S 41 (31) AS 69/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
41
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 41 (31) AS 69/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Beihilfe für die Anschaffung orthopädischer Straßenschuhe.

Der am 17.1.19xx geborene Kläger ist seit längerer Zeit arbeitslos. Ihm wurden von der Beklagten seit dem Jahr 2005 durchgängig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld II gewährt. Er leidet seit Jahren unter einer Diabetes mellitus-Erkrankung (Typ II). Zur Therapie muss er viermal täglich Insulin spritzen. Im Zusammenhang mit der Erkrankung kam es zu der Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms, weswegen zwischenzeitlich die Amputation mehrerer Zehen am linken Bein erforderlich wurde. Ferner ergab sich die Notwendigkeit der Versorgung mit orthopädischen (Straßen-)Schuhen. Die Erstversorgung mit solchen Schuhen, die eine Mindesttragedauer von zwei Jahren haben, erfolgte im Frühjahr des Jahres 2007. Von den Gesamtkosten in Höhe von 1.172,89 EUR musste der Kläger für den nicht medizinischen "Gebrauchsanteil " der Schuhe einen Betrag in Höhe von 76,00 EUR in Form einer Selbstbeteiligung aufbringen. Die restlichen Kosten trug seine gesetzliche Krankenversicherung. Einen Antrag des Klägers auf Übernahme der Selbstbeteiligung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.4.2007 ab, wogegen er nicht weiter vorging. Von Juli 2006 bis zum 30.6.2009 berücksichtigte die Beklagte bei der Leistungsgewährung an den Kläger aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen nach § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe eines Betrages von 51,13 EUR monatlich. Im Januar 2009 stellte er einen Antrag auf Erhöhung des zu berücksichtigenden Mehrbedarfes wegen der Notwendigkeit des Insulinspritzens. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ebenfalls ab (Bescheid vom 30.1.2009). Auch dagegen ging der Kläger nicht weiter vor. Im Januar 2009 wurde eine Sohlenversteifung an den orthopädischen Straßenschuhen notwendig. Die hierfür angefallenen Kosten in Höhe von 84,05 EUR wurden von der Krankenkasse des Klägers in vollem Umfang getragen.

Im Mai 2009 war nach einer Fußoperation eine Neuversorgung mit orthopädischen Straßenschuhen erforderlich. Die Gesamtkosten dafür beliefen sich diesmal auf 1.126, 40 EUR, wobei für den Kläger wiederum ein Eigenanteil in Höhe von 76,00 EUR verblieb. Eine gesetzliche Zuzahlung wurde hiervon nicht in Abzug gebracht, da der Kläger bereits von der Zahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit war. Schon Ende Januar 2009 hatte er vorab bei der Beklagten die Übernahme des Eigenanteiles für die Neuversorgung mit den orthopädischen Schuhen in Höhe von 76,00 EUR beantragt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 30.1.2009 mit der Begründung ab, die Versorgung mit orthopädischen Schuhen stelle keine Leistung dar, die nach dem SGB II übernommen werden könne. Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er brauche die Schuhe zum Leben. Ohne die orthopädischen Schuhe gehe es nicht mehr, was die ihn behandelnden Ärzte bestätigen könnten. Ihm stehe auch kein überschüssiges Geld hierfür zur Verfügung, da er viermal täglich Insulin spritzen müsse und auch die Ernährung aufgrund der Diabetes-Erkrankung sehr teuer sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.2.2009 zurück. Orthopädische Maßschuhe seien medizinische Hilfsmittel, wofür grundsätzlich die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben sei. Diese Leistungspflicht erstrecke sich allerdings nicht auf Schuhe als "Gegenstand des täglichen Lebens". Daraus ergebe sich der von dem Kläger zu tragende Eigenanteil, der auch nicht nach den Regeln des SGB II übernommen werden könne. In dem Regelsatz sei ein Anteil von ca. 10 % für Bekleidung und Schuhe enthalten. Der Kläger sei daher gehalten, den Eigenanteil aus der Regelleistung zu finanzieren bzw. gegebenenfalls anzusparen. Aus diesem Grunde lägen auch die Voraussetzungen nicht vor, wonach ihm die begehrte Zahlung darlehensweise gewährt werden könne (§ 23 Abs. 1 SGB II).

Dagegen hat der Kläger am 25.2.2009 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Zur Begründung macht er geltend, ihm stünden keine 76,00 EUR für die Finanzierung des Eigenanteiles zur Verfügung. Einen Kredit von einer Bank könne er nicht erhalten. Zudem müsse er viermal am Tag Insulin spritzen und eine Diät wegen seiner Krankheit einhalten. Im Übrigen stehe jetzt noch die Versorgung mit einem weiteren Paar Straßenschuhe, einem Paar Hausschuhe und einem Paar Turnschuhe an.

Im Mai 2009 zahlte der Kläger den Eigenanteil an den Hersteller der orthopädischen Schuhe.

Der Kläger beantragt,

Die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.1.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2009 zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 76,00 EUR für die Anschaffung orthopädischer Straßenschuhe als Zuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Aus Ihrer Sicht ergeben sich aus der Klagebegründung keine Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung des Sachverhaltes.

Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 30.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2009 ist nicht rechtswidrig und der Kläger deswegen nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach § 20 Absatz 1 Satz 1 SGB II umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne Heizung, Bedarfe des täglichen Lebens und in vertretbarem Umfang auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilhabe am kulturellen Leben. Im Gegensatz zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sind daneben - von den in § 21 bzw. § 23 SGB II genannten Fällen abgesehen - weitere Beihilfen bei einmaligen Bedarfen nicht vorgesehen. Vielmehr werden im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Vergleich zu den Regelsätzen des BSHG erhöhte Regelleistungen gewährt, aus denen für den Fall einmaliger Bedarfe entsprechende Ansparungen zu bilden sind. Dieses Prinzip hat auch das Bundeverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 9.2.2010 (Az. 1 BvL 1/09 u.a.) grundsätzlich gebilligt (vgl. Rz. 150 des genannten Urteils). Eine über die Regelleistung des § 20 SGB II hinaus gehende Leistungsgewährung als einmalige Beihilfe scheidet grundsätzlich aus. Nach § 3 Absatz 3 Satz 2 SGB II ist eine Festlegung der Bedarfe, die von den im SGB II vorgesehenen Leistungen abweicht, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Vorschrift deutlich gemacht, dass das im SGB II enthaltene Leistungssystem die Bedarfe des Hilfebedürftigen abschließend deckt (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.5.2008, Az. L 20 B 59/08 AS). Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers hat die Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall auch keine Bedenken dagegen, dass der hier streitgegenständliche Bedarf in Höhe von 76,00 EUR von den konkreten Leistungen abgedeckt war und daher von ihm getragen werden konnte. Der genannte Betrag liegt nach Einschätzung der Kammer im Normbereich dessen, was im Regelfall für die Anschaffung von Straßenschuhen aufzuwenden ist. Dies gilt insbesondere deswegen, weil es sich bei orthopädischen Maßschuhen - wie sich schon aus der Mindesttragedauer von zwei Jahren ergibt - um solche von eher höherwertiger Qualität handelt. Vor diesem Hintergrund mag sich der Betrag von 76,00 EUR für einfache Straßenschuhe preislich möglicherweise zwar eher im oberen Segment befinden, was durch die höhere Qualität und die dadurch verlängerte Tragedauer derartiger Schuhe aber aufgewogen wird. Insofern liegt also eine sog. atypische Bedarfslage hier nicht vor. Darüber hinaus ist aus Sicht der Kammer zu berücksichtigen, dass der Kläger bis zum 30.6.2009 von der Beklagten zusätzlich zu dem Betrag der Regelleistung einen weiteren Betrag zur Deckung der aus medizinischen Gründen erhöhten Aufwendungen für Ernährung erhalten hat. Die Anerkennung dieses Mehrbedarfes war, wie sich zwischenzeitlich durch neue Erkenntnisse im Bereich der Ernährungswissenschaft und Diabetes-Forschung ergeben hat (vgl. dazu die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., Stand Oktober 2008; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.1.2010, Az. L 7 B 480/09 AS), in der Regel nicht gerechtfertigt. Insofern hatte der Kläger, dem zwischenzeitlich der Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung auch nicht mehr gewährt wird, einen weiteren Betrag in Höhe von 51,13 EUR monatlich zur Deckung von Lebenshaltungskosten zur Verfügung, die er für den fraglichen Bedarf hätte aufwenden können. Soweit er in diesem Zusammenhang einwendet, er habe weitere erhöhte die Kosten durch die viermal tägliche Insulininjektion, ist dem entgegenzuhalten, dass es sich hierbei um eine medizinisch notwendige Arzneimittelversorgung handelt, deren Kosten in vollem Umfang von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen wird, da der Kläger jedenfalls in dem hier fraglichen Zeitraum von der Zuzahlung in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit war. Da eine atypische Bedarfslage im vorliegenden Fall nicht vorlag, sind auch keine anderen Anspruchsgrundlagen ersichtlich, die dem Begehren des Klägers zum Erfolg verhelfen könnten. Dies gilt zunächst für die Regelung des § 73 des 12. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII), die einerseits nicht gegen die Beklagte, sondern den Träger der Sozialhilfe gerichtet wäre und die andererseits nur dann zur Anwendung gelangen kann, wenn eine "sonstige Lebenslage" vorliegt, die den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigt. Das ist wiederum nur dann der Fall, wenn die bedarfsauslösende Lebenslage weder innerhalb des SGB XII in den Kapiteln 3 - 9 (§§ 27 - 69) bzw. den sonstigen Hilfen in anderen Lebenslagen (§§ 70 - 72, 74) noch in anderen Bereichen des Sozialrechts geregelt und bewältigt wird (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.6.2007 Az. L 1 B 7/07 AS ER; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2.Aufl. 2008, zu § 73 SGB XII, Rz. 3). Hierbei ist zu beachten, dass es dem in §§ 3 Absatz 3 S. 2, 23 Absatz 1 S. 4 SGB II zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers widerspräche, wenn § 73 SGB XII in eine allgemeine Auffangnorm umgedeutet würde, die in allen Fällen einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger begründen würde, in denen die eigentlich einschlägigen Normen den betreffenden Anspruch gerade ausschließen (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII 2. Aufl. 2008 zu § 73 SGB XII, Rz. 3). Der von dem Kläger geltend gemachte Bedarf ist - wie bereits dargelegt - von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst und damit abschließend geregelt, so dass die Regelung des § 73 SGB XII keine Anwendung findet. Nichts anderes gilt im Ergebnis für eine Herleitung des Anspruches auf Gewährung der begehrten Beihilfe unmittelbar aus Art. 1 des Grundgesetzes (GG) nach Maßgabe des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (Az. 1 BvL 1/09 u.a.). Die in der zitierten Entscheidung aufgestellten Grundsätze (vgl. Rz. 207 des Urteils) sind zwar auch in dem vorliegenden Verfahren (rückwirkend) zur Anwendung zu bringen. Ein Leistungsanspruch ergibt sich für den Kläger daraus jedoch nicht. Denn danach ist Voraussetzung für einen solchen Anspruch sowohl das Vorliegen einer atypischen Bedarfslage, als auch die fehlende Möglichkeit der anderweitigen Bedarfsdeckung, wobei grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist. Beide Voraussetzungen sind hier, wie vorstehend bereits dargestellt wurde, nicht erfüllt. Schließlich finden die Grundsätze des Urteiles des BVerfG nur Anwendung, wenn es sich um dauernde und nicht nur einmalige Bedarfslagen handelt. Die Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit orthopädischen Straßenschuhen liegt nach den Umständen des Falles zwar wohl regelmäßig und auf unabsehbare Zeit in die Zukunft vor. Zeitlich gesehen liegen die jeweiligen Bedarfssituationen aber im Normalfall Jahre und damit so lange auseinander, dass es sich dabei im Sinne des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 nicht um einen auf Dauer erhöhten Bedarf handelt, der unmittelbar über Art. 1 GG zu decken wäre. Da der Kläger mit seinem Begehren ausdrücklich die Verpflichtung der Beklagten zur Auszahlung des Betrages (nur) als Zuschuss geltend macht, kommt es auf die Frage, ob die Beklagte möglicherweise verpflichtet gewesen sein könnte, den Betrag darlehensweise zu gewähren, für die Entscheidung des Falles nicht an. Dies gilt umso mehr, als der Kläger die Zahlung an den Hersteller der orthopädischen Schuhe zwischenzeitlich geleistet hat. Unabhängig davon wäre aber nach den dargestellten Umständen des Falles den Ausführungen der Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 19.2.2009 dahingehend zuzustimmen, dass die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II - also auch für eine darlehensweise Gewährung - hier nicht vorliegen, weil es dem Kläger zumutbar gewesen wäre, die Zahlung über die Regelleistung bzw. die Mehrbedarfsleistung wegen kostenaufwändiger Ernährung zu bewerkstelligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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