L 28 AS 2089/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 46 AS 3779/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 2089/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 25. November 2009 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 5. Oktober 2009 gegen den Bescheid vom 17. September 2009 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2009 die ihm ohne Ansatz einer Sanktion ungekürzt zustehenden Leistungen auszuzahlen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 25. November 2009 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, insbesondere ist der Beschwerdewert erreicht. Der Antragsteller hat beim Sozialgericht Potsdam zuletzt ausdrücklich begehrt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid vom 17. September 2009 anzuordnen und damit weiterhin (vorläufig) Leistungen in ungekürzter Höhe entsprechend dem Bewilligungsbescheid vom 24. August 2009 zu erhalten. Da durch den Sanktionsbescheid die Leistungen für den 23jährigen Antragsteller in der Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (monatlich 323 EUR) für die Monate Oktober bis Dezember 2009 aufgehoben worden sind, errechnet sich ein Beschwerdewert von 969 EUR. Auch im Übrigen ist die Beschwerde zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).

Die Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Potsdam bestehen hier erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Antragsgegners, sodass der Antragsteller mit seinem vorläufigen Rechtsschutzgesuch Erfolg haben muss.

Grundsätzlich haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nicht jedoch gilt dies nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II in der seit dem 01. Januar 2009 geltenden Fassung für Widerspruch und Anfechtungsklage u.a. gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt. Dementsprechend entfaltete der Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. September 2009, mit dem für drei Monate eine Sanktion verhängt worden ist, keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist begründet (§ 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Potsdam überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen (Sanktions-)Bescheides nicht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Antragsgegners bestehen ganz erhebliche Zweifel.

Als Ermächtigungsgrundlage für die von der Antragsgegnerin verfügte Leistungsbeschränkung kommt allein § 31 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II in Betracht. Nach § 31 Abs. 5 Satz 1 1. Hs. SGB II wird das Arbeitslosengeld II bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die – wie der Antragsteller - das 15. , nicht jedoch das 25. Lebensjahr vollendet haben, unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt.

Anders als das Sozialgericht hat der Senat erhebliche Bedenken, ob die Antragsgegnerin die Sanktion gegen den Antragsteller zu Recht festgesetzt hat.

Zweifelhaft erscheint bereits, ob eine hinreichend bestimmte Arbeitsgelegenheit unterbreitet wurde. Nachteilige Folgerungen können aus dem Verhalten des Leistungsempfängers nur gezogen werden, wenn der Leistungsträger das jeweilige Angebot genau bezeichnet hat. Dies erfordert nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R – zitiert nach juris Rn. 31/32), dass jedenfalls die Art der Arbeit, ihr zeitlicher Umfang und ihre zeitliche Verteilung sowie die Höhe der angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen im Einzelnen bestimmt sein müssen. Das konkrete Schreiben an den Antragsteller mit der Unterbreitung des Arbeitsangebots/der Arbeitsgelegenheit ist unbekannt, insbesondere ist keine Durchschrift in den Verwaltungsakten enthalten. Aus dem Hinweis an den Träger lässt sich jedoch entnehmen, dass die Tätigkeit lediglich wie folgt bezeichnet wurde: "Hilfsabeiter/in ohne nähere Tätigkeitsangabe". Diese Beschreibung entspricht auf jeden Fall nicht den Anforderungen an die ausreichende Bestimmtheit eines Angebots.

Mangels aktenkundigem Schreiben kann auch nicht zu Gunsten der Antragsgegnerin festgestellt werden, dass das Angebot mit einer ausreichenden Rechtsfolgenbelehrung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ausgestattet war. Dies liegt nicht auf der Hand, denn es hätte bei dem unter 25jährigen Antragsteller einer individuellen Belehrung hinsichtlich des vollständigen Wegfalls der Regelleistung bedurft. Insoweit ist geklärt, dass eine konkrete Umsetzung der Rechtsfolgenbelehrung auf den jeweiligen Einzelfall erforderlich ist und es nicht genügt, dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein Merkblatt an die Hand zu geben, aus dem er die für seinen Fall maßgebenden Voraussetzungen und Rechtsfolgen selbständig ermitteln muss (BSG, aaO Rn. 36).

Schließlich bestehen an der Rechtmäßigkeit des (Sanktions-)Bescheides vom 17. September 2009 auch vor dem Hintergrund Zweifel, als die Antragsgegnerin es unterlassen hat, dem Antragsteller Sachleistungen oder geldwerte Leistungen für den Sanktionszeitraum zu bewilligen. So geht jedenfalls der 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg mit beachtenswerten Argumenten davon aus, dass in Fällen wie dem vorliegenden der (Sanktions-)Bescheid im vollen Umfang rechtswidrig ist, wenn dies unterbleibt (vgl. Beschluss vom 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER, dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de). Ob der Senat sich dem letztlich anschließt, kann hier dahinstehen. Jedenfalls aber gibt auch dieser Aspekt Anlass, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides anzuzweifeln.

Es kann daher offen bleiben, ob der Antragsteller für sein Nichterscheinen am Vorstellungstermin am 8. Juli 2009 einen wichtigen Grund hatte, weil er mit seinem 2006 geborenen Sohn vom 7. bis 10. Juli 2009 im Krankenhaus war. Dieser war in stationärer Behandlung für eine Chemotherapie wegen eines seit längerem bekannten Hirntumors. Dem Sozialgericht ist zuzugeben, dass es grundsätzlich auch denkbar gewesen wäre, dass die ebenfalls arbeitslose Mutter ihren Sohn begleitet und ihr diesbezüglicher Vortrag (Termin beim Frauenarzt) wechselhaft gewesen ist und trotz entsprechender Ankündigung nicht belegt wurde. Andererseits spricht nach der Lebenserfahrung einiges dafür, dass die Mutter des Kleinkindes aufgrund der besonderen Belastungssituation durch die schwere Erkrankung und die Krankenhaussituation tatsächlich aus psychischen Gründen nicht in der Lage gewesen sein könnte, ihren Sohn zu begleiten, wie dies auch später von dem Kinderarzt bestätigt wurde. Auch hat der Antragsteller entgegen der Mutmaßung des Sozialgerichts mit dem Träger vor dem Termin Kontakt aufgenommen. Auf der Rückantwort des Qualifizierungsvereins findet sich der Hinweis, dass am 2.7.2009 ein Telefongespräch stattgefunden hat und der Antragsteller mitgeteilt habe, dass seine Teilnahme wegen seines an Krebs erkrankten Kindes nicht möglich sei.

Angesichts dieser gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sprechenden Gründe musste der Antragsteller mit seinem vorläufigen Rechtsschutzbegehren für die Monate Oktober bis Dezember 2009 Erfolg haben. Soweit der Senat für diese Monate die Auszahlung ungekürzter Leistungen an den Antragsteller angeordnet hat, stützt er sich auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Da der Bescheid vom 17. September 2009 hinsichtlich der zumindest sehr zweifelhaften Rechtmäßigkeit der Leistungskürzung zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung bereits vollzogen ist, hielt es der Senat für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Der Antragsteller hat im Hinblick auf den Charakter der Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein sachliches Rückabwicklungsinteresse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und spiegelt die Entscheidung in der Sache wider.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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