S 18 (24) AS 88/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 (24) AS 88/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AS 211/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 23.07.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2008 wird teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ihren Bescheid vom 09.11.2006 dahingehend abzuändern, dass die Regelung über die Darlehenstilgung ab Februar 2007 in Höhe von 35 EURO monatlich aufgehoben wird. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 175 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsantrages nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) über die Tilgung eines Darlehens für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft.

Der Kläger beantragte am 30.10.2006 bei der Beklagten ein Darlehen in Höhe von 930,00 EURO für den Erwerb von Geschäftsanteilen des "C eG". Der Kläger erklärte sich schriftlich gegenüber der Beklagten mit der Tilgung des Darlehens durch Einbehaltung von monatlichen Raten in Höhe von 35,00 EURO von seinen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) einverstanden. Mit Bescheid vom 09.11.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger ein Darlehen nach § 22 Abs. 3 SGB II zum Erwerb von Geschäftsanteilen in Höhe von 930,00 EURO. Die Auszahlung erfolgte unmittelbar an den "C eG". Weiterhin enthielt der Bescheid die Regelung, dass ab Februar 2007 ein Betrag von monatlich 35,00 EURO zur Tilgung des Darlehens von den Leistungen nach dem SGB II einbehalten wird. Weiterhin enthielt der Bescheid den Hinweis, dass bei Ausscheiden aus dem Leistungsbezug die Darlehenstilgung unaufgefordert fortzusetzen sei sowie dass im Fall eines Tilgungsrückstandes von 2 Monaten das gesamte Darlehen fällig wird. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 09.11.2006 (Blatt 142 der Verwaltungsakte) Bezug genommen. Ebenfalls am 09.11.2006 trat der Kläger seinen Anspruch auf Rückzahlung gegen den "C eG" an die Beklagte ab. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Abtretungserklärung (Blatt 196 der Verwaltungsakte) Bezug genommen.

In der Folgezeit gewährte die Beklagte dem Kläger weiter Leistungen nach dem SGB II und behielt monatlich 35,00 EURO ab Februar 2007 fortlaufend ein.

Am 09.06.2008 beantragte der Kläger die Überprüfung des Darlehensbescheides vom 09.11.2006 und wandte sich zugleich gegen die Tilgung des Darlehens durch Einbehaltung von seinen laufenden Leistungen. Mit Schreiben vom 11.07.2008 wiederholte der Bevollmächtigte des Klägers diesen Antrag gegenüber der Beklagten.

Mit Bescheid vom 23.07.2008 lehnte die Beklagte es ab von der Tilgung des Darlehens abzusehen und die bereits zur Tilgung einbehaltenen Beträge auszuzahlen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2008 als unbegründet zurück.

Am 02.10.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Bis einschließlich November 2008 hat die Beklagte weiterhin monatlich 35,00 EURO zur Tilgung des Darlehens von den Leistungen des Klägers einbehalten. Von Dezember 2008 bis Februar 2009 hat der Kläger nicht im Leistungsbezug bei der Beklagten gestanden. Seit März 2009 hat der Kläger erneut Leistungen nach dem SGB II bezogen.

Der Kläger ist der Ansicht, es fehle an einer Rechtsgrundlage für die Tilgung des Darlehens. Ein Verzicht nach § 46 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) scheide aus, da sich die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben nicht hierauf berufen könne. Durch die Abtretung des Geschäftsanteiles sei die Beklagte genügend abgesichert. Ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten könnte frühestens mit Ende des Mietverhältnisses beginnen. Jedenfalls sei ein Verzicht durch das Schreiben vom 09.06.2008 widerrufen worden.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.07.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2008 den Leistungsbescheid vom 09.11.2006 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ihm fortan Sozialleistungen ohne Einbehaltung von Rückzahlungsbeträgen für Mietkautions- und Umzugskostendarlehen zu gewähren und die seit Februar 2007 zu Unrecht einbehaltenen Beträge an ihn zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass § 46 SGB I einschlägig sei. Der Kläger habe durch sein Einverständnis zur direkten Abführung der monatlichen Tilgungsraten von 35,00 EURO einen wirksamen Verzicht erklärt. Es liege kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, da durch die Tilgung die Darlehensschuld des Klägers sinke. Auch die Einbehaltung von 175,00 EURO von Juli bis November 2008 sei nicht zu beanstanden. Da der Kläger ab Dezember 2008 bis Februar 2009 nicht im Leistungsbezug gestanden hat, hätte er in dieses Zeit von sich aus Tilgungsleistungen erbringen müssen.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakten der Beklagten. Diese lagen vor und waren Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund des im Erörterungstermin erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs, und Leistungsklage zulässig. Auf die Anfechtungsklage hin ist über die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme des Bescheides zu entscheiden; auf die damit verbundene Verpflichtungsklage wird die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des früheren Verwaltungsaktes ausgeurteilt (Meyer/Ladewig, SGG, § 54 Rn. 20 c). Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruches auf Auszahlung der zur Tilgung einbehaltenen Beträge ist schließlich die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) die zulässige Klageart. Denn wenn sich die durch die Beklagte durchgeführte Tilgung aus den SGB II-Leistungen als rechtswidrig erweist müssten diese Leistungen an den Kläger selbst ausgezahlt werden. Den Erlass eines Bewilligungsbescheides bedarf es hierfür nicht, denn mit den laufenden Leistungsbewilligungen für den Kläger wurde bereits ein Rechtsgrund für die Zahlungen geschaffen. Lediglich in Höhe von 35,00 EURO wurde diese Leistungen nicht an den Kläger selbst ausgezahlt, sondern von der Beklagten zur Tilgung des Darlehens von 930,00 EURO verwandt. Soweit sich ergibt, dass es an der Rechtsgrundlage für die Tilgung des Darlehens durch Einbehaltung von den Leistungen fehlt hat die Beklagte diese Summe an den Kläger zur Erfüllung seiner ihm bewilligten Leistungsansprüche auszuzahlen.

II. Die Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid vom 23.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2008 erweist sich teilweise als rechtswidrig und der Kläger ist hierdurch beschwert im Sinn von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Des Weiteren erweist sich die Weigerung der Beklagten die zu Tilgungszwecken von Februar 2007 bis November 2008 einbehaltenen Beträge von monatlich 35,00 EURO (insgesamt 770,00 EURO) an den Kläger auszuzahlen als rechtswidrig, soweit ein Betrag von 175,00 EURO für die Zeit von Juli bis November 2008 betroffen ist.

Der Bescheid vom 23.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2008 ist rechtswidrig, soweit es die Beklagte mit ihm abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 09.11.2006 hinsichtlich der Regelung über die Darlehenstilgung durch Einbehaltung von SGB II-Leistungen des Klägers in Höhe von 35,00 EURO monatlich gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Der ursprüngliche Bescheid vom 09.11.2006, mit dem die Beklagte dem Kläger darlehens-weise 930,00 EURO für den Erwerb von Geschäftsanteilen an dem "C eG" gewährt hat, ist rechtswidrig, soweit der Bescheid eine Regelung der Beklagen über eine Tilgung des Darlehens während des laufenden Leistungsbezuges enthält. Der Bescheid vom 09.11.2006 beruht hinsichtlich der darlehensweisen Gewährung von 930,00 EURO auf § 22 Abs. 3 SGB II. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II können für eine Mietkaution Leistungen nach dem SGB II erbracht werden. Nach § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB II soll die Leistungserbringung als Darlehen erfolgen. Die Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II findet insbesondere auch für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft Anwendung, soweit dies für den Bezug einer Wohnung der Genossen-schaft erforderlich ist. Wegen der vergleichbaren Interessenlage, insbesondere dem Sicherungscharakter, ist der Erwerb von Genossenschaftsanteilen als Voraussetzung für den Bezug einer Wohnung der Übernahme einer Mietkaution gleichzustellen (SG Reutlingen, NZM 2007, 298; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 127).

Eine Regelung über die Rückzahlung eines Darlehens nach § 22 Abs. 3 SGB II während des laufenden Leistungsbezuges trifft § 22 Abs. 3 SGB II nicht. Auch aus weiteren Regelungen im SGB II oder anderen sozialrechtlichen Normen ergibt sich keine Grundlage für eine Tilgung des Mietkautionsdarlehens aus den laufenden SGB II-Leistungen gegen den Willen des Leistungsempfängers.

Als Rechtsgrundlage für die Darlehenstilgung kommt nicht § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht. § 23 Abs. 1 SGB II ermöglicht es den Leistungsträgern auf Antrag ein Darlehen zu bewilligen, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Das hier betroffene Darlehen nach § 22 Abs. 3 SGB II betrifft allerdings keinen von der Regelleistung im Sinne von § 20 SGB II umfassten Bedarf, sondern gehört zu den in § 22 SGB II geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung übernommen werden kann und gem. § 22 Abs. 3 S. 3 SGB II als Darlehen erbracht werden soll, unterliegt es überhaupt keinem Zweifel, dass der durch eine Mietkaution für einen Hilfeempfänger entstehende Bedarf gerade nicht von der Regelleistung abgedeckt wird, sondern ein Bedarf der Kosten der Unterkunft ist (LSG Hessen, Beschluss vom 29.01.2008, L 9 AS 421/07 ER; Frank in: Hohm, GK-SGB II, § 22 Rn. 67).

Auch eine analoge Anwendung der Tilgungsvorschrift aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II scheidet aus. Die analoge Anwendung einer Vorschrift erfordert, dass eine planwidrige Gesetzeslücke besteht, der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (BSG, Urteile vom 26.07. 1989, 11/7 RAr 87/87 m.w.N.). Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Planwidrigkeit einer Regelungslücke (zum Begriff der Planwidrigkeit: BSG, Urteil vom 27.01.1977, 7 RAr 47/75). Es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die unterbliebene Regelung der Tilgung des Darlehens für ein Mietkaution aus § 22 Abs. 3 SGB II auf einem unbewussten Unterlassen des Gesetzgebers beruht. Durch das "Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" vom 24.03.2006 (BGBl. I 2006, 558) hat der Gesetzgeber durch die Anfügung des Satzes 3 an § 22 Abs. 3 SGB II ausdrücklich klargestellt, dass die Leistungen für Mietkautionen als Darlehen erbracht werden. Soweit hierbei nicht auch eine Regelung zur Tilgung während des Leistungsbezuges geschaffen wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies auf einem unbewussten Unterlassen beruht. Denn zum Zeitpunkt der Gesetzes-änderung war in § 23 Abs.1 SGB II bereits eine Tilgungsregelung enthalten. Dass der Gesetzgeber dies unbewusst nicht auf das Darlehen nach § 22 Abs. 3 SGB II übertragen hat, ergibt sich für das Gericht nicht. Vielmehr spricht dies dafür, dass ein "beredetes Schweigen" des Gesetzgebers hinsichtlich der Tilgung eines Mietkautionsdarlehens aus § 22 Abs. 3 SGB II vorliegt.

Auch eine Tilgung des Mietkautionsdarlehens durch Aufrechnung nach § 51 Abs. 1 SGB I scheidet aus. Nach § 51 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Nach § 52 Abs. 4 SGB I können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Die dem Kläger gewährten Leistungen nach dem SGB II erreichen jedoch die in § 850c Zivilprozess-ordnung (ZPO) festgesetzten Grenzwerte offensichtlich nicht. Da bereits die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 SGB I nicht vorliegen, kommt es auf die Frage, ob eine Aufrechnung durch Verwaltungsakt erfolgt oder es sich um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung handelt, nicht an (Pflüger in: jurisPK-SGB I, § 51 Rn. 48 ff.).

Schließlich verbleibt lediglich die Annahme eines entsprechenden (Teil)-Verzichtes nach § 46 SGB I durch den Kläger. Gemäß § 46 Absatz 1 des SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden; der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Ein Verzicht ist nicht nur als Ganzes möglich, sondern kann auch teilweise erfolgen, denn ein teilweiser Verzicht ist zwangsnotwendig in einem vollständigen Verzicht mit enthalten. Erforderlich ist allein die Abgrenzbarkeit des Teilverzichtes (Gutzler in: BeckOK, SGB I, § 46 Rn. 8). Beim Verzicht handelt es sich um eine einseitige Willenserklärung des Leistungsbeziehers, die Beklagte hat entsprechend keine Möglichkeit einen Verzicht selbst verbindlich durch Verwaltungsakt zu regeln (Seewald in: Kassler Kommentar, SGB I, § 46 Rn. 12).

Die schriftliche Erklärung des Klägers vom 09.11.2006, dass er zur Tilgung des Darlehens einen monatlichen Betrag von 35,00 EURO von seinen Leistungen abtrete, ist als Verzichtserklärung auszulegen. Nach Auffassung der Kammer kann die Regelung des § 46 SGB I auf die mit dem Einverständnis des Leistungsempfängers erfolgte Einbehaltung von Tilgungsraten für ein Kautionsdarlehen angewendet werden. In der Rechtsprechung ist umstritten, ob auf Leistungen, die der Sicherung des Existenzminimums dienen, wirksam verzichtet werden kann. So wird vertreten, dass bei existenzsichernden Leistungen die Möglichkeit eines Verzichtes auf diese zweifelhaft sein könnte (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16.01.2008, L 9 SO 121/07 ER). Eine entgegenstehender Auffassung geht davon aus, dass ein Verzicht auch bei existenzsichernden Leistungen zulässig und ein Widerruf des Verzichtes nur für die Zukunft möglich sei (Bayerisches LSG, Urteil vom 15.03.2007, L 7 AS 287/06; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.08.2007, L 1 B 37/07 AS). Im Rahmen des Bundessozialhilfegesetztes (BSHG) würde es bei der Gewährung eines Darlehens für eine Mietkaution als zulässig angesehen, die Rückzahlungspflicht, auch wenn diese nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt sei, durch Einbehaltung monatlicher Teilbeträge aus laufender Hilfe zum Lebensunterhalt festzulegen. Rechtlich handelte es sich hierbei um einen Verzicht des Hilfebedürftigen gemäß § 46 SGB I, den dieser jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen konnte (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.03.2003, 12 ME 52/03). Für die Annahme der Möglichkeit des Verzichtes spricht, dass § 46 SGB I ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, auf Sozialleistungen zu verzichten. Eine Differenzierung danach, ob eine Leistung existenzsichernd ist oder nicht, sieht die gesetzliche Regelung gerade nicht vor. Es steht vielmehr allein in die Entscheidungsbefugnis des Leistungsempfängers, ob er einen entsprechenden Verzicht erklärt, weil er sich in der Lage sieht, seinen Lebensunterhalt ohne den Betrag, auf den er verzichtet, zu bestreiten (so auch SG Braunschweig, Urteil vom 22.09.2009, S 17 AS 2730/08).

Eine einschränkende Auslegung des § 46 SGB I ist auch nicht erforderlich. Denn der Verzichtende wird durch § 46 SGB I selbst ausreichend geschützt. Die Verzichtserklärung ist gemäß § 46 Absatz 2 SGB I bereits von Anfang an unwirksam, wenn durch den Verzicht andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Ein solcher Fall ist in hier nicht gegeben. Andere Personen oder Leistungsträger werden durch den Verzicht nicht belastet. Auch wird durch die Rückzahlung des Darlehens für eine Mietkaution keine Rechtsvorschrift umgangen. Dass § 22 Absatz 3 SGB II keine Regelung zur vorzeitigen Darlehenstilgung enthält, bedeutet nicht, dass der Leistungsträger darauf zu verweisen ist, abzuwarten, bis der Leistungsempfänger mangels Bedürftigkeit nicht mehr auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist oder er aus der angemieteten Wohnung auszieht und der Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter fällig wird. Dass eine Leistung, die als Darlehen gewährt wird, zurückzuzahlen ist, wohnt ihrer Rechtsnatur als darlehensweise erbrachte Leistung begriffsnotwendig inne. Dass es keine gesetzliche Regelung gibt, die den Leistungsträger ermächtigt, das Darlehen gegen den Willen des Leistungsempfängers zu tilgen, bedeutet nicht, dass eine einvernehmliche Tilgungsregelung unzulässig ist. Für den Kläger ist es auch nicht unverhältnismäßig, wenn das Darlehen vorzeitig durch Einhaltung eines Teiles der gewährten laufenden Sozialleistungen getilgt wird, denn dann steht ihm nach Beendigung des Mietverhältnisses der vollständige Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter incl. der Zinsen zu.

Der Verzicht (§ 46 SGB I) des Klägers ist auch im Hinblick auf die erfolgte Abtretung des Geschäftsanteiles an die Beklagte durch die Abtretungserklärung vom 09.11.2006 nicht treuwidrig. Dass sich die Beklagte gleichzeitig den Rückzahlungsanspruch abtreten lässt, stellt zwar zunächst eine doppelte Sicherung dar. Die Abtretung ist jedoch kein gleich geeignetes Sicherungsmittel, um das gewährte Darlehen im gesamten Umfang zurückzuerhalten. Denn die Höhe des daraus resultierenden Rückzahlungsanspruches hängt davon ab, dass der Hilfebedürftige sich mietvertragskonform verhält, da der Rückzahlungsanspruch bzgl. der Mietkaution nur dann in voller Höhe besteht. In der Abtretungsvereinbarung wäre dann zu regeln, dass der Anspruch aus dem abgetretenen Recht nur der in Höhe besteht, in der das Darlehen noch nicht vorzeitig getilgt worden ist. Nach vollständiger Tilgung stünde dann der Beklagten kein Anspruch auf den Geschäftsanteil mehr zu. Die Überprüfung der Abtretungsvereinbarung zwischen den Beteiligten war jedoch nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites (vgl. hierzu auch SG Braunschweig a.a.o.).

Für die Zukunft hat der Kläger jedoch seinen Verzicht gem. § 46 Abs. 1 SGB I wirksam widerrufen. Der Antrag des Klägers vom 09.06.2008 ist insofern als Widerruf zu werten. Denn mit ihm brachte der Kläger zum Ausdruck, dass er mit einer weiteren Tilgung des Darlehens durch Einbehaltung von 35,00 EURO aus seinem monatlichen Leistungsanspruch nicht einverstanden ist. Daher war die durch die Beklagte ab der Auszahlung der Leistungen für Juli 2008 weiterhin vorgenommene Einbehaltung von 35,00 EURO zum Zweck der Tilgung des Darlehens rechtswidrig. Denn es fehlt nach den zuvor gemachten Ausführungen ab dem Widerruf des Verzichtes an einer Rechtsgrundlage, die es der Beklagten erlauben würde gegen den Willen des Klägers weiterhin bewilligte Leistungen nicht in voller Höhe an diesen auszuzahlen. Entsprechend hat der Kläger für die Zeit von Juli 2008 bis November 2008 einen Anspruch auf die Auszahlung der bisher einbehaltenen Zahlungen von zusammen 175,00 EURO (5 Monate à 35,00 EURO).

Die Beklagte kann demgegenüber nicht einwenden, dass der Kläger für die Zeit in der er keine SGB II-Leistungen bezogen hat (Dezember 2008 bis einschließlich Februar 2009) seiner Verpflichtung zur Tilgung des Darlehens nicht nachgekommen wäre. Die Frage, ob der restliche offene Darlehensbetrag aufgrund der unterbliebenen Tilgung insgesamt fällig geworden ist, ist unerheblich. Denn der Beklagten steht jedenfalls kein Recht zu, den durch sie zu Unrecht einbehaltenen Betrag von 175,00 EURO mit dem vermeintlich zwischenzeitlich insgesamt fällig geworden Rückzahlungsanspruch für das noch restliche Darlehen aufzurechnen. Denn die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Geldleistungen ist nur unter den bereits zuvor genannten Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 SGB I zulässig. Dies erfordert insbesondere, dass der Anspruch gem. § 54 Abs. 4 SGB I, § 850c ZPO pfändbar ist. Da die monatlichen 35,00 EURO, aus denen sich die 175,00 EURO zusammensetzen, ein bisher nicht ausgezahlter Teil der Leistungen nach dem SGB II sind, die dem Kläger zustanden und diese Leistungen unterhalb des Pfändungsbetrages aus § 850c ZPO lagen, scheidet eine Aufrechnung nach § 51 SGB II seitens der Beklagten aus.

Nachdem aus den zuvor aufgeführten Gründen sich die Tilgung des Darlehens nach § 22 Abs. 3 SGB II durch Einbehaltung aus den laufenden SGB II-Leistungen als rechtswidrig erweist, war die Beklagte wie aus dem Tenor ersichtlich zu verpflichten, den ursprünglichen Bescheid vom 09.11.2006 hinsichtlich der Darlehenstilgung abzuändern. Weiterhin war sie zu verurteilen, an den Kläger die zu Unrecht einbehaltenen 175,00 EURO betreffend die Monate Juli bis November 2008 auszuzahlen. Hinsichtlich der Zeit vor Juli 2008 verbleibt es bei der erfolgten Tilgung durch Einbehaltung vom laufenden Leistungsbezug aufgrund des bis zum Widerruf wirksamen Verzichtes nach § 46 Abs. 1 SGB I.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen Rechnung.

Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Frage der Tilgung eines Darlehens nach § 22 Abs. 3 SGB II ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt und die Klärung dieser Frage liegt im allgemeinen Interesse, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Rechtskraft
Aus
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