L 11 B 465/09

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 9 AS 469/09 ER
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 465/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für junge Erwachsene unter 25 Jahren besteht hinsichtlich der Bewertung des angemessenen Wohnraums
nach § 22 Abs. 2 SGB II ein Unterkunftsbedarf, der sich an den Gewohnheiten von Schülern, Studenten und
Auszubildenden dieser Altersgruppe mit geringen finanziellen Mitteln orientiert.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozial- gerichts Schleswig vom 31. August 2009 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin , K., bewilligt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der 1990 geborene Antragsteller zog Ende Juli 2009 von seiner Mutter aus B. zur Aufnahme eines Praktikums zu seinem Vater und dessen sechsköpfiger Familie mit Zustimmung der ARGE B. nach K. um. Nachdem der Antragsteller am 27. Juli 2009 beim Antragsgegner Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 1. August 2009 beantragt hatte, legte der Antragsteller dem Antragsgegner am 29. Juli 2009 ein Mietangebot für eine Wohnung am K.-S.-Platz 1 vor, wobei die Bruttokaltmiete 301,50 EUR und die Mietkaution 694,47 EUR betragen sollte. Der Antragsgegner verweigerte die Zustimmung zur Anmietung der Wohnung mit der Begründung, dass in K. die Mietobergrenze für junge Erwachsene unter 25 Jahren 205,00 EUR brutto warm betrage. Es seien keine Gründe ersichtlich, von der Mietobergrenze abzusehen und stattdessen die sich am K.er Mietspiegel 2008 orientierende Mietobergrenze für Ein-Personen-Haushalte in Höhe von 301,50 EUR heranzuziehen. Nach Aufforderung durch das daraufhin vom Antragsteller angerufene Sozialgericht Schleswig hat der Antragsgegner 16 Mietangebote für einzelne Zimmer in Wohnungen bzw. Wohngemeinschaften übermittelt.

Das Sozialgericht Schleswig hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 31. August 2009 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller eine Zusicherung für den Abschluss eines Mietvertrages für die betreffende Wohnung K.-S.-Platz 1 in K. zu erteilen und dem Antragsteller die Mietkaution in Höhe von 694,47 Euro als Darlehen zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Annahme einer Mietobergrenze für unter 25-jährige Hilfeempfänger begegne erheblichen rechtlichen Bedenken. Dem Wortlaut des § 22 Abs. 2a SGB II ließen sich keine weiteren Einschränkungen hinsichtlich einer abweichenden Beurteilung der Angemessenheit der insoweit maßgeblichen Kosten der Unterkunft entnehmen. Darüber hinaus dürfte ein Hilfebedürftiger grundsätzlich Anspruch auf eine nur von ihm bewohnte Wohnung haben und könne nicht auf das Zusammenleben mit Fremden, etwa in einer Wohngemeinschaft, verwiesen werden. Davon abgesehen habe der Antragsgegner nicht nachgewiesen, dass zu der von ihm als angemessen zu Grunde gelegten Miete konkret ausreichend Wohnraum vorhanden sei. Der vom Antragsgegner durch eingereichte Mietangebote dargelegte Wohnraum stehe dem Antragsteller überwiegend nicht zur Verfügung.

Gegen den Beschluss des Sozialgerichts richtet sich die am 8. September 2009 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Der Antragsgegner geht weiterhin von der Rechtmäßigkeit der von ihm herangezogenen Mietobergrenze aus. Dieser liege der Gedanke zugrunde, dass junge Erwachsene ohne Ausbildung, die noch nicht wirtschaftlich nachhaltig auf eigenen Füßen gestanden und deshalb keinen eigenen Hausstand hätten, im Falle der Bedürftigkeit nur angemessene Unterkunftskosten für ein möbliertes Zimmer, nicht aber für eine vollständige Wohnung beanspruchen könnten. Dies beruhe auf der Anschauung, dass sich in jungem Alter einen eigenen Hausstand nur leisten könne, wer dies aus eigenen Kräften zu bewerkstelligen vermöge. Hilfe der Allgemeinheit zur Erlangung eines eigenen Hausstandes benötige danach nur, wem es auch in einem fortgeschrittenen Alter nicht gelungen sei, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt bestehe in der Regel keine Abhängigkeit vom Elternhaus und von der Ausbildungszeit mehr.

Mit Beschluss vom 16. September 2009 hat der Senat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss ausgesetzt.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss die sich aus der gesetzlichen Regelung des § 86b Abs. 2 SGG ergebenden Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung genannt. Hierbei handelt es sich einerseits um den Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Anordnung, andererseits um den Anordnungsanspruch, d.h. einen gewissen Grad an Sicherheit, dass der materielle Anspruch besteht. Zutreffend hat das Sozialgericht auch darauf hingewiesen, dass im Falle grundsicherungsrechtlicher Regelungsanordnungen zu Lasten der Behörde die zugesprochenen Leistungen in aller Regel verbraucht werden und deshalb nach einer etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr erfolgreich zurückgefordert werden können. Da auf diese Weise faktisch vollendete Tatsachen geschaffen werden, muss die Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung hoch sein.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sieht der Senat die Voraussetzungen der beantragten einstweiligen Anordnung als nicht gegeben an. Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, die auch im Rahmen einer Entscheidung über eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2a SGB II zu beachten ist, bestimmt, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Letzteres ist, bezogen auf das vorgelegte Wohnungsangebot, nicht der Fall. Der Senat hält nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Rechtslage an seiner Auffassung fest, dass für junge Erwachsene unter 25 Jahren hinsichtlich der Bewertung des angemessenen Wohnraums nach § 22 Abs. 2 SGB II ein Unterkunftsbedarf besteht, der sich an den Gewohnheiten von Schülern, Studenten und Auszubildenden dieser Altersgruppe mit geringen finanziellen Mitteln orientiert (Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 11 B 561/06 AS ER).

Maßgebend für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sind diejenigen Aufwendungen, die ein vergleichbarer Personenkreis, hier junge Volljährige, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen und sich noch in der beruflichen Orientierungsphase oder der Ausbildung befinden, für Wohnraum aufzubringen vermögen. Da diese Personen, Studenten, Auszubildende oder – wie der Antragsteller – Praktikanten, ganz überwiegend nur über ein geringes Einkommen verfügen, müssen sie sich auf preiswerte Unterkünfte beschränken, insbesondere kleine möblierte Wohnungen, einzelne Zimmer, auch in Wohnheimen oder Wohngemeinschaften. Nichts anderes gilt bei jungen Erwachsenen, die Leistungen nach § 22 SGB II beanspruchen (vgl. Beschluss des Senats a.a.O. mit Verweis auf die Rechtsprechung des 6. Senats, Beschluss vom 30. November 2005 - L 6 B 314/05 AS ER; anders Piepenstock, in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 114 mit Verweis auf LSG Hamburg, Beschluss vom 25. August 2005 - L 5 B 201/05 ER AS). Soweit hiergegen eingewendet wird, die Übernahme der Unterkunftskosten diene der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses, des Wohnens, und beinhalte grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich in einem abgeschlossenen, von Einflüssen Dritter freien Bereich aufzuhalten (so LSG Hamburg, a.a.O.), ist anzumerken, dass ein solcher geschützter Bereich grundsätzlich auch innerhalb eines einzelnen Zimmers besteht.

Der Senat stützt sich bei seiner Rechtsauffassung auch auf die gesetzgeberische Wertung, wonach der kostenträchtige Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen begrenzt werden soll, die bisher wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen eigenen Anspruch oder als Teil einer Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen hatten (vgl. BT-Drucks. 16/688, S. 14). Dieser Gedanke hat Niederschlag in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften gefunden, insbesondere in § 22 Abs. 2a SGB II (eingefügt durch Gesetz vom 24. März 2006, BGBl. I S. 558; siehe hierzu Berlit, info also 2006, S. 51 ff.). Hiernach werden Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und umziehen wollen, Leistungen für Unterkunft und Heizung grundsätzlich nur nach vorheriger Zusicherung des Leistungsträgers gewährt, wobei die Zusicherung nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2a Satz 2 SGB II zu erteilen ist. Diese Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber die zeitliche Grenze, bis zu der Einschränkungen hinzunehmen sind, bei der Vollendung des 25. Lebensjahres sieht. Auf der anderen Seite wird durch die Begrenzung der Höhe der angemessenen Unterkunftskosten dem gesetzgeberischen Ziel, die mit dem Erstbezug von eigenem Wohnraum verbundenen Kosten zu mindern, entsprochen.

Vom Antragsteller werden keine Gründe vorgetragen, die in Abweichung von dem dargestellten Grundsatz einen Anspruch auf höherwertigen Wohnraum zu rechtfertigen vermögen. Seinem Einwand, es stünde in K. kein entsprechender Wohnraum zur Verfügung, vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist gerichtsbekannt, dass der Wohnungsmarkt einer mittelgroßen Universitätsstadt wie K. kleine möblierte Wohnungen im Einzelbezug, aber auch Zimmer, auch in Wohngemeinschaften und Wohnheimen aufweist. Darüber hinaus belegen die vom Antragsgegner vorgelegten Mietangebote, dass ausreichender Wohnraum auch unter Zugrundelegung der Mietobergrenze tatsächlich zur Verfügung steht. Soweit die angebotenen Wohnungen inzwischen teilweise anderweitig vergeben sind, vermag dies hieran nichts zu ändern. Der Einwand, der Antragsteller gehöre aufgrund seines sozialen Hintergrundes nicht zur Zielgruppe von Studenten-Wohngemeinschaften, mag in einigen Fällen den Zugang erschweren. Eine Verallgemeinerung dergestalt, dass der Eintritt in ein entsprechendes Mietverhältnis durchweg ausgeschlossen ist, lässt sich dem jedoch nicht entnehmen.

Da sich die mit dem vorgelegten Wohnungsangebot verbundenen Unterkunftskosten als unangemessen darstellen, konnte auch ein Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Mietkaution nach § 22 Abs. 3 SGB II nicht glaubhaft gemacht werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Prozesskostenhilfe ist dem Antragsteller ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung im Beschwerdeverfahren für dieses zu gewähren, da der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 73a SGG). Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung (§§ 114, 115 ZPO i.V.m. § 73a SGG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Vorsitzender Richter am Richter am Landes- Vorsitzender Richter am Landessozialgericht sozialgericht Landessozialgericht
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