L 29 AS 1752/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 27364/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 1752/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. September 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung des Sozialgerichts Berlin vom 7. September 2009 zur Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Mietschulden in Höhe von 1.961,83 EUR und Prozesskosten für eine Räumungsklage in Höhe von 1180,47 EUR als Darlehen.

Die 1981 geborene Antragstellerin mietete mit Vertrag vom 24. August 2006 ihre derzeitige - unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift befindliche - Wohnung (2 Zimmer, 59,11 m² Wohnfläche) zum 1. September 2006 mit einem damaligen Mietzins von insgesamt 359,50 EUR und beantragte bei dem Antragsgegner nach ihrem Umzug Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), welche ihr antragsgemäß bewilligt worden sind. Nach wiederholten Mieterhöhungen liegt der Mietzins derzeit bei monatlich 432,71 EUR. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen wurden die Mietzahlungen von dem Antragsgegner nach entsprechender Beantragung durch die Antragstellerin ab dem Antragsszeitpunkt auch vollständig übernommen.

Die Antragstellerin absolviert derzeit eine Umschuldung, die bis Ende 2010 abgeschlossen sein soll.

Ausweislich des Klageschriftsatzes ihrer Vermieterin vom 26. Januar 2009 an das Amtsgericht Berlin zahlte die Antragstellerin von Beginn des Mietverhältnisses an den Mietzins unregelmäßig und teilweise gar nicht. Es summierten sich dadurch bis Januar 2009 Mietrückstände in Höhe von insgesamt 2520,75 EUR. Mit Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Wedding vom 14. Mai 2009 (2 C 31/09) wurde die Antragstellerin schließlich verurteilt, 1867,00 EUR aus
Mietrückständen nebst Zinsen an die Wohnungsbaugesellschaft zu zahlen und ihre Wohnung bis zum 31. Juli 2009 zu räumen. Zudem wurde sie mit Beschluss vom 28. Mai 2009 verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten der Wohnungsbaugesellschaft in Höhe von 1165,35 EUR zu erstatten.

Die Antragstellerin beantragte bei dem Antragsgegner die Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs. 5 SGB II zur Begleichung Ihrer Mietschulden. Dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. April 2009 mit der Begründung ab, die bewohnte Wohnung liege deutlich über dem angemessenen Wert für allein stehende Personen. Im hiergegen durchgeführten Widerspruchsverfahren holte der Antragsgegner eine psychologische Stellungnahme vom 9. Juni 2006 ein, in der die Psychologin Frau K riet, auf einen Wohnungswechsel bis zum Ende der Umschulung zu verzichten, weil ein solcher für die Antragstellerin eine Belastung darstellen würde.

Der Antragsgegner erklärte daraufhin mit Schreiben vom 29. Juni 2009 seine Bereitschaft, die tatsächlichen Aufwendungen für die derzeitigen Kosten der Unterkunft für längstens noch 18 Monate zu übernehmen und kündigte an, ab 01. Januar 2011 nur noch den Richtwert von 378,00 EUR zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Übernahme der Mietschulden sei nicht gerechtfertigt. Zum einen resultierten diese aus einer zweckfremden Verwendung der geleisteten Zahlungen und zum anderen sei die Wohnung auch unangemessen teuer. Angemessen seien für einen 1- Personen-Haushalt monatlich lediglich 378 EUR. Im Übrigen ergebe sich auch aus einer Rückzahlungsverpflichtung von über 3000,00 EUR eine erhebliche psychische Belastung, so dass nicht erkennbar sei, dass die Antragstellerin bei einem Verbleib in ihrer Wohnung günstiger gestellt sei.

Die Antragstellerin hat am 20. August 2009 bei dem Sozialgericht Berlin gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben (S 65 AS 27364/09) und im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, umgehend Mietschulden in Höhe von 1961,83 EUR sowie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1180,47 EUR als Darlehen zu gewähren. Zur Begründung hat sie ausgeführt, zu den Mietrückständen sei es aufgrund einer Kontopfändung 2008 gekommen. Sie habe daraufhin ihrem damaligen Freund Geld zur Zahlung der Miete übergeben, welches dieser jedoch zweckentfremdet habe.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 7. September 2009 den Antrag abgelehnt. Die begehrte Kostenübernahme sei nicht gerechtfertigt. Zum einen sei die Wohnung nicht angemessen; zum anderen seien die Mietschulden durch sie zu vertreten. Im Übrigen sei eine Rückzahlung eines Darlehens von über 3000 EUR ungewiss.

Gegen diesen der Antragstellerin am 11. September 2009 zugestellten Beschluss hat sie am 12. Oktober 2009 (einem Montag) Beschwerde erhoben. Der monatliche Mietzins betrage derzeit tatsächlich nur 432,71 EUR und nicht - wie im Beschluss des Sozialgerichts genannt - 462,71 EUR. Für sie sei es jedoch wichtig, dass sie bis zur Beendigung ihrer Umschulung in dieser Wohnung verbleiben könne. Im Übrigen habe sie mit den Mietschulden Probleme, einen neuen Mietvertrag zu erhalten. Sie sei derzeit auch kaum in der Lage, die Mietschulden und Gerichtskosten nebst den anfallenden Zinsen in monatlichen Raten (zu 20 EUR) zu tilgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten ( ) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt vor-aus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Auch im Beschwerdeverfahren sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Vorliegend ist ein Anordnungsanspruch weder für die begehrte Mietschuldenübernahme (hierzu unter A.) noch für die Anwaltskosten (hierzu unter B.) glaubhaft gemacht.

A. Soweit die Antragstellerin die darlehensweise Übernahme von Mietschulden begehrt, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch -SGB II). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden
Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs.1 S. 3 SGB II). Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft und zur Behebung einer vergleichbaren Notlage
gerechtfertigt ist (§ 22 Abs. 5 S. 1 SGB II). Sie sollen übernommen werden, denn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 22 Abs. 5 S. 2 SGB II), wobei Geldleistungen als Darlehen erbracht werden sollen (§ 22 Abs. 5 S. 4 SGB II).

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist ein solcher Anordnungsanspruch - der auf eine Leistung gerichtet ist, die im Ermessen des Antragsgegners steht - schon deshalb nicht erkennbar, weil die Sicherung einer unangemessenen Wohnung nicht gerechtfertigt im Sinne von § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II ist. Ein Mietzins von monatlich 432,71 EUR ist für einen 1-Personen-Haushalt aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht angemessen. Die Sicherung einer unangemessenen Unterkunft ist jedoch nicht durch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II ge-schützt.

Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 4. Dezember 2008 in einem vergleichbaren Fall (L 29 B 1928/08 AS ER, L 29 B 1930/08 AS PKH, zitiert nach Juris) entschieden hat, ist in einem solchen Fall die Übernahme von Schulden grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

Die gesetzliche Regelung des § 22 Abs. 1 Zweites Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) würde ins Leere laufen, wenn zwar einerseits nur die angemessenen Kosten der Unterkunft zu leisten sind, andererseits jedoch Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen wären, die daraus resultieren, dass der über den angemessenen Betrag hinausgehende tatsächliche Mietzins nicht als Leistung erbracht wurde. Letztlich würden dann dem Antragsgegner durch die Verpflichtung zur Schuldenübernahme doch sämtliche Kosten der Unterkunft aufgebürdet, auch wenn sie unangemessen hoch sind. Dies gilt gleichermaßen oft auch bei einer Übernahme der Kosten als Darlehen. Denn wie die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift selbst einräumt, ist nicht absehbar, dass sie in der Lage ist, hieraus resultierende Darlehensverbindlichkeiten zu begleichen. Die Antragstellerin sieht sich nicht einmal in der Lage, monatlich 20 EUR zu tilgen, obwohl nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II ein Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10% der Regelleistung (351 EUR x 10%= 35,10 EUR) zu tilgen wäre.

Außerdem würde das Ziel einer nachhaltigen Kostensenkung auf das Niveau eines angemessenen Betrages verfehlt, wenn den Hilfebedürftigen ein Verbleib in der unangemessenen Woh-nung durch Übernahme der Mietschulden ermöglicht würde. Aus diesem Grunde ist in § 22 Abs. 5 S. 2 SGB III eine Übernahme von Mietschulden regelmäßig auch nur dann vorgesehen, wenn nicht nur Wohnungslosigkeit einzutreten droht, sondern zudem die Übernahme der Schulden gerechtfertigt und notwendig ist. Zumindest diese Voraussetzungen dürften nicht erfüllt sein, wenn die Mietschulden sich als Konsequenz aus einer Anwendung des § 22 Abs. 1 SGB II darstellen (vgl. in diesem Sinne LSG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2007, L 28 B 269/07 AS ER, zitiert nach Juris) oder - wie hier im Falle der Antragstellerin -, wenn vom Antragsgegner überhöhte Kosten der Unterkunft und Heizung bereits gezahlt worden sind, vom Hilfebedürftigen, d.h. der Antragstellerin jedoch nicht an den Vermieter weitergeleitet worden sind.

§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kann ebenfalls nicht zu einer anderen Einschätzung führen. Zwar kann nach dieser Regelung auch ein unangemessen hoher Mietzins weiter erbracht werden, soweit es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Dieser Regelung hat - wie ausgeführt - der Antragsgegner jedoch bereits dadurch Rechnung getragen, dass er der Antragstellerin den unangemessenen Mietzins bereits in der Vergangenheit gezahlt und erklärt hat, diesen auch noch bis zum Abschluss der Umschulung (Ende 2010) weiterhin zu zahlen.

Die Übernahme der begehrten Mietschulden ist demgegenüber in § 22 Abs. 5 SGB II abschließend geregelt. Wie bereits dargestellt, begegnet die Ablehnung der Mietschuldenübernahme durch den Antragsgegner nach dieser Regelung keinen Bedenken.

Hinsichtlich der von der Antragstellerin befürchteten Wohnungslosigkeit ist zum einen auf den entspannten Wohnungsmarkt in Berlin hinzuweisen. Insbesondere, wenn der Antragsgegner sich gegenüber einem potentiellen Vermieter zur direkten Zahlung des Mietzinses an ihn verpflichtet, erscheint die zeitnahe Anmietung einer angemessenen Wohnung durchaus als möglich. Zum anderen ist die Antragstellerin nach dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Wedding vom 14. Mai 2009 zur Räumung der Wohnung (bereits bis zum 31. Juli 2009) unabhängig von der Verurteilung zur Zahlung der Mietrückstände verpflichtet.

B. Sofern die Antragstellerin schließlich die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung der Prozesskosten der Räumungsklage begehrt, ist ein Anordnungsanspruch ebenfalls nicht glaub-haft gemacht.

Diese von der Antragstellerin zu tragenden Rechtsanwaltskosten des Vermieters stellen keine Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II dar und können daher auch nicht über diese Regelung als Darlehen übernommen werden.

Für die hierfür einzig in Betracht kommende Regelung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II sind die Anspruchsvoraussetzungen ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Es kann dahinstehen, ob derartige Prozesskosten von der Regelleistung umfasst sind. Jedenfalls stellen sie keinen nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des
Lebensunterhaltes dar. Denn eine Unabweisbarkeit im Sinne dieser Regelung setzt insbesondere voraus, dass die Begleichung dieser Forderungen keinen Aufschub duldet (vgl. Lang in Eichler/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 23 Rn. 27). Eine solche Situation ist jedoch nicht erkennbar.

Dass der Erhalt der Wohnung insbesondere auch von der zeitnahen Begleichung der Rechtsanwaltskosten abhängt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn allein durch die Begleichung der Rechtsanwaltskosten würde der Erhalt der Wohnung nicht gesichert; es wäre zumindest auch die Begleichung der aufgelaufenen Mietschulden erforderlich. Wie bereits dargestellt, kommt eine solche Mietschuldenübernahme jedoch nicht in Betracht. Für die Zahlung der Rechtsanwaltskosten allein besteht mithin auch keine Eilbedürftigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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