L 5 AS 1049/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 AS 13321/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1049/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer ge-rechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können.

Ein Anordnungsgrund kann im Falle der begehrten Mietschuldenübernahme grundsätzlich erst ab der Ankündigung der Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung angenommen werden.
Bemerkung
Vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers vom 10. Juni 2010 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2010, mit dem der sinngemäße Antrag,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Mietschulden des Antragstellers in Höhe von 2.803,23 EUR zu übernehmen,

zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

Der amerikanische Antragsteller, der seit dem 10. Oktober 2008 Arbeitslosengeld II bezieht und dessen Antrag auf Übernahme der seit Dezember 2009 entstandenen Mietschulden mit Bescheid des Antragsgegners vom 8. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010 abgelehnt worden ist, hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund – also ein eiliges Regelungsbedürfnis – mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Dem Antragsteller fehlt es an einem Anordnungsanspruch, wobei als Anspruchsgrundlage allein die §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 22 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Betracht kommen. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht, wobei Geldleistungen zur Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II als Darlehen erbracht werden sollen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II sind hier nicht erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob eine drohende Wohnungslosigkeit bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil eine solche Situation wegen des entspannten Wohnungsmarktes in Berlin nicht zu befürchten ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2010, L 29 AS 2052/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris). Jedenfalls ist die Mietschuldenübernahme hier nicht gerechtfertigt. Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die begehrte Mietschuldenübernahme hier ausgeschlossen, da der Antragsteller die Mietschulden pflichtwidrig verursacht hat, indem er die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach eigenen Angaben nicht zweckentsprechend eingesetzt, sondern seine in Amerika lebende Mutter unterstützt hat. Der Antragsteller durfte die Mietzahlungen nicht im Vertrauen darauf unterlassen, dass der Antragsgegner die Schulden später übernimmt. Vor diesem Hintergrund braucht hier auch nicht entschieden zu werden, ob die Mietschuldenübernahme auch deshalb nicht gerechtfertigt ist, weil die tatsächlichen Mietaufwendungen des Antragstellers, der gegenwärtig für seine 64 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 425,- EUR an den Vermieter zu entrichten hat, als unangemessen anzusehen sind.

Einem Anordnungsgrund steht bereits entgegen, dass die Räumung der Wohnung im Wege der Zwangsvollstreckung hier noch nicht konkret angekündigt worden ist. Vor diesem Zeitpunkt kann ein eiliges Regelungsbedürfnis grundsätzlich nicht angenommen werden, da es der Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes dann noch nicht bedarf. Denn der Hilfesuchende hat bis zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, den Wohnungsverlust außergerichtlich dadurch abzuwenden, dass er seine umfassende Selbsthilfepflicht aus § 2 SGB II erfüllt, indem er zum Beispiel versucht, mit dem Vermieter eine Ratenzahlungsvereinbarung unter Aufrechterhaltung des Mietvertrages zu schließen, indem er auch ohne eine solche Ratenzahlungsvereinbarung jedenfalls aus dem in den Regelleistungen enthaltenen Ansparbetrag tatsächlich Raten erbringt, insbesondere schließlich, indem er sich in dem gebotenen Umfang um eine Arbeit bemüht, damit er die Mietschulden unter Einsatz des Arbeitsentgeltes abzahlen kann.

Nach dieser Maßgabe scheitert die Annahme eines Anordnungsgrundes im vorliegenden Fall bereits daran, dass die Räumung noch nicht absehbar ist. Zwar hat der Vermieter den Mietvertrag mit Schreiben vom 16. März 2010 fristlos gekündigt. Auch hat sich der Antragsteller gegenüber seinem Vermieter mit einer notariellen Urkunde vom 15. April 2010, die ein Schuldanerkenntnis enthält, mit Wirkung ab dem 1. Mai 2010 der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Räumung unterworfen. Die Zwangsvollstreckung ist jedoch bisher nicht ansatzweise eingeleitet worden. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob die genannte Urkunde in Bezug auf die Räumung einen Vollstreckungstitel nach § 794 ZPO darstellt, da die Zwangsvollstreckung aus notariellen Urkunden, die den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betreffen, gemäß § 795 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ausgeschlossen ist (vgl. Amtsgericht Detmold, Beschluss vom 17. Februar 2003, 9 M 298/03, abrufbar bei der Datenbank Juris; Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 794 Rn 26).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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