L 20 AS 1347/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 179 AS 16207/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 1347/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG) genommen. Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ist nicht geeignet, eine andere rechtliche Wertung zu begründen.

Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren geltend macht, dass sie bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit mit Beitragsschulden aus ihrem privaten Krankenversicherungsverhältnis belastet sei, begründet dies derzeit nicht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes für den Erlass einer den Antragsgegner verpflichtenden einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG. Da - wie schon das Sozialgericht zutreffend ausführt hat - über § 193 Abs. 6 Satz 6 Versicherungsvertragsgesetz - VVG - auch bei Nichtzahlung eines Teils der Beiträge zur privaten Krankenversicherung während einer Ruhenszeit des Versicherungsverhältnisses der Versicherer für Aufwendungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind, haftet, ist bei einem Ruhen ein solcher Schutz sichergestellt, der den Eintritt von solchen Nachteilen verhindert, die bei Abwarten eines Hauptsacheverfahrens nicht mehr zu beseitigen wären (zum Maßstab vgl: BVerfG v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05, juris). Dabei konnte der Senat offenlassen, ob hier ein Ruhen des Vertragsverhältnisses zu Recht festgestellt werden konnte, weil die Antragstellerin ab Beginn des Versicherungsverhältnisses im Basistarif bei ihrem Versicherungsunternehmens bereits hilfebedürftig nach dem SGB II war (vgl. hierzu: LSG Baden-Württemberg v. 22.03.2010, L 13 AS 919/10 ER-B, juris, Rn. 5; LSG Berlin-Brandenburg v. 02.06.2010, L 10 AS 817/10 B ER, L 10 AS 824/10 B PKH, juris).

Soweit vertreten wird, dass die Beschränkung auf die Notversorgung nach § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG dazu führt, dass der Träger der Grundsicherung nach dem SGB II im Wege der Folgenabwägung zur Übernahme des kompletten Versicherungsbeitrages einstweilen zu verpflichten ist, weil ansonsten "die optimale Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet sei" (LSG Berlin-Brandenburg v. 18.01.2010, L 34 AS 2001/09 B ER, L 34 AS 2002/09 B PKH, juris, Rn. 10), folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Die Auffassung verkennt, dass schon im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch auf die "optimale Gesundheitsversorgung" besteht, der Anspruch nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - vielmehr die Krankenbehandlung umfasst, die notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenkassen schulden den Versicherten eine bedarfsgerechte Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und haben die Leistungen zu gewähren, die zur Heilung und Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend sind. Auf eine optimale, über den beschriebenen gesetzlichen Standard hinausgehende Versorgung besteht kein Anspruch (BSG v. 16.06.1999, B 1 KR 4/98 R, juris).

Im Übrigen entspricht das Absinken des "Versorgungsniveaus" im Falle des Ruhens nahezu der Regelung für die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten nach § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V. Auch denen bleibt bei dem Eintritt eines Ruhens wegen Zahlungsverzuges lediglich eine Versorgung mit den nach den §§ 27-52 SGB V erforderlichen medizinischen Leistungen zur Behandlung einer (akuten) Krankheit. Es ist - auch vor der Verfassung - kein Grund ersichtlich, aus dem über eine Folgenabwägung und Vorwegnahme der Hauptsache in der privaten Krankenversicherung Versicherte besser gestellt werden sollten bzw. das Ausfallrisiko der privaten Krankenversicherer im Vergleich zur GKV verringert werden sollte.

Soweit die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte darauf verweist, dass es sich bei der Beitragspflicht nach § 193 VVG nicht nur um eine moralische Pflicht handele und die Kosten der Existenzsicherung nicht auf Dritte verlagert werden könne, begründet diese Argumentation nicht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG den privaten Versicherungsunternehmen das Risiko einer mangelnden Leistungsfähigkeit eines Hilfebedürftigen nach dem SGB II für den vollen Beitrag bei gleichzeitigen Leistungsansprüchen und damit den Beitragsausfall auferlegt. Diese Risikoverteilung hat das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - als durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt angesehen (BVerfG v. 10.06.2009, 1 BvR 706/08 u.a., juris, Rn. 191 ff.).

Die Antragstellerin verhält sich bei Offenlegung ihrer Zahlungsschwierigkeiten gegenüber ihrem Krankenversicherungsunternehmen auch nicht rechtsuntreu. Der Gesetzgeber hat vielmehr - wie dargestellt - für diesen Fall bereits eine Risikoverteilung vorgenommen.

Sollte die Antragstellerin sich bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Beitragsnachforderungen des Versicherungsunternehmens ausgesetzt sehen, die ihre Leistungsfähigkeit überschreiten, ist sie gehalten, entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten zu wählen.

Nach allem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung ZPO erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung hatte keine Aussicht auf Erfolg.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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