L 6 AS 1208/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 235/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1208/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 02.06.2010 geändert und dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C, E, bewilligt. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die von ihm erhobene Untätigkeitsklage auf Bescheidung seines Antrags vom 01.04.2009 zu bewilligen ist.

Zwischen den Beteiligten waren und sind seit erstmaliger Antragstellung des Klägers Ende März 2007 diverse Klageverfahren und Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig. Am 01.04.2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab Mai 2009.

Am 15.10.2009 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht (SG) Detmold erhoben. Gleichzeitig hat er "um umgehende Beiordnung eines Fachanwalts für Sozialrecht als Notanwalt" gebeten und eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übersandt.

Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 08.02.2010 darauf hingewiesen, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Notanwalt nach § 121 Abs. 5 Zivilprozessordnung (ZPO) aus den ihm aus mehreren Verfahren bekannten Gründen nicht in Betracht komme. Gemäß § 73a Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne auf Antrag der beizuordnende Anwalt aber vom Gericht ausgewählt werden, wenn der Kläger von seinem Recht auf Wahl eines Rechtsanwalts keinen Gebrauch mache. Einen solchen Antrag habe der Kläger bislang nicht gestellt. Er möge mitteilen, ob er einen solchen Antrag stellen wolle. Auf dieses Schreiben hat der Kläger nicht reagiert.

Mit Beschluss vom 02.06.2010 hat das SG den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes abgelehnt. Zur Begründung hat es u.a. darauf abgestellt, dass der Kläger einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht benannt habe. Er habe auch keinen Antrag dahingehend gestellt, dass der beizuordnende Anwalt vom Gericht ausgewählt werde. Die Voraussetzungen der - einzig vom Kläger beantragten - Beiordnung eines Notanwalts nach § 121 Abs. 5 ZPO lägen nicht vor. Ein Notanwalt sei nach § 121 Abs. 5 ZPO beizuordnen, wenn ein Antragsteller substantiiert glaubhaft mache, dass er zumindest eine gewisse Zahl zur Vertretung befugter Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht habe. Obwohl der Kläger durch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG, Beschluss vom 02.09.2009, L 19 B 252/09 AS ER RG) und wiederholt durch den Vorsitzenden der Kammer auf die Voraussetzungen der Beiordnung eines Notanwalts hingewiesen worden sei, die er nicht erfülle, habe er ausdrücklich weiter die Beiordnung eines Notanwalts begehrt ohne die hierfür notwendigen Angaben zu machen. Die Beiordnung eines Anwalts für den Kläger sei nicht im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich. Der Kläger sei nach eigenem Bekunden rechtskundig. Er habe, wie dem Gericht aus den zahlreichen weiteren zwischen den Beteiligten geführten Verfahren bekannt, Jura studiert und seine Vorlesungen bei der derzeitigen Verfassungsrichterin X mit 15 Punkten im großen Schein abgeschlossen. Trotz Beiordnung von Rechtsanwälten in vielen der von ihm geführten Verfahren habe er jeweils selbst umfassenden Sachvortrag abgegeben. Auch für den Fall eines Antrages nach § 73a Abs. 1 S. 2 SGG sähe sich die Kammer derzeit außerstande, dem Kläger einen - wie ausdrücklich beantragt - Fachanwalt für Sozialrecht beizuordnen. Sämtliche dem Vorsitzenden bekannten Fachanwälte für Sozialrecht in Minden und Umgebung seien dem Kläger bereits beigeordnet gewesen, die Mandatsverhältnisse jedoch vom Kläger vorzeitig beendet worden.

Gegen den ihm am 05.06.2010 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 03.07.2010 Beschwerde erhoben. Er habe mehrfach nachgewiesen, sich um eine anwaltliche Vertretung bemüht zu haben. Zu Recht habe die Kammer im Übrigen ausgeführt, dass ihm kein vor Ort ansässiger Fachanwalt mehr beigeordnet werden könne. Keiner der bereits überlasteten Anwälte vor Ort könne verschleppte Verfahren über drei Jahre zu PKH-Konditionen durchführen. Die Feststellung, der Antragsteller habe die Beiordnung eines durch das Gericht ausgewählten Anwalts nicht beantragt, könne "nach zahlreichen nicht falsch zu verstehenden Schreiben selbst vom befangensten Richter nur als Fehlinterpretation der Beantragung im Rahmen willentlicher Rechtsbeugung vorgenommen werden". Der rechtswidrige Beschluss sei aufzuheben und ihm PKH unter Beiordnung eines Fachanwaltes für Sozialrecht zu gewähren.

Der Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist (nunmehr) ein Anwalt gemäß § 73a Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beizuordnen.

In Verfahren, in denen Gerichtskosten, wie vorliegend, nicht erhoben werden, ist regelmäßiges Ziel des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Rechtsanwalts (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn 9; LSG NRW, Beschluss vom 24.11.2009, L 7 B 407/09 AS ER; LSG Sachsen, Beschluss vom 16.03.2009, L 7 AS 63/09 B-ER; BT-Drs. 8/3068 S. 38).

Zu Recht hat das Sozialgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Beiordnung des vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren allein beantragten "Notanwalts" lagen nicht vor. Der Begriff des Notanwalts wird lediglich von § 78b ZPO verwendet. Diese Vorschrift, die über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, erlaubt die Beiordnung eines "Notanwalts" ausschließlich in Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte geboten ist (§ 78b Abs. 1 ZPO). Dies ist weder in Verfahren vor dem Sozialgericht noch vor dem Landessozialgericht der Fall. Ob im Sozialgerichtsprozess die Beiordnung eines Anwalts gemäß § 121 Abs. 5 ZPO trotz der (weitergehenden) Sonderregelung des § 73a Abs. 1 S. 2 SGG in Betracht kommt und der Antrag des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren entsprechend ausgelegt werden konnte, kann dahinstehen, da die Voraussetzungen auch dieses Tatbestandes nicht vorliegen. Zutreffend hat das Sozialgericht hierzu ausgeführt, dass es an der notwendigen glaubhaften und substantiierten (d.h. konkreten) Benennung einer gewissen Anzahl von Anwälten, die die Übernahme des Mandats verweigert haben, fehlt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die entsprechenden Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Ebenfalls zu Recht ist das SG des Weiteren davon ausgegangen, dass der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren keinen Antrag auf Auswahl eines Anwalts durch das Gericht gemäß § 73a Abs. 1 S. 2 SGG gestellt hat. Ausdrücklich hat der Kläger dort wiederholt die Beiordnung eines "Notanwalts" begehrt, obwohl ihm aus dem Beschluss des LSG NRW vom 02.09.2009, L 19 B 252/09 AS ER RG bekannt war, dass die Voraussetzungen für diese Beiordnung nicht vorliegen und er vom Kammervorsitzenden auf die Möglichkeit eines Antrags gemäß § 73a Abs. 1 S. 2 SGG hingewiesen worden ist.

Der Kläger hat nach seinen (weitergehenden) Erklärungen im Beschwerdeverfahren jedoch nunmehr einen Anspruch auf Beiordnung eines Fachanwalts für Sozialrecht nach § 73a Abs. 1 S. 2 SGG.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Kläger die Kosten der Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nach dem aktenkundigen Sachstand und der vom Kläger überreichten PKH-Erklärung vor. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten sowie der im erstinstanzlichen Verfahren verfassten Stellungnahmen der Beklagten ist bisher eine endgültige Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 01.04.2009 nicht ergangen. Gegenteiliges hat die Beklagte nicht mitgeteilt.

Gemäß §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 121 Abs. 2 ZPO wird einem unbemittelten Beteiligten in Prozessen, für die eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten wird. Macht der Beteiligte von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird der beizuordnende Anwalt auf seinen Antrag vom Gericht ausgewählt (§ 73a Abs. 1 S. 2 SGG).

Was "erforderlich erscheint", ist im Lichte von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsstaats- und dem in Art. 20 Abs. 1 GG verbürgten Sozialstaatsprinzip auszulegen. Nach diesen Grundsätzen muss die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angeglichen werden. Der unbemittelten Partei darf die Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung im Vergleich zur bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden; der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Begüterter. Ein Rechtsanwalt ist beizuordnen, wenn ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.2010, 3 AZB 9/10 m.w.N.). Davon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2009, 1 BvR 439/08 Rn 17). Dies ist im Sozialrecht in aller Regel der Fall, da den Klägern überwiegend eine Behörde gegenübersteht, die das Verfahren durch rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter führen kann. Ein vernünftiger Rechtssuchender wird daher regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können.

Wenngleich es dem Kläger in den bisher geführten Verfahren in der Regel gut gelungen ist, seine Interessen zu vertreten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die bei ihm vorhandenen juristischen Kenntnisse genügen, um grundsätzlich ein Gleichgewicht mit der Beklagtenseite zu schaffen. Selbst bei einem abgeschlossenen Studium wäre dies fraglich. Hierbei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Prozesskostenhilfe für die unteren Instanzen das Sozialrecht als Spezialmaterie angesehen hat, die nicht nur rechtsunkundigen Parteien, sondern selbst ausgebildeten Juristen Schwierigkeiten bereitet (BT-Drs. 8/3068, S. 22 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 06.05.2009, 1 BvR 439/08 Rn 23). Wenngleich eine - wie hier vorliegende - Untätigkeitsklage häufig einen leicht überschaubaren Sachverhalt zum Inhalt hat, so ist die konkrete Verfahrenssituation dadurch erschwert, dass der Streitgegenstand die Bescheidung eines nunmehr bereits seit anderthalb Jahren anhängigen Antrags beinhaltet und dem Verfahren durch verschiedene Eilentscheidungen der Gerichte sowie diverse Bescheide, Schreiben, Stellungnahmen und Handlungen der Beklagten Übersichtlichkeit fehlt.

Einen zu seiner Vertretung bereiten Anwalt hat der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht gem. § 121 Abs. 2 ZPO benannt. Ebenfalls fehlt es an einem ausdrücklichen Antrag zur Auswahl des Anwalts durch das Gericht gem. § 73a Abs. 1 S. 2 SGG. Vielmehr weist der Kläger auch hier erneut darauf hin, dass ihm die Bestellung eines "Notanwalts" durch das Gericht als notwendig erscheine. Seine weiteren Ausführungen in der Beschwerdeschrift sind bei wohlwollender Betrachtung jedoch dahingehend auszulegen, dass er nunmehr auch die Beiordnung eines Anwalts nach dieser Vorschrift begehrt, insbesondere da er am Ende seines Schreibens allgemein die "Beiordnung eines Fachanwalts für Sozialrecht" beantragt. Der Senat hat entsprechend eine Beiordnung des Fachanwalts für Sozialrecht C, E, vorgenommen. Gründe, die dessen Beiordnung entgegenstehen könnten, sind dem Senat nicht ersichtlich. Eine Begrenzung des beizuordnenden Anwalts auf den unmittelbaren örtlichen Umkreis um den Wohnort des Antragstellers ist nicht erforderlich. Dieser ist, wie sich in den zahlreichen Verfahren gezeigt hat, in der Lage, die Kommunikation per E-Mail zu führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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