L 19 AS 235/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 94/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 235/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28.01.2010 werden zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin ist selbständig und betreibt ein Computer-Fachgeschäft. Sie ist Mitglied bei der T-Krankenversicherung a.G., einer privaten Krankenversicherung. Seit Januar 2010 beläuft sich der Beitrag zur Krankenversicherung nach Angaben der Antragstellerin auf 290,02 EUR mtl.

Durch Bescheid vom 11.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.10.2009, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2009, bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorläufig für die Zeit vom 29.07.2009 bis 31.01.2010. Des weiteren gewährte die Antragsgegnerin für den Bewilligungszeitraum einen Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 Abs. 2 SGB II in Höhe von 124,32 EUR bzw. ab dem 01.01.2010 von 126,05 EUR.

Am 10.12.2009 erhob die Antragstellerin Klage, S 31 AS 433/09, mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zur vollen Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung zu verpflichten

Durch Bescheid vom 27.01.2010 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2010 und gewährte u. a. einen Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II in Höhe von 144,09 EUR. Dieser Bescheid ist der Antragstellerin nach eigenen Angaben am 05.02./06.02.2010 bekannt gegeben worden. Hiergegen legte die Antragstellerin am 04.03.2010 Widerspruch ein.

Am 08.01.2010 hat die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die tatsächlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bis zur erstinstanzlichen Entscheidung zu übernehmen.

Sie hat vorgetragen, dass sie die Differenz zwischen dem tatsächlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung und dem bewilligten Beitrag aus der Regelleistung nicht aufbringen könne. Ihre Schwiegermutter unterstütze sie darlehensweise. Diese habe im Februar 2009 einen Kredit über 24.000,00 EUR aufgenommen. Aus dieser Kreditsumme zahle sie ihr monatlich 600,00 EUR bis zum Ausgang des Unterhaltsverfahren, das sie gegen ihren getrenntlebenden Ehemann führe. Dies könne aber nicht bis zum Ausgang des Hauptsachverfahrens geschehen. Der Beitragsrückstand belaufe sich zwischenzeitlich auf 5.815,98 EUR. Die Beiträge seien in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, da für sie keine Möglichkeit bestehe, in die gesetzliche Krankenversicherung zu wechseln. Da ihre medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet sei, sei ein Anordnungsgrund gegeben.

Durch Beschluss vom 28.01.2010 hat das Sozialgericht Dortmund den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 05.02.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 12.02.2010 Beschwerde mit dem Begehren eingelegt, die Antragsgegnerin zur Übernahme der tatsächlichen Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von derzeit 290,02 EUR mtl. zu verpflichten und ihr für beide Instanzen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Sie trägt vor, dass der Kredit der Schwiegermutter zum Ausgleich des negativen Betriebsergebnisses verwandt werde. Im Rahmen des Verfahrens werde angestrebt, eine Entscheidung zu erhalten, die über den Januar 2010 hinausgehe. Durch den Widerspruch gegen die Folgebewilligung und wegen der fehlenden Bestandskraft der behördlichen Entscheidung müsse es dem Senat möglich sein, eine vorläufige Regelung zu treffen, die ihrem berechtigen Bedürfnis gerecht werde und somit über den Bewilligungszeitraum des anhängigen Klageverfahrens hinausgehe. Es sei nicht prozessökonomisch für jeden Bewilligungszeitraum ein eigenes Verfahren nach § 86b SGG anzustrengen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass in Hinblick auf die Zahlungen der Schwiegermutter von 660,00 EUR weder ein Anordnungsanspruch noch - grund erkennbar sei. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen in Rahmen der Härtefallregelung lägen nicht vor.

II.

1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung wird zurückgewiesen.

Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Beschwerde.

Nach § 172 Abs. 3 Nr.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.d.F. ab dem 01.04.2008 ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Eine Berufung ist zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG i.d.F. ab dem 01.04.2008) oder die Berufung wiederkehrende Leistungen oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Bei einem Antrag auf Erhalt einer Geldleistung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG bestimmt sich der Beschwerdewert nach dem Geldbetrag, den das Sozialgericht als Gericht der Hauptsache i.S.v. § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG einer Antragstellerin versagt hat und der von der Antragstellerin als Rechtsmittelführerin weiter verfolgt wird (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 144 Rdz. 14 m.w.N.; BSG, Beschluss vom 06.02.1997 - 14/10 BKg 14/96 - zum Berufungsverfahren).

Die Antragstellerin hat vorliegend erstinstanzlich die Gewährung der Differenzbetrags zwischen dem bewilligten Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II und dem tatsächlichen Krankenversicherungsbeitrag ab Antragstellung, d. h. ab dem 08.01.2010, bis zur Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache begehrt. Sie hat schriftsätzlich das Ende des Zeitraums, für den sie die vorläufige Übernahme des Differenzbetrags durch die Antragsgegnerin nicht konkret bestimmt. Der Bezugnahme auf das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren, S 31 AS 433/09, durch die Formulierung "bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts", kann aber das Begehren entnommen werden, dass durch das einstweilige Rechtsschutzverfahren das im Hauptsacheverfahren streitige Rechtsverhältnis vorläufig geregelt werden soll. Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist der Bescheid vom 11.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.10.2009, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2009 insoweit, als in ihm der Antragstellerin ein Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 Abs. 2 SGB II in Höhe von 124,32 EUR.bzw. ab dem 01.01.2010 von 126,05 EUR für die Zeit vom 29.07.2009 bis 31.01.2010 gewährt wird. Eine Regelung über den 31.01.2010 hinaus trifft der angefochtene Bescheid nicht, so dass nur der Zeitraum vom 29.07.2009 bis 31.01.2010 Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist. Ein Antrag auf Gewährung vorläufiger Leistungen über den 31.01.2010 hinaus ist unzulässig, da das Sozialgericht als Gericht der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG vorläufig nicht mehr gewähren darf, als ein Antragsteller im Hauptsacheverfahren erlangen kann. Es darf nur den Anspruch sichern, der im Klageverfahren verfolgt werden kann (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 06.10.2008 - L 19 B 121/08 AS ER). Die Abhängigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes vom Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ergibt sich aus § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann eine einstweilige Anordnung nur in Bezug auf den Streitgegenstand oder ein streitiges Rechtsverhältnis (siehe zum Begriff Rechtsverhältnis, BSG, Urteil vom 20.12.2001 - B 4 RA 50/01 R) ergehen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5 Aufl., Rdz. 228 zu § 123 VwGO mit Rechtsprechungsnachweisen). Mithin ist Gegenstand des erstinstanzlichen vorläufigen Rechtschutzverfahrens die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Übernahme des tatsächlichen Krankenversicherungsbeitrags von 290,02 EUR für Januar 2010 nach § 86b Abs. 2 SGG gewesen.

Zur Überzeugung des Senats liegt jedenfalls ein Anordnungsgrund als Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG nicht vor. Einen Anordnungsgrund, d. h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin, die nach § 5 Abs. 5a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versicherungspflicht befreit ist, erhält nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB II für die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld II einen Zuschuss zu den von ihr an die T-Krankenversicherung a.G zu zahlenden Beiträgen. Auch der Umstand, dass die Antragsgegnerin die Beiträge auf die Höhe der für einen Versicherten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung begrenzt hat (§ 12 Abs. 1c Satz 6, 4 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)), also monatlich nur einen Zuschuss von 144,09 EUR gewährt - und damit eine Deckungslücke von 145,93 EUR zwischen dem gewährten Zuschuss und dem tatsächlich zu leistenden Beitrag von 290,02 EUR ab dem 01.01.2010 besteht - begründet keinen Anordnungsgrund. Denn ein Beitragsrückstand gefährdet während des Bezugs von Arbeitslosengeld II nicht den Krankenversicherungsschutz der Antragsstellerin. Der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Antragstellerin ist gesichert. Nach § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG endet das Ruhen der Leistungen wegen eines Beitragsrückstands, wenn die Versicherungsnehmerin hilfebedürftig nach dem SGB II wird (so auch LSG NRW, Beschlüsse vom 23.10.2009 - L 19 B 300/09 AS ER - und vom 10.02.2010 - L 7 AS 28/10 B ER m.w.N.; LSG Bayern, Beschluss vom 29.01.2010 - L 16 AS 27/10 B ER -; a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.12.2009 - L 15 AS 1048/09 B ER -; LSG Hessen, Beschluss vom 15.12.2009 - L 6 AS 368/09 B ER).

Selbst wenn der Auffassung gefolgt wird, dass bei Bestehen einer Deckungslücke zwischen dem gewährtem Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II und dem tatsächlichen Beitrag zur Krankenversicherung auch im Hinblick auf die Bestimmungen des § 193 Abs. 6 Satz 5 VAG und Abs. 6 Satz 2 VAG (Anspruch auf Notfallbehandlung bei Ruhen des Leistungsanspruchs) ein Anordnungsgrund gegeben sein kann (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.12.2009 - L 15 AS 1048/09 B ER), ist vorliegend ein Anordnungsgrund - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht gegeben. Die Antragstellerin erhält neben den Leistungen der Antragsgegnerin von ihrer Schwiegermutter ein monatliches Darlehen von 600,00 EUR, das nicht auf bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II durch die Antragsgegnerin berücksichtigt wird. Der Antragstellerin ist es zuzumuten, die Beitragsdifferenz von aus dem Darlehen zu bestreiten.

Die Antragstellerin kann im Hauptsacheverfahren klären lassen, ob - entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut - die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II im Wege der verfassungskonformer Interpretation dahingehend auszulegen ist, dass die Antragsgegnerin einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe des tatsächlichen Beitrags zu gewähren hat (vgl. hierzu Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.12.2009 - L 15 AS 1048/09 B ER - m.w.N.) oder die Antragsgegnerin den Differenzbetrag zwischen bewilligten Zuschuss und dem Basistarif im Rahmen der Härtefallregelung nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu übernehmen hat (vgl. zur Härtefallregelung, BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 4 As 29/09 R) oder als Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II (vgl. hierzu LSG Bayern, Beschluss vom 29.01.2010 - L 16 AS 27/10 B ER -) zu gewähren hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen. Das Verfahren hat nicht die für die Bewilligung erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht geboten (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO)

3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt, da das Verfahren wegen fehlender Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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