29). In § 30 Abs. 1 Nr.2 SGB XII wird ein Mehrbedarf nur denjenigen Schwerbehinderten mit dem Merkzeichen G zuerkannt, die unter 65 Jahren und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind. Da der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II nicht zu entnehmen ist, dass hier eine Besserstellung der schwerbehinderten Kinder mit dem Merkzeichen G gegenüber dem SGB XII erreicht werden soll (die ihrerseits wohl einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellen würde), und da nach dem SGB XII der entsprechende Mehrbedarf lediglich für erwerbsunfähige Jugendliche besteht, sobald ihre Schulpflicht erloschen ist (Hofmann in LPK SGB XII, 8. Aufl. 2008, Rdnr. 11 zu § 30), ist hier das in dem erkennbaren Bemühen um Kurzfassung der Vorschrift erfolgte Redaktionsversehen durch teleologische Reduktion entsprechend dahin auszulegen, dass mit den nicht erwerbsfähigen Personen ebenfalls nur solche Personen gemeint sind, die überhaupt rechtlich in der Lage wären, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, was bei denjenigen, die den von der Beklagten benannten Paragraphen des Jugendarbeitsschutzgesetzes unterliegen, jedoch nicht der Fall ist. Zu diesem Personenkreis zählen auch die beiden Kinder D. und F. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Kläger auch unter Berücksichtigung des geschlossenen Teilvergleichs bei überschlägiger Berechnung, wie sie der den Beteiligten im Termin am 08.12.2008 überreichten Aufstellung zu entnehmen ist, im Wesentlichen unterlegen sind. Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da zu der Frage, ob für unter 15¬jährige Hilfebedürftige ein Mehrbedarf gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II anzuerkennen ist, bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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